spurensicherung

Larzac ist überall

Wie ging es nach dem Etappensieg seit Mai 1981 in Südfrankreich weiter?

| Wolfgang Hertle

Wolfgang Hertles Buch "Larzac 1971-1981" erschien 1982 im Verlag Weber, Zucht und Co. Heute ist es im Verlag Graswurzelrevolution erhältlich. (1) Nun wurde dieses Standardwerk über den gewaltfreien Widerstand gegen Militär, Staat und die Erweiterung eines Truppenübungsplatzes in Südfrankreich von Osman Murat Ülke (2) ins Türkische übersetzt. Die türkische Version erschien im November 2017 im KAOS Verlag in Istanbul. (3) Da seit der Veröffentlichung des Originals auf dem Larzac viele spannende Entwicklungen stattfanden, schrieb der GWR-Gründer für die türkische Ausgabe ein zusätzliches Kapitel über den Zeitraum Mai 1981 bis 2017, das wir hier gekürzt als deutsche Erstveröffentlichung abdrucken. (GWR-Red.)

Bis heute wirkt das Beispiel des Larzac-Widerstands inspirierend auf Basisbewegungen in aller Welt. Die Frage ist dabei, ob es sich beim Larzac um ein Beispiel handelt, das nachgeahmt werden kann oder um eine Ausnahme mit besonderen Voraussetzungen. Schließlich erweiterte Frankreichs Armee im selben Zeitraum einige andere Truppenübungsplätze, ohne auf vergleichbaren Widerstand zu stoßen.

Zu den Besonderheiten des Larzac-Kampfes gehören die Verbindung des Widerstandes mit überzeugenden praktisch-konstruktiven Alternativen und die Bereitschaft zu gegenseitiger Hilfe und aktiver Solidarität.

Solidarität während des Widerstandes von 1971 bis 1981

Der Zusammenhalt und die Einigkeit, wichtige Charakteristika des Larzac Kampfes, fanden ihren Ausdruck in verschiedenen Formen der Solidarität zwischen den Betroffenen:

– Mit dem „Schwur der 103“, den sie 1972 leisteten und 1975 erneuerten, verpflichteten sich die 103 von ursprünglich 109 Bauernfamilien zu gegenseitiger Solidarität, in der Weigerung, ihr Land an die Armee abzugeben. Da ein größerer Teil der Flächen nur gepachtet war, hieß die Forderung „Das Land soll denen gehören, die es nutzen“. Der Erwerb von Flächen, die der Staat für den Truppenübungsplatz aufkaufen wollte, in Genossenschaften (GFA) sicherte den Erhalt kleinerer Betriebe und verringerte die Kluft zwischen den großen und den kleinen Höfen. An den GFAs konnten sich auch Nicht-Landwirte durch zinslose Darlehen beteiligen. Die Empörung über den Sprengstoffanschlag, der im März 1975 die Wohnung einer Bauernfamilie in La Blaquière zerstörte, führte zum gemeinsamen Wiederaufbau und zusätzlich zu einem wunderschönen Schafstall, der trotz mehrfacher Illegalität vom Staat nicht angerührt wurde.

Die Bauerngemeinschaft gab auf GFA-Flächen neu angesiedelten Landwirten die notwendige materielle Unterstützung. Die Herde für den Hof Cavaliès entstand z.B. durch Schenkung von Schafen durch andere Bauern. Nachbarn spendeten viele Tage gemeinsamer Arbeit zur Ausbesserung landwirtschaftlicher Wege, und auf zahlreichen Baustellen.

Solidarische Aktionen von außen zur Unterstützung des Larzac

Die landesweite Solidarität mit den Larzac-Bauern kam aus unterschiedlichen politischen Bewegungen. Die Friedensbewegung, die Gewaltfreien, die Okzitanisten und die Linksradikalen reagierten 1971 als Erste auf die Ankündigung des Staates, den Truppenübungsplatz zu erweitern, während fast alle betroffenen Landwirte noch auf einen richtungsweisenden Aufruf des Bauernverbandes warteten. Gut 150 „Larzac- Komitees“, das heißt lokale Bündnisse aller Unterstützer*innengruppen, wurden in ganz Frankreich und in manchen Städten Europas gegründet. Jeden Monat trafen sich Delegierte der Komitees auf dem Larzac.

