kleine unterschiede

Machtstrukturen sind das Problem

Sexualisierte Gewalt und Sexismus

| Still Alive

Vor zwei Jahren, als ich noch an den Erinnerungen und den Folgen dessen, was ich erlebt hatte, litt, mich immer wieder in Ohnmacht und Hilflosigkeit geworfen fühlte, habe ich Artikel wie den folgenden nicht lesen können, ohne der Autorin Vorwürfe zu machen. Alles, was nicht "Anerkennung der Opfer, maximale Strafen für die Täter" sagte, war für mich gefühlt Verrat.

An die, die noch unter den Folgen der Taten leiden: Es ist ein harter Weg, solche Taten zu verarbeiten. Aber es gibt ein „Leben danach, in dem dies Erinnerung wird, ohne ständigen Einfluss auf das Gefühlserleben zu haben. Vergessen wird man es nie. Nur ist man nicht zu lebenslangem Leid daran verurteilt. Auch wenn man sich das zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen kann – gebt nicht auf, um dieses euer Leben zu kämpfen!

Aus einer Abgrenzung durch Wut und Hass entstand bei mir die Kraft und der Mut, mich dem zu stellen, was erinnert und verarbeitet werden musste, um mich nicht mehr als Opfer zu fühlen. Dazu war auch die Auseinandersetzung mit dieser eigenen Wut und dem Hass nötig, um aus dem damals alles beherrschenden Opfer-Gefühl endlich heraus zu kommen.

Sexualisierte Gewalt, na und?

Früher „Nischen-Thema feministischer Kreise“, sind die Themen Sexismus und sexualisierte Gewalt mittlerweile in der öffentlichen Diskussion angekommen, kaum ein Medium oder soziales Netzwerk, in dem nicht hunderte Beiträge zu finden sind.

Obwohl schon lange bekannt ist, dass Sexismus und sexualisierte Gewalt überall in Gesellschaften weltweit vorkommen, scheint das Wissen erst durch die Vielzahl der aktuellen Berichte betroffener Frauen im Bewusstsein „der Gesellschaft“ anzukommen.

Zu Beginn der MeToo-Kampagne lag die übliche Konsumhaltung zu Opfergeschichten vor, in Folge Betroffenheits- bis Empörungsbekundungen, inklusive der medialen Inszenierung Weinsteins als DER Täter, der „DAS Böse“ tat, dem viele Frauen „zum Opfer fielen“.

Megan Nolan wurde als Studentin bei einer StudentInnenparty vergewaltigt, schwieg lange darüber aus Scham, und schreibt heute zum Thema sexualisierte Gewalt. (1) Sie kritisiert in einem Artikel auf Vice diese Konsumhaltung, welche auch die Opfer sexualisierter Gewalt als ewige Opfer in der Wahrnehmung anderer festschreibt, wie sie selbst erfahren hat.

Sie erläutert, wie Zuschreibung sexueller Gewalt an „das Böse“ verhindert, bei sich selbst und im Freundeskreis eine solche zu erkennen, … „auch, weil diese Taten spezifisch und kontextabhängig sind – es läuft eben nicht immer plakativ und filmreif ab. Und immer gibt es ‚Gründe‘ dafür, kleine Rechtfertigungen und Ausreden, die wir uns erzählen können, die Opfer wie die Täter.“

Eine Änderung scheitert ihrer Meinung nach „nicht daran, dass sich nicht genug Frauen zu Wort melden – sondern dass sich nie genug Männer angesprochen fühlen“. Megan Nolan meint: „Der Zustand des Frauseins ist ein Zustand sexueller Unterdrückung. (…) das allgegenwärtige Klima sexueller Unterdrückung [hat] die Bausteine geformt, aus denen sich Teile meiner Person und meine Erfahrungen zusammensetzen. Es gibt keinen Menschen, der von der patriarchalen Gesellschaftsform unbeeinflusst bleibt, weil unsere Kultur selbst darauf basiert.“

Patriarchat und sexuelle Unterdrückung der Frau als Grundlage der Kultur?

In vielen Diskussionen werden Begriffe wie Sexismus, struktureller Sexismus, sexistische Bemerkungen und sexualisierte Gewalt durcheinander und gegeneinander diskutiert oder gleichgesetzt. Dies löst Verwirrung, Verunsicherung und auch Abwehr aus.

