In der Graswurzelrevolution Nr. 405 (Januar 2016) erschien ein Artikel über meine Erlebnisse mit Solidaritätsbewegungen in Athen und Piräus im Sommer 2015. Nun war ich im Sommer 2016 auf einer fünfwöchigen Griechenlandreise, wobei ich mich diesmal intensiv mit der Flüchtlingsproblematik beschäftigt habe, insbesondere auf Lesbos, wo ich drei Wochen gewesen bin, sowie in Athen und Piräus, wo ich eine Woche war. Die Zeit in Athen und Piräus habe ich genutzt, um die Leute, die ich dort im vorigen Jahr kennengelernt hatte, wieder zu besuchen. Ich habe mich mit vielen unterhalten, wobei es mir primär um die Frage ging, was sich seit dem Sommer 2015 dort für die Griechinnen und Griechen konkret verändert hat. Hier also ein Folgeartikel zu meinem GWR 405-Text.
Die „Solidarität von Piräus“
Da ich im Laufe des letzten Jahres mit einigen Leuten der „Solidarität“ per E-Mail in Kontakt geblieben bin, hatte ich bereits mitbekommen, dass die Mitgliederzahl dieses Vereins sich mehr als verdoppelt hat. Für den Verein ist das positiv, zeigt es doch, dass sein Engagement auch von der Bevölkerung angenommen wird. Auf der anderen Seite lässt es aber auch erahnen, dass die Krise in Griechenland schlimmer geworden ist.
So bin ich an meinem ersten Tag in Athen gleich am frühen Nachmittag nach Piräus gefahren. Kostas, der Leiter, hatte zu mir am Telefon gemeint, ich solle gleich vorbeikommen, da er demnächst verreisen würde. Die Räumlichkeiten in der Evripidou 49 haben sich kaum verändert, ich sehe viele bekannte Gesichter. Kostas ist wie immer sehr beschäftigt, ein Gespräch ergibt sich nur ansatzweise, weil sein Englisch so schlecht sei, wie er meint. Vorne in den Räumlichkeiten findet eine Besprechung von knapp 15 Personen statt, an der ich aber nicht teilnehme, weil mein Griechisch dafür nicht ausreicht. Diese regelmäßigen Besprechungen sind neu, zeigen aber, dass aufgrund der Größe mehr Absprachen/Organisatorisches notwendig sind.
„Our social kitchen“, so wird das Kochen auf dem kleinen Platz vor der Evripidou 49 in dem neuen griechisch/englischsprachigen Prospekt der „Solidarität“ genannt. Es findet jetzt viermal pro Woche statt. Ich bin herzlich eingeladen, dabei wieder zu helfen, was ich an drei Tagen auch tue.
An meinem ersten Samstag sind ein paar Leute dabei, mit denen ich mich gut auf Englisch unterhalten kann. An den beiden anderen Tagen kann von den Anwesenden aber keiner richtig Englisch. Eine gute Gelegenheit, um Griechisch zu lernen. Über die griechischen Worte der Lebensmittel kommen wir ins Gespräch: Patátes die Kartoffeln, Karóta die Möhren, Aláti das Salz, Pipéri der Pfeffer.
Mir fällt dieses Jahr deutlicher auf, dass es schon so etwas wie eine Arbeitsteilung gibt. Das Herüberbringen, Auf-und-Abbauen der Kochausrüstung ist dabei eher Männersache, das Gemüseschneiden etc. sowie das eigentliche Kochen auf dem Platz eher Frauensache. An einem Mittag gibt es immer eine „Chefköchin“, die von den anderen unterstützt wird.
Ich halte mich bewusst bei der Kochgruppe bzw. bei der jeweiligen Chefköchin auf, helfe auch intensiv mit dem riesigen Kochlöffel umzurühren, was durchaus anstrengend ist, auch wenn ein Sonnenschirm einen vor der prallen Sonne schützt. Diesmal nutze ich das Angebot, nach den Kochaktionen auch selbst einen Teller voll zu essen, zumindest wenn es vegetarisch ist: eine Gemüsesuppe mit Reis sowie Fakés (Linsen).
An einem Mittag ist ein Transsexueller unter den Speisenden, der es versteht, sich in Pose zu setzen. Auch hierbei fällt mir wieder auf, wie respektvoll die Leute von der „Solidarität“ auch mit anderen Menschen umgehen – das sind Zeichen der Solidarität.