Das individuelle Engagement wurde verstärkt durch Kampagnen wie die Verweigerung von 3 % Steuern zugunsten der Aufbauprojekte auf dem Larzac, oder die demonstrative Rückgabe von Wehrpässen. In beiden Fällen folgte eine Welle von Prozessen gegen die zivil Ungehorsamen, durch die weitere Aufmerksamkeit für das umstrittene Themas entstand. Weitere Formen der Solidarität waren Demonstrationen und Fastenaktionen, freiwillige Arbeit oder der Erwerb von GFA-Anteilsscheinen. Kriegsdienstverweigerer und Totale Kriegsdienstverweigerer besetzten Gebäude auf bereits von der Armee gekauftem Land.

Manche kollektive Solidaritätsaktionen, wie 1975 der Kauf einer Parzelle durch die LIP-Arbeiter oder durch die Redaktion des Satiremagazins „Canard enchainé“, brachten „politisches Kapital“ ein. Landesweite politische Bewegungen wie Parteien, Gewerkschaften und Bauern beteiligen sich an der Organisation von Großkundgebungen. Prominente Persönlichkeiten wie der katholische Priester Jean Toulat, der Gründer der Arche-Gemeinschaft Lanza del Vasto, der General de la Bollardière, der Admiral Antoine Sanguinetti, der Philosoph Jean-Paul Sartre, der Sänger Graeme Allwright, die Theaterdramaturgin Ariane Mnouchkine bekundeten ihre Solidarität.

Solidarität, die vom Larzac ausgeht

Den Larzac-Bauern war es aus politischen wie aus strategischen Gründen wichtig, sich in globale Zusammenhänge einzuordnen. Sie knüpften daher Kontakte zu anderen Bewegungen und führten dabei Aktionen mit starker Symbolwirkung durch, wie 1972-73 Geldsammlungen und die Lieferung von Lebensmitteln an streikende Arbeiter der Lederindustrie in Millau. Sie versammelten im August 1974 unter dem Motto „Getreide bringt Leben – Waffen bringen Tod“ 100.000 Menschen zum Erntefest zugunsten der unter einer starken Dürre leidenden Sahel-Zone. Sie gestalten gegenseitige Solidarität mit den Arbeiter*innen der besetzten Uhrenfabrik LIP in Besançon, dem großen Arbeitskampf der 1970er Jahre. Unter dem Motto „Larzac ist überall“ unterstützen sie diverse lokale Widerstandsgruppen, z.B. gegen den Bau eines AKWs in Braud et St. Louis und eines Staudamms in Naussac. Sie beteiligen sich am Widerstand gegen den Bau des AKW Plogoff (Bretagne) und übergeben dort als Geschenk 30 Larzac-Schafe – in einem Stall, der auf dem Bauplatz des geplanten Atomkraftwerks neu gebaut worden war.

Aktive Solidarität vom Larzac nach außen von 1981 bis heute

Am Ende des Larzac-Kampfes wollten die Bauern die ihnen geschenkte Solidarität erwidern: „retour de la solidarité“. Sie gründeten 1982 die „Larzac-Stiftung“, 1999 in „Larzac-Solidarité“ umbenannt. Der erste Schritt der Stiftung war die Herausgabe des Buches „alors la paix viendra…“ (Dann wird der Friede kommen), das zugunsten von Bewegungen im globalen Süden (Neu-Kaledonien, El Salvador usw.) verkauft wurde.

Die Stiftung organisierte Solidaritätsaktionen zusammen mit anderen Strukturen der Larzac-Region wie APAL (Verein zur Weiterentwicklung des Larzac), Cun du Larzac (Zentrum für gewaltfreie Aktion), AVEM (Verein der Tierärzte und Viehzüchter der Region Millau), Confédération Paysanne-Aveyron (Bäuerliche Föderation im Departement Aveyron) und den Informationsorganen des Larzac, der seit Juli 1975 monatlich erscheinenden Zeitschrift „Gardarem Lo Larzac“, und den Informationsdiensten von Larzac-Solidarité und Cun du Larzac.

