"Nie wieder Faschismus!", so lautet der Schwur der Überlebenden des KZs Buchenwald. Die "Alternative für Deutschland" (AfD) wird diesbezüglich nicht ernst genug genommen, der faschistische Inhalt zumindest einer der beiden AfD-Parteiflügel wird ignoriert.
Da die AfD sich beim Essener Parteitag nicht vom Höcke-Flügel, sondern von der transatlantisch-neoliberalen Strömung trennte, besteht die Gefahr, dass sich eine faschistische Bewegung mit der AfD als institutionellem Kern entwickelt.
Björn Höcke ist einer von zwei Sprechern der AfD Thüringen und seit der Landtagswahl 2014 der AfD-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag. Er vertritt eine faschistische Ideologie, vielleicht sogar eine faschistische Ideologie nationalsozialistischer Prägung. Letzteres wäre zu klären. Alle Indizien sprechen dafür, dass Höcke 2011 / 2012 für seinen Bekannten Thorsten Heise, einem mehrfach vorbestraften militanten Neonazi, drei Artikel unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ verfasst hat. Zu diesem Zeitpunkt kurz vor der Gründung der AfD war Höcke noch Geschichtslehrer. „Ladigs“ Artikel finden sich u.a. in Heises „Volk in Bewegung“, mehrere Ausgaben dieses völkischen Magazins wurden in letzter Zeit wegen rechtsextremer Inhalte verboten. „Ladig“ propagiert dort eine nationale Revolution, mit der die explizit gelobte NS-Wirtschaft wieder eingeführt werden soll. Der alte AfD-Bundesvorstand erwartete von Höcke, juristisch meine Behauptungen zu „Ladig“/Höcke unterbinden zu lassen und eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, dass da nichts dran ist. Er verweigerte beides. Rückendeckung erhielt Höcke damals von der Tageszeitung „DIE WELT“, der dort für die Berichterstattung über die AfD zuständige Journalist Günter Lachmann kritisierte den damaligen Bundesvorstand der AfD dafür, die Recherchen des „linken Bloggers“ Andreas Kemper ernst zu nehmen, statt sich schützend vor Höcke zu stellen. Lachmann wurde ein Jahr später als Redakteur der WELT entlassen, weil der Bundesvorstand der AfD unter Petry öffentlich machte, dass Lachmann sich der AfD andienen wollte und belastende E-Mails vorlegte. Höcke stellte Lachmann kurze Zeit später als Medienberater ein und erklärte, „die Zeit der Rechtfertigung“ sei „vorbei“. Das damals angestrengte Amtsenthebungsverfahren wurde übrigens von André Poggenburg beendet. Poggenburg und Gauland verteidigen Höcke und flankieren dessen Bemühen, die NS-Sprache wieder herzustellen mit Äußerungen zur „Volksgemeinschaft“ bzw. „Volkskörper“.
Er hat mehr als ein Dutzend expliziter Nazi-Begriffe und Redewendungen in den letzten Monaten benutzt und dies als Geschichtslehrer, also wissend und mit Kalkül. Die Kritik daran wird verhöhnt.
Björn Höcke denkt in Generationen, ihm geht es um eine grundsätzliche Systemkritik, um Fundamentalopposition. Um die Aufgabe der AfD zu beschreiben, benutzt er eine nationalsozialistische Rhetorik, bzw. eine Rhetorik, die Assoziationen mit dem Nationalsozialismus weckt. So mag es noch als unreflektierte Wortwahl durchgehen, wenn er die AfD als Partei des „finalen Denkens“ (Partei der „Endlösungen“?) bezeichnet. Bei der Fülle von zentralen NS-Begrifflichkeiten schließt sich diese Entschuldigung allerdings aus.
So sieht Höcke die AfD als „Bewegungspartei“ (Hitler: „Partei der Bewegung“), als eine „Tat-Elite“ (Selbstbezeichnung der SS). Die gegenwärtige Politik sei „entartet“. Es bräuchte einen neuen Politikertypus, Politiker wie Gabriel seien „Volksverderber“ (Hitler: „hebräische Volksverderber“). Diese neuen Politikertypen müssten nach Höcke mit ihrer Vaterlandsliebe „die Anlagen des Volkes erwecken“ (NS-Pädagoge Krieck), es ginge um die „Entelchie“ (ebenfalls Krieck). Auf „dem Weg zum totalen Triumph“ (NS-Ideologe Forsthoff: „Der totale Staat“; Riefenstahl: „Triumpf des Willens“) für eine „tausendjährige Zukunft“ (Hitler: „tausendjähriges Reich“) müsse man mit dem „Mythos“ der Reichsidee arbeiten. In dieser „Wendezeit um Sein oder Nicht-Sein der Völker“ (NSDAP-Jargon) würden die „deutschen Lebensräume“ immer enger (NSDAP: „Volk ohne Raum“). Der „dekadent“ gewordene „europäische Platzhaltertyp“ könne sich gegen den „afrikanischen Ausbreitungstyp“ nicht mehr wehren, daher sei die AfD die letzte „evolutionäre Chance“. „Asylantenheime“ seien „Feuchtbiotope, in denen sich Keime des Fundamentalismus und der Verbrechen vermehren“ (Hitler: „Nationalismus ist vor allem auch ein Vorbeugungsmittel gegen Krankheitskeime.“) Doch das „gesunde Volksempfinden“ (NS-Rhetorik der Rechtsbeugung) führe dazu, dass „Deutschland erwacht“ (SA: „Deutschland erwache“), seit 1945 sei das deutsche Volk „neurotisiert“, doch nun ändere sich dies: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“ (Goebbels Kommentar in der Sportpalast-Rede zum totalen Krieg). Mit der AfD könne sich Deutschland von der „dekadenten Volkswirtschaft“ des „zinsbasierten Globalkapitalismus“ (NSDAP-Programm: „Zinsknechtschaft brechen“) und der „dekadenten Anspruchshaltung“ befreien, um eine „organische Marktwirtschaft“ (NS-Wirtschaft = „Organische Wirtschaft“) mit einem entsprechenden „Sitte-, Werte- und Normengefüge“ zu etablieren. Die „neue deutsche soziale Frage“ verlaufe nicht zwischen „Oben und Unten“, sondern zwischen „Innen und Außen“ („Deutsche Arbeitsfront“: „Arbeiter der Stirn und Arbeiter der Faust“).
Björn Höcke ist Geschichtslehrer. Sein historisches Wissen scheint er jedoch aus verbotenen Zeitschriften wie dem Nazi-Magazin „Die Bauernschaft“ des Holocaust-Leugners Thies Christophersen bezogen zu haben, jedenfalls taucht sein Vater in der Abonnentenliste der Zeitschrift auf. Höckes Kinder haben nordische Namen, sein ältester Sohn eine frappierende Ähnlichkeit mit dem ersten Teil des Pseudonyms „Landolf Ladigs“, also des Nazi-Autoren, der in einem Artikel das Wohnhaus Höckes erwähnte. Höcke forderte die Abschaffung der NS-Verbots-Paragrafen und bemerkte hierzu, dass nicht jeder NPDler extrem sei.
Höcke wird in diesem Artikel zur AfD so viel Raum eingeräumt, weil er die zentrale Integrationsfigur der beiden widerstreitenden Flügel in der AfD ist. Der gegnerische Flügel wird dominiert von Frauke Petry und ihrem Lebensgefährten Marcus Pretzell. Während die Gruppe um Petry und Pretzell eher machtzentriert orientiert ist und möglichst schnell die AfD im parlamentarischen System bzw. in der Bundes- und den Landesregierungen etablieren wollen, also einen realpolitischen Kurs fahren, geht es der Gruppe um Björn Höcke um einen rechten Kulturkampf, in der die AfD nur der parlamentarische Arm ist.
Ideologisches Zentrum der AfD als völkisch-nationalistischer fundamentaloppositioneller Bewegungspartei ist das „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda bei Halle.
Hier machte der Obmann der „Identitären Bewegung“ Österreichs, Martin Sellner, bei Götz Kubitschek im Frühjahr 2016 noch für mehrere Wochen eine Art Praktikum für neurechte bzw. völkisch-nationalistische Agitation. Kubitschek kooperiert zudem mit Jürgen Elsässer, dem Chefredakteur des extrem rechten „Compact“-Magazins (vgl. GWR 408).
Beide gehen mit Karl-Albrecht Schachtschneider davon aus, der die Deutschen gegen die „Volksverräterin“ Angela Merkel das Recht auf Widerstand hätten. Propagiert wurde nach dem Vorbild des Systemsturzes in der Ukraine ein „deutscher Maidan“, eine zentrale Platzbesetzung, die mit illegalen Methoden den Rücktritts Merkels erzwingen sollte.
Elsässer forderte die Bundeswehr zur Meuterei auf, sie sollten in den Kasernen die Besetzung der Grenzen und der Grenzbahnhöfe planen, um Merkels „Invasion“ zu stoppen. Entsprechend forderte Höcke die Bundespolizei auf, den Vorgesetzten nicht mehr zu folgen mit der Drohung, dass die AfD demnächst die Regierung stelle und dann werde geschaut, wer sich für die geplante „Abschaffung der Deutschen“ zu verantworten habe. Merkel werde dann nach Lateinamerika geflohen sein, aber man wisse ja, die Großen lässt man laufen, die Kleinen kriegt man dran.
Höcke wurde beim letzten Parteitag der AfD in Thüringen mit 94% als Landesvorsitzender bestätigt. In den Vorstand wurde auch der Pressesprecher des Landeskriminalamtes Thüringen gewählt. Unterstützung erhält er vor allem von den Landesvorsitzenden der AfD aus Sachsen-Anhalt (Poggenburg) und Brandenburg (Gauland). In NRW konnte sich hingegen Pretzell nur knapp (54%) als Spitzenkandidat gegen den vom völkischen Flügel favorisierten Kandidaten durchsetzen, aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei den Stimmenauszählungen ist aber überhaupt noch nicht klar, ob die AfD überhaupt zu den Landtagswahlen antreten kann. Im Bundesvorstand ist Höckes Flügel stärker, beim Parteikonvent und bei Bundesparteitagen Petrys Flügel.
Höckes Leute dominieren die Schiedsgerichte und werden unterstützt von Pegida. Petry und Pretzell scheinen die beiden Vorsitzenden der „Jungen Alternative“ (AfD-Jugendorganisation) auf ihre Seite gezogen zu haben: Markus Frohnmaier arbeitet als Pressesprecher für Petry und war mit Pretzell auf der Krim; Sven Tritschler arbeitete für Pretzell im EU-Parlament und aktuell für die vom Front National mit absoluter Mehrheit geführte EU-Fraktion ENF, in der Pretzell dieses Jahr Mitglied wurde. Sowohl der Chef der Österreichischen FPÖ, Strache, als auch die Chefin des Front National, Marine LePen arbeiten mit Petry und Pretzell zusammen. In den letzten Wochen ist hier allerdings ein neuer Player erschienen, der das Ganze durcheinander bringen könnte.
Als Nigel Farages Partei UKIP (UK Independence Party; Partei für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs) den sogenannten „Brexit“ als ihren Erfolg verbuchen konnte, war dies unter anderem auch der Erfolg eines Polit-Strategen, der zugleich für das rechte Internet-Magazin „Breitbart News London“, als auch für Farage arbeitete. Nach diesem Erfolge sah Farage seine Mission erfüllt und er unterstützte in den Vereinigten Staaten Donald Trump in seinen Präsidentschaftswahlkampf. Wichtiger als Farages Unterstützung war jedoch die Unterstützung von Stephen Bannon, der Breitbart News zu einem der meistgelesenen Internet-Magazine (mehr Leser*innen als die drei größten US-amerikanischen Zeitungen zusammen) aufbaute, mit einer Ideologie der „Alternative Right“ (Alt-Right), die sich wie die Neue Rechte in Europa auf die demokratiefeindliche, männlich-elitäre Konservative Revolution der Weimarer Republik bezieht. Bannon wurde zum Chefwahlkampfstrategen und nachdem Trump die Wahl gewonnen hatte, war Bannons Name der erste, der für das Team im Weißen Haus von Trump genannt wurde (vgl. GWR 414). „Breitbart News“ hat nun angekündigt, sich in die europäischen Wahlkämpfe einzumischen. Ein Büro Breitbart News Paris ist in Planung und erste Kontakte zu LePen wurden bereits hergestellt. Geplant ist allerdings auch ein Büro in Berlin und zwischen Kubitscheks „Sezession“ und „Breitbart News“ scheint es Kontakte zu geben. Welcher Flügel sich in der AfD durchsetzt, wird auch durch die transatlantische Kooperation der Rechten entschieden.
Transatlantische Faschisierungsprozese
Die Frage stellt sich, wie es zu diesen transatlantischen Faschisierungsprozessen kommen konnte? Nicht zuletzt haben wir es mit proletarischen Protestmännlichkeiten zu tun, die im Zuge der Deindustrialisierungen weitgehend überflüssig und zudem noch von sozialdemokratischen Parteien verlassen wurden. Das „Postfaktische“ ist hausgemacht durch die Selektionsprozesse im Bildungssystem. Nach dem PISA-Schock sollte nun der Trump-Schock als Warnsignal verstanden werden. Nach zwei Herzinfarkten sollte man radikal umdenken.
Wir sollten die Entnazifizierung der Alliierten fortsetzten, die 1947 mit der Direkte 54 vergeblich die Abschaffung des sozial selektiven gegliederten Schulsystems, also auch des Gymnasiums, einforderten.
Wir sollten den Motor der Faschisierung abstellen: die zunehmende Schere in der Vermögensverteilung.
Der Autor
Andreas Kemper ist Soziologe und Autor u.a. von "Rechte Euro-Rebellion: Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e. V." (edition assemblage, Münster 2013) und "Sarrazins Correctness: Ideologie und Tradition der Menschen- und Bevölkerungskorrekturen" (Unrast, Münster 2014). In einem aktuellen Interview in "Anarchismus Hoch 3" (Hg. Bernd Drücke, Unrast, Münster, Oktober 2016, S. 52-63) äußert er sich ausgiebig zu den Themen Sarrazin, AfD, Klassismus und Anarchismus.