An einem Freitagabend besuche ich wieder den kleinen Garten Terpsithéas, der an einer der Hauptstraßen durch Piräus liegt. Etwas unterhalb und abseits gelegen, strahlt er eine gewisse Ruhe aus. Die „Solidarität von Piräus“ zeigt zusammen mit einem anderen Verein regelmäßig Filme „Open Air“ und kostenlos. Der Anwalt Vassili ist nach wie vor so etwas wie der Chef dieser Veranstaltung, hält er doch die Begrüßungsworte. An diesem Abend wird „Der Gendarm von Saint Tropez“ gezeigt (mit Louis de Funès, aus dem Jahr 1964). In französischer Originalsprache mit griechischen Untertiteln ist das für mich schon eine Herausforderung.
Roy aus Piräus
An meinem ersten Nachmittag in Piräus habe ich per Handy auch Roy erreicht. Er hat viele Jahre in Deutschland gelebt und spricht gut Deutsch. Wir hatten uns im letzten Sommer kennengelernt, dabei nur einmal relativ kurz getroffen. Von ihm stammt die Idee, dass die „Solidarität“ gut eine mobile Küche bzw. Gulaschkanone gebrauchen könnte, um damit Bedürftige auch in anderen Gegenden von Piräus zu erreichen. Ich hatte deshalb versucht, in Deutschland eine Spendenaktion zu organisieren, um das Geld für den Kauf einer solchen Feldküche zu bekommen. Da das für mich Neuland ist, ist es mir gerade erst gelungen, diese Spendenaktion auf die Beine zu stellen (1).
Im Rahmen dieser Überlegungen habe ich diverse E-Mails mit Roy ausgetauscht. In einer E-Mail schrieb er mir, dass er bei meinem nächsten Aufenthalt in Piräus für mich asiatisch kochen würde. Jetzt war ich doch etwas überrascht, dass er mich spontan einlädt. Ich erzähle ihm das auch später, meine zu ihm, dass ich ansonsten auch etwas mitgebracht hätte, eine Flasche Wein oder Ähnliches. Wir haben uns dann direkt bei der „Solidarität“ getroffen und sind zum Essen zu ihm nach Hause mit dem Bus gefahren.
Roy ist von Beruf her gelernter Gastronom. Er versucht, hier den Menschen zu helfen, indem er internationale Kochkunst vermittelt. Deswegen hat er sich bei der „Solidarität“ auch als Koch angeboten. Das ist ihm wichtig, denn dieses Land benötigt Hilfe. Bei vielen Griechen sieht er dagegen wegen der Krise eine gewisse Ohnmacht. Mittlerweile arbeitet er in einem Call Center. Für diesen Vollzeitjob bekommt er gerade mal 800 bis 1000 Euro netto. Das sei in Griechenland schon recht okay (diese Aussage wird mir von mehreren Griechen bestätigt, liegt der Durchschnittsverdienst der Griechen doch noch niedriger).
In seiner bescheiden eingerichteten Wohnung lerne ich auch Sofia kennen, seine Frau, eine Griechin. Sie haben sich 1971 in einem griechischen Restaurant in Stuttgart kennengelernt, dann in Bruchsal gelebt, aber nach drei Jahren sind sie nach Griechenland gezogen. Auch sie tut sich mit einem Job schwer, arbeitet in der Altenpflege.
Roy und ich unterhalten uns auf Deutsch. Ab und zu übersetzt Roy seiner Frau, wobei die beiden sich auf Niederländisch unterhalten, gespickt mit griechischen Wörtern.
Roy geht auch auf meine geplante Spendenaktion ein. Sein Tipp: Direkt beim Finanzamt nachfragen. Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass die „Solidarität von Piräus“ ein gemeinnütziger Verein ist.
Roy hat auch weitergehende Ideen, wie mit der Krise umzugehen sei. Zum Beispiel mit älteren, fähigen Leuten Reparaturen auf Spendenbasis anzubieten. Das entspricht dem Konzept des Repair Cafés, und so etwas gibt es in Piräus wohl noch nicht. Oder aber Autowerkstätten, wo Leute unter fachlicher Anleitung mit entsprechendem Werkzeug ihre Fahrzeuge selbst reparieren können. Für beides könnte man die alten Meister, die keinen Job mehr bekommen, quasi als Fachkräfte und Lehrer einsetzen.
Heleni aus Piräus
Eine der Frauen, die ich letztes Jahr bei jeder der mittäglichen Kochaktionen getroffen hatte, habe ich nun bei der „Solidarität“ vermisst. Heleni kann gut genug Englisch, um sich halbwegs mit ihr unterhalten zu können. Wir hatten uns ein wenig angefreundet. Einmal waren wir abends zusammen mit einem Bekannten zum Essen in einer Rembetiko-Taverne am Fischmarkt gewesen, in der Nähe des Hafens von Piräus.
