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Streik! Was für ein wunderbarer Tag

| Dietmar Lange

Peter Nowak (Hrsg.): Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken, edition assemblage, Münster 2015, 112 Seiten, ISBN 978-3-942885-78-2

In den letzten Jahren hat sich eine lebhafte Diskussion über die Ausbreitung prekärer Arbeitsverhältnisse und die Notwendigkeit neuer Organisationsansätze und Instrumente des Arbeitskampfes entwickelt.

Schließlich zeigt sich immer deutlicher, dass die großen Branchengewerkschaften nicht mehr in der Lage sind, auf die Probleme in weiten Bereichen der heutigen Arbeitswelt adäquat zu reagieren. Der Berliner Journalist Peter Nowak legt mit dem vorliegenden Buch nun ein Sammelbändchen vor, das als Beitrag zu dieser Debatte aus aktivistischer Sicht gelten kann. Viele der hier versammelten Texte behandeln Beispiele aus Bereichen, die meist nicht mit Streiks in Verbindung gebracht werden. So geht es um Arbeitskämpfe von Sexarbeiterinnen, in einem Berliner Spätkauf, im Theater oder im Gefängnis.

Die Autoren und Autorinnen waren und sind zumeist selbst ProtagonistInnen dieser Kämpfe oder in Unterstützungsaktionen aktiv. Deutlich wird dabei die große Rolle, welche ein solidarisches Umfeld und die Auseinandersetzung in der Gesellschaft haben, um eine oft mangelhafte Produktionsmacht der Beschäftigten auszugleichen.

Daher geht es im Buch auch um die Verbindung von Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen in der jüngsten Zeit. Bis auf einen Beitrag zu einem Solidaritätskomitee von Lesben und Schwulen für den britischen Bergarbeiterstreik 1984 und 1985 werden frische und teilweise noch laufende Auseinandersetzungen behandelt.

Zu loben ist, dass die Beiträge sich nicht auf Deutschland beschränken, sondern sich, durch Beispiele aus Frankreich und Italien, in einen internationalen Kontext einordnen lassen.

So geht Willi Hajek, im Rahmen eines Beitrages über ein europäisches Netzwerk von Basis- und alternativen Gewerkschaften, auf die französischen Basisgewerkschaften sud-solidaires und ihr Selbstverständnis eines „syndicalisme different“ (S. 10) ein, welcher auch das Verhältnis zu den Konsumenten und Konsumentinnen reflektiert und diese in die eigene Strategie mit einbezieht. „Der Typ Syndikalismus, den die Sud-Gewerkschaften repräsentieren, betrachtet umgekehrt die Gesellschaft als praktischen Zusammenhang der Menschen, in dem die Lohnabhängigen nicht nur Objekte, sondern zugleich tätige Subjekte, gesellschaftliche Produzent_innen sind und in dieser Eigenschaft das Kapitalverhältnis und die es schützende Politik als Hindernis, als ‚Ballast‘ erleben.“ (S. 10f.)

In diesem Zusammenhang wird auf eine Reihe von Arbeitskämpfen eingegangen, in denen sich die Arbeiter und Arbeiterinnen direkt an ihr gesellschaftliches Umfeld wandten. So etwa Arbeitsniederlegungen im Pariser Hotel- und Friseurgewerbe, bei einem Energieversorger, oder die jüngsten Kämpfe der „Intermittents du spectacle“, der französischen Kulturschaffenden, deren Schilderung den Prolog zu den jüngsten Auseinandersetzungen um die Reform des Arbeitsgesetzes bilden könnte: „die Intermittants sind praktisch seit 2003 ein aktiver Teil der rebellischen Lohnarbeit, der auch gerade durch seine Aktionsformen, durch seine Kultur der Versammlungen, durch sein öffentliches Auftreten ein wirklich sozialrevolutionäres Milieu geschaffen hat.“ (S. 22f.)