Andererseits löst sich die Debatte an manchen Stellen von der Fixierung auf sexuelle Gewalt als Tat an sich. Zusammenhänge werden benannt. Sexistische Bemerkungen bis sexualisierte Gewalt gegen Frauen, die in Ausbildung und Arbeitsleben vor allem von in den Hierarchien höher stehenden Männern ausgeübt werden. Erste Hinweise auf Konkurrenzkampf in der Arbeitswelt als Problem, in der Männer sich durch Gleichberechtigung einem noch höheren Konkurrenzdruck ausgesetzt sehen als vorher schon.

Erste Posts erscheinen auf Twitter und Facebook, die Macht und Machtstrukturen an sich damit in Zusammenhang bringen. Daneben die Abwehr: „Männer unter Generalverdacht, das ist ungerecht“. Von „Frauen, die sich auf Kosten echter Opfer von sexualisierter Gewalt mit ihren Geschichten profilieren wollen“, ist die Rede. „Was ist mit den Kellnerinnen in Hollywood, die NEIN gesagt haben, während andere, die mitgemacht haben, ihre Karriere hatten – und jetzt anklagen?“. Daneben die obligatorischen Hinweise auf sexualisierte Gewalt durch „die Flüchtlinge“ und Posts derer, die jegliche Sexismusdiskussion als „Beweis des vorherrschenden Femfaschismus“ anprangern.

Jede siebte Frau in Deutschland wurde sexuell genötigt oder vergewaltigt

Nur fünf bis sieben Prozent der Fälle werden europaweit angezeigt. Mindestens 93% aller Taten werden gar nicht angezeigt. Von den angezeigten Taten werden laut Terre des femmes nur zwischen 8% und 13% verurteilt. Faktisch ist sexualisierte Gewalt gegen Frauen damit nahezu straffrei. Und das, obwohl hierzulande schon relativ lange ein „Bewusstsein für die Problematik“ vorhanden ist, anders als in Ländern, in denen sexualisierte Gewalt noch formal gestattet ist.

Insofern ist es ein bestechender Gedanke, Sexismus und sexualisierte Gewalt als Grundlage der Kultur zu betrachten. Harvey Weinstein bietet sich als Protagonist für diese These an. Ein weißer, mächtiger Mann, der untergeordnete bzw. von ihm und seinem „Wohlwollen“ abhängige Frauen missbraucht. Die Opfer schweigen viele Jahre.

Der mediale Aufschrei, der dazu gerade stattfindet, ist jedoch auch eine Bestätigung, dass dieser Mann eine solche Macht gehabt hat, dass sich Frauen ihm unterworfen haben, mitgemacht haben, dass er sie zwingen konnte – und diese und die Mitwisserinnen und Mitwisser geschwiegen haben. Je mehr seine Macht und sein Erfolg betont wird in Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt, umso mehr wird im Bewusstsein Erfolg MIT sexualisierter Gewalt verknüpft, diese also als Zeichen der Macht bestätigt. „Was ist schon das bisschen Ärger gegen den jahrelangen Spaß, den er hatte“, so der zynische Kommentar eines Mannes.

Für den männlichen Teil der Menschheit bietet Sexismus und sexualisierte Gewalt bzw. diese fördernde Strukturen, gleich ob formal oder informell, einen erheblichen Vorteil.

Überspitzt ausgedrückt, der letzte Mann mit dem geringsten Selbstwertgefühl und ohne jeglichen Einfluss in der Hierarchie „der Männer“ auf diesem Planeten kann sich einbilden, innerhalb der gedachten Welt-Gesamthierarchie über dem größeren, weiblichen Teil der Menschheit zu stehen.

Abwertung von Frauen ist dabei auch Kompensationsmittel gegen selbst erlittene bzw. wieder befürchtete Ohnmacht an anderer Stelle. Macht als Heilmittel gegen Machtfolgen.

Die Eigen-Definition des „Mann-Seins“ als „Mehr-Wert“ allein reicht aus, um diese Phantasie zu befördern und daraus Macht ausübendes Verhalten gegen den größeren Teil der Menschheit, den Frauen, zu legitimieren. In dieser Grundhaltung bestätigen sich Männer kulturübergreifend.

Ob Männergruppen ihre angebliche Ehre vom sexuellen Nicht-Verhalten einer Frau ableiten, oder Männer in Machtpositionen gemeinsam ein Bordell aufsuchen und sich in gegenseitiger Beobachtung in ihrem Verhalten zu Frauen darin bestätigen, wie „gut“ sie sind, macht in der Einstellung zu Frauen keinen Unterschied.

