Ne znam! Nr. 3, herausgegeben von Philippe Kellermann, Verlag Edition AV, Lich 2016, 178 S., 12 Euro, ISBN 9783868411614
Das Erscheinen der dritten Ausgabe von „Ne znam. Zeitschrift für Anarchismusforschung“ beweist, dass es sowohl Bedarf an einer solchen Zeitschrift in Deutschland gibt als auch dass der Herausgeber Philippe Kellermann die Ausdauer besitzt, dies umzusetzen. Nach wie vor wird die Zeitschrift nur von ihm herausgegeben und nicht von einem Kollektiv, wie es sich für ein solches Projekt anbieten würde. Bezüglich der Beiträger lässt sich ebenfalls eine Kontinuität erkennen – Andreas Löhrer, Andreas Förster, Wolfgang Eckhardt, Findus und Wolfgang Reinhard, die auch an den letzten Ausgaben mitgearbeitet haben. Sein eigenes Vorwort fällt wie in den vergangenen Ausgaben etwas lapidar aus. „Wer sich jedenfalls fragt, was die „Ne znam“ eigentlich soll – und mit ihr bezweckt wird, dem sei gesagt: Garnichts!“ (S. 1).
Im Gegensatz zu den vorherigen Ausgaben lässt sich bei dieser Ausgabe ein Schwerpunkt im Bereich der Auseinandersetzung mit dem spanischen Anarchismus bzw. dem sehr eng geschichtlich mit ihm verknüpften Anarchosyndikalismus erkennen. So beschäftigen sich die Beiträge von Walther L. Bernecker („Anarchistische Gewaltformen im Spanien des 19. Jahrhunderts“) und von Lily Litvak („Die Kultur des spanischen Anarchismus“) mit erstgenannten Thema während Hartmut Rübners Text „Solidargemeinschaften in gefährlichen Zeiten“ sowie das historische Dokument, ein Text von Victor „Le Rétif“ Serge („Unser Antisyndikalismus“) sich in letzteres einordnen lassen.
Drei weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem internationalen Kampf gegen anarchistischen Terrorismus zwischen 1878-1934 (Richard Bach Jensen), Anarchismus Wagners (Olaf Briese) sowie mit dem Verhältnis von Posthumanismus und Anarchismus (Simon Schaupp). Abgerundet wird die Ausgabe mit fünf Rezensionen – u.a. von englisch- und französischsprachigen Veröffentlichungen. (Hierbei muss sich der Herausgeber die Frage stellen, ob es Sinn macht, fremdsprachige Bücher zu rezensieren, die in Deutschland nicht oder nur sehr schwer zugänglich sind.) Unter den besprochenen Büchern findet sich auch eine Rezension zu einem vom Philippe Kellermann herausgegebenen Band.
Auffällig ist auch in dieser Ausgabe, dass etwa die Hälfte der Beiträge bereits publiziert wurden, im Netz freizugänglich sind und lediglich – wenn auch in deutscher Übersetzung – hier nachgedruckt wurden. Dies betrifft die Beiträge von Richard Bach Jensen, Lily Litvak, die Anmerkungen zum historischen Dokument sowie eine Rezension. Der Text von Hartmut Rübner ist ebenfalls nur eine gekürzte Fassung eines, gemeinsam mit Dieter Nelles verfassten Beitrages für das Journal „Moving the Social“. Für eine Zeitschrift für Anarchismusforschung würde ich mir persönlich mehr exklusive Beiträge wünschen. Das Potential sehe ich persönlich in der deutschsprachigen A-Landschaft auch gegeben.
Bezüglich der Qualität der Beiträge kann man natürlich nicht meckern – Autor*innen wie Walther L. Bernecker, Lily Litvak oder Hartmut Rübner sind wissenschaftliche Koryphäen in ihrem jeweiligen Bereich. Der Beitrag von Olaf Briese weist dagegen in Bezug auf die Proudhonrezeption Wagners einige blinde Flecken auf und verbleibt damit leider partiell hinter dem aktuellem Forschungsstand zu Wagner zurück.
Der Eindruck der Ausgabe ist durchwachsen. Ich denke, dass die Zeitschrift ihrem Anspruch, den sie entgegen den Vorworten von Philippe Kellermann mit ihrem Untertitel „Zeitschrift für Anarchismusforschung“ zum Ausdruck bringt – nach wie vor nur bedingt erfüllt. Manchmal hatte ich bei der Lektüre den Eindruck, dass die Zeitschrift weder Fisch noch Fleisch ist. Es würde sich anbieten, ein Periodikum mit eigenen Exklusivbeiträgen zu publizieren oder lediglich Übersetzungen zu bringen. Die vorliegende Mischung durchkreuzt beides, aber nicht in Bezug auf eine sinnvolle Symbiose beider Konzepte. Die Themenwahl ist bunt durchmischt und der bekannte rote Faden lässt sich nur schwer erkennen.
Die Beiträge sind von Interesse, aber wenn ich sie bei Bedarf zum großen Teil in der Originalfassung ohnehin im Internet finde, benötige ich nicht unbedingt eine Publikation wie „Ne znam!“.
Die Zeitschrift hat sicherlich Potentiale, aber diese werden nicht ausgeschöpft. Sie können bei einem halbjährlichen Erscheinungsturnus von einem Einzelherausgeber auch gar nicht adäquat umgesetzt werden.