1982 reiste eine Delegation von Bauern und Larzac-Aktivist*innen nach Japan, um den Widerstand gegen die Erweiterung des Flughafen bei Tokyo, Narita-Sanrizuka zu unterstützen. Im August 1983 fand auf dem Larzac eine Demonstration von 15.000 Personen für den „gel du nucléaire“ im Kampf gegen die Stationierung der Mittelstreckenraketen in Europa statt. Damit wurde erstmals nach der Wahl die Politik des Staatspräsidenten Mitterand von links deutlich kritisiert.

Ab 1985 wird die Solidarität mit dem kanakischen Volk – die Ureinwohner*innen von Neu-Kaledonien bezeichnen ihre Heimat Kanaky – durch Besuche von Vertreter*innen der Autonomiebewegung auf dem Plateau bekräftigt sowie durch zahlreiche Aufenthalte von Larzac- Bewohner*innen in Neu-Kaledonien, Spendensammlungen oder dem Geschenk einer Parzelle Landes und dem Bau einer Hütte als „Botschaft Kanakys“ auf dem Larzac.

1995 reiste, wie schon 1973, eine Larzac-Delegation nach Polynesien, um Solidarität mit dem Maori-Volk im Widerstand gegen die Atomtests in Mururoa zu bezeugen.

Larzac-Bewohner*innen nahmen in Palästina an zivilen Missionen der Internationalen Zivilen Kampagne für den Schutz des Palästinensischen Volkes teil, bevor „Larzac Solidarités“ die Gründung eines „Comité Palestine-12“ anregt, mit dem Ziel, die Bevölkerung mit Informationsveranstaltungen, Presseerklärungen sowie einer wöchentlichen Schweigestunde in Millau für das Schicksal Palästinas zu sensibilisieren.

Seit dem Jahr 2000 organisiert AVEM Besuche von Bauern aus dem Departement Aveyron in Ländern des globalen Südens sowie Seminare für Landwirte und Viehzüchter aus Algerien und dem Senegal in der Larzac-Region. Seit den 70er Jahren kamen zahlreiche Vertreter*innen von Bauernverbänden z.B. aus Kolumbien, Spanien, El Salvador, Indien usw. auf den Larzac, um sich zu informieren und von den Erfahrungen des Larzac z.B. mit gewaltfreiem Widerstand und kollektiver Verwaltung der Ländereien zu lernen.

Widerstand und eigenständige Regionalentwicklung

Als Francois Mitterand 1981 zum Präsidenten der Republik gewählte wurde, annullierte er das Vorhaben, den Truppenübungsplatz Larzac zu erweitern. Nun galt es, neue Landwirte auf den befreiten Höfen und Ländereien anzusiedeln. Aber wer sollte Eigentümer und Verwalter der 6000 ha Land werden, die der Staat erworben hatte? Die Larzac-Bauern mussten noch viel politischen Druck entwickeln, um eine stabile rechtliche Form für ihren kollektiven Landbesitz zu erreichen: erst 1985 wurden die Flächen, die dem Landwirtschaftsministerium unterstellt waren, durch einen Erbpachtvertrag für vorerst 60 Jahre den Larzac-Bauern bzw. der SCTL (Zivile Gesellschaft zur kollektiven Verwaltung der Bodenflächen auf dem Larzac) anvertraut .

Von der Last der Landbesitz-Frage befreit, müssen sich die Bauern gegen die Einführung von Milch-Quoten wehren, um die kleineren Betriebe aufrecht zu erhalten und zu sichern. Ein „Roquefort-Komitee“ wird gegründet, das später zum Syndikat der Schafmilch-Produzenten wird. Um nicht allein von den herkömmlichen Vertriebswegen abhängig zu sein, schließen sich die Bauern zur Wirtschaftlichen Interessengemeinschaft der Grandes Causses für den Direktverkauf ihrer Produkte zusammen (Causse bedeutet Kalkhochebene).