Ein andermal hatte sie mich sogar zu sich nach Hause eingeladen und groß gekocht: frittierte Sardellen, Fischkroketten, gebratene Auberginenscheiben etc. Wir hatten den Abend zu dritt auf ihrem winzigen Balkon im ersten Stock verbracht. So hatte ich auch ihren Sohn kennengelernt.
Ich erfahre bei der „Solidarität“, dass Heleni wieder einen Job gefunden hat, und deshalb nicht mehr kommt. Nachdem ich sie anrufe, lädt sie mich ein, und so besuche ich sie eines Mittags. Wir sitzen in ihrer kleinen, fensterlosen Küche und trinken Nescafé. Ihr Sohn, der letztes Jahr seine Schule geschmissen hatte, macht jetzt, mit 23 Jahren, seine Schule weiter. Nachmittags und abends, weswegen er jetzt noch im Bett liegt.
Die ökonomische Situation für sie ist katastrophal, sie meint, sie hat „economic stress“. Ihr soll in den nächsten Tagen der Strom abgeschaltet werden, da sie einen Rückstand von 500 Euro hat. Wasser sei nicht so kritisch, da man erst nachher bezahlen müsste. Warmwasserboiler und Waschmaschine sind bei ihr kaputt, aber sie hat kein Geld, diese Gerätschaften zu ersetzen. Später erzählt mir jemand, dass viele Leute weit höhere Rückstände haben.
Was vor drei, vier Jahren noch undenkbar gewesen ist, dass im Freundeskreis ständig irgendjemand Strom, Telefon oder Internet abgeschaltet bekommen hat, wegen der Rückstände, ist heute üblich.
Zu der „Solidarität“ hat Heleni keinen Kontakt mehr, da sie mit ein paar der Leute Probleme gehabt hat. Außerdem bietet die „Solidarität“ ihr Spaghetti und Schokolade an, aber sie braucht Geld. Ich meine zu ihr, dass Solidarität aber auch eine wichtige Sache sei. Sie hat früher als Rembetiko-Sängerin in einer sogenannten Bouzoúkia gearbeitet. Aber das geht nicht mehr, da die Leute hier kein Geld mehr für teure Bouzoúkia-Besuche haben. Sie hat zwischenzeitlich als Altenpflegerin gearbeitet, aber immer nur vorübergehend. Auch gerade während meines Besuchs bekommt sie einen Anruf. Sie soll heute Nachmittag eine 88-jährige Frau pflegen. Sie ist in Kontakt mit einer Vermittlung, um dauerhaft einen Job zu bekommen, aber das ist schwierig. Ich bin nach meinem Besuch von der Mittellosigkeit von Heleni tief berührt.
Soziale Kliniken und Alexandra
Ich war letzten Sommer auch mit der Idee zurückgekehrt, hier in Deutschland eine Medikamentensammlung für die soziale Klinik in Athen K.I.F.A. zu organisieren. Von Alexandra Pavlou hatte ich dafür eine Liste mit 18 benötigten Medikamenten bzw. Wirkstoffen erhalten. Die Idee ist einfach: Nicht mehr benötigte Medikamente über Apotheken einzusammeln und nach Athen zu versenden. Dieses regelmäßige Einsammeln ist eine übliche Vorgehensweise, die in Griechenland von den MitarbeiterInnen der sozialen Kliniken praktiziert wird. Wobei offiziell Medikamente aus privaten Haushalten in der EU nicht wieder in Verkehr gebracht werden dürfen. In Griechenland hält sich daran nur niemand. In Deutschland ist es sogar problematisch, Medikamente von gerade Verstorbenen anderweitig zu verwenden. Heutzutage ist es Konsens in Deutschland, dass keiner mehr Medikamente sammelt, sondern eher Geld über Spenden einsammelt, um dafür vor Ort Medikamente einkaufen zu können. In einer Apotheke sagte man mir, dass es ihnen nur erlaubt sei, Medikamente anzunehmen, um sie der Entsorgung zuzuführen. In einer anderen Apotheke hieß es, dass verschreibungspflichtige Medikamente nicht einfach an Privatpersonen abgegeben werden dürfen. Es gibt entsprechende Organisationen, die befugt sind, und die sammeln auch Medikamente über Apotheken ein.
