wir sind nicht alleine

Folterstaat Eritrea

Die dramatische Situation Geflüchteter, eine Konferenz und die Perspektiven solidarischer Vernetzung

| Rudi Friedrich

Willkürliche Verhaftungen und Tötungen, Folter, politische Verfolgung, unbegrenzter militärischer Zwangsdienst für Männer und Frauen - die Lage in Eritrea ist katastrophal. Tausende versuchen Monat für Monat, ihr Leben durch Flucht zu retten, aber auch die Flucht birgt mörderische Gefahren. Viele werden unterwegs getötet, und selbst diejenigen, die ein scheinbar sicheres Zufluchtsland erreichen, müssen Zurückweisung und Abschiebung fürchten. Eine vom antimilitaristischen Verein Connection e.V. initiierte Kampagne informiert über die Situation und fordert Asyl für diejenigen, die dem militaristischen Willkürstaat Eritrea entkommen sind. Am 19. und 20. Oktober 2017 veranstaltete Connection zusammen mit 40 anderen Organisationen in Brüssel eine Konferenz "Fluchtsituation Eritrea - kein Ende in Sicht?" und ein Strategietreffen von Gruppen und Initiativen, die zu Geflüchteten aus Eritrea arbeiten. (GWR-Red.)

Diese Konferenz war einzigartig, weil hier zum ersten Mal eritreische und internationale ExpertInnen zu Eritrea die Situation vor einem Fachpublikum, EU-Abgeordneten, VertreterInnen von EU-Mitgliedsstaaten sowie Flüchtlingen darlegen konnten. Es kamen mehr als 100 Personen.

Die Willkür hat System

1993 wurde Eritrea unabhängig, nach einem jahrzehntelangen Krieg gegen Äthiopien. Seitdem herrscht in diesem ostafrikanischen Staat die Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PFDJ), die aus der früheren bewaffneten Unabhängigkeitsbewegung der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF) hervorgegangen ist. Der Parteivorsitzende Isayas Afewerki ist seither gleichzeitig Staatspräsident und Regierungschef. Die Verfassung, obwohl von der konstitutierenden Nationalversammlung kurz nach der Unabhängigkeit beschlossen, trat nie in Kraft. Präsident Afewerki ordnete stattdessen die Erstellung einer alternativen Verfassung an, die nie bekannt wurde.

Der Präsident und seine Regierung sind nicht gewählt. Es hat nie eine Wahl stattgefunden. Es gab noch nicht einmal eine Versammlung der regierenden Partei. Martin Plaut war einer der Redner auf der Konferenz. Er ist Experte zum Horn von Afrika und war lange Zeit tätig für BBC World Service News.

In einem Artikel stellt er fest: „So wird Eritrea in willkürlicher Art und Weise durch den Präsidenten und seine engsten Vertrauten regiert. Viele der üblichen Verwaltungsaufgaben eines Staates werden überhaupt nicht wahrgenommen. Es gibt keinen Staatshaushalt, die Höhe der Einnahmen z.B. durch die Minen ist nicht öffentlich bekannt. Die größten Teile der Wirtschaft werden durch die Einheitspartei kontrolliert.“ (1)

Willkür und Menschenrechtsverletzungen sind weit verbreitet. Mike Smith, Vorsitzender der durch den UN-Menschenrechtsausschuss eingesetzten Untersuchungskommission berichtete am 6. Juni 2016: „Es gibt keine unabhängige Justiz, kein Parlament und keine anderen demokratischen Institutionen im Land. Das hat zu einer Herrschaft ohne jede Rechtsgrundlage geführt. Resultat ist seit einem Vierteljahrhundert ein Klima der Straffreiheit bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ (2)

Als Folge des Krieges mit Äthiopien (1998-2000) gilt das Land als hochgradig militarisiert. Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen kritisieren willkürliche Verhaftungen und Tötungen, Folter, politische Verfolgung, grausame Haftbedingungen, Zwangsarbeit sowie Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Glaubens- und Religionsfreiheit. Seit dem Krieg mit Äthiopien müssen alle Männer und Frauen zwischen dem 18. und dem 50. Lebensjahr Militärdienst leisten, der eigentlich auf 18 Monate begrenzt ist, aber regelmäßig über Jahre verlängert wird. Die Kriegsdienstleistenden werden häufig zu Arbeiten in der Landwirtschaft oder Verwaltung zwangsverpflichtet und sind Misshandlungen ausgesetzt. Der Militärdienst ist der Haupt-, aber nicht der alleinige Grund, das Land zu verlassen.