Zwei Mitglieder von labournet.tv behandeln die Auseinandersetzungen in der italienischen Logistikbranche, wo seit 2008 zumeist migrantische Arbeitskräfte um Lohnerhöhungen und die Anerkennung der nationalen Tarifverträge in ihren Unternehmen kämpfen. In diesen Auseinandersetzungen spielen ebenfalls kleine lokal verankerte Basisgewerkschaften, wie die S.I. COBAS, eine große Rolle. Hinzu kommt die Unterstützung durch die radikale Linke vor Ort, mit deren Hilfe eine Reihe von Streiks erfolgreich durchgeführt werden konnten.

Die vielen Parallelen und Verbindungen zu den Beispielen aus Deutschland sind deutlich vorhanden. So bei den Auseinandersetzungen an der Berliner Universitätsklinik Charité um eine bessere Personalausstattung, wo die Beschäftigten unter dem Slogan „Mehr von uns ist besser für alle“ (S. 82) auch die Qualität der Gesundheitsversorgung für die Patienten und Patientinnen thematisieren.

Aber auch bei den Auseinandersetzungen im Einzelhandel, bei H&M und bei Amazon, die von Solidaritätskreisen unterstützt werden, in denen sich vor allem die außerparlamentarische Linke einbringt. Ein Unterschied zu Frankreich und Italien ist dabei, dass in Deutschland diese Arbeitskämpfe mit ver.di von einer großen Branchengewerkschaft geführt werden, wobei auch Reibereien nicht ausbleiben.

Abgeschlossen wird das Bändchen mit einem stark theoretischen Beitrag der Gruppe „Antifa Kritik und Klassenkampf“ aus Frankfurt am Main, in welchem diese ihr Engagement in oben genannten Soli-Kreisen mit der Absicht begründet, eine Verbindung von antikapitalistischer Perspektive und konkreten Einzelkämpfen herzustellen. Wenn auch aus einer anderen Position heraus und in einem deutlich didaktischeren Tonfall, zeigt die Begründung für diese Orientierung am Klassenkampf auch Ähnlichkeiten zum oben zitierten Selbstverständnis der französischen Basisgewerkschafter: „Wird in kollektiven Erfahrungs- und Reflexionsprozessen deutlich, dass die eigenen Bedürfnisse hier und heute nur befriedigt werden, sofern sie sich der Wertvergesellschaftung anpassen, vermitteln sich Bedürfnisse mit der kritischen Einsicht, dass eine gesellschaftliche Produktion, die auf die Bedürfnisbefriedigung und -entfaltung der Gesellschaftsmitglieder gerichtet ist, nur jenseits der kapitalistischen Klassengesellschaft zu haben ist“ (S. 105). Der Text endet mit einem Vorschlag zum Aufbau von Strukturen zur Herstellung von Solidarität zwischen Lohnabhängigen aus unterschiedlichen Branchen und gesellschaftlichen Bereichen. Darunter werden „Streikende, Betriebsgruppen, Arbeitsloseninitiativen, Repro-Arbeiter_innen oder Soli-Aktivist_innen“ (S. 107) verstanden, die sich „rund um die Orte, an denen Herrschaft und Ausbeutung sich alltäglich reproduzieren“ (S. 108) organisieren. Das lässt wiederum an ähnliche Experimente der jüngsten Zeit in Italien denken, nicht zuletzt an die lokalen Organisations- und Unterstützungsstrukturen für die Logistikarbeiter und -arbeiterinnen.

Das Sammelbändchen ist sicher keine Fachliteratur. Eine ausführlichere Einleitung, die die vielen teils sehr unterschiedlichen Beiträge miteinander in Beziehung setzt und sie versucht mit gemeinsamen Thesen über die neuen Arbeitskämpfe zu unterfüttern, wird nicht geboten.

Für Leserinnen und Leser aber, die sich über neuere und teils ungewöhnliche Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz aus erster Hand informieren wollen, ebenso wie für solche, die in ähnliche Kämpfe verwickelt sind, ist es dennoch eine anregende Lektüre, die zudem handlich und auch für Menschen mit wenig Zeit zubereitet worden ist.