Sulamith Sparre: La Liberté – die Freiheit ist eine Frau. Der Kampf der Frauen um ihre Bürger- und Menschenrechte in der Französischen Revolution. Verlag Edition AV, Lich 2016, 500 Seiten, 24,50 Euro, ISBN 978-3-86841-163-8
Sulamith Sparre legt eine umfangreiche und außerordentlich gut recherchierte Abhandlung über die Rolle von Frauen in der Französischen Revolution vor und man mag kaum glauben, dass erst jetzt dieser Teil der Geschichte aufgearbeitet wird und diese Akteurinnen einen Platz in den Geschichtsbüchern bekommen.
Bereits im ersten Kapitel macht Sparre deutlich, dass Frauen relevante Akteurinnen der Französischen Revolution waren und als solche ernst genommen werden müssen. Wurden sie im 19. Jahrhundert noch als Hyänen bezeichnet und pathologisiert, gerieten die Revolutionärinnen in der Folge schlicht weitgehend in Vergessenheit. Dabei zeigt Sparres Text, dass Frauen nicht nur als Revolutionärinnen an der Beseitigung der Monarchie direkt und zentral beteiligt waren, sondern sie profiliert auch die Rolle von Frauen in der geistigen Strömung der Aufklärung. So haben Frauen schon im Vorfeld der Französischen Revolution feministische Positionen vertreten, die erst im 20. Jahrhundert auf die politischen Agenden der westlichen Industrieländer wanderten.
Diese vergessenen Figuren der Aufklärung wieder ins Gedächtnis zu rufen ist die Aufgabe der ersten beiden Kapitel, z.B. Marie Le Jars de Gournay (1565-1645), die als „erste Philosophin universaler Gleichheit“ bezeichnet wird (30), jedoch von ihren Zeitgenossen „[b]espöttelt, nicht ernst genommen“ wird (31). Aber auch männliche Vordenker einer Gleichberechtigung der Geschlechter werden gewürdigt. François Poullain de La Barre (1647-1723) wird ausführlich vorgestellt, was nötig ist, denn er ist freilich ungleich unbekannter als seine männlichen Zeitgenossen und Widerstreiter in Sachen Feminismus, wie z.B. Jean Racine, Francois de La Rochefoucauld, Molière, etc.
Freiheitliche Theoretiker*innen, wie die genannten Gournay und La Barre, bereiten das Feld für die republikanischen Ideale der Revolution und machen Forderungen nach der Gleichberechtigung der Geschlechter möglich, die zwar zur Zeit der Revolution diskutiert wurden, jedoch in ihrem Nachgang auch schnell wieder aus den Köpfen der herrschenden Männer verschwanden.
Das dritte und vierte Kapitel widmen sich den Geschehnissen rund um den Sturm auf die Bastille und den Marsch nach Versailles. Nachdem der Sturm auf die Bastille nicht die gewünschte Verbesserung der Lage des sogenannten Dritten Standes herbeiführen konnte, sind es schließlich die Frauen, so Sparres Darstellung, die nach Versailles marschieren, um den König gefangen zu nehmen. Sparre zitiert Augenzeugenberichte, nach denen der Marsch nach Versailles aus 7.000 Aufständischen, „vor allem Weibern“, bestanden haben soll. (87) Entsprechend ist dieses vierte Kapitel „den vielen namenlosen Kämpferinnen der Revolution gewidmet, von denen wir nur die Taten kennen – individuell und kollektiv, aber keine Namen“. (86) Auf den folgenden Seiten zeichnet Sparre die Geschehnisse um den 6. Oktober 1789 nach als eine Bewegung insbesondere von Frauen und für gleiche Rechte aller Menschen.
Den größten Teil der umfänglichen Abhandlung bilden die nun folgenden neun biographischen Essays zu Revolutionärinnen und feministischen Aufklärerinnen, die in der Geschichtsschreibung der Französischen Revolution keine Erwähnung finden, in Vergessenheit geraten sind und für verrückt erklärt wurden. Es handelt sich dabei um bekanntere Figuren wie Madame Roland, Lucile Desmoulins und Germaine de Staël, aber vor allem auch um die nahezu vergessenen Akteurinnen, wie Etta Palm-Aelders, Rose Lacombe oder Théroigne de Méricourt. Mit viel literarischem Engagement zeichnet Sparre deren Lebenswege und ihren Einfluss auf den Lauf der Geschichte nach. Ein Kapitel widmet Sparre zudem den „Revolutionären Republikanerinnen“, ein Frauenklub, dessen Mitglieder namentlich zumeist nicht mehr bekannt sind, deren Wirken in der Zeit um 1789 aber deutliche Spuren hinterlassen hat, wie Sparre anschaulich macht.
Am Ende bleiben der Autorin jedoch nur der „Blick zurück im Zorn“ und die Frage, was die Französische Revolution den Frauen gebracht hat. Ihre Antwort ist eindeutig: „Nichts“. (402) Die Revolution, das wird mehr als deutlich, „brauchte die Frauen“, „benutzte die Frauen“, ließ sie die später „unsichtbare Arbeit“ verrichten, aber die männliche Geschichtsschreibung machte sie stumm (ebd.). Auch die politischen Forderungen wurden nicht erfüllt, das Patriarchat setzte sich zwar unter veränderten politischen Vorzeichen, aber mit gleicher Gewalt fort. „In der Geschichte geht es nicht immer vorwärts“ (15), schreibt Sparre schon im ersten Kapitel und man mag es sofort unterschreiben, wenn man diese Episode der Weltgeschichte durch die Perspektive der Frauen betrachtet.
Sulamith Sparres Buch ist zu empfehlen. Nicht nur gelingt ihr mit dieser Abhandlung ein dringend nötiger, neuer Blick auf die Französische Revolution, mit dem sie deutlich macht, wie wirkmächtig bis heute die männlich geprägte Geschichtsschreibung für unsere Auffassung der Wirklichkeit ist. Sie liefert zudem eine spannend geschriebene und unterhaltsame Lektüre, die abwechslungsreich ist durch die Mischung der Formen von historisierender Erzählung und biographischen Essays. Zugleich vermag sie es, die allgemeinen Trends der politischen und intellektuellen Entwicklungen nachzuzeichnen sowie die individuellen Einzelschicksale in den Blick zu nehmen.