nachruf

Mehr Melancholie! Leonard Cohen

geboren am 21. September 1934 - gestorben am 7. November 2016

| Jochen Knoblauch

Everybody knows that the boat is leaking
Everybody knows that zhe Captain lied
Everybody got this broken feeling
Like their Father or their dog just died
„Everybody knows“ von der CD „I’m your Man“

Manche meinen, er hätte eher als Bob Dylan den Literaturnobelpreis verdient, was stimmen mag, aber ähnlich wie bei den Dylan-Fans dürfte es auch für die Cohen-Fans letztlich egal sein. Beide wissen, was sie an ihren singenden Poeten haben und hatten.

Im Gegensatz zu Dylan mußte Cohen nicht ständig die Richtung wechseln und sich „neu erfinden“. Cohen schwamm des öfteren gegen den Strom und blieb sich dabei immer treu.

Die einen spielten Dylans „Blowin in the wind“ am Lagerfeuer auf der Klampfe, um den Mädels zu imponieren, und ich Cohen auf dem Plattenspieler. Hat mitunter auch funktioniert, selbst bei Nick Cave, wie er heute zugibt, am anderen Ende der Welt in Australien.

Mitte der 1960er Jahre ging der Kanadier Cohen nach New York ins berühmt-berüchtigte Chelsea-Hotel.

Er war schon als Dichter bekannt und hatte neben diversen Gedichtbänden zwei Romane veröffentlicht mit den programmatischen Titeln „Schöne Verlierer“ und „Das Lieblingsspiel“.

Cohen war älter als die damaligen ProtagonistInnen der Greenwich Village-Szene und sah auch ganz anders aus, aber es sollte sein Weg werden, seine Poesie mit Musik anzureichern.

1968 erschien dann die erste LP mit dem Titel „The Songs of Leonard Cohen“ mit „Suzanne“, einem Song über eine platonische Liebe, den Cohen bis zum Schluss gesungen hat und der besonders bei Liveauftritten mit den Jahren die Brüchigkeit seiner Stimme dokumentierte. Gänsehaut pur.

Als Leonard Cohen 1970 in Berlin auftritt, findet sein Konzert im legendären Sportpalast statt, wo einst Goebbels die Massen zum „totalen Krieg“ anstachelte. Cohen leidet als Jude an seiner Religion und an solchen Orten, die mit Verbrechen an der Menschlichkeit verbunden sind – aber auch später an Israel. Mit einer Handvoll Hippies und einem Hund stürmen wir den Saal, der Einlass war damals nur von ein paar Rentnern gesichert. Mein erstes Cohen-Konzert.

Von den insgesamt 14 Studio-Alben, die Cohen aufgenommen hat, waren für mich jene aus den 1980ern, aufgrund des musikalischen Arrangements, die schwierigsten, da sie ziemlich nach Mainstream klangen, aber das konnte er mit seinen Liveauftritten wieder wett machen.

Ähnlich wie Dylan war Cohen kaum in Hitparaden vertreten. Einer seiner wenigen kommerziell erfolgreichen Songs war „Hallelujah“, an dem er angeblich zehn Jahre gearbeitet hat, ein Song mit 80 Strophen, der dann wieder auf vier Strophen gekürzt wurde.

Auf der anderen Seite gehört Cohen zu jenen Singer/Songwritern, die ständig gecovert werden. „Hallelujah“ ist eines der meistgecoverten Songs der letzten Jahrzehnte.

Böse Stimmen unterstellen Cohen Depressionen, die er als Mensch auch hatte, aber seine Musik hat eher was mit Melancholie zu tun.

Seine tiefe Stimme, die Mollakkorde, die Poesie der Texte, das alles machte ihn eher zum Außenseiter im Entertainment-Geschäft denn zu einem geschmeidigen Hitproduzenten.

Melancholie ist das Anhalten der Welt für einen Moment zum Nachdenken

Als Cohen 2008 nach fast 15jähriger Bühnenabstinenz wieder auf Tour ging, er war immerhin schon 74 Jahre alt, war er beliebter denn je.

Ein Mann mit starker Bühnenpräsenz, mit hervorragenden MusikerInnen, denen er höchsten Respekt zollte, vor denen er nicht nur als Geste, sondern ganz öffentlich seinen Hut zog, ja sogar vor ihnen auf der Bühne niederkniete.

Das war keine Attitüde, es war die aufrichtige Bewunderung für Menschen, die keinen Zweifel an ihrer Professionalität zuliessen. Ebenso ging er mit seinem Publikum um. Bei seinen Auftritten spürte man die Dankbarkeit beider Seiten.

Cohen war beeinflußt von dem spanischen Dichter Federico Garcia Lorca (seiner Tochter gab er den Namen Lorca) und beseelt davon, dass die Liebe, die Poesie und die Musik starke – auch politische – Waffen gegen Hass und Intoleranz sind, dass die „erotische Verzweiflung“ und Poesie der Liebe näherkommt als jedes Versprechen, als jede institutionalisierte Gemeinschaft.

Die Lieder von Leonard Cohen sind für mich nie depressiv oder runterziehend gewesen, im Gegenteil, sie bauen auf.

Der „Partisan der Liebe“, der ein wirklich schaffensreiches Leben hatte, obwohl er sich selbst als undiszipliniert empfand, ein Perfektionist und Stilist in fast minimalistischer Art und Weise, ein Bohémien, ein Existenzialist, ein Zweifelnder, ein Koch im Zen-Kloster, der mit seinem Meister gerne Whiskey trank und philosophierte.

Mit dem Menschen Leonard Cohen werden sich auch in Zukunft noch zahlreiche BiographInnen beschäftigen.

Was aber immer bleiben wird, ist seine sanfte, dunkle Stimme, die uns seit 50 Jahren begleitet hat und jetzt verstummt ist.

Seine Gedichte, seine Lieder bleiben für immer. Es ist Zeit, den Hut zu ziehen und zu lauschen:

„I was born like this, I had no choice
I was born with the gift of a golden voice…“
„Tower of Song“