Als symbolische Offensive gegen die Herrschaft der Waren über die Welt demontierten Larzac-Bauern 1999 vor Beginn des Weltsozialforums in Seattle die Baustelle für eine Mac Donalds-Filiale in Millau. Der Larzac fühlt sich solidarisch mit den weltweiten Bewegungen gegen die Atomindustrie, gegen die neoliberale Globalisierung, gegen Gen-Manipulation von Lebensmitteln und weitere Schäden der Industriegesellschaft. Um eine gerechte und friedliche Welt mit aufzubauen, nimmt der Larzac an internationalen Demonstrationen gegen die großen Institutionen des Neoliberalismus, wie die Welthandels-Organisation und die Weltbank (Seattle 1999, Davos 2000 und 2001, Prag 2001, Cancun 2003), sowie an alternativen Gipfeltreffen „für eine andere Welt“ (Porto Alegre 2001, 2002, 2003, Florenz 2002, Paris 2003) teil.

Auf nationaler Ebene mobilisierte der Larzac mehrfach die Sozialen Bewegungen durch die Organisation von Großkundgebungen (Millau 2000, Larzac 2003) nach dem Vorbild der Demonstrationen während des Kampfes gegen die Erweiterung des Truppenübungsplatzes. Dies illustriert die Entwicklung von einer lokalen Auseinandersetzung über die Verfügungsmacht über den Boden zum globalen Widerstand.

Das Militär hat nicht aufgegeben – Der Kampf muss weitergehen

36 Jahre später wehren sich Landwirte und andere politisch Aktive gegen die Installierung von 1200 Fremdenlegionären auf dem Truppenübungsplatz bei La Cavalerie / Larzac. Diese waren Jahrzehnte lang in Djibouti und Abu Dhabi stationiert und wurden im Rahmen des Ausnahmezustandes nach Frankreich verlegt.

„1995 fuhren wir nach Tahiti, aus Solidarität unter den Widerstandsbewegungen und trugen T-Shirts mit dem Aufdruck „Larzac-Maori-Solidarität“, erklärt Christine Thelen, 63. Wie viele andere hat sie sich in den 70er Jahren auf dem Larzac niedergelassen und versteht sich heute als „Feldbefreierin“, als aktive Gegnerin des Staudamms von Sivens und des Großflughafen-Projektes Notre Dame des Landes, als Unterstützerin der Palästinenser und als Helferin für Flüchtlinge.

In diesen Schmelztiegel der Protestbewegungen, des Zivilen Ungehorsams und des Antimilitarismus schlägt am 31.7.2015 die Ankündigung des Verteidigungsministers, die 13. Halbbrigade der Fremdenlegion auf dem Larzac zu stationieren, wie „eine Bombe“ ein. 460 Legionäre kamen im Jahr 2015, bis 2018 sollen es 1200 werden.

Bis zum Abzug des CEITO (Centre d‘ expérimentation de l’infanterie au tir opérationel), wo seit den 80er Jahren Schießübungen durchgeführt wurden, waren auf dem Truppenübungsplatz zuletzt noch 172 Soldaten stationiert. „Seit 2011 gab es Gerüchte über die baldige Schließung des Truppenübungsplatzes und wir dachten schon, es sei endlich soweit, dass der Larzac wieder völlig zivil und friedlich würde“, meint der 81jährige Alain Desjardin. Damit ist es wohl erst einmal vorbei. „Ausgerechnet die Fremdenlegion. Die schlimmste Einheit der ganzen Armee!“, hört man von Bauern, „ein schreckliches Symbol, ein echter Schlag ins Gesicht des Larzac, vor allem aber eine Provokation“.

Vieles verläuft ähnlich wie Anfang der 1970er Jahre

Die Entscheidung wurde ohne vorherige Information oder Abstimmung mit den Anwohner*innen getroffen. Höhere Beamte und regionale Politiker*innen wurden dagegen lange vor den Bauern informiert und mit Geldzusagen geködert. Mit der Ankunft zusätzlicher Soldaten soll viel öffentliches Geld in die Region fließen, während Kredite und Zuschüsse für zivile Projekte schwer zu bekommen sind. Im August 2015 war noch von 40 Millionen Euro die Rede, im Oktober versprach die Regierung in Paris schon 116 Millionen, um der Region die Stationierung schmackhaft zu machen. Wie damals behaupten interessierte Kreise, der Larzac sei eine unterentwickelte Region. Der französische Staat versucht mit gewissem Erfolg das Verhältnis der Kräfte zu seinen Gunsten zu verschieben, die Bevölkerung zu spalten, die Soziale Bewegung zu schwächen, die hier so viele Kämpfe geführt hat.

