Der junge Karl Marx, Drama/Kunstfilm von Raoul Peck, Deutschland 2017, 1h 58m
Der seit März 2017 in den Kinos zu sehende Film „Der junge Karl Marx“ von Raoul Peck macht den Versuch, einen Ausschnitt im Leben eines Theoretikers zu verfilmen, der vor allem durch seine Schriften gewirkt hat. Mir schien es von vorne herein fraglich zu sein, ob das Leben von Karl Marx einen guten Stoff für einen Spielfilm bieten kann. Die andere Frage, die ich mir stellte, war die, wie ein Film Theorien darzustellen vermag, denn dass in einer Biografie von Marx seine Theorien eine bedeutende Rolle spielen müssen, ist selbstverständlich.
Der Film zeigt eine Zeitspanne von etwa sechs Jahren im Leben von Marx. Er beginnt im Jahre 1842 mit Marx‘ Zeitungsartikel zum Holzdiebstahlgesetz und dem Ende der „Rheinischen Zeitung“ im folgenden Jahr und zeigt anschließend seine Stationen im Exil, über Paris und Brüssel bis nach London. In Paris beginnt die Zusammenarbeit mit Friedrich Engels, dessen eigenes Leben stärker thematisiert wird als der Filmtitel vermuten ließe. Ein Zentralstück des Films ist die Bündnispolitik von Marx und Engels, zunächst über die Bekanntschaft mit Proudhon und die Zusammenarbeit mit Weitling, bis hin zur Aufnahme in den „Bund der Gerechten“.
Das Ende des Films bildet die Umbenennung des „Bunds der Gerechten“ in den „Bund der Kommunisten“ und die Verfassung des Kommunistischen Manifests Anfang 1848.
Wenig Potenzial, um eine Auseinandersetzung mit Marx anzuregen
Eines der größten Probleme des Films ist die schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarsteller: Vor allem August Diehl vermag Marx nicht als interessierten und nachdenklichen Intellektuellen darzustellen. Seine Interpretation von Marx entspricht in der Tat dem Titel des Films „Der junge Karl Marx“, eine Jungendlichkeit die jedoch nicht aus den Texten des jungen Marx spricht. Über Stefan Konarske als Friedrich Engels ließe sich gleiches sagen. Allgemein machen die beiden häufig den Eindruck, als würden sie sich wenig Mühe geben authentisch zu schauspielern und als fühlten sie sich in ihren Rollen nicht wohl.
Was an marxistischer Theorie erwähnt wird, sind die allgemeinsten Aussagen: Es bedarf einer konkreten Analyse der Verhältnisse und keiner abstrakten Kategorien, die Religion ist ungeeignet den Menschen zu erlösen, Emanzipation kann nur im politischen Kampf errungen, und nicht durch Nächstenliebe herbeigeführt werden.
Der Eindruck von der marxistischen Theorie, der dadurch entsteht, ist nicht etwa der einer komplexen Vielschichtigkeit, sondern einiger ein wenig beliebiger, politischer Positionen. Das mag man dem Film nachsehen, da er eben keine theoretische Abhandlung ist und auch nicht sein kann. Dass das Feuer intellektueller Begeisterung in einem jungen, mit Marx unvertrautem Publikum aber durch eine solche theoretische Abgeschmacktheit, in Kombination mit den etwas naiv wirkenden Verkörperungen von Marx und Engels, entfacht werden könnte, ist nur schwer vorstellbar.
Wenige Erklärungen und wenig Authentizität
Während des ganzen Filmes wird kaum eine Entwicklung in den theoretischen Positionen von Marx dargestellt. Eine Ausnahme bildet Marx‘ Zuwendung zur Ökonomie. Aber wie wird diese dargestellt? Engels erzählt Marx, dass es nur eines gebe, was es an seinen Schriften auszusetzen gebe, eben dass er sich nicht mit den englischen Ökonomen beschäftige, das sei aber sozusagen der heilige Gral. Marx erwidert darauf nichts, sondern zieht sich einige Szenen später in die Bibliothek zurück und vergräbt sich in Büchern. Inhaltliche Begründung: Fehlanzeige. Im zu Beginn des Films zitierten Artikel „Debatten über das Holzdiebstahlgesetz“ (1) argumentiert Marx, im Gegensatz zu seinen späteren, ökonomischen Schriften, von einem stark juristisch geprägten Standpunkt aus. Dies bleibt jedoch bei nur einem kleinen Zitat und keiner expliziten Thematisierung, oder späteren Kritik, fast unbemerkt. Zudem: Weder die Pariser Manuskripte, noch die Deutsche Ideologie werden auch nur erwähnt (sieht man von einem entstellten Zitat der elften Feuerbachthese und vagen Anspielungen ab), obwohl sie in die Zeitspanne fallen, die der Film zeigt und obwohl sie bedeutende Stationen in der theoretischen Entwicklung von Marx darstellen. Statt der Darstellung einer solchen Entwicklung nutzt der Film vielmehr die gesamte Länge seiner Handlung um einen groben theoretischen Abriss zu geben, wie dieser oben dargestellt wurde, und wird damit dem Charakter der Biografie eines Theoretikers in keiner Weise gerecht.
Als Anfangspunkt des Films und als Szene, die Marx‘ Radikalisierung erklären soll, wird die Verhaftung der Redaktion der „Rheinischen Zeitung“ gewählt. Diese hat jedoch in der historischen Realität so niemals stattgefunden; die „Rheinische Zeitung“ war im April 1843 verboten worden, Marx jedoch hatte die Zeitung bereits am 17. März verlassen. (2)
Der Film nimmt die historische Genauigkeit nicht ernst. Das gilt auch für andere Szenen, wie etwa die des Aufeinandertreffens von Marx und Engels in Paris, wo es so dargestellt wird, als hätten sich die beiden das erste Mal in einer Berliner Kneipe getroffen. Dass dieses Treffen in der historischen Wirklichkeit in der Redaktion der „Rheinischen Zeitung“ stattfand, und Engels im Anschluss auch Artikel für diese verfasste, wird ausgeblendet. (3)
Wenig Atmosphäre
„Der junge Karl Marx“ schafft es nur selten den Zuschauer in die Atmosphäre von Armut, Klassenkampf und intellektuellem Aufbruch eintauchen zu lassen. Die Filmmusik ist zurückhaltend und uninteressant. Sie hätte ein Verstärker der Begeisterung intellektueller Betätigung und der Spannung politischer Auseinandersetzung sein können. Auch eine Illustrierung dramatischer Armut wäre vorstellbar gewesen. Krasse Armut kommt jedoch gar nicht vor, ihre Darstellung ist wenig eindringlich: Selbst die Familie der gerade gefeuerten Fabrikarbeiterin sitzt abends fröhlich und mit reichlich Bier gemeinsam am Tisch. Die ProletarierdarstellerInnen in „Der junge Karl Marx“ sehen, abgesehen von ein wenig Dreck im Gesicht, so aus, als wären sie von bester Gesundheit – von Müdigkeit und körperlichen Gebrechen auf Grund der harten Arbeit ist wenig zu sehen.
Der Zuschauer wird leider auch wenig in den Eifer intellektueller Auseinandersetzungen hineinversetzt. Marx theoretische Gegner, vor allem Proudhon und Weitling, bieten viel Angriffsfläche für Kritik, diese muss daher auch nicht besonders scharfsinnig sein. Wenn Weitling davon redet Nächstenliebe statt Kritik sei der Weg zum Sozialismus, genügt ein müdes Lächeln um dies für den Kinobesucher abzutun. Proudhon indes weiß sich gegen Marx gar nicht zu verteidigen, oder aber nur mit läppischen Bemerkungen. Es wird die Gelegenheit vertan, zumindest bruchstückhaft eifrige intellektuelle Diskussionen zu zeigen. So finden auch Feuerbach und Max Stirner, welche eindeutig würdigere Konkurrenten gewesen wären als ein Weitling, nur einmal kurz Erwähnung. Bakunin hingegen kommt in zwei Szenen vor, erhält jedoch nicht die Ehre sich theoretisch zu äußern.
Fazit
Der Film ist weder geeignet ein junges, mit Marx unvertrautes Publikum anzusprechen, noch bietet er viel für all diejenigen, welche sich für eine genauere Auseinandersetzung mit Marx‘ Biografie interessieren, noch ist er gute Unterhaltung. Schade, dass dieser Versuch misslang.
Emilio Backmann
(1) www.mlwerke.de/me/me01/me01_109.htm
(2) www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_015.htm#Kap_7
(3) https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/U7PHJSWUCWF4ZWAH5FZZVJN55Y6N3VVT
Emilio Backmann (*1993) macht zurzeit ein Praktikum in der Graswurzelrevolution-Redaktion.