Ein stellvertretender Abteilungsleiter IT-Sicherheit eines weltweiten Automobilzulieferer-Konzerns über einen Mitarbeiter: „Der hat sich nicht getraut, nach dem Table-Dance mit ins Bordell zu kommen, er steht unter dem Pantoffel seiner Frau, so kommt der nie weiter“. Das war nur EIN Kommentar zu einem Kollegen, der sich der obligatorischen Freizeitgestaltung nach mehrtägigen internationalen Meetings nicht unterwarf. Meine Frage, wie sich diese Freizeit denn gestalten würde, wenn plötzlich Frauen bei diesen Meetings dabei wären, wurde mit „Das wird nicht passieren, dafür sorgen wir schon“ abgebügelt. Natürlich hat diese Firma das Thema Frauenförderung und Gleichstellung auf der Agenda, sogar eine Frau ist im Vorstand. Nichts desto trotz ist die Beförderung sicher.

Die gezeigte sexistische Haltung gegenüber Frauen dient auch dazu, untereinander zu konkurrieren. Der „ranghöhere Mann“ ist der, der die Frau und ihre Sexualität unter Kontrolle hat. Unabhängig davon, wie diese Kontrolle im Einzelfall konkret aussieht. In Kriegen dient die Vergewaltigung von Frauen des Gegners als ultimatives Zeichen der Überlegenheit über diesen männlichen! Gegner.

Das sich selbst zugeschriebene Recht, über den Körper und die Sexualität von Frauen herrschen zu dürfen, ist neben der Unterdrückung der Frau also gleichzeitig eine Methode im Machtkampf innerhalb der eigenen informellen und formalen Männerhierarchie UND zwischen nebeneinander bestehenden und konkurrierenden Männerhierarchien.

Sexismus als Machtinstrument findet NICHT nur von Männern gegen Frauen statt

Männer verwenden Sexismus gegeneinander, wenn sie vorgeben, wie „ein richtiger Mann“ zu sein hat, was sich AUCH darin „beweist“ wie heterosexuell sexistisch er sich gegenüber Frauen verhält. Männer, die diesem Bild nicht folgen, dies nicht mitmachen oder gar kritisieren, werden verbal „entmännlicht“.

Wenn Frauen ihrerseits gegen Männer allgemein abwertend denken und sprechen, oder definieren, wie „ein richtiger Mann“ zu sein hat, und auch dort, wo Männer als Täter festgeschrieben werden, ist dies auch Sexismus.

Frauen verwenden Sexismus gegen Frauen, wenn sie nach von Männern vorgegebenen Kriterien definieren, wie eine „richtige Frau“ zu sein hat, sich und andere Frauen danach bewerten und anhand dieser Kriterien miteinander konkurrieren ODER ein eigenes starres Frauenbild entwickeln, dem Frau folgen soll. Es ist auch Sexismus, wenn Frauen selbst die Worte „Frau“, „Opfer“ und „gut“ synonym setzen.

Opfer einer Gewalttat sind und fühlen sich lange danach noch hilflos und ohnmächtig.

Mehr als den Aufschrei und den Wunsch nach Hilfe gibt es im Opfer-Sein nicht.

Frauen, die die Begriffe Frau = Opfer = gut synonym setzen, halten damit genau das Bild von Frau aufrecht, welches (potenziellen) Tätern dient, ihnen vorauseilend Macht zuschreibt, und nach erfolgten Taten weiter bestätigt. Sie schreiben Frau-Sein als hilflos und ohnmächtig fest.

Frauen an die Macht?

Innerhalb von Machtstrukturen versuchen Frauen ihrerseits, Macht und Einfluss zu erlangen. Wo erlaubt und möglich, in Konkurrenz zu Männern, wo nicht, in dem sie über ihren Einfluss auf Männer ihre Interessen durchsetzen. Dazu benutzen viele Frauen auch ihren Körper.

Ebenfalls üben Frauen über die Erziehung, in der sie u.a. Söhnen oder Schülern vermitteln, wie ein „richtiger Mann“ zu sein bzw. was dieser zu tun hat, Macht aus.

Wo ist der Unterschied zwischen einer Mutter in Gambia, die ihren Sohn unter Druck setzt, sich auf die lebensgefährliche Reise nach Europa zu machen, um dort Geld für die Familie zu verdienen und einer Mutter, die aus eigenem Gewalterleben ihrem Sohn permanent Schuldgefühle vermittelt, dass Männer an sich schlecht sind, ihn unter Druck setzt, dass er machen müsse, was sie sagt, um zu beweisen, dass er ein „besserer Mann“ ist? Schuldgefühle erzeugen ist ein häufiges Machtmittel, auch und gerade von Frauen, um (nicht nur) Männer „unter Kontrolle“ zu halten, damit die Macht über diese zu bekommen.

Viele Frauen geben eigenes erlebtes Unrecht und Leid an andere Frauen weiter. Sie benutzen abwertende Aussagen, die sie von Männern über Frauen gehört und übernommen haben. Sie folgen dem von Männern für Frauen genehmigten und vorgegebenen Konkurrenzkampf, den sie innerhalb der „Frauengesellschaft“ führen „dürfen“.

Idealbilder von Mann und Frau in den Medien

Allgemein werden die Kriterien für die „richtige Frau“ immer höher gesteckt.

Schön, schlank, fit, gesund, gute Ausbildung, perfekte Mutter, gut geratene Kinder, ordentlicher Haushalt, Mutter UND Karriere und dazu die perfekte Partnerin und Geliebte des Mannes, der seinerseits natürlich ein „guter“ Mann sein muss. Andernfalls hat sie einen Fehler gemacht in der Auswahl. Aber auch „der Mann“ soll selbstbewusst, kooperativ, einfühlsam, unterstützend, nicht-sexistisch (gegen Frauen) liebevoller, perfekter Vater mit Zeit für die Kinder UND erfolgreich sein, also innerhalb der vorgegebenen Machtstrukturen, in denen Sexismus gegen Frauen ein Kampfmittel ist, in der Hierarchie aufsteigen und „siegen“.

Die Überforderung, die diese medial verbreiteten Vor-Bilder anlegt, führt zu Spannungen, Konkurrenz und gegenseitigem „Aufrechnen“, überall dort, wo Frauen und Männer auf Kooperation angewiesen sind.

Männer als Opfer sexualisierter Gewalt

Bei sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder gibt es mittlerweile eine gewisse offizielle gesellschaftliche Solidarität mit den Opfern, und zumindest einige Hilfen. Sie dürfen heute darüber reden und ihre Geschichte erzählen, werden als Opfer anerkannt.

Das Mittel der sexualisierten Gewalt wenden Männer jedoch auch gegenüber Männern an.

Bekannt wird dies selten, meist aus institutionalisierten, weitgehend geschlossenen Machtstrukturen, wie Gefängnissen („zur Frau machen“) oder Militär, in Heimen und Schulen.

Betroffene Männer erfahren diese Solidarität in der Regel nicht. Wo ist die MeToo-Kampagne, in der von sexualisierter Gewalt betroffene Männer ihre Geschichte erzählen können? Dort die gleiche Solidarität erfahren? Vor allem auch VON Männern?

Ein betroffener Mann sagte mir, es ist schrecklich, was du erlebt hast, aber das, was du erlebt hast, hat dich immer noch in deinem Frau-Sein bestätigt, wenn auch auf negative Weise. Ich habe meine bisherige Identität als Mann verloren. Ich weiß nicht mehr, was Mann eigentlich ist. Ich bin seitdem ein Nichts.

Nochmals schwieriger zu verarbeiten ist dies für Männer, die durch Frauen sexualisierte Gewalt erlitten haben. Sexualisierte Gewalt von Frauen gegen Männer ist aus Sicht der meisten Menschen undenkbar. Wie soll man(n) aussprechen, was es doch angeblich gar nicht gibt?

Unglaube, Auslachen und Kommentare wie „Was stellst du dich so an, so was würde ich mir wünschen“ sind noch die harmloseren Reaktionen, die diese Männer erleben.

In Europa haben nach einer neueren Untersuchung auch 27% der Männer sexualisierte Gewalt erlebt. (2)

Ein Tabu-Thema, denn Mann = Täter und Frau = Opfer sind kollektiv im Bewusstsein von Männern UND Frauen festgeschrieben. Mit Vorteil für die Männer, die NICHT betroffen sind, weil ein fiktives Gefühl von Überlegenheit erhalten bleiben kann. Frau hat weiter Angst vor dem Mann im dunklen Park zu haben, nicht umgekehrt.

Und was wäre, wenn manchen feministischen Aktivistinnen das eindeutige Mann = Täter = Gegner = Feind abhanden käme?

Sexismus und Rassismus

Der Aufschrei ist immer wieder groß, wenn nicht-weiße Männer ohne Erfolgsposition sexualisierte Gewalt ausüben (siehe Köln Silvester 2015/16). Fast ritualisiert wird jede dieser durch diese Männer ausgeübten Gewalttaten medial ausgeschlachtet (Bonn, Siegaue, 2017).

Dies scheint verwerflicher zu sein, als der Fall Weinstein und ähnliche. Weiße, mächtige Männer werden weiter als Person, als Mensch beschrieben, sie erhalten medial ihre eigene Geschichte, während nicht-weiße, arme Männer individuell als Kranke und Kriminelle bezeichnet werden, die jedoch wie Monster aus einer namenlosen amorphen bedrohlichen Masse zu kommen scheinen.