Seit 1981 hat sich die Region in eigener Initiative aktiv weiter entwickelt: die ländliche Bevölkerung wuchs hier von 1970 bis 2012 um 26 % (eine im Vergleich zum übrigen Frankreich einzigartige Entwicklung), die landwirtschaftlichen Betriebe vermehrten sich von 108 im Jahr 1979 auf heute 130 – anders als im Rest des Departements, wo die Zahl der Höfe in den vergangenen Jahren um 1600, d.h. um 10 % zurückging.

Beispiele für die vielen Verbesserungen der lokalen und regionalen Ökonomie: Seit 2003 gibt es z.B. in Millau den „marché paysan“, einen von 30 Höfen getragenen Laden zur Direktvermarktung regionaler Produkte. Die wirtschaftlichen Aktivitäten wurden diversifiziert: produzierten die Larzac-Bauern bis 1971 fast ausschließlich Schafsmilch für die Käseindustrie in Roquefort, so enthält die Produktionspalette heute auch Hühner, Rinder, Schweine, Angoraziegen, essentielle Öle und Honig. Neu dazu kam eine kleine Brauerei, eine Bäckerei, Anbau und Verarbeitung aromatischer Pflanzen für Apéritif, Schnäpse, Essig. Seit 1996 arbeitet „Les bergers du Larzac“, eine eigene Käserei getragen von 30 Familien mit 32 Angestellten, die gerade dabei ist, ihre Produktion zu verdoppeln.

All diese Produkte sind in den Sommermonaten auch auf den Wochenmärkten in den Weilern Montredon, Potensac und La Courvertoirade zu finden, sowie in der „Jasse – Maison du Larzac“ (ehemaliger, zum Informations- und Versammlungsort ausgebauter Schafstall an der D 809) sowie in weiteren Geschäften, in Touristen-Unterkünften, Campingplätzen und Restaurants.

Die Revitalisierung der landwirtschaftlichen Aktivität und begleitender Berufe, wie Drechsler, Töpfer, Bauhandwerker u.v.a.m. hätte es nicht gegeben ohne die intensive Arbeit des Nachdenkens, des miteinander Diskutierens und des Teilens, wie es sich seit Beginn des Kampfes entwickelt hat. All das geschah, ohne dass die Bauern auf Anweisungen von oben gewartet hätten.

Die wirtschaftliche Seite ist Ausdruck der kollektiven Kreativität, begünstigt durch die Vitalität des sozialen Gefüges. Ein Netzwerk von Vereinen und Kollektiven berührt alle Lebensbereiche und ist Ausdruck von individueller und kollektiver Autonomie.

Trotzdem wird erneut behauptet, der Larzac und die umliegenden Täler seien „unterentwickelt“ und die Ankunft der Fremdenlegion sei die „einzige Möglichkeit“, die Wirtschaft der Region anzukurbeln. Einmal angenommen, der Larzac wäre tatsächlich unterentwickelt, weshalb hilft dann der französische Staat erst jetzt und verknüpft es mit einer militärischen Umstrukturierung?

In Wirklichkeit geht es darum, all das verschwinden zu lassen, was vor Ort seit Jahrzehnten in eigener Regie von unten entwickelt wurde – und was Wege zu weiteren machbaren Alternativen aufzeigen kann.

Die Einheit der Larzac-Bevölkerung, eine wesentliche Voraussetzung, um den Erweiterungsplan zu verhindern, ist heute nicht mehr im selben Maße gegeben wie im Widerstand der 70er Jahre. Die damals kämpferische Generation ist alt geworden, ihre Kinder sind mit der Bewältigung des Alltags beschäftigt. Sichtbarer Protest kommt heute eher von Menschen, die sich in den letzten Jahrzehnten auf dem Plateau niedergelassen haben.

Besonders schmerzhaft ist der Bruch in der „Confédération paysanne“ zu spüren, einer Organisation fortschrittlicher Bauern, die den Larzac-Aktiven viel bedeutet und zeitweise von José Bové, heute Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, angeführt worden war.

„José, unser Kamerad in vielen bisherigen Kämpfen, behauptet, die Ankunft der Legionäre sei ein Nicht-Ereignis“, ereifert sich Christine. „Er hat seine Überzeugungen vergessen! Wir sind völlig platt über seine Haltung, am Schluss haben wir uns angebrüllt.“

Auf den Vorwurf, zum Lager der Camp-Befürworter übergelaufen zu sein, erwidert Bové: „Für mich stellt das keine wesentliche Veränderung dar. … Ja wir haben damals alle gegen die Erweiterung des Camps gekämpft und wir haben gewonnen, weil Mitterand 1981 das Projekt abgesagt hat. Seitdem folgte ein Regiment auf das andere. Heute geht es nicht darum, den Truppenübungsplatz zu erweitern, es ist lediglich ein Mieterwechsel.“

Wer den Larzac bisher als einen vorbildlichen gewaltfreien Widerstand der betroffenen Bevölkerung kannte, mag enttäuscht sein, dass der Antimilitarismus nicht dazu reichte, den alten Truppenübungsplatz aufzulösen. Doch das war nie der Konsens-Kern für die Einheit der 103 Bauernfamilien, die auf den 14.000 ha Land bleiben und weiter wirtschaften wollten und sich gemeinsam gegen die Vertreibung wehrten. Als sich die zivile Bewegung 1981 gegen die Armee durchgesetzt hatte, entwickelte sich ein allerseits akzeptierter Status quo: Die Armee bleibt innerhalb ihres Geländes und die Bauern auf deren Terrain.

Hier liegt der Unterschied zur heutigen Situation sowohl in der Motivation als auch in den Möglichkeiten des Widerstandes. Es geht dem Militär nicht um die Vergrößerung des eigentlichen Truppenübungsplatzes. Daher entzünden sich die heutigen Auseinandersetzungen um Manöver und Übungsmärsche der Fremdenlegionäre außerhalb des Camp du Larzac. Trupps von Soldaten marschieren mit Waffen und Sturmgepäck durch Dörfer und nutzen landwirtschaftliche Wege für ihre Gewaltmärsche. Angeblich gibt es dafür auf dem 3000 ha großen Militärgelände zu wenig Raum, da es durch die Jahrzehnte langen Schießübungen und durch nicht explodierte Munition belastet sei! Der Camp-Kommandant weist Klagen gegen Manöver außerhalb des Camps zurück: „Die Armee ist überall zuhause.“

Gardem Lo Larzac (4), ein im Sommer 2015 gegründetes Kollektiv von Bauern und Larzac-Einwohner*innen gegen die verstärkte militärische Präsenz in der Region, organisiert deshalb die Kampagne „weißes Képi“ mit der Aufforderung an alle Anwohner*innen, zu melden, wann immer sich Trupps von Legionären außerhalb ihres gekennzeichneten Geländes aufhalten.

Die Initiative betreibt vor allem Öffentlichkeitsarbeit mit Flugblättern, Leserbriefen und auf Facebook. In der Kleinstadt Millau organisiert die eher kleine Gruppe Aktionen und Versammlungen, gelegentlich wird auch eine Militärparade oder eine andere Veranstaltung der Legion gestört oder verhindert. Eine größere Kundgebung fand am 18. Juni 2016 unter dem Titel „Larzac debout“ in und um den Weiler La Blaquière statt. (5)

In La Blaquière steht der berühmte illegal gebaute Schafstall, Symbol des konstruktiven Widerstandes, „eine zu Stein gewordene Demonstration“. Er wird auch als „die Kathedrale des Widerstandes“ bezeichnet.

Wolfgang Hertle

(1) Siehe: www.graswurzel.net/verlag/wz_larzac.php Sehr zu empfehlen ist neben dem Buch auch der Film "Tous au Larzac" (Larzac - Gewaltfreier Widerstand in Südfrankreich): http://castor.divergences.be/spip.php?article541

(2) Siehe auch: Ot Kökü - Graswurzelbewegung in der Türkei. Interview von Bernd Drücke mit dem Anