Trump: Dieser Mann ist gefährlich. Er kann der mächtigste Mensch der Erde werden. Und auch wenn er nicht Präsident der USA wird, bleibt seine Wirkung. Ob er gewinnt, könnte nun davon abhängig sein, was über Hillary Clinton noch enthüllt wird und welches Gewicht die Sexismus-Pest des Einen und die Unglaubwürdigkeits-Cholera der Anderen bei den WählerInnen bekommt. Zwei Drittel der möglichen WählerInnen in den USA verabscheuen Trump wie Clinton.
Trumps „Follower“ sind – das ist das einzig Hoffnungsvolle – keine wirkliche Bewegung, nicht organisiert, sondern nur das Publikum einer One-man-Show, das sich nach einer Niederlage zerstreuen könnte. Nicht auszuschließen ist aber auch, dass andere dann die brachliegenden Gefühle bewirtschaften.
Trump sagt offen, wie er Macht versteht:
„Wenn wir Atomwaffen haben, warum setzen wir sie nicht ein?“, hat Trump des Öfteren gefragt. (2)
Die Loyalität seiner Follower beschreibt er so:
„Ich könnte mich auf die Fifth Avenue stellen und jemanden erschießen und würde keinen Wähler verlieren, das ist unglaublich.“ Übrigens warf er seiner Konkurrentin vor, sie könnte jemanden erschießen und würde nicht einmal angeklagt (weil sie zum Establishment gehört) Das Erschießen scheint eine Art Test und naheliegend zu sein.
Seine Verteidigung des Waffenbesitzes, ein Recht mit Verfassungsrang in den USA, geht so weit, dass er bewaffneten Widerstand gegen Hillary Clintons Versuch einer Einschränkung nahelegt: „Vielleicht gibt es ja Anhänger des 2. Verfassungszusatzes, die dann noch etwas machen können“ (wenn Hillary Clinton Richter ernannt hat, die ihre Pläne absegnen könnten). Es wurde ihm dann vorgeworfen, zum Mord an Hillary Clinton aufzurufen. Der zweite Verfassungszusatz wird in den USA von vielen so interpretiert, dass sich das Volk mit Waffengewalt gegen eventuelle Despoten oder eine illegitime Regierung zur Wehr setzen könne.
Deshalb gilt Trumps Äußerung als verklausulierter Aufruf zum Aufstand oder Anschlag.
Trump selbst weist dies in einer Stellungnahme zurück. Er habe die Zweite-Verfassungszusatz-Leute (also Anhänger des Verfassungsartikels) lediglich erwähnt, weil sie einen ‚bewundernswerten Spirit‘ und ‚große politische Kraft‘ hätten. Und daher würden sie für ihn stimmen. Unerwähnt lässt Trump in dem Statement, dass sich die Passage in seiner Rede ganz offensichtlich auf die Zeit nach der Wahl bezieht, wenn eine Präsidentin Clinton Oberste Richter ernennen könnte“. (3)
Trump: „Ich kann sie alle haben.“
Dass er mit Frauen Probleme hat, wurde auch bei vielen Interviews deutlich. Ein klarer Anti-Feminist. Macht ist männlich.
Deshalb ist seine Anhängerschaft meist männlich.
Natürlich glauben auch diese von sich: „Niemand respektiert Frauen so wie ich“ – das hat alles doppelten Boden: Welche Frauen werden respektiert? „Die Eigenen“. Und übrigens, entgegen den vielen Erklärungen prominenter Sportler: Was in Umkleideräumen so geredet wird, ist wirklich ekelig.
Die Mexikaner: „Sie bringen Drogen mit. Sie bringen Kriminalität mit. Sie sind Vergewaltiger.“ Einen Tag, nachdem er als Gast des mexikanischen Präsidenten diesem seine Wertschätzung versichert und eine gemeinsame Front gegen China beschworen hatte, damit die Arbeitsplätze in Amerika blieben: „Mexiko wird die Mauer bezahlen. Hundert Prozent. Sie wissen es noch nicht, aber sie werden sie bezahlen.“ (4)
„While others say don’t hate nothing at all – except hatred“ (5)
Ein Egomane (In meinem Film bin ich der Star und „Als Star kannst Du Dir gegenüber Frauen alles erlauben …“) organisiert Gemeinschaftserlebnisse, die durch massive Ausgrenzungen der Nicht-Dazugehörigen Amerika wieder groß machen sollen. „America first!“
Ein Medien-Profi, der sich auf Krawall und „Hate-Speech“ spezialisiert hat, Hass en gros et en detail.