Zu weißen erfolgreichen Männern wird zwar gesagt, dass viele von ihnen Täter sind. Nichts desto trotz erzeugt die Medienberichterstattung ein Klima der Angst vor nicht-weißen, armen Männern.

Es gibt bei uns mehr weiße erfolgreiche Männer, die deutlich mehr sexualisierte Gewalttaten ausüben. Anhand der reinen Zahlen müsste doch jetzt Angst VOR ihnen entstehen.

Statt dessen wird bei „Maischberger“ in der Sendung vom 10.11.2017 zu sexualisierter Gewalt erst über einen Mann berichtet, der falsch angeklagt wurde, die Psyche der Frau durchleuchtet und später darauf hingewiesen, dass auf unsere Gesellschaft eine Gefahr durch einwandernde Männer zukommt, „die sich nichts von einer Frau sagen lassen, weil sie eine Frau ist“.

Hier wird sexualisierte Gewalt gegen Frauen benutzt, um Rassismus gegen bestimmte Männer-Gruppen zu verbreiten und die „eigene Männergruppe“ zu verharmlosen.

Der weiße Mann als gefühlte Ausnahme, der nicht-weiße Mann als Regel-Täter. So die gefühlte Wahrheit vieler.

Erst jetzt, wo viele, überwiegend weiße, erfolgreiche Frauen über ihr Erleben mit sexualisierter Gewalt, sexistischen „Sprüchen“ und strukturellem Sexismus öffentlich sprechen, beginnt die öffentliche Diskussion dazu. Solange „andere“, arme, in Hierarchien „weit unten“ stehende Frauen betroffen waren, geschah dies nicht in diesem Ausmaß.

Die Freude darüber, dass endlich die Diskussion beginnt, das Bewusstsein für Sexismus und sexualisierte Gewalt geschärft wird, wirft dennoch die Frage auf, wird diese etwas ändern für die unzähligen Opfer alltäglicher Gewalt, sexualisiert oder nicht?

Noch immer gibt es zu wenig Fluchtorte oder Hilfen für Opfer. Die WHO geht davon aus, dass in Deutschland in jeder Schulklasse an allgemeinbildenden Schulen statistisch ein bis zwei von sexualisierter Gewalt betroffene Kinder sitzen. Wesentlich mehr Kinder sind dazu von anderen Gewaltformen betroffen. Weltweit.

Sexualisierte Gewalt ist die Zuspitzung allgegenwärtiger Gewalt und Herrschaft

Während der Verarbeitung erlebter sexualisierter Gewalt kam der Tag, als ich formulierte „Die Vergewaltigung hat doch nur zusammengefasst, überspitzt und auf den Punkt gebracht, was die ganze Zeit schon an vielen Stellen in vielen Situationen da war.“ An diesem Tag fügte sich alles zusammen. Das einzeln Geschehene hatte keine Macht mehr über mich. Ich war in meinem Gefühl zu mir kein Opfer mehr.

Menschen werden nicht als TäterInnen geboren. Selbst dort, wo aufgrund der Anlagen bestimmte Bereiche des Gehirns wenig bis nicht entwickelt sind (3), hängt von vielen Umständen ab, ob ein Mensch später Gewalt gegen andere ausübt.

Eine Gewalt akzeptierende, fördernde und/oder ausübende Umgebung. Gewalt als Vorbild, auch zur Konfliktbeendung bzw. zur Durchsetzung von Interessen. (4), selbst erlittene Gewalt, eine Gewalt akzeptierende, fördernde und ausübende Gesellschaft.

Machtverhältnisse, die ermöglichen, Druck auszuüben und das Schweigen der Opfer durch weiteren Druck zu fördern, sind wesentliche Faktoren, die spätere Gewalt begünstigen.

Die früheste Instanz, in der ein Mensch Ohnmachtsgefühle erlebt, ist die Familie

Je restriktiver und willkürlicher die fraglos Mächtigen in der Familie erlebt werden, desto geringer das Selbstwertgefühl und die Sozialkompetenz. (5).

Der Selbstwert, den ein Mensch zu sich entwickelt, wird dadurch bestimmt, wie andere in der ersten Lebensphase mit, über und vor allem zu ihm/ihr sprechen und handeln und ihm/ihr an Wert zusprechen. Je geringer das Selbstwertgefühl eines Menschen, desto stärker wird er/sie je nach Situation mal beschwichtigend, als mal anklagend, oder abwertend, verurteilend, rigide zu anderen denken und sprechen (6).