Der an der London South Bank University lehrende Gaim Kibreab, ein aus Eritrea emigrierter Wissenschaftler, der 2017 ein Buch zum eritreischen Nationaldienst vorlegte, erläuterte auf der Konferenz die wesentlichen Hintergründe, die zur Flucht vieler EritreerInnen beitragen: „Eine der wesentlichsten Antriebsfedern für die Auswanderung ist der unbefristete und nicht-endende Nationaldienst mit all den damit verbundenen negativen Konsequenzen für die soziale Situation der eritreischen Gesellschaft und des alltäglichen Lebens. Meine Studienergebnisse zeigen, dass die Regierung privaten Unternehmen gegenüber feindlich eingestellt ist und es kaum Möglichkeiten von Beschäftigungsverhältnissen im privaten Bereich gibt. Die Situation wird noch dadurch verschärft, dass der Nationaldienst durchdrungen ist von einer völlig willkürlich ausgeführten Kontrolle und Bestrafung. Es gibt keinerlei Regelungen, die wichtige Bereiche definieren würden, wie den Jahresurlaub, welche Art von Bestrafung bei Fehlverhalten vorgesehen ist oder der Beziehung zwischen Wehrpflichtigen und Vorgesetzten. Damit haben die Befehlshaber freie Hand bzw. sie können alles tun, was sie wollen, einschließlich unmenschlicher und erniedrigender Bestrafung, Ausbeutung der Arbeitskraft der Wehrpflichtigen zum persönlichen Vorteil und sexuelle Gewalt gegenüber weiblichen Rekrutinnen. All dies treibt die zwangsweise Migration voran.“ (3)

In einem Beitrag führte die in Nairobi lebende Asia Abdulkadir, Expertin zum Thema Gender und aktiv im Netzwerk eritreischer Frauen (NEW), auf der Konferenz aus, in welch vielfältiger Form Frauen der Gewalt ausgesetzt sind. „Heutzutage werden Frauen in Eritrea auf allen Ebenen diskriminiert. Es gibt zwar eine Reihe von Gesetzesreformen, um formal eine Gleichstellung zu erreichen. Diese werden aber nicht umgesetzt.“ (4) Weitverbreitet sind Genitalverstümmelungen, die 89% der Frauen betreffen. Bei Vergewaltigungen werden Frauen oft darauf verwiesen, den Vergewaltiger zu heiraten. „Der alltägliche sexuelle Missbrauch von Frauen“, so weiter Asia Abdulkadir, „und die allgemein harten Bedingungen im Nationaldienst bringen viele Frauen dazu, sich für eine Heirat, ungewollte Schwangerschaft und Unterbrechung ihrer Ausbildung zu entscheiden.“

Auf der Konferenz ergab sich am Schluss eine Diskussion dazu, ob die vorherrschende Willkür lediglich einer unzureichenden Regierungsführung geschuldet ist oder nicht vielmehr System hat. Martin Plaut wies darauf hin, dass die eritreische Regierung systematisch vorgeht und von der aktuellen Situation profitiert. Ein Beispiel dafür ist die Ausbeutung von Minen im Verbund mit der kanadischen Firma Nevsun Resources Limited, bei denen zur Gewinnung von Gold auch Wehrpflichtige als Zwangsarbeitskräfte eingesetzt werden. (5)

Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte Exilsteuer. Die niederländische Universität Tilburg legte dazu im Juni 2017 eine Studie vor, wie Mirjam van Reisen, die an der Studie mitwirkte, auf der Konferenz erläuterte. Demzufolge verlangen die Konsulate und Botschaften stellvertretend für die eritreische Regierung bei Inanspruchnahme von konsularischen Diensten die Zahlung einer 2%-Steuer auf das gesamte Einkommen. Die Studie zeigt, dass diese Steuer willkürlich, ohne klare Ziele und zwangsweise eingezogen wird. (6)

Schon 2011 hatte der UN-Sicherheitsrat darauf hingewiesen, dass „Eritrea Methoden der Erpressung, Drohung oder Gewalt sowie Betrug“ benutzt, um Steuern außerhalb von Eritrea von den eigenen BürgerInnen einzuziehen. (7) Zu diesem Zweck werden dafür auch noch in Eritrea befindliche Familienangehörige unter Druck gesetzt oder gar inhaftiert. Die Gelder der MigrantInnen werden so zu einer wichtigen Einnahmequelle für das eritreische Regime.

Ein besonders zynisches Beispiel ist, dass das eritreische Regime von der Flucht der eigenen Bevölkerung profitiert. „Die eritreische Regierung kontrolliert rigoros die Grenzen, auch durch die Einführung einer Politik der ‚Todesschüsse‘ gegenüber jeder Person, die versucht, unerlaubt die Grenzen zu übertreten. Zur gleichen Zeit gibt es zunehmend Beweise dafür, dass die gleiche Regierung vom Menschenhandel profitiert. Eritreer sind die Schlüsselfiguren beim Menschenschmuggel. Eritreer waren direkt an der Überwachung und Folter eigener Landsleute beteiligt, die in Sinai gefangen genommen wurden. Sie nutzten ihr Wissen dazu, die höchsten Lösegelder zu erzielen. Die vorliegenden Nachweise zeigen, dass es ein bestens organisiertes Netzwerk von hochrangigen Offizieren und Regierungsvertretern gibt, die zusammen mit Eritreern im Ausland den Menschenhandel von EritreerInnen kontrollieren und davon profitieren.“ (8)

Wie das aussieht, das zeigte auf der Konferenz Filmon Debru, den wir eingeladen hatten, um über seine eigenen Erfahrungen als Flüchtling zu berichten. „Aus einem sudanesischen Flüchtlingslager wurde ich entführt und in Ketten in den Norden Ägyptens gebracht und gefangen gehalten. Ich wurde gefoltert. Schließlich schafften es meine Familie und Freunde, das verlangte Lösegeld aufzubringen und ich wurde freigelassen.“ Weil er sich aber durch die Wunden eine Blutvergiftung zugezogen hatte, mussten ihm mehrere Finger an beiden Händen amputiert werden. Die TeilnehmerInnen der Konferenz waren in höchstem Maße beeindruckt, wie er trotz seiner Behinderung mit neuem Lebensmut in Deutschland seinen Weg geht.

Jeden Monat sind Tausende auf der Flucht

Die UN-Sonderberichterstatterin zur Situation der Menschenrechte in Eritrea, Sheila Keetharuth, hatte mit ihrem Vortrag die Konferenz eingeleitet. Sie verwies auf ihren im Juni 2017 gegenüber dem Menschenrechtsrat veröffentlichten Bericht (9) und erklärte: „Ich stellte (…) fest, dass eritreische Staatsbürger weiterhin unter willkürlicher Haft, Einzelhaft, Tod im Gewahrsam, Verschwindenlassen, Unterdrückung ihrer religiösen Freiheit und einem System des Nationaldienstes leiden, das im Effekt der Sklaverei gleichkommt. Frauen sind im Nationaldienst weiterhin Belästigungen und sexuellem Missbrauch ausgeliefert.“

In dem Bericht hatte sie auch aktuelle Zahlen über die Flüchtlinge vorgelegt. „Seit Anfang 2017 (bis Mitte März 2017) hat die Internationale Organisation für Migration einen akuten Anstieg mit über 4.500 Personen festgestellt, die die Grenze nach Äthiopien überschritten.“ Damit ist allerdings nur eines der Nachbarländer benannt, in das EritreerInnen flüchten, neben Sudan, Djibouti oder auch dem Jemen. Es wird davon ausgegangen, dass monatlich 5.000 Menschen bei einer Gesamtzahl von vier Millionen aus dem Land flüchten. (10)

