Thessaloníki/Griechenland. Niemand wagt es, die von den Arbeiter_innen besetzte Fabrik Vio.Me zu ersteigern.
Erneut erfolglos abgebrochen werden musste die für den 20. Oktober 2016 angesetzte Zwangsversteigerung des Betriebsgeländes des insolventen Konzerns Filkerem & Johnson in Thessaloníki, zu dem auch die selbstverwaltete, besetzte Fabrik Vio.Me gehört. Es war der inzwischen vierte Versuch, die insgesamt vierzehn Grundstücke des Konzerns mit einer Gesamtgröße von 158.000 Quadratmetern für 31 Millionen Euro zu versteigern. Die drei vorangegangenen Versteigerungstermine waren unter anderem am Widerstand der Vio.Me- Arbeiter_innen und ihrer Unterstützer_innen gescheitert. Auch diesmal kam es wieder zu Spannungen im Gerichtsgebäude. Ab den frühen Morgenstunden waren nicht nur starke Polizeikräfte und die Vio.Me-Arbeiter_innen samt Solidaritätsbewegung in den Gängen des Gerichts präsent, sondern auch ehemalige Filkerem & Johnson Arbeiter_innen, die eine Durchführung der Zwangsversteigerung begrüßen, um so in den Genuss der Auszahlung einer Entschädigung zu kommen. Eine sinnlose Hoffnung, wie Manolis, ein Aktivist der Solidaritätsbewegung, betont. „Sollte die Zwangsversteigerung tatsächlich stattfinden, werden zuerst die Banken, dann andere Schuldner und erst zuallerletzt die entlassenen Arbeiter_innen entschädigt. Bleibt bis dahin überhaupt noch Geld übrig, bekommt jeder Entlassene vielleicht noch 50 Euro.“
Mákis Anagnóstou, einer der Sprecher der kämpfenden Arbeiter_innen von Vio.Me, stellte dagegen erneut klar: „Wir fordern keine Besitztitel für uns. Was wir wollen, sind einzig die Nutzungsrechte über den von uns genutzten Teil des Konzerngeländes, um unseren Tageslohn erarbeiten zu können.“ (Efimerída ton syntaktón, 21.10.2016)
Das Fabrikgelände von Vio.Me macht nur ca. 1/7 des aus 14 Grundstücken bestehenden Konzerngeländes von Filerem & Johnson aus, weshalb die Solidaritätsbewegung die Ausgliederung der besetzten Fabrik aus der Versteigerungsmasse fordert. Eine mehr als angebrachte Forderung, hatte doch der griechische Staat mehrere der betroffenen 14 Grundstücke den damaligen Besitzern von Filkerem & Johnson umsonst überlassen, da der Konzern „Arbeitsplätze schaffe“.
2011 hatten sich die Besitzer des inzwischen Pleite gegangenen Konzerns schließlich aus dem Staub gemacht, über Hundert seit Monaten unbezahlte und nun arbeitslose Arbeiter_innen und viele Millionen Euro an Schulden hinterlassen. Während die meisten Arbeiter_innen sich in ihr Schicksal ergaben, besetzte ein Teil der Vio.Me-Belegschaft die Fabrik, um den Abtransport von Maschinen und Baumaterialien zu verhindern. Nach erfolgloser Investorensuche und der ebenso erfolglosen Forderung nach staatlichem Eingreifen erfolgte im Februar 2013 die gefeierte Wiederaufnahme der Produktion in Selbstverwaltung. Seitdem stellen die Arbeiter_innen von Vio.Me nicht nur biologische Putz-, Wasch- und Reinigungsmittel her, sondern sind auch ein leuchtendes Beispiel für erfolgreichen Widerstand gegen den kapitalistischen Normalzustand und für die Verteidigung der eigenen Würde unter schwierigsten Bedingungen.
Vom 28. bis 30.10.2016 fand ein internationaler Kongress selbstverwalteter und besetzter Betriebe auf dem Betriebsgelände von Vio.Me statt. Abgesandte aus Griechenland, Serbien, Bosnien, Bulgarien, der Türkei, Italien, Spanien, Argentinien, Frankreich, Deutschland u.a. diskutierten und informierten über Perspektiven selbstverwalteter Betriebe im Krisenkapitalismus.
Anmerkungen
Zum Thema Griechenland siehe auch Ralf Dreis Kommentar "Vom Selbstbetrug zur Lüge. Der 2. Parteikongress von Syriza" auf Seite 2 dieser GWR
Die Vio.Me-Soli-Seife kann u.a. hier bestellt werden: https://www.neues-deutschland.de/shop/article/1457169