Gewalt in früher Kindheit erzeugt spätere soziale Auffälligkeiten und eigene Gewaltanwendung (7).

Die nächsten Instanzen, in denen über ein Kind entschieden wird, sind Kindergarten und Schule.

Das hier bestehende Schulsystem ist der erste kollektive Zwangsdienst für die Gesellschaft.

Nicht die Pflicht der Gesellschaft, Kinder bestmöglich zu lehren, ihre individuelle Entwicklung zu fördern, ist in der Schulpflicht fest geschrieben, sondern die Forderung AN Kinder, dort Wissen und Verhalten zu erlernen, mit denen sie in Machtstrukturen eine Position einnehmen, die dem Erhalt der gesellschaftlich vorgegebenen Machtstrukturen dient.

Auch hier wird Kindern und Jugendlichen ein „Wert“ zugesprochen. Funktionieren sie innerhalb der jeweiligen vorgegebenen Machtstrukturen und nehmen die Positionen ein, die diese ihnen (maximal) erlaubt oder zuweist, gelten sie als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft, als erfolgreich, als „normal“.

Begehren sie auf, suchen andere Wege, unterwerfen sie sich nicht, oder sind sie dazu nicht in der Lage, gelten sie als „unnormal“, krank, behindert bis schädlich für die Gesellschaft. Sie sollen in die Machtstrukturen „integriert“ werden. Wo dies nicht gelingt, werden sie auf die „unterste“ Position der Gesellschaft verwiesen und hier im „Sozialsystem“ als „nutzlose Esser durchgefüttert“.

Wer innerhalb der jeweiligen Machtstrukturen nicht funktioniert, wird ausgegrenzt, gedemütigt, angeklagt, aussortiert. Mit dieser Drohung wächst fast jedes Kind in unserer Gesellschaft auf.

Die wenigsten Menschen wachsen in einer liebevollen, die Bedürfnisse der jeweiligen Lebensphase beachtenden, kooperativ entscheidenden und sich gegenseitig unterstützenden Familie auf, in der sie ein eigenes stabiles Selbstwertgefühl entwickeln können.

Stattdessen spiegeln viele Familien die Machtstrukturen der Gesellschaft und bereiten ihrerseits auf die Funktion innerhalb dieser Machtstrukturen vor, vermitteln, wer welchen Platz darin einnehmen darf und wer nicht und zu welchen Bedingungen.

Mächtig sein bedeutet Einfluss zu haben, Situationen nach eigenem Willen gestalten zu können, dies auch ohne Zustimmung bzw. gegen den Willen derer, über die diese Macht vorhanden ist.

Mächtige werden bewundert. Mächtige scheinen sicher zu sein vor Unterdrückung und Gewalt. Wer eine Machtposition erlangt hat, wird diese nicht aufgeben wollen. Wer sich in Ohnmachtsposition befindet, sieht den Erwerb von Macht als Mittel, diese Ohnmachtsposition zu verlassen und sicher zu werden. Wer es nicht schafft, innerhalb seiner/ihrer Machtstrukturen eine eigene Machtposition zu erringen, wählt das Mittel, sich unter den Schirm der i unterdrückenden Mächtigen zu stellen, diesen zuzustimmen und zuzuarbeiten, in der Hoffnung, dafür durch diese vor anderen Mächtigen geschützter zu sein.

Gegen die erlebte Ohnmacht in den eigenen Machtstrukturen wird zur Kompensation das Mittel gewählt, in anderen Lebensbereichen oder gegenüber anderen Gruppen eine Machtposition zu erlangen.

Machtstrukturen schaffen ununterbrochen neue Opfer. Opfer, die innerhalb dieser Strukturen versuchen, weniger Opfer zu sein bzw. nie wieder Opfer zu werden.

Machtstrukturen bieten als einziges Mittel gegen das Opfer-Dasein an, selbst in der Hierarchie der Machtstruktur aufzusteigen und innerhalb dieser mit der erreichten Position dann zum/zur TäterIn gegenüber anderen zu werden. Die sich ihrerseits wieder der Machtstrukturen bedienen, um sich weniger als Opfer zu fühlen und frühere Opfergefühle zu kompensieren. Dazu muss die Machtstruktur unbedingt erhalten bleiben.

Wo formale Machtstrukturen diese Kompensation nicht (genug/mehr) ermöglichen, werden informelle Strukturen errichtet bzw. formale Strukturen durch informelle ersetzt.

Offiziell wird in unserer Gesellschaft behauptet, „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.