EritreerInnen waren 2016 die fünftgrößte Gruppe von Geflüchteten, die Europa über das Mittelmeer erreichten. Es waren 21.253 Personen, was 6% entspricht. Eritrea war dabei das einzige Land unter den ersten fünf Ländern, in dem es keinen bewaffneten Konflikt gab. In Deutschland stellten 2016 insgesamt 12.291 EritreerInnen einen Asylantrag. (11)

Die meisten der eritreischen Flüchtlinge verbleiben in den Nachbarstaaten Eritreas. Viele aber suchen unter Lebensgefahr den Weg nach Europa. In einer Reihe von Zufluchtsstaaten ist Eritrea eines der Hauptherkunftsländer. Einige europäische Länder, darunter die Schweiz, Deutschland und Dänemark, versuchen die katastrophale Menschenrechtslage und die Verfolgungsgefahr für Flüchtlinge herunterzuspielen. Das hat in Deutschland bereits dazu geführt, dass EritreerInnen immer weniger den vollen Flüchtlingsstatus erhalten und stattdessen auf den rechtlich schwächeren sogenannten subsidiären Schutz verwiesen werden. Während noch Anfang 2016 fast jede/r als Flüchtling anerkannt wurde, sank die Zahl im Jahr 2017 auf nur noch 54% (12). Diese Entwicklung ist mit der unveränderten Situation in der Militärdiktatur nicht zu rechtfertigen.

Flüchtlingsabwehr und Khartoum-Prozess

„Eritreer kommen zu aller erst aufgrund der Sozialleistungen nach Europa.“ Diesen Kommentar erhielten wir wenige Tage, nachdem wir einen Bericht zur Konferenz veröffentlicht hatten. Der Kommentator bezog sich mit seiner Aussage auf den ehemals als Schweizer Botschafter in Äthiopien und Somalia tätigen Dominik Langenbacher, der von einer Einwanderungspolitik schwärmt, die ausschließlich wirtschaftliche Potenz und Arbeitsfähigkeit zu akzeptablen Kriterien für eine Migration erhebt. Wie sich die menschenrechtliche Situation in den Ländern darstellt, ist für ihn dann offensichtlich nicht mehr von Belang (13), eine zynische Haltung gegenüber denjenigen, die den unmenschlichen Bedingungen ausgeliefert sind.

Eine Politik, die die katastrophale Menschenrechtslage und die Verfolgungsgefahr in verschiedenen Ländern herunterspielt, ist inzwischen in Europa häufig anzutreffen. Am Beispiel Eritrea wird deutlich, wie so etwas funktioniert. Die Schweiz und Deutschland hatten im Februar und März 2016 Fact Finding Missions in Eritrea durchgeführt. Das Schweizerische Staatssekretariat für Migration legte daraufhin einen Bericht vor, der praktisch ohne weitere Änderung vom Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) übernommen wurde (14). Das ist eine EU-Behörde und die Übernahme eines Berichtes eines nicht der EU angehörenden Staates ist allein schon ein Novum.

Der Bericht zeichnet sich dadurch aus, dass er durch die ausführliche Darstellung der Position der eritreischen Regierung die Situation in Eritrea relativiert. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe schreibt dazu: „Die Migrationsbehörden konnten auf ihren Fact-Finding Missions in Eritrea grösstenteils nur Interviews mit eritreischen Regierungsvertretenden und ausländischen Diplomatinnen und Diplomaten sowie mit anderen, direkt oder indirekt von der eritreischen Regierung abhängigen Akteuren durchführen. Massgebliche internationale Standards können bei dieser Art der Beschaffung von Länderinformationen nicht eingehalten werden. Angaben der eritreischen Regierung sind nicht durch unabhängige Quellen vor Ort verifizierbar.“ (15) Gleichwohl wird seit der Veröffentlichung des Berichtes dieser auch in Deutschland in verschiedensten Urteilen herangezogen, um die Situation in Eritrea zu bewerten und Entscheidungen in Asylverfahren zu treffen. Damit wird dieser interessengeleitete Bericht zur Richtschnur für eine repressivere Praxis in den Asylverfahren.