Das ist ein Teil der Selbstdarstellung, ein anderer geht so: „Trump fragte nun sein Publikum, ob er sein neues Gesundheitszeugnis herausgeben solle. Sie applaudierten, und der Kandidat holte zwei Blätter aus der Sakko-Tasche, woraufhin Dr. Oz Trumps Cholesterinwerte rezitierte und dem Republikaner einen Szeneapplaus organisierte, als er dessen Testosteron-Level als ‚gut‘ beglaubigte.“ (6)
Der Testosteron-Spiegel als gewichtiges Argument, kein „Weichei“, kein „Warmduscher“, kein „Gutmensch“, das Rollenmodell ist eine offene Frage an die vergleichende Primatologie, Entschuldigung bei den zähnefletschenden Schimpansen. Und dieses Rollenmodell bleibt nicht auf die USA beschränkt, die Mechanismen, einen „starken Mann“ zu inszenieren, sind in der Türkei, in Russland, auf den Philippinen ähnlich. Sie rufen immer Gewalt auf. So preist Trump auch andere „starke Führer“ wie Putin, die geliebt würden, weil sie eine „sehr starke Kontrolle“ ausüben, es ist ein autoritäres Modell, das mit checks and balances und institutionellen Grenzziehungen Probleme hat. Leider kennt man dieses „Aufräumen“ nur zu gut und dass diese Macher-Mentalität tatsächlich bei vielen WählerInnen immer wieder verfängt, die schnelle, einfache, scheinbar effektive Entscheidungen fordern statt der notwendigerweise aufwändigeren demokratischen Prozeduren: Einer muss sagen, wo es langgeht … Gerne auch rabiat und bedrohlich.
Sogar in Trumps Wahlkampf hat das zunehmend eine Rolle gespielt: Hillary Clinton als „Volksverräterin“, die in den Knast gehört, wenn nicht der „National Rifle Association“ anempfohlen.
Ein Multimillionär gilt seinen WählerInnen als „Anti-Establishment“. Dass er die Republikanische Partei, deren Establishment ihn zunächst für einen hoffnungslosen Außenseiter hielt, nach wenigen Monaten zerlegt und ihre Programmatik ins Gegenteil (vom Freihandel zum Protektionismus, von einer intervenierenden Außenpolitik zum Disengagement) gewendet hat, sagt viel über die morschen Strukturen und die bröckelnde Basis solcher Organisationen und die geringe Bedeutung, die Programme haben. Die beiden großen US-Parteien sind Koalitionen tendenziell unvereinbarer Interessen und Weltanschauungen, wobei die Interessen von Wall Street oder Silicon Valley sich durchsetzen und die Weltanschauungen angesprochen werden, damit das Wahlvolk sich identifizieren kann (die Republikaner brauchen die religiöse Rechte, die Demokraten die Gewerkschaften, die Schwarzen und andere Minderheiten). Es scheint so, dass diese Formationen sich gerade zersetzen; Trump ist der Katalysator:
Bei den Beleidigten kommt gut an, wie er beleidigt, die Gedemütigten fühlen sich befreit, wenn er andere demütigt, eine Dampfwalze der Erniedrigung und Schmähung zerdrückt seine GegnerInnen. Das tut gut! Und das ist unterhaltend, ein wenig Comedy, etwas Marktschreier, ein wenig Dschungelkamp.
Er spricht viele Verschwörungstheorien an, zuletzt: Die Wahlen würden massiv manipuliert, um seinen Erfolg zu vereiteln. Man darf gespannt sein, wie sich diese Propaganda auswirkt: Der Held wurde gemeuchelt, schreit das nicht nach Rache?
Auch die WählerInnen glauben die bizarrsten Dinge, etwa dass Hillary Clinton so krank sei, dass eine Doppelgängerin für sie auftreten müsse. (7)
Aber auch seine Gegenkandidatin ist gefährlich:
Die Kandidatin der Wallstreet, des Militärisch-industriellen Komplexes, des Establishments. Sie ist eine zentrale Figur der etablierten Politikmaschinerie und hat nicht wenige Affären durchgestanden. Sie gilt als kalt, berechnend, mitleidlos, geldgierig und unaufrichtig; allerdings enthält diese Kritik auch antifeministische Motive, es ist gut möglich, dass Hillary Clintons Verhalten bei einem Mann anders bewertet würde und sogar zu dessen „Stärken“ gezählt werden könnte.
Trumps Wähler rühmen ihn für seine Emotionalität, auch wenn diese sich in einem großmäuligen Triumphalismus, Wutausbrüchen und Drohungen ausdrückt. Das wirkt „authentisch“, während Hillary Clinton allzu kontrolliert wirkt und so oft als unehrlich interpretiert wird. So wird Trump wesentlich mehr verziehen als ihr.
Auf fatale Weise appelliert Trump an Werte, die in der politischen Kultur Amerikas tief verankert sind und die vor ihm auch die „Tea Party“-Bewegung aufgerufen hat: Hier ist besonders der Anti-Etatismus zu nennen, der uns sympathisch ist, soweit er persönliche Unabhängigkeit, damit eigentlich auch gesellschaftlichen Pluralismus und ein Motiv gegen staatliche Kontrollen, Bürokratie usw. aufruft.
Auch die Polemiken gegen Washingtoner Zentralismus, gegen ein entfremdetes und abgehobenes Polit-Establishment sind ja nicht unberechtigt. Es ist ja wahr, dass eine Oligarchie den politischen Prozess steuert und mit Methoden des Marketing ihre Interessen zu vermassen sucht, eine stark kommerzialisierte Veranstaltung. Ein Willensbildungsprozess „von unten“ ist auf den Feldern nationaler Politik ausgedorrt; viele Versprechen wurden nicht gehalten, viele Hoffnungen enttäuscht. Und die soziale Ungleichheit wächst. Die föderalistische Linke hätte hier ein weites Feld für antikapitalistische Forderungen nach Dezentralisation. Die aus den „Occupy Wallstreet“-Aktivitäten gespeiste Bewegung für die Wahl des eher sozialdemokratischen Bernie Sanders zeigt, dass es möglich ist, emanzipatorisch auf die Entfremdungsthemen zu reagieren. Es sind nur die gesellschaftlichen Grundlagen einer Jeffersonschen Demokratie seit langem mehr und mehr erodiert. Der „amerikanische Traum“ ist in manchen Aspekten zum Alptraum geworden: ein „survival of the fittest“. Seit einem Jahr ist bei allen Parteien eine Absetzbewegung von den bisher vertretenen neoliberalen Konzepten sichtbar geworden, Trump fordert in vielen Bereichen „mehr Staat“ und Protektionismus.
Und besonders die weißen Männer, die weiße Arbeiterklasse und die weiße untere Mittelschicht vertreten ihre Interessen, indem sie Trump folgend nach unten treten (gegen die Schwarzen und Chicanos), alles Fremde zurückweisen (den Islam) und die Frauen einem „Roll-back“ unterziehen möchten. Das sind Kulturkämpfe („Identität“), aber sie sind ökonomisch grundiert.
So ist nicht einmal klar, ob nicht die provozierendsten, sexistischsten und rassistischsten Äußerungen von Trump geeignet sind, jene zu mobilisieren, die sonst nicht wählen oder traditionell „Demokraten“ gewählt haben (was leicht vergessen wird: Die RassistInnen der Südstaaten waren Demokraten!).
Trump verspricht – seit er im September 2016 Pläne korrigiert hat, die darauf hinausliefen, die Staatsfinanzen zu ruinieren, nicht ohne Superreiche dabei noch reicher zu machen – noch immer Steuersenkungen von 35 auf 15 % bei den Unternehmenssteuern und von 39,6 % auf 33 % als Spitzensteuersatz für persönliche Einkünfte, will allerdings die Abzugsmöglichkeiten auf 200.000 Dollar pro Ehepaar begrenzen. Das Steuereinkommen sinkt so um 4,4 Billionen Dollar innerhalb von zehn Jahren, dadurch sollen Wachstumsimpulse entstehen, die 25 Millionen Arbeitsplätze innerhalb zehn Jahren möglich machen. Umweltauflagen sollen abgebaut und so die Energiewirtschaft gepusht werden. Alles ungedeckte Schecks, sicher ist so nur, dass das alte republikanische Prinzip ausgeglichener Haushalte aufgegeben wird. (8)
Auch seine wirtschaftspolitischen Berater sind alles andere als Angehörige der Arbeiterklasse, vielmehr Milliardäre, Hedgefondsgründer wie John Paulson, der an der Immobilienkrise reich geworden ist, die Trumps Wähler ruiniert hat, oder Steve Feinberg (Cerberus, das ist der Fonds (9), der ja auch in Deutschland sehr bekannt ist); der Fracking-Pionier Harold Hamm gehört dazu. (10)
Enthüllungen, dass der Kandidat eben nicht wie die hard working people dann vom Staat um Steuern erleichtert wird – 18 Jahre keine Einkommensteuer wegen eines Verlustvortrags „aus 1995“, das lässt man sich gefallen – schaden ihm nicht etwa, sondern bestätigen gerade seine Qualifikation: Er ist einer der ganz wenigen, die das Steuersystem noch begreifen, deshalb kann er es ausnutzen, aber auch reformieren. Außerdem habe er viele Millionen Grundsteuern bezahlt (Hinweis auf den erfolgreichen Businessman).
Auch dieser Mechanismus ist leider wohlbekannt, was der eine darf, darf der andere noch lange nicht; beim „großen Mann“ bestätigt es nur seine Größe, dass er sich über Regeln hinwegsetzt, unter denen seine Fans/Opfer leiden. Auch Lügen schaden ihm nicht.
Wie alle Fundamentalisten verspricht Trump, an die alten Zeiten anzuknüpfen und erreicht so die, die den Abstieg für sich und ihre Kinder fürchten.
In einer international vernetzten Weltgesellschaft fordert Trump einen homogenen, fast autarken Nationalstaat, der dann auch für seine BürgerInnen sorgt und vor allem durch Abgrenzung Konturen gewinnt. So wie er denken die Brexit-BefürworterInnen, die AfD-AnhängerInnen und alle europäischen Rechtspopulisten, „wahre Finnen“, „Front National“, alle Abschottungs-Bewegungen von Skandinavien über die Niederlande bis Ungarn und weltweit. Sie wollen eine – in großen Teilen erfundene – glorreiche Geschichte bewahren oder endlich ihr separates einheitliches und prosperierendes Leben „zurück“. Im Fall der USA kommt hinzu, dass sie tatsächlich Hegemonialmacht sind und dass sie seit langem ihrer „manifest destiny“ gewiss sein dürfen, was Herrschaftsansprüche wesentlich überzeugender macht. Manchmal ist die Form der Identitäts-Verteidigung auch eine national-separatistische: Sogar in Texas entsteht nun eine Bewegung, die Texas, die besondere texanische Kultur, von den USA abtrennen will, immerhin könnte daraus einer der zehn größten Industriestaaten entstehen, lone star!
„Neulich versprach Trump in Detroit, dass ‚amerikanischer Stahl neue Wolkenkratzer emporschnellen lassen wird‘. Der Baulöwe fuhr fort: ‚Wir werden neues amerikanisches Metall ins Rückgrat dieser Nation gießen. Es werden amerikanische Hände sein, die dieses Land wiederaufbauen, und amerikanische Energie – gefördert aus amerikanischen Vorkommen – wird das Land antreiben. Amerikanische Arbeiter werden die Jobs bekommen.'“ (11)
Es ist überdeutlich, dass hier das Problem der De-Industrialisierung in manchen Landesteilen der USA angesprochen ist. Wer nicht zu den akademisch Gebildeten gehört, wer nicht in digitalisierter und individualisierter Produktion unterkommt, hat allen Grund, sich Sorgen zu machen, sogar die Lebenserwartung vieler abgehängter Gruppen sinkt. Selbst bei einem großen Land mit enormen Ressourcen bilden die Bewältigungsstrategien auf Kosten der Umwelt (Fracking, Erschließung und Abbau immer neuer Rohstoffvorkommen) und der Menschen (Repression, das Gefängnissystem und dem Generalverdacht gegen Schwarze) immer neue Krisenherde. Wie kompliziert Motive zusammenwirken können, die eine oder andere Wahlentscheidung zu treffen, wie die Widersprüche oft durch die einzelnen Personen gehen, zeigt der Artikel von Andreas Ross. Ich zitiere:
Dave Baloga, Mitglied der Teamsters (12), Drucker, 57 Jahre alt, katholisch und Abtreibungs-Gegner, beklagt sich über viele alltägliche Ärgernisse.
„Ich habe Bekannte, die auf ihren Grundstücken kleine Wälder haben, aber kein Geld für Heizöl. Sollen sie frieren, nur weil die Regierung sich neue Auflagen zum Umweltschutz ausgedacht hat?“, wird er zitiert. Das hat mit einer vertrauten Lebenswelt und dem Selbstverständnis zu tun; man will behalten, was man für ein gutes Leben hält, will jagen, Waffen tragen, weiter mit Holz heizen … Zu diesen „kulturellen“ Motiven gehört nicht zuletzt die traditionelle Männlichkeit: Gegen Verweichlichung, ganz besonders der Armee, richten sich die traditionsgeleiteten weißen Männer. Wie Soldaten so oft sind sie stolz darauf, für ihr Land gelitten zu haben, sich „da durchgebissen“ zu haben. Es gehört zum Erfolg der kulturrevolutionären Bewegungen, dass diese Wertvorstellungen und eine ehemals hegemoniale Männlichkeit in Frage gestellt sind, aber das hat eine Konsequenz im Gefühl der nun nicht mehr problemlos ernst genommenen Männer: „Jeder soll sich als Opfer fühlen“, wehrt sich Dave, das will er keinesfalls: Opfer oder Loser sein, nein, er will stolz sein. Ein Teil solcher Trennungs-Konflikte ist unvermeidlich. Wenn aber auch die soziale Sicherheit verloren geht und auch von Berufsstolz und der Fähigkeit, sich selbst zu ernähren, nicht mehr selbstverständlich die Rede sein kann, wenn man zudem sieht, wie zufällig und eben nicht von eigener Leistung abhängig ist, ob man auf- oder absteigt, so entsteht daraus eine generalisierte Unzufriedenheit. Verunsicherung und ständig wechselnde Bedingungen, an die man sich anpassen soll, führen zu der Reaktion: „Great again“ will man sein, nicht herumgestoßen oder verachtet oder Objekt willkürlicher Entscheidungen. Es mischen sich hier oft Motive, die verständlich sind, mit solchen, die nur auf Kosten anderer und nicht egalitär-solidarisch befriedigt werden können. Es gibt auch viele lokale und Branchen-Probleme, die in politische Entscheidungen eingehen, ohne dass uns dies in der Regel bekannt ist, ein Beispiel:
„Recht-auf-Arbeit-Gesetze“ erlauben Gewerkschaften, auch Nichtmitglieder durch Pflichtbeiträge zur Kasse zu bitten.
Solche Gesetze haben die mit den Gewerkschaften verbundenen Demokraten verabschiedet, sie sind in den republikanischen Staaten (noch?) untersagt, auch ein Thema. Allerdings: Trump hat solche Gesetze (einmal) gelobt!
James Hoffa, der Teamster-Chef, unterstützt Clinton: Arbeitnehmerrechte, sichere Renten.
Aber an der Basis: Kritik an Bill Clinton wegen NAFTA, Abwanderung der Arbeitsplätze nach Mexiko.
Kritik an Bürokratie: Die Drucker mussten Haar- und Bartnetze tragen, durften aus Hygienegründen in der Nähe der Maschinen nicht essen und ihre Kleidung dort nicht aufhängen, weil kleine (eingeschweißte) Broschüren neben die ebenfalls eingeschweißten Cornflakes verpackt wurden …
„Niemand kann mir erzählen, dass die das in China auch so handhaben.“
Auch das Gesundheitswesen wird scharf kritisiert, „Obamacare“ ist unpopulär, teuer. Beispielsweise führen Entlassungen zu Einschränkungen bei der Krankenversicherung, die dann vom Staat übernommen wird, was Arbeiter als „Stütze“ empfinden. Es gibt hohe Selbstbeteiligungen an Arztkosten, und so gehen viele Kranke nicht zum Arzt oder sie kaufen die verschriebenen Arzneien nicht (Löhne geben das nicht her). Die Pharmalobby kassiert.
Veteranen werden nicht in nahe gelegenen Krankenhäusern behandelt, sondern müssen weit reisen, um sich in den Krankenhäusern für Veteranen behandeln zu lassen. Bürokratie scheint ein entscheidendes Problem zu sein. Und auch viele gut gemeinte sozialpolitische Maßnahmen bevorzugen bestimmte Gruppen, gelegentlich in kurzen Zeitabständen wieder andere. Verlässlichkeit schwindet.
Man bekommt eine Ahnung von der Stimmung bei vielen WählerInnen in den USA: Überall wird man gegängelt und ungerecht behandelt, die einen müssen nur schuften und bringen es zu nichts, die anderen leben in profitablen Netzwerken.
So bekommen auch Clintons E-Mail-Affären eine besondere Färbung: „Seine Schwester könnte sich niemals erlauben, aus dem Rüstungsunternehmen in einer privaten E-Mail zu berichten“; sogar er könnte den Drucker-Job verlieren, wenn er mit dem Handy nur ein Foto einer Filmszene, die in einem Buch abgebildet wird, fotografieren würden.
Das FBI verfolgt illegale Downloads, aber die Außenministerin darf mit den wichtigsten Daten achtlos umgehen. Und verquickt ihre Ämter mit Privatinteressen.
All dies greift Trump geschickt auf, er spricht die Empörung über Ungerechtigkeiten und Ungleichbehandlung an.
Wenn Trump auftritt, skandiert die Menge „Sperrt sie ein!“ Inzwischen ist damit nicht nur Hillary Clinton gemeint, sondern es geht auch gegen die Frauen, die ihn sexueller Übergriffe beschuldigen. Trump hält das für eine Verschwörung und fordert seine Follower auf, solche Denunziationen gegen Obama, Bill Clinton … zu lancieren. So entstehen politische Diskussionen, die blanker Hohn sind auf die Lehrbuch-Konzeption einer aufgeklärten, rational diskutierenden Öffentlichkeit. Was ist davon geblieben?
Die Schnittmenge geteilter Wahrnehmung wird nicht nur in der amerikanischen Gesellschaft geringer: Teilöffentlichkeiten bis herunter zu Facebook-Communities vertiefen sich immer stärker in ihre esoterischen Wahrheiten, die im Falle von US-Milizen oder deutschen „Reichsbürgern“ militant verteidigt werden. Es ist möglich geworden, Behauptungen aufzustellen, bei denen nicht mehr nach dem Wahrheitsgehalt gefragt werden darf, es genügt, wenn „er das so sieht“ und es lautstark genug verkündet.
Es muss als Munition geeignet sein oder einen hohen Aufmerksamkeitswert haben, deshalb viele „Follower“ mobil machen, es muss spannend sein, erfolgreich, aber nicht unbedingt wahr. Oder man stellt einfach nur Fragen oder „hält für möglich“, das wird man doch noch sagen dürfen? Und auch tatsächliche Manipulationen, falsche Meldungen und bewusste Lügen nehmen zu.
Bringing the ghost of Tom Joad back in (13)
Es ist ein entsetzlicher Irrtum, wenn die weiße Arbeiterschicht, die sich abgehängt, ausgegrenzt, nicht respektiert und in vieler Hinsicht bedroht fühlt, und das alles nicht ohne Grund, ausgerechnet einem Spieler und menschenverachtendem Großmaul vertraut, einem rücksichtslosen Selbstdarsteller, der ausschließlich an sein Ego denkt. Für die armen Weißen gilt immer noch „He’s only a pawn in their game“, to say it with Bob (14).
Vielleicht müssen wir uns von den Haupt- und Staatsaktionen etwas abwenden, auch wenn die Probleme dieser Ebene bedrohlich sind und nicht außer Acht gelassen werden sollen, und sehen, dass es gegenkulturelle, widerständige, konstruktive Initiativen in großer Zahl gibt, selbstorganisierte Bewegungen gegen Krieg, Umweltzerstörung und Zerstörung der Menschen. Gegen Rassismus und Hass, gegen die Todesstrafe und das Gefängnissystem. Vielleicht zu fragmentiert, vielleicht zu sehr nur auf das je Eigene konzentriert, aber mit der Chance, sich zu solidarisieren und Gegenmacht zu werden. Nicht national-separatistisch, sondern lokal und regional einerseits, transnational und kosmopolitisch andererseits. Und es ist auch eine Massenkultur, die solche Motive bewahrt, weiterträgt, erneuert.
Wäre nicht Bruce Springsteen ein viel besserer Repräsentant dieses Amerika, das viel zu verlieren hat?
Was an Amerika „great“ ist, ist der alles entscheidende Kulturkampf: Ist es die Freiheit oder das Ressentiment, ist es die Zuflucht der Bedrängten oder die mörderische sozialdarwinistische Selbstgewissheit?
Daniel Berrigan, die gerade verstummte Stimme des anderen Amerika, der gegen den Vietnamkrieg Einberufungsakten mit Napalm überschüttet und vernichtet hat, immer aktiv gegen Krieg und die Erniedrigung der Menschen, hat einen Essay über Gandhi geschrieben: „Dieser Mann ist gefährlich. Er ist unbewaffnet.“
(1) http://bobdylan.com/songs/subterranean-homesick-blues/
(2) www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-amerika/donald-trump-zieht-angeblich-den-gebrauch-von-atomwaffen-in-betracht-14371030.html. Die bekannte Anti-Feministin Phyllis Schlafly, die zur Wahl von Donald Trump noch kurz vor ihrem Tod aufgerufen hatte, wurde auch schon bekannt durch ihr Statement, dass "ein weiser Gott unserem Land das fantastische Geschenk der Atombombe gemacht hat" (FAZ 7.9.16)
(3) www.spiegel.de/politik/ausland/donald-trump-fabuliert-ueber-schuesse-auf-hillary-clinton-a-1106905.html
(4) FAZ 02.09.16: Es gibt keinen neuen Trump
(5) http://genius.com/Bob-dylan-its-alright-ma-im-only-bleeding-lyrics
(6) FAZ 16.9.16: Ansteckende Hysterie. Die Veröffentlichung von Cholesterin- und Blutdruckwerten, Medikamentenplänen oder Bulletins zu "routinemäßiger Zahnpflege" der KandidatInnen scheint für Wahlentscheidungen ein gewisses Gewicht zu haben.
(7) FAZ 16.09.16: Ansteckende Hysterie
(8) FAZ 17.9.16: Trump verspricht Amerika 25 Millionen neue Arbeitsplätze
(9) "die seinerzeit als BauBeCon-Gruppe firmierende ehemalige Regionalgesellschaft Neue Heimat Niedersachsen blieb bis Herbst 2005 in Gewerkschaftsbesitz, als sie an die Cerberus Capita Management verkauft wurde." vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Heimat
(10) Vgl. FAZ vom 9.August 2016: Trumps Mannschaft für die Wirtschaft
(11) Andreas Ross: Im echten Leben. Die Gewerkschaften in Amerika werben für Hillary Clinton. Doch an der Basis schwören viele Arbeiter auf Donald Trump. Einer von ihnen erzählt, warum, FAZ vom 10.9.2016, S. 3. Die folgenden Beispiele sind diesem anschaulichen Text entnommen.
(12) Die Teamsters erfreuen sich inzwischen auch bei Linken gewisser Sympathien ("militant"). Als ich jünger war, waren sie berüchtigt wegen ihrer Mafia-Verbindungen und Gewalttätigkeiten in den eigenen Reihen, gegen die Chicanos kämpften sie bewaffnet, so erschossen sie Streikposten der United Farm Workers während eines Konflikts um gewerkschaftliche Vertretungsrechte. Auch Interessenpolitik, so amerikanisch wie Kirschkuchen.