Formal sind vor dem Gesetz alle Menschen gleich. Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus. Real hängt vom gesellschaftlichen Status und von individuellen Ressourcen ab, ob man überhaupt Gelegenheit, Zeit, die psychische Konstitution und genug Geld hat, sich ein Recht gegen einen Rechtsbruch, den anderen an einem selbst begangen haben, zu erkämpfen. Dies ist nochmals schwieriger, wenn die VertreterInnen der formalen Machtstruktur diesen Rechtsbruch begangen und damit Fakten geschaffen haben.

Ob ein/e abgelehnte AsylbewerberIn trotz laufendem Widerspruchsverfahren abgeschoben wird, ein/e DemonstrantIn unberechtigt inhaftiert und in Gewahrsam festgehalten wird, eine LehrerIn trotz guter Noten keine Gymnasialempfehlung ausspricht, ein/e ChefIn eine/n MitarbeiterIn entlässt, der/die „nicht zu Willen war“, überall findet sich das, was dann als „Missbrauch von Macht“ bezeichnet wird. Dabei IST Macht selbst der Missbrauch.

Informelle Machtstrukturen (auch/wieder) zu formalisieren findet sich in ehemals scheinbar demokratischen Staaten mit einer noch informell stark patriarchalisch geprägten Gesellschaft. Auch in der Forderung mancher Kreise hier, die Frau soll auch hier wieder in erster Linie Hausfrau und Mutter sein und ihre „natürliche Rolle“ wieder einnehmen, findet sich dieses Phänomen.

Gewalt ist das Mittel der Wahl, um eigene Interessen innerhalb einer Machtstruktur durchzusetzen bzw. eine eigene Machtstruktur zu errichten, in der Hoffnung, eine höhere Position zu erlangen, oder sich selbst als „höherwertig“ bezeichnen zu können.

Machtstrukturen bedienen sich des Sexismus

Sexualisierte Gewalt ist nur eine Form der demonstrativen Machtausübung, des Machterwerbs und des Erhalts von Machtstrukturen. Männer wie Frauen bedienen sich des Sexismus, um innerhalb gegebener Machtstrukturen eigene Machtpositionen zu erreichen.

Die aktuelle öffentliche Diskussion zu sexualisierter Gewalt, aber auch die allgemeine Forderung nach Gleichstellung ist ein Kampf um bessere Positionen und ein „angenehmeres Leben“ INNERHALB dieser Machtstrukturen. In diesen Machtstrukturen ändert sich damit nur, wer wozu die Macht hat bzw. erreichen kann, und gegen wen wann wo und wie welche Machtmittel, oder welche Formen der Gewalt (und damit auch sexualisierte Gewalt), angewendet werden „dürfen“, bzw. wo und zu wem dies (weiter) stillschweigend hingenommen wird.

Machtstrukturen fördern den Kampf von Opfergruppen untereinander

Wer ist mehr zu beachten, wer und welche Anliegen sind „wichtiger“? Opfergruppen konkurrieren untereinander um einen Platz in der Opferhierarchie.

Aus dem Versuch, Gleichberechtigung formal herzustellen („Bei gleicher Eignung werden Frauen bevorzugt eingestellt bis zu Quote xy“) wird ein realer Verlust bisheriger Möglichkeiten für Männer, die sich bisher nur im beruflichen Konkurrenzkampf unter Männern befanden. Die darin Opfer innerhalb des Konkurrenzkampfes waren bzw. werden könnten. Dieser real existierende, oft brutale Konkurrenzkampf wird nicht in Frage gestellt. Gefühlt hat sich nur die Zahl der „Feinde“ erhöht, und das durch einen in diesen Strukturen noch ungewohnten Gegner. Eine Frau als Gegner ist das Gegenteil des Frau=Opfer-Bildes. Dieser neue Gegner wird in der Konkurrenz nicht als „weiblich“ gedacht, sondern mittels Sexismus und sexualisierter Gewalt immer wieder „weiblich“ gemacht, um ihn auf den „angestammten Platz“ verwiesen.

Jegliche Forderung von Opfer-Gruppen nach Verbesserung der eigenen Lage oder nach Gleichberechtigung führt dazu, dass andere Gruppen ihre „Eigenwertigkeit“ in der Machtstruktur bedroht sehen.

Der Hinweis auf „knappe Kassen“ löst dazu die Angst aus, dass dann für alle „zu wenig übrig sein wird“.

Die Frage nach der ständig weiter wachsenden ungerechten Verteilung des Vorhandenen, bei dem nur wenige Mächtige das meiste „einkassieren“, stellt sich nicht beim Blick auf das eigene leere Konto.

