wir sind nicht alleine

Das Kirchenasyl

Eine umkämpfte Praxis des Menschenrechtsschutzes

| Benedikt Kern

Mit steigenden Abschiebungszahlen gibt es auch immer mehr Kirchenasyle. Doch diese Form des zivilen Ungehorsams ist umkämpft. Um so wichtiger sind gelungene Beispiele aus der Kirchenasylarbeit, wie das von Mohamed Fathy Abdo Soliman, einem ägyptischen Kriegsdienstverweigerer, der vor einer Kettenabschiebung nach Italien und Ägypten durch ein Kirchenasyl bewahrt werden konnte.

Die Problematik von Abschiebungen wird immer größer, seit dem der „Summer of Migration 2015“ seit einigen Monaten durch die Asylrechtsverschärfungen, die Militarisierung der EU-Außengrenzen und den Türkei-Deal nun endgültig zu einem „Winter“ geworden ist.

Die Folge ist, dass auch immer mehr UnterstützerInnen aus Willkommens-Initiativen sich mit Abschiebungen von Geflüchteten auseinandersetzen – nicht nur weil dies die ehrenamtliche Arbeit von vielen zunichte macht, sondern weil die Konsequenzen massive Auswirkungen auf die Betroffenen haben und die Besiegelung von Perspektivlosigkeit darstellen.

Diese Situation fordert zunehmend Engagierte in der Geflüchtetenhilfe heraus und stellt die Frage nach neuen Bündnissen gegen die Abschiebepraxis der Behörden und nach konkreten Handlungsmöglichkeiten für die von Ausweisungen und Dublin-Rückführungen Betroffenen.

Ein immer häufiger eingesetztes Mittel ist hierbei das Kirchenasyl.

Kirchenasyl zwischen Hilfe im Einzelfall und politischer Praxis

Das Kirchenasyl ist eine Form des zivilen Ungehorsams, die sich immer in einem Spannungsverhältnis von Einzelfallhilfe und politischer Praxis im Sinne von struktureller Kritik am herrschenden Asylsystem und dem Dublin-Abkommen bewegt.

Die Grundlage hierfür besteht seit den 1980ern darin, dass Kirchengemeinden und Klöster es ermöglichen, einen Schutzraum zu bieten, dessen Räumung öffentlich und medial skandalisierbar ist.

Dieser Schutzraum ist nicht rechtlich verbrieft, sondern er wird lediglich von staatlicher Stelle (in den meisten Fällen) toleriert. Wenn sich Menschen, die nach dem Dublin III-Abkommen in ein anderes europäisches Land zurückgeführt werden sollen, zur Überbrückung der hierfür den Behörden zur Verfügung stehenden sechs Monate Überstellungsfrist in ein Kirchenasyl begeben, können sie eine Abschiebung verhindern und in der BRD nach der Verfristung regulär einen Asylantrag stellen.

Nachdem es im Februar 2015 eine massive Kritik seitens des Bundesinnenministers Thomas de Maizière am Kirchenasyl gab, indem er es mit der Scharia verglich, gab es Verhandlungen zwischen den Kirchen, dem Innenministerium und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei denen man sich darauf einigte, dass das BAMF Kirchenasyle respektiere und im Falle von besonderen Härten für die von Abschiebung Bedrohten von seinem Recht des Selbsteintritts in Dublin-Verfahren Gebrauch machen könne.

Der Vorteil ist, dass nun das BAMF auch vor Ablauf der sechsmonatigen Dublin-Überstellungsfrist ein Asylverfahren für Menschen im Kirchenasyl anbietet – sofern das BAMF die Härtefallgründe anerkennt.

Was im ersten Moment wie das Entgegenstrecken des kleinen Fingers seitens des BAMF erscheint, verfolgt in Wirklichkeit das Interesse, Kirchenasyle einzuschränken und wenn möglich zu unterbinden: Die durch die Verhandlungen beabsichtigte Zähmung der Kirchenasylbewegung ermöglicht es, alle kritischen Potentiale des Kirchenasyls zu entschärfen und die Spielräume einzuschränken.

Besonders deutlich wurde das bei der gewaltsamen Auflösung eines Kirchenasyls im Münsteraner Kapuzinerkloster durch die Behörden im August dieses Jahres mit der nachträglichen Begründung, dass in diesem Fall kein Nachweis über die besondere Härte (die gegen eine Abschiebung nach Ungarn sprechen würde) für den Betroffenen vorliege und somit das Kirchenasyl illegitim sei.

Das Verwaltungsgericht Münster entschied jedoch innerhalb weniger Stunden, dass die Abschiebung nicht vollstreckt werden dürfe, da sehr wohl aufgrund der sozialen Situation dringende Gründe gegen Rückführungen nach Ungarn vorliegen würden.

Kirchenasyl als parteiliche Solidarität

Indem die Kirchen eine solche Regelung mit dem Staat akzeptieren, lassen sie ihr eigenes Urteilen und Handeln staatlich integrieren und geben jene kritische Position auf, die ihnen von ihrem eigenen Selbstverständnis her geboten wäre: parteilich für von Abschiebung Bedrohte einzutreten und sich notfalls auch aus Solidarität mit Geflüchteten gegen staatliches Recht zu stellen. Deswegen ist es in der aktuell zugespitzten Lage steigender Abschiebezahlen um so wichtiger, dass sich Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften den staatlichen Versuchen, Kirchenasyle zu behindern und sich gegen Kritik an der menschenverachtenden europäischen Flüchtlingspolitik zu immunisieren, mutig entgegenstellen und sagen: jetzt erst recht! Die Statistik zeigt zumindest erste Bewegungen: Es gibt in der BRD mittlerweile über 300 Kirchenasyle (davon ca. 250 Dublin-Fälle) mit über 500 Personen.

Schutz vor einer Kettenabschiebung über Italien nach Ägypten und einer folgenden Gefängnisstrafe

Wie hilfreich das Kirchenasyl sein kann, zeigt das Beispiel des Ägypters Mohamed Fathy Abdo Soliman, der vor einer Dublin-Rückführung nach Italien geschützt werden konnte. Wäre es zu einer Abschiebung gekommen, hätte er aufgrund eines Abkommens zwischen Italien und Ägypten in das Herkunftsland abgeschoben werden können. Dort hätte ihn eine jahrelange Gefängnisstrafe erwartet. Grund hierfür ist, dass er ein aktives Mitglied der ägyptischen Kriegsdienstverweigerungsgruppe „No to Compulsory Military Service Movement“ ist und 2012 über ein Youtube-Video seinen Kriegsdienst verweigert hat.

In den darauf folgenden Jahren hatte er mit staatlicher Repression wie dem Entzug seiner Papiere zu kämpfen, mit der Folge, dass er weder studieren, noch arbeiten konnte. Über Italien gelangte er 2015 nach Deutschland und konnte hier keinen Asylantrag stellen aufgrund der Dublin-Regelung. Die Graswurzelrevolution 410 veröffentlichte hierzu ein ausführliches Interview mit Mohamed Fathy Abdo Soliman. (1)

Eine Kirchengemeinde nahm ihn im August zum Schutz vor seiner Rückführung ins Kirchenasyl und reichte ein sehr ausführliches Dossier über seinen besonderen Härtefall ein. Dies konnte das BAMF überzeugen, das daraufhin den Selbsteintritt erklärte und das Asylverfahren in der BRD nun eröffnen wird. Ob Mohamed Fathy Abdo Soliman hier ein Asyl als politisch Verfolgter nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekommen wird, gilt es nun abzuwarten.

(1) "Ich glaube nicht an Gewalt" Ein Gespräch mit dem ägyptischen Kriegsdienstverweigerer Mohamed Fathy Abdo Soliman, von Bernd Drücke, in: GWR 410, Sommer 2016, S. 1,14, www.graswurzel.net/410/aegypten.php

Der Autor

Benedikt Kern ist Aktivist in linken Bewegungen und Mitarbeiter im Institut für Theologie und Politik. Engagiert im Netzwerk Kirchenasyl Münster. Das Netzwerk Kirchenasyl Münster ist ein Zusammenschluss verschiedener sozialer, politischer und kirchlicher AkteurInnen und berät und begleitet Kirchengemeinden und UnterstützerInnenkreise bei Kirchenasylen. Internet: www.kirchenasyl-ms.de