Die Europäische Union und weitere europäische Länder setzen neben einer restriktiveren Handhabung der Asylverfahren auch auf die Abwehr von Migrationsbewegungen. 2004 war die Grenzschutzagentur Frontex gegründet worden, um eine einheitliche Grenzsicherung zu koordinieren. Ziel ist es, die möglichen Fluchtrouten zu stoppen und Flüchtlinge daran zu hindern, Transitländer wie Libyen, Ägypten oder Tunesien zu verlassen. Dabei setzt die EU auch auf die Zusammenarbeit mit Regierungen und Despoten in diesen Ländern. Ein Beispiel ist Libyen, wo eine Zusammenarbeit mit den verschiedenen Milizenführern erfolgt. Die wissenschaftliche Fachzeitschrift Foreign Policy schreibt dazu: „Besuche von fünf Verhaftungszentren und Interviews mit Dutzenden von Milizenführern, Regierungsvertretern, MigrantInnen und VertreterInnen von nichtstaatlichen Organisationen vor Ort zeigen, dass es die Konsequenz von Hunderten von Millionen Dollar ist, die als Unterstützung durch europäische Länder zugesagt und erwartet werden, da diese versuchen, die unerwünschte Flut von MigrantInnen außerhalb ihrer Küsten aufzuhalten. Die Europäische Union hat bislang 160 Millionen US-Dollar für neue Hafteinrichtungen zugesagt, um dort MigrantInnen einzulagern, bevor sie zurück in ihre Heimatländer geschickt werden können und um die libysche Küstenwache zu trainieren und auszustatten, damit diese MigrantInnen auf dem Meer abfangen kann.“ (16)

Diese Politik steht in Übereinstimmung mit den Vorschlägen des EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani. Er rief die EU dazu auf, Aufnahmezentren für Flüchtlinge in Libyen aufzubauen. (17) Martin Plaut schrieb dazu: „Die libyschen Zentren sollen nicht zu ‚Konzentrationslagern‘ werden, so wird (Tajani) zitiert, sondern es soll eine angemessene Ausstattung vorhanden sein, um sicherzustellen, dass Flüchtlinge unter würdigen Bedingungen leben und Zugang zu ausreichender medizinischer Versorgung haben. In der Realität sind die Haftzentren nicht weit entfernt von den von Tajani beschriebenen ‚Konzentrationslagern‘. Die grässlichen Bedingungen wurden gut dokumentiert und sind den europäischen Behörden bekannt. (18)

Zeitgleich zur Konferenz trafen sich in Brüssel auch die EU-Regierungschefs. Dort wurde beschlossen, Italien mehr Hilfe in Bezug auf Libyen anzubieten. „Wir haben eine echte Chance, die zentrale Mittelmeerroute zu schließen“, so erklärte der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, im Anschluss. Spontan bezogen TeilnehmerInnen des im Anschluss an die Konferenz stattfindenden Strategietreffens Stellung dazu: „Die Europäische Union arbeitet bereits mit der libyschen Küstenwache zusammen, um AfrikanerInnen zwangsweise in libysche Haftlager zurückzubringen, in denen Vergewaltigungen, Folter und Sklaverei an der Tagesordnung sind. Die Schließung der zentralen Mittelmeerroute für Flüchtlinge, die verzweifelt den berüchtigten Diktaturen in Afrika entfliehen, wird für sie katastrophale Folgen haben, für Menschen – unter ihnen viele Kinder – die alles riskieren, um der Unterdrückung zu entfliehen.“ (19)

Eine weitere Dimension der Flüchtlingsabwehr ist der sogenannte Khartoum-Prozess. „Damit sollen Menschen bereits am Verlassen ihres Herkunftslandes gehindert werden, unabhängig davon, ob dort ein Bürgerkrieg tobt oder autoritäre Regierungen an der Macht sind“ (20), schreibt Maria Oshana in der Zeitschrift Luxemburg.

Am 28. November 2014 trafen sich in Rom die EU-Außen- und InnenministerInnen, um die sogenannte „Khartoum Erklärung“ zu verabschieden. VertreterInnen von 58 Staaten Europas und Afrikas nahmen an den Verhandlungen teil. Der sogenannte Khartoum-Prozess soll zur Bekämpfung irregulärer Migration und krimineller Netzwerke die Kooperation zwischen der EU und Herkunfts- sowie Transitländern intensivieren. Kooperiert werden soll mit den Herkunftsländern Äthiopien, Sudan, Eritrea, Südsudan, Somalia, Djibouti und Kenia sowie den Transitländern Libyen, Ägypten und Tunesien. Deutschland übernehme dabei eine führende Rolle, so Amnesty International. (21) Die Organisation führt weiter aus: „Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit nehmen an Treffen des Steuerungskomitees teil, während die GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) die Leitung des umstrittenen Projektes „Better Migration Management“ hat. Das von April 2016 bis März 2019 laufende Projekt ist ein Grenzschutzprogramm, das die Strafverfolgungsbehörden und Grenzbeamten ostafrikanischer Länder unterstützen soll. Ziele sind die Vereinheitlichung von Migrationspolitiken in ostafrikanischen Ländern und der Aufbau eines regionalen Migrationsmanagements.“ (22)

Wenn wir uns dies am Beispiel Eritrea anschauen, wird die Tragweite deutlich. Der Aktionsplan umfasst ein Projekt zur „Stärkung der institutionellen und personellen Kapazitäten der eritreischen Regierung bei der Migrationskontrolle“ (23). Amnesty International führt im August 2017 aus, dass in „Eritrea im Rahmen des Programms Trainings geplant sind, in denen nationale Behörden und Justizbeamte hinsichtlich Menschenhandel und Schleuserkriminalität sensibilisiert werden sollen.“ (24)

Vor dem Hintergrund der Lage in Eritrea, und mit dem Wissen, dass der überwiegende Teil der eritreischen Flüchtlinge zumindest einen subsidiären Schutz erhält, bedeutet die ‚Stärkung der institutionellen und personellen Kapazitäten der eritreischen Regierung bei der Migrationskontrolle‘ nichts anderes, als dem Regime bei der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung zu helfen. „Damit“, so Maria Oshana, werden sie „von asylrechtlichem Schutz in der EU und in Deutschland ferngehalten“ (25). Das Regime wird aber auch weiter dazu befähigt, die Ausbeutung der eigenen Bevölkerung fortzusetzen.

Konferenz und Strategietreffen

Auf diesem politischen Hintergrund hatten Connection e.V., der Eritrean Movement for Democracy and Human Rights, Eritrean Law Society, War Resisters‘ International, Pro Asyl und Europe External Policy Advisors (EEPA) die Konferenz und das Strategietreffen organisiert. Unser Ziel war es, über die Beiträge der ExpertInnen und Flüchtlinge ein umfassendes Bild zu zeichnen. Vieles konnte so zusammengetragen und wird von uns auch für eine im Frühjahr erscheinende Dokumentation aufgearbeitet werden.

Im Vorfeld der Konferenz war die mögliche Einflussnahme der eritreischen Regierung ein Thema für die Vorbereitungsgruppe. Erfahrungen von Treffen anderer oppositioneller Gruppen zeigten, dass die eritreische Regierung über ihr nahestehende Organisationen und Personen versucht, die Inhalte von Treffen an sich zu reißen bzw. sie zu sprengen. Zudem werden Personen, die sich kritisch zur Regierungspolitik äußern, bedroht und möglicherweise ihre noch in Eritrea lebenden Angehörigen unter Druck gesetzt. Auch zur Konferenz kamen Unterstützer der PFDJ, der eritreischen Regierungspartei. Einige von ihnen bedrohten diejenigen Flüchtlinge, die der Versammlung über ihre Fluchterfahrungen berichtet haben. Wir konnten dies über strikte Versammlungsregelungen beenden. Es zeigt allerdings, wie stark angespannt die Situation in der Diaspora ist.

In der Vorbereitungsphase hatten wir die Idee gehabt, an die Konferenz ein Strategietreffen anzuschließen. Wenn sie schon alle da sind, so unsere Überlegung, können wir doch auch ein Treffen mit denen durchführen, die sich in den unterschiedlichsten Ländern für eritreische Flüchtlinge einsetzen. Das ging auf. Wir konnten so am zweiten Tag über ein Brainstorming und in verschiedenen Arbeitsgruppen einige Vorschläge für eine Weiterarbeit entwickeln: Gemeinsame Website, regelmäßiger Austausch, Unterstützung der Arbeit der UN-Sonderberichterstatterin und anderer UN-Gremien, Lobbyarbeit, jährliche Treffen. Wir hoffen, dass die beiden Treffen auf diese Art und Weise eine nachhaltige Wirkung entfalten können.

Rudi Friedrich

(1) Martin Plaut: Eritrea: a mafia state? Review of African Political Economy. 13.9.2017. dx.doi.org/10.1080/03056244.2017.1374939

(2) UN Office of the High Commissioner for Human Rights, 2016

(3) Gaim Kibreab: Reflections on the Causes of Displacement in Post-Independent Eritrea. 19.10.2017

(4) Dr. Asia Abdulkadir: The situation of women and girls in Eritrea, 19.10.2017

(5) Siehe Canadian Centre for International Justice: Appeal court confirms lsave labour lawsuit against Canadian mining company can go to trial. 21.11.2017. https://www.ccij.ca/news/press-release-nevsun-case/

(6) EEPA: New study confirms concerns over Eritrean deaspora tax in Europe. 20.9.2017. www.eepa.be/?p=1751

(7) Security Council Resolution 2023 (2011), Abschnitt 11

(8) Martin Plaut: Eritrea: a mafia state? Review of African Political Economy. 13.9.2017. dx.doi.org/10.1080/03056244.2017.1374939

(9) Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea, Sheila B. Keetharuth, to the Human Rights Council. 7.6.2017. A/HRC/35/39.

(10) Nicole Hirt: Flucht vor der Versklavung. Die Zeit, 14.6.2016

(11) BAMF Asylgeschäftsstatistik 12 / 2016

(12) Stand 30.9.2017, bereinigte Schutzquoten, d.h. nur rein inhaltliche Entscheidungen berücksichtigt. Quelle: Pro Asyl

(13) Blick.ch: "Afrika geht es viel besser, als wir glauben". Interview mit dem Ex-Botschafter Dominik Langenbacher. 7.10.2017.

(14) European Asylum Support Office. EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen - Eritrea: Nationaldienst und illegale Ausreise. www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/eri/ERI-ber-easo-nationaldienst-d.pdf

(15) Schweizerische Flüchtlingshilfe: Eritrea: Nationaldienst, Themenpapier der SFH-Länderanalyse. 30.6.2017.www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/afrika/eritrea/170630-eri-nationaldienst.pdf

(16) http://europeslamsitsgates.foreignpolicy.com/part-3-nearly-there-but-never-further-away-libya-africa-europe-EU-militias-migration, Zugriff am 12.10.2017

(17) www.politico.eu/article/antonio-tajani-calls-for-eu-to-open-refugee-reception-centers-in-libya, Zugriff am 11.10.2017

(18) Martin Plaut: The European Union and Eritrea. 19.10.2017. Hier verweist er z.B. auf: The Global Initiative against Transnational Organised Crime, The Human Conveyor Belt: trends in human trafficking and smuggling in post-revolution Libya, http://globalinitiative.net/report-the-human-conveyor-belt-trends-in-human-trafficking-and-smuggling-in-post-revolution-libya/, Zugriff am 13.10.2017

(19) Europäische Union verurteilt für Politik, das Mittelmeer für Flüchtlinge zu schließen. 20.10.2017. https://de.connection-ev.org/article-2527

(20) Maria Oshana: Wie die EU ihre Außengrenzen in Eritrea schützt. In: Luxemburg - Gesellschaftsanalyse und Linke Praxis, Heft 1/2016, April 2016

(21) Amnesty International: Europäische Migrationspolitik: Der Khartoum-Prozess, Aktualisierung August 2017. http://amnesty-sudan.de/amnesty-wordpress/2017/02/17/europaeische-migrationspolitik-der-khartoum-prozess/, Zugriff am 9.12.2017

(22) Ebd.

(23) EU, 2015: EU Meeting Document DS 1250/15

(24) Amnesty International, August 2017

(25) Maria Oshana, ebd.