Dafür fällt der Blick auf ein/e VertreterIn einer anderen Opfergruppe, die vielleicht noch ein wenig im Portemonnaie hat oder haben könnte.

Täglich werden Millionen Menschen in fast allen Lebensbereichen, durch Krieg und Armut, aber auch durch die in Wohlstand und „Frieden“ stattfindenden alltäglichen strukturellen und kulturellen, psychischen und physischen Gewaltformen zu Opfern von Macht und Gewalt.

Dies ist die Grundlage für alle Ismen. Sexismus ist die Gemeinsamkeit in allen und verbindet sie. Sexualisierte Gewalt bringt es jeweils nur „auf den Punkt“.

Geld ist Macht. Macht macht Geld. Der Krieg „Reich gegen Arm“

Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. (8) Die Menschen in der „gefühlten Mitte“ befürchten nicht unbegründet, „bald schon zu den Armen zu zählen“. Seit einiger Zeit wird sogar in öffentlichen Medien der Begriff „Der Krieg Reich gegen Arm“ verwendet.

Wenn die Chefin des Internationalen Währungsfonds auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank 2017 jedoch die politischen Entscheidungsträger auffordert, den Wohlstand besser zu verteilen, dann frage ich mich, was genau sie mit „besser“ meint.

Die IWF-Auflagen z.B. für Griechenland, die so viele Menschen in Armut bringen, sprechen dazu die ehrlichere Sprache.

Es ist für mich kein Zufall, wenn sexualisierte Gewalt, ausgeübt durch reiche, erfolgreiche, überwiegend weiße Männer, in dem Moment Thema wird, wo die Opfer entweder selbst eine „Position“ erreicht haben, aufgrund derer sie angehört werden ODER solche Vertreterinnen im Hinter- und Vordergrund haben, die ihnen Gehör verschaffen.

Genug Frauen haben sich heute innerhalb der bestehenden patriarchalen, sexistischen Machtstrukturen eine Position erkämpft, als dass sie ungehört bleiben könnten.

Wenn dies jedoch nur dazu führt, dass diese eine komfortablere Position erhalten, die grundsätzlichen Fragen aber nicht gestellt werden, dann ändert sich weiter für den größten Teil der Menschheit nichts. Der backlash wird früher oder später wieder folgen.

Macht, Kapitalismus, Rassismus, Sexismus sind untrennbar ineinander verwoben

Wer Sexismus und sexualisierte Gewalt bekämpfen will, muss auch Macht an sich, Kapitalismus, Rassismus und jegliche Form von Gewalt und Diskriminierung in Frage stellen.

Wer Kapitalismus, Rassismus, Gewalt und Diskriminierung bekämpfen will, muss sich mit Sexismus und sexualisierter Gewalt gegen Frauen UND Männer, vor allem auch in „dein eigenen Reihen“ auseinandersetzten. Wo sie getrennt betrachtet oder gar gegeneinander diskutiert werden, stärkt dies weiter die Machtstrukturen.

Meine eigene Geschichte sexualisierter Gewalt, die Jahre der Verarbeitung, und die folgenden vielen Gespräche mit Opfern, Frauen wie Männern, haben mich gelehrt, jegliche Form von Macht, Machtstrukturen und Gewalt, sowie alles, was diese fördert, in allen Lebensbereichen in Frage zu stellen. Auch zu mir in meinem Denken und Verhalten. Und besonders, wenn es offiziell angeblich „um (potenzielle) Opfer und deren Schutz geht“.

(1) https://www.vice.com/de/article/qvjgmv/das-problem-mit-der-metoo-kampagne

https://www.theguardian.com/commentisfree/2016/feb/01/raped-at-university-sexual-consent-lessons-trinity-college-dublin

(2) https://www.heise.de/tp/features/Sexuelle-Gewalt-Neue-Studien-belegen-geringe-Unterschiede-zwischen-maennlichen-und-weiblichen-Opfern-3347411.html

(3) vgl. James Fallon, Der Psychopath in mir", www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/hirnforscher-der-psychopath-in-mir-12893171.html

(4) vgl. Albert Bandura, Lernen am Modell

(5) vgl. Horkheimer, Fromm u.a., Studien über Autorität und Familie, Institut für Sozialforschung, Paris, 1936

(6) vgl. Ansatz von Virginia Satir, Systemische Familientherapie

(7) vgl. Michael MacKenzie, Columbia University School of Social Work in New York, "Fragile Families and Wellbeing Study"

(8) http://reich-sein.eu/unterschied-zwischen-arm-und-reich-immer-une