moment mal!

Erdogans Angriffe auf die Pressefreiheit

Solidarität mit Ismail Küpeli, Deniz Yücel und allen kritischen JournalistInnen

| Bernd Drücke

Der Politikwissenschaftler und Journalist Ismail Küpeli berichtet über soziale Proteste und Folgen der neoliberalen Krisenpolitik in Europa. Er analysiert die Konflikte in der Türkei und im Nahen und Mittleren Osten. In den letzten sieben Jahren hat er zig Artikel für die „Graswurzelrevolution“ geschrieben (1). Außerdem publiziert er regelmäßig u.a. auch in „analyse & kritik“, „Jungle World“ und „Neues Deutschland“. Drohungen und Hassmails von Faschisten und Erdogan-Fans hat Ismail Küpeli schon oft bekommen. Seit er aber auch bei der in Deutschland produzierten Internetzeitung „Özgürüz“ mitarbeitet, hat die Zahl der Drohungen vor allem von fanatischen Erdogan-Anhängern gegen ihn ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Anfang Februar 2017 zog Ismail die Reißleine und schrieb seinen zahlreichen Followern auf Twitter und Facebook unter dem Titel „Ein Abschied“: „Hass, Hetze und Angstmacherei sind nie weit weg, wenn man es wagt, sich mit den Rechten anzulegen. Die ‚Qualität‘ und die Quantität des Hasses habe ich unterschätzt. Es ist kaum vorstellbar, mit welchem Elan und welcher Härte die Anhänger Erdogans missliebige Stimmen zum Verstummen bringen wollen. Im Kampf gegen die ‚Verräter‘ ist offensichtlich alles erlaubt, und keine Moral und kein Anstand begrenzen diese Menschen. Diese Auseinandersetzung mit Hetzern kostet mehr und mehr Zeit und Kraft, die dann woanders fehlt.“

„Ob es eine Rückkehr geben wird“, wisse er nicht. „Ein ‚Weiter so‘ ist jedenfalls nicht möglich.“

Seit diesem, von den Hetzern erzwungenen Abschied aus den sozialen Medien habe er kaum noch Drohungen erhalten, so Ismail im Gespräch mit der GWR-Redaktion am 18. Februar. (2)

Deniz Yücel

Sehr dramatisch ist die Situation für Deniz Yücel. Als damaliger „Jungle World“-Redakteur berichtete Deniz Yücel am 30. Mai 2001 unter dem Titel „In der Türkei zensiert: Otkökü“ (3) in der Wochenzeitung „Jungle World“ über die Repression des türkischen Staates gegen die von der „Graswurzelrevolution“ (bis 2003) herausgegebene türkisch-deutsche „Otkökü“, deren Vertrieb in der Türkei damals durch die Repression des türkischen Regimes verhindert wurde.

Nun, 16 Jahre später, wurde der 1973 in Flörsheim am Main geborene Deniz Yücel Opfer der gegen kritische JournalistInnen gerichteten Unterdrückungspolitik in der Türkei.

Yücel war von 2007 bis 2015 Redakteur der taz und ist seit 2015 Türkei-Korrespondent der WeltN24-Gruppe. Am 17. Februar 2017 wurde er in der Türkei verhaftet. Seine Wohnung wurde durchsucht. Dem 43-Jährigen werden Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Datenmissbrauch und Terrorpropaganda vorgeworfen. Nach den Regeln des derzeit geltenden Ausnahmezustandes in der Türkei kann er bis zu 14 Tage ohne Anhörung durch einen Richter in Polizeigewahrsam gehalten werden. Anschließend kann die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft beantragen.

Wer in den letzten Jahren die kritischen Türkei-Berichte von Yücel gelesen hat, weiß, dass er eine hervorragende journalistische Arbeit macht und die Vorwürfe gegen ihn absurd sind (4). Es geht dem türkischen Staat darum, eine weitere kritische Stimme zum Schweigen zu bringen, um ungehindert von jeglicher Gegenöffentlichkeit Erdogans Präsidialdiktatur durchzusetzen. Wer sich, wie Yücel, mit den vielen kriminalisierten JournalistInnen in der Türkei solidarisiert und darauf hinweist, dass die Türkei in der von „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlichten Liste der Pressefreiheit weltweit auf Platz 159 steht, lebt gefährlich.

Bereits im Juni 2015 wurde er nach einer Pressekonferenz in ?anliurfa kurzzeitig festgenommen, weil er Fragen zu Flüchtlingen aus Syrien stellte, die dem dortigen Gouverneur nicht passten.

Im August 2015 fuhr Yücel in das von der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) kontrollierte Kandil-Gebirge. Dort interviewte er ein Mitglied der PKK-Führungsriege, Cemil Bayik. Das Interview erschien auf Deutsch in der „Welt“ und auf Türkisch in der Tageszeitung „Birgün“. Damals wurden die regierungsnahen Medien auf Yücel aufmerksam.

Die rechte, AKP-nahe Tageszeitung „Sabah“ behauptete 2016, dass der Welt-Korrespondent in seinem Interview „die terroristische PKK lobt“. Daraufhin wurde Yücel in der AKP-dominierten türkischen Presse als „PKK-Anwalt“ und „Agent Provocateur“ diffamiert.

Angesichts dieser Hetze verließ der Journalist für zwei Monate die Türkei. Wie viele andere JournalistInnen auch, wurde Yücel als „Staatsfeind“ stigmatisiert. Anlass für den Haftbefehl gegen ihn war allerdings ein Artikel über die linke türkische Hackergruppe RedHack, die die Privatmails des türkischen Energieministers und Schwiegersohns von Erdogan, Berat Albayrak, im September 2016 geleakt hatte. Yücel berichtete über das von Wikileaks für alle öffentlich zugänglich gemachte Leak im Oktober 2016.

Unter dem Titel „Ein Drama, zu dem wir nicht schweigen dürfen“ schreibt Hasnain Kazim am 17. Februar 2017 auf „Spiegel Online“, dass Yücel in seinem Artikel vor allem über die Erkenntnisse seiner Kollegen in der Türkei schrieb, die allesamt in einer Polizeioperation in den Morgenstunden des 25. Dezember 2016 verhaftet wurden:

„Die Tageszeitung ‚Sabah‘ nannte die Operation die ‚RedHack Operation‘. Neun Journalisten wurde vorgeworfen, ‚im Kontakt mit der illegalen Hackergruppe zu stehen und die öffentliche Meinung zu manipulieren‘. Sechs weitere Journalisten befinden sich nach wie vor in Haft. Bei drei Journalisten wurde vermutet, dass sie sich im Ausland befinden; Deniz Yücel war einer davon.“

Solidarität

Die Solidarität mit Deniz Yücel (5) ist wichtig und großartig. Sogar die Berlinale setzte sich am 18. Februar für seine Freilassung ein. In Berlin fand am 19. Februar ein internationaler Autokorso für ihn und alle anderen in der Türkei inhaftierten JournalistInnen statt.

Beteiligt Euch an den Protesten und unterschreibt bitte die Petition „Free ‚Welt‘ Correspondent Deniz Yücel“. (6)

Wir fordern die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel und aller anderen in der Türkei inhaftierten JournalistInnen! Pressefreiheit ist ein Menschenrecht. Setzen wir es durch.