Eine weitere Idee war gewesen, die Hersteller der Medikamente direkt anzusprechen bezüglich Medikamentenspenden. Das Problem dabei: Die Pharmakonzerne möchten dann auch mit solcherart Mildtätigkeit Werbung machen. Viele soziale Kliniken lehnen so etwas strikt ab. Meine Erfahrungen mit einer Medikamentensammlung in Deutschland sind also ernüchternd gewesen.
An einem späten Nachmittag habe ich mich mit Alexandra in einem Kafeníon in Exárchia getroffen. Die Leute fühlen sich von Syriza verraten. Bevor es aber wieder richtige Proteste geben werde, wird es Jahre dauern, eine entsprechende Partei oder Organisation aufzubauen. Für sie grenzt es an ein Wunder, dass die neofaschistische „Goldene Morgenröte“ nicht über 7% kommt. Sie befürchtet, dass demnächst zusätzlich zu den Neonazis auch eine gemäßigtere rechte Partei auftauchen könnte.
Die Lage der Griechen ist schlechter geworden, das aber sieht man nicht von außen. Wobei die Städter sowieso schon am empfindlichsten sind bezüglich der Krise. Die Bereitschaft, Geflüchteten zu helfen, ist bei vielen zurückgegangen, da die meisten Griechen mit ihrem eigenen Überleben vollauf beschäftigt sind.
Alexandra bestätigt mir, dass es wieder vermehrt Stromabschaltungen gibt, sogar Zwangsversteigerungen und -räumungen, beides ermöglicht durch die Syriza-Regierung. Es sei auch vorgekommen, dass Leuten der Strom im August abgestellt worden sei, was besonders fies ist, da zu dieser Zeit die meisten Griechen zu ihren Dörfern fahren, wo das Elternhaus ist, und der Kühlschrank-Inhalt daheim dann verkommt.
Die K.I.F.A. hat sich kaum verändert, außer, dass manche Leute weg und neue gekommen sind. Alexandra ist seit Juli auch nicht mehr dort; sie will sich mehr der politischen Arbeit widmen.
Ich hatte gehört, dass mittlerweile Griechen auch ohne Krankenversicherung in dringenden Fällen ins Krankenhaus gehen und dort kostenlos behandelt werden können. Alexandra erwiderte mir darauf: „Man konnte schon immer als Nichtversicherter ins Krankenhaus, wenn es dringend war, aber kostenlos ist es jetzt auch nicht immer. Es hängt von vielen Sachen ab. Theoretisch können sich jetzt alle Nichtversicherten, die unter einem bestimmten Einkommen im Jahr verfügen, kostenlos behandeln lassen. Aber nur theoretisch. Zum Beispiel, wenn jemand 3000 Euro im Jahr verdient und eine Eigentumswohnung hat, dann sagt der Staat, sein Einkommen ist nicht 3000, sondern 8000 Euro. Somit ist er von der kostenlosen Behandlung ausgeschlossen. Aber das größte Problem und die größte Heuchelei sind, dass es kein Geld und keine Mittel für die Behandlung der Nichtversicherten gibt, nicht einmal so recht für die Versicherten. Also bleibt die kostenlose Behandlung in vielen Fällen nur Propaganda.“
Alexandra hatte mich bereits im Juni auf den Dokumentarfilm „Strukturanpassung“ hingewiesen, der von Wolfgang Reinke, einem Freund von ihr, im letzten Jahr gedreht worden ist.
Es ist eine Geschichte „über die Kraft von Solidarität in Zeiten von Krise und humanitären Katastrophen“. Dabei wurden über einen Zeitraum von 14 Monaten drei Menschen aus dem Kollektiv einer sozialen Klinik in Piräus in ihrem Alltag beobachtet. Die Geldmittel zur Fertigstellung dieses Films (also Schnitt, Übersetzung und Untertitelung) wurden dabei mittels Crowdfunding eingeworben (2). Ich hatte für dieses Projekt geworben und auch selbst gespendet. Das Crowdfunding-Ziel wurde erreicht, so dass der Film voraussichtlich Ende 2016 fertiggestellt werden kann. Alexandra erzählt mir, dass Wolfgang Reinke zwischenzeitlich noch einmal hier gewesen sei, um aktuelle Szenen für den Film zu drehen. Sie hat ihn dabei wieder als Dolmetscherin unterstützt. Der Film wird zunächst auf einem Filmfestival gezeigt, bevor er hoffentlich auch in Deutschland an vielen Orten gesehen werden kann.
Wohnen in Athen
„Der Stadtteil Kypseli, wo ich wohne, war bis in die achtziger Jahre hinein das Wohnviertel des Athener Mittelstands. Inzwischen ist er zu einem Migrantenviertel geworden, das überwiegend von Afrikanern bewohnt wird.“ (aus: Petros Markaris, Finstere Zeiten – Zur Krise in Griechenland, Diogenes Verlag, Zürich 2013, S. 151)
Ich schätze Petros Markaris als Autor, habe ihn auch schon bei Lesungen hier in Deutschland gehört. Aber die Aussage dieser zwei Sätze kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, weder im Sommer 2015, wo ich für vier Wochen in Kypséli gelebt habe, noch in diesem Sommer.
Ich habe sogar den Eindruck, dass der Ausländeranteil in Kypséli geringer ist als im Rest von Athen, dass auf der Flaniermeile Fokiónos Négri, dem Herzstück von Kypséli mit ihrer länglichen Grünanlage, die Griechen mehr oder weniger „unter sich“ sind.
Die Realität sieht anders aus
Zwei Frauen haben mir unabhängig voneinander erzählt, dass sie mittels Airbnb einzelne Zimmer anbieten, damit zusätzlich etwas Geld verdienen, um besser über die Runden zu kommen.
Im Moment werden Wohnungen in der Fokiónos Négri preiswert an Leute aus aller Welt verkauft. Früher war dies eine begehrte Lage gewesen und schwierig, überhaupt eine Wohnung zum Kauf angeboten zu bekommen. Eine Gefahr sind also weniger die sogenannten Ausländer, sondern diese schleichende Gentrifizierung.
Wenn man sich mit Menschen in Griechenland unterhält, so kann es durchaus passieren, dass man auch fremdenfeindliche Äußerungen zu hören bekommt. Wie z.B.: dass Muslime alle Fremdgehen und ihre Frauen unterdrücken. Dass Flüchtlinge Griechinnen vergewaltigen würden. Dass die Schlepper das eigentliche Problem seien. Dass Flüchtlinge deshalb von Polizisten wie Vieh gescheucht werden, weil sie sich unverschämt benehmen würden. Also die ganze Bandbreite oberflächlicher Pauschalisierungen, wie man sie leider in ähnlicher Form auch in Deutschland zu hören bekommt.
Flüchtlingslager Ellinikó
Bei einem meiner abendlichen Spaziergänge durch Athen (das von KünstlerInnen besetzte Embros ist im Sommermonat September geschlossen und im alternativen Zentrum Nosotros ist nach wie vor wenig los) gelange ich zur Platía Exarchíon. Ich setze mich mit einer Flasche Bier auf eine niedrige Mauer auf dem bevölkerten Platz. Ich komme mit zwei jungen Afghanen ins Gespräch. Der eine kann sehr gut Englisch, ist seit April hier in Athen, und hat bereits einen Job. Er macht mich auch auf einen Mann aufmerksam, der hier herumgeht und die leeren Pfandflaschen einsammelt, um sie am Kiosk abzugeben.
Ein paar Tage später fahre ich mit der Tram zu den südlichen Stadtteilen von Athen, die direkt am Meer liegen. Hier liegt auch Ellinikó, der ehemalige Flughafen von Athen. Gleich am Eingang liegt die Abflughalle, die jetzt von Geflüchteten bewohnt wird. Vor dem Gebäude steht das Zelt der griechischen Flüchtlingsorganisation „Danish Refugee Council“ (DRC). Es stehen diverse Gemüsekisten herum, hier wird auch für die Geflüchteten gekocht. Ich unterhalte mich mit einer jungen Frau. Das Lager hier sei offen, ich könne ruhig hinein gehen und nach weiteren Details fragen. Ich gehe also hinein. Drinnen spricht mich der junge Afghane von der Platía Exarchíon an; ich hätte ihn nicht wiedererkannt. Er hilft hier bei einer NGO (als „ehemaliger“ Flüchtling), nimmt sich aber die Zeit, mir Details zu erzählen. Im 1. Stock übernachten Geflüchtete, deswegen gibt es dort keinen freien Zutritt. Nebenan ist noch eine Halle belegt, dann weiter hinten auch die Ankunftshalle, sowie ein Hockey- und ein Baseballstadion. Insgesamt leben hier 3000 Geflüchtete. Östlich der Abflughalle ist ein großes Gebäude, das „Warehouse“, wo es alles gibt. Der Afghane bringt mich in Kontakt mit der Lageraufsicht, einem UNHCR-Mann, der gerade mit zwei Frauen vorbeikommt. Um hier als Volunteer zu arbeiten, müsste ich mich einer NGO anschließen, hier vor Ort sind es aktuell zwei: Balloonartpeople und Emphasis. Sodann müsste ich mich beim Ministerium für Migration registrieren lassen, über deren Website unter der Rubrik Volunteers. Wer kurzfristig mithelfen will: Vorne im kleinen Gebäude nahe der Hauptstraße hat eine Organisation die Kinderbetreuung übernommen. Ich gehe um die trostlos wirkenden Gebäude herum, Richtung Rollfeld, stoße aber bald auf eine Absperrung. Ein Pförtnerhäuschen mit wenigen Personen, nur einem Polizisten besetzt. Es gibt keinen Zutritt zu den hinteren Gebäuden.
In Ellinikó ist auch eine Soziale Klinik, die größte ihrer Art im Großraum Attika. Es gibt sie immer noch, sie ist aber nicht genau dort, wo die Geflüchteten sind. Deswegen habe ich sie auch nicht gefunden. Wie lange die Soziale Klinik und die Geflüchteten hier noch untergebracht werden, ist ungewiss, denn Ellinikó wurde gerade „für ein Stück Brot“ privatisiert.
Díktyo
Ich gehe ab und zu bei Díktyo in der Tsamadoú 13 vorbei, dem Netzwerk für die Rechte der Geflüchteten und MigrantInnen. Es ist wenig los, die Leute, mit denen ich mich letztes Jahr unterhalten hatte, treffe ich nicht an. Ich unterhalte mich mit einem Mann, den ich vom Sehen her kenne. Er erzählt mir, dass Achilles im Moment in der Nähe von Thessaloníki sei. Viele von Díktyo seien im Flüchtlingshotel in der Acharnón 78, ich könnte ja mal vorbeigehen. Sie wollen auch eine Schule für Geflüchtete aufmachen, in der auch Englisch und Deutsch angeboten werden soll. Er sei erschöpft von der vielen Arbeit. Auf die NGOs ist er nicht gut zu sprechen: Sie würden Geld für ihre Flüchtlingsarbeit bekommen, aber nichts tun.
„Das beste Hotel Europas“ – ein Squat
An meinem Abreisetag gehe ich zur Acharnón 78. Es ist keine fünf Minuten entfernt von der Platía Viktorías, wo letzten Sommer noch viele Geflüchtete gelagert hatten. Das etwas heruntergekommen wirkende Hotel City Plaza, das vormals leer stand, ist im April besetzt worden. Es wird auch als Squat (3) bezeichnet bzw. präsentiert sich selbst als „No pool, no minibar, no room service, and nonetheless: The Best Hotel in Europe“ (4). Unten im Eingang sitzen zwei Männer am Tisch, die wohl aufpassen, dass kein Unbefugter ins Hotel kommt. Einer von ihnen ist der Afghane Nasim, der seit 16 Jahren in Athen lebt. Mit ihm hatte ich mich letzten Sommer unterhalten, und er erkennt mich sofort wieder. 400 Flüchtlinge sind hier untergebracht, etwa 50 Freiwillige helfen dabei, aus unterschiedlichen Gruppierungen, auch die Leute von Díktyo sind dabei. Es gibt viele Flüchtlinge in Athen, die in verschiedenen Camps überall in der Stadt untergebracht sind. Ich darf ins Hotel hochgehen, auch vorsichtig Fotos machen. Im 1. Stock ist der Aufenthaltsbereich, zahlreiche Kinder spielen. Alles wirkt nicht so fein aufgeräumt wie in einem „richtigen“ Hotel. In den oberen Stockwerken sind die Hotelzimmer, geschlossene Türen, also wenig zu sehen.
Fazit
Die Situation der Menschen in Griechenland hat sich weiter verschlechtert. Die vielen Geflüchteten werden stellenweise von einigen Griechen auch als eine Belastung wahrgenommen. Obwohl sie im Stadtgebiet nicht mehr als geballte Ansammlungen auftreten, wie im letzten Sommer. Für mich war es daher beinahe überraschend, wie friedlich es in Athen und Piräus zugeht.
(1) Nähere Informationen über diese Spendenaktion sind auf www.initiative-respekt-fuer-griechenland.de unter Projekte, Hilfe zur Selbsthilfe, Mobile Küche für Piräus zu erfahren.
(2) siehe www.startnext.com/strukturanpassung
(3) to squat = ein Haus besetzen