August 2016 im Rheinland: Hoch steht die Sonne über der Tiefebene, die Ernte von Getreide, Kartoffeln, Möhren und Salaten ist in vollem Gange. Nicht zuletzt der Staub, der aus dem Braunkohle-Tagebau Garzweiler II herüber weht, zaubert spektakuläre Sonnenuntergänge in den Himmel. Das Leben scheint still zu stehen in der flirrenden Hitze, wären da neben der intensiven Landwirtschaft nicht die Schaufelradbagger, Bandanlagen, Kraftwerke, die 365 Tage im Jahr durchlaufen. Doch es regt sich etwas, auch im Jahr 2016 vom 19. bis 29. August in Lützerath: das Klimacamp!
Es ist zu einer festen Größe geworden im Revier, für die Bewegung, für die betroffenen Bewohner*innen und für den Energieriesen RWE, der jedes Jahr aufs neue mit bunten Formen des Widerstands zu rechnen hat.
Auf dem diesjährigen Klimacamp fand zum zweiten Mal die „Degrowth Summer School“ statt. In vielfältigen Kursen entwickelten die Teilnehmenden Wege, die herausführen aus dem Wachstumszwang, den das kapitalistische Gesellschaftssystem vorgibt und dessen Folgen auch in fossiler Energieerzeugung und Klimawandel offenbar werden. Wie bereits im letzten Jahr (die GWR berichtete) wurde das Camp gemeinschaftlich von den ursprünglichen Initiator*innen der Rheinlandcamps und Menschen aus dem Degrowth-Zusammenhang in einem basisdemokratischen Prozess auf die Beine gestellt. Die Camp-Infrastruktur, das Programm, die Aktionen und Angebote der vielen beteiligten Gruppen: Ein Camp in einer Größenordnung von etwa tausend Teilnehmenden wird erst möglich durch den unermüdlichen Einsatz von Menschen, die ihre Utopie von einem besseren Leben Wirklichkeit werden lassen wollen.
Unter dem Motto „Skills for System Change“ bot das Camp den Raum, einander zu ermächtigen, um aufzuzeigen und erlebbar zu machen, dass Alternativen zum bestehenden Herrschaftssystem möglich sind. In Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Workshops und Dokumentarfilmen galt es, sich theoretisch mit globalen Herausforderungen auseinander zu setzen. Es geht um eine umfassende Gesellschaftskritik, die neben Klimaschutz aktuell brennende Themen wie Rassismus und Flucht, globale Ungerechtigkeit, Landwirtschaft, Gender-Fragen einschließt.
Doch bei der „Kopfarbeit“ sollte es nicht bleiben: Praktische Fähigkeiten, die Voraussetzung für eine größere Unabhängigkeit von der Konsumgesellschaft sind, waren allein für den Aufbau des Camps unabdingbar. Zum ersten Mal entstand auf diesem Camp ein regelrechtes „Industriegebiet“, in dem die ganze Zeit über unablässig geschraubt und gewerkelt wurde. Die Infrastruktur der Klimacamps wird in Handarbeit mit einfachsten Mitteln aufgebaut und in Stand gehalten. Eine besondere Bedeutung, symbolisch und praktisch, hat das Strom-Zelt. Elektrische Energie ist notwendig für die Beleuchtung, Filme und Konzerte, Laptops und Mobiltelefone. Die möchte Mensch natürlich nicht vom großen Bruder RWE beziehen. Also, ran an die Erneuerbaren aus eigener Kraft! Die Photovoltaik-Zellen liefen heiß in der Sommersonne, drei campeigene Windräder aus Holz drehten sich schon. Damit nicht genug, in tagelanger Arbeit entstand ein viertes Rad, das begeistert mit „Power to the People“-Gesängen wie ein Totempfahl aufgerichtet wurde, jubelnd begrüßten die Erbauer*innen den ersten Strom.
Die traurige Wirklichkeit der Stromerzeugung aus Kohle ist einen Katzensprung vom Camp entfernt zu sehen. Hier fressen sich die Bagger weiter in die Landschaft, vom Dorf Borschemich, in dem 2015 noch ein Klimacamp-Straßenfest stattfand, ist kaum noch etwas übrig. Ein Demonstrationszug am 20. August bekam die Dorfkirche und die Wasserburg „Haus Paland“ nicht mehr zu Gesicht, denn die geschichtsträchtigen Gebäude wurden vor wenigen Monaten für den Tagebau abgerissen.
Die Demo zog weiter nach Keyenberg, ein weiteres von Abriss und Umsiedlung bedrohtes Dorf. Bis in den Abend feierten die Teilnehmenden aus dem Klimacamp, von lokalen Bürgerinitiativen, der Gewerkschaft ver.di und vielen anderen Gruppen im grünen Dorfpark mit Ansprachen, Musik, Lesungen und gutem Essen aus der VoKü „Rampenplan“.
Ihr Anliegen ist eine „Zukunft ohne Kohle“. Die Zerstörung geht weiter, obwohl der Braunkohleabbau den Klimazielen von Paris zuwider läuft und den Traum von Deutschland als Energiewende-Land ad absurdum führt. Selbst wirtschaftlich fährt der Riese RWE vor die Wand, dennoch bleiben Unternehmen und Politik auf dem über Jahrzehnte eingefahrenen Weg, stemmen sich gegen eine Veränderung, die früher oder später ohnehin auf sie zukommt.
Wegen des Klimas dagegen ist keine Zeit zu verlieren: Sofortiges Handeln ist gefragt, um die katastrophalen Folgen der fossilen Energieerzeugung zu verhindern.
Die Demo setzte ein erstes Zeichen zum Auftakt des Camps. Es folgten unter dem Titel „Aktionslabor“ ein Spielraum und ein Probefeld für dezentrale Kleingruppen-Aktionen. Während bei den großen Besetzungen von Kohle-Infrastruktur im Rahmen von „Ende Gelände“ einiges im Voraus organisiert war und Aktivist*innen aus aller Welt mit wenig eigener Vorbereitung dabei waren, setzte das Aktionslabor ganz auf die selbstständige Gestaltungskraft aus Kleingruppen. Das Ziel war, dass möglichst viele unterschiedliche Interventionen an mehreren Orten gleichzeitig stattfinden konnten, so dass jede*r eine Ausdrucksform und einen Konfrontationsgrad finden konnte, der ihm/ihr entspricht.
Am Aktionstag vom 25. August hieß das Motto „Infrastruktur markieren“. In den Dörfern und rings um die Abbruchkante des Tagebaus waren Aktivist*innen unterwegs mit Banner-Drops, schossen beeindruckende Fotos, sprachen an Mahnwachen mit Menschen aus der Region.
Gerade an diesen Infopunkten wurde deutlich, wie sehr der Braunkohleabbau die Betroffenen aufwühlt: Viele teilten ihre Geschichten, die mit offenen Ohren aufgenommen wurden.
Ein Mann kam wenig später zurück, mit einem Eimer voller selbst gezogener Tomaten. Ein Höhepunkt des ersten Aktionstages war die Besetzung einer alten Schule in Immerath.
Binnen Minuten verwandelte sich das verlassene Gebäude in ein buntes Wespennest, geschmückt mit Bannern, Sprüchen und Schildern: „School is out – we are in!“ Auf der Straße und im Dorfpark wurden spontan Workshops abgehalten, der Camp-Bäcker backte Pizza und Crêpes, „Rampenplan“ lieferte Essen. Im Haus ein wunderschönes altes Eichen-Treppenhaus, die Kinder haben Fensterbilder zurück gelassen, eine Tür ziert der Schriftzug „Mäuse“. Wenn sie nicht in die Stadt gezogen sind, leben die Kinder und ihre Familien heute im Retorten-Dorf Neu-Immerath.
Der zweite Aktionstag „Infrastruktur blockieren“ rief Kleingruppen auf den Plan, die in den Tagebau hinabstiegen, um den Betrieb der Bagger aufzuhalten, Kohlezüge zu blockieren und vieles anderes. Eine vollständige Dokumentation aller Aktionen während des Klimacamps 2016 zeigt die Online-Karte „climateactionmap“.
Fazit
Das Aktionslabor hat der Bewegung Mut gemacht, im Sommer 2017 Aktionstage im größeren Stil durchzuführen, ähnlich den Protesten gegen die Castor-Transporte im Wendland. „Ende Gelände“ wird wieder ins Rheinland mobilisieren und daneben wird es eine Vielfalt von selbstorganisierten Kleingruppen-Aktionen geben, genauso wie Demonstrationen, Camps oder kulturelle Veranstaltungen. Ein solches „Flächenkonzept“ soll mehrere tausend Aktivist*innen im rheinischen Braunkohlerevier zusammenbringen.
Wer sich einbringen möchte in die Vorbereitung von Camp und Aktionen, ist herzlich eingeladen zur Rheinland-Aktionskonferenz vom 28. – 30. Oktober in Köln!
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