so viele farben

Überschattet von rassistisch motivierter Polizeigewalt

Leipzig: Konferenz zu Migration

| Steffen Haag

In Leipzig ist am 8. Oktober 2017 die Konferenz "Selbstbestimmt und solidarisch! Konferenz zu Migration, Entwicklung und ökologische Krise" (1) zu Ende gegangen.

Drei Tage lang diskutierten im Leipziger „Westbad“ mehr als 700 Teilnehmende aus verschiedenen sozialen Bewegungen, auf welche Weise Flucht und Migration mit den vielfältigen ökologischen Krisen unserer Zeit sowie den vorherrschenden Vorstellungen von gesellschaftlicher Entwicklung zusammen hängen.

Beteiligt waren unter anderem Initiativen, die zu Flucht und Migration, Bewegungsfreiheit, Klima, Kapitalismus, Landwirtschaft und Degrowth arbeiten – beteiligt waren auch viele Geflüchtete und Migrant*innen. Medienpartnerin war u.a. auch die Graswurzelrevolution.

In 25 Workshops, auf vielen Podien, in zwei Theaterstücken, vier Ausstellungen und in offenen Diskussionsrunden ging es um Themen wie die Kriminalisierung von Migration, die Kämpfe von Frauen für selbstbestimmte Entwicklung, um die verheerenden Auswirkungen internationaler Handelsabkommen zwischen Afrika und Europa, und darum, wie der Klimawandel Fluchtursachen verschärft.

Themen waren aber auch die Erfahrungen von Menschen auf der Flucht und die Situation Geflüchteter in Deutschland.

Rassistisch motivierte Polizeigewalt während der Konferenz

Überschattet wurde die Konferenz von rassistisch motivierter Polizeigewalt gegenüber zwei Referenten und zwei Teilnehmenden der Konferenz.

Die Referenten, die aus Kamerun kommen und in Deutschland leben, waren während der Konferenz in der Wohnung einer Tagesmutter untergebracht.

Sie wurden von mehreren – offenbar von Nachbarn herbei gerufenen – Polizisten aus dem Schlaf geholt. Nachdem ein Referent die Tür geöffnet hatte, ging einer der Polizisten sofort gewaltsam auf ihn los, rief „Ausweis, Ausweis“ und verdrehte ihm gleichzeitig schmerzhaft den Arm – und dies, obwohl beide Referenten ruhig reagierten und sich gesprächsbereit zeigten.

Einem der Referenten wurden sogar Handschellen angelegt. Erst nachdem die inzwischen herbei gerufenen Organisatoren der Konferenz mit den Polizisten sprachen, wurden die Referenten in Ruhe gelassen und die Polizei verließ den Ort.

„Ich wollte einen Freund anrufen, damit er mit der Polizei spricht, warum wir hier untergebracht sind und dass alles seine Richtigkeit hat“, berichtet der Referent Péguy Takou Ndie, „aber ich wurde gar nicht erst angehört. Mir wurde einfach der Arm so sehr nach hinten gebogen, dass ich heute noch Schmerzen in der Schulter habe.“

Der zweite der Referenten, Richard Djif, der aus Kamerun fliehen musste, weil er einen kritischen Dokumentarfilm zur dortigen Korruption und Unterdrückung gedreht hat, ergänzt: „Mich hat schockiert, dass die Polizisten sofort Gewalt angewendet haben, obwohl wir nur Schlafanzüge trugen und ganz offensichtlich nicht gefährlich waren. Ich fühle mich sehr unsicher in Deutschland, wenn rassistische Vorurteile bei der Polizei zu solchen Übergriffen führen. Eigentlich soll die Polizei doch für Sicherheit sorgen. Das erinnert uns daran, wie sehr man gegen Rassismus in der Gesellschaft Widerstand leisten muss.“

Organisator*innen der Konferenz verurteilen Polizeigewalt

Das Organisationsteam der Konferenz – die Initiativen Afrique-Europe-Interact, Corasol, das NoStressTeam, das Konzeptwerk Neue Ökonomie in Leipzig, glokal e.V. und das Entwicklungspolitische Netzwerk Sachsen – verurteilen die rassistisch motivierte Polizeigewalt. „Wir sind empört, weil es wegen Alltagsrassismus und Polizeigewalt unmöglich war, ungestört die Zusammenhänge von Migration, selbstbestimmter Entwicklung und ökologischer Krise zu diskutieren und konkrete Handlungsmöglichkeiten zu besprechen“, sagte Matthias Schmelzer vom Konzeptwerk Neue Ökonomie.

Die Konferenz ist ein Beispiel für gelebte Solidarität

Die Konferenz zeigt, worauf es wirklich ankommt. Sie ist selbst ein Beispiel für gelebte Solidarität: Teilnehmende mussten keinen festen Teilnahmebeitrag zahlen, spendeten aber, damit Geflüchteten die Fahrtkosten erstattet werden konnten. Das Hostel „Multitude“ stellte Unterkünfte für einen Minimalbetrag zur Verfügung, andere Konferenzteilnehmer und -teilnehmerinnen kamen über die „Schlafplatzbörse“ privat oder mit geliehenen Schlafsäcken in Turnhallen unter. Essen wurde von ARKitchen gekocht, einer Gruppe selbstorganisierter Geflüchteter. Auch Dolmetscher und Dolmetscherinnen übersetzten alle Veranstaltungen ehrenamtlich simultan auf Englisch, Französisch und Deutsch.

Stimmen zum Kongress

Boniface Mabanza von der Heidelberger Arbeitsstelle Südliches Afrika: „Wer alle Krisen, mit denen wir es aktuell zu tun haben, isoliert voneinander betrachtet, hat ein riesiges Wahrnehmungsproblem. Das Boot, das am kentern ist, ist nicht nur das Boot der Geflüchteten, sondern das der gesamten Menschheit. Was die Menschen brauchen, sind Räume, in denen sie ihre Vielfalt entdecken und sich selbst organisieren können. Sie brauchen Räume, in denen sie die Veränderungen gestalten können, die sie selbst für notwendig halten und die nicht den Interessen von außen dienen.“

Mercia Andrews (Trust for Community Outreach and Education, Kapstadt, Südafrika):

„Wenn wir über die Geschlechtergleichberechtigung im globalen Kontext reden, brauchen wir einen Feminismus, der den Kolonialismus mitdenkt. Das heißt, dass die Benachteiligung von Frauen auf dem afrikanischen Kontinent auch mit den Ungleichgewichten zwischen Europa und Afrika zu tun hat.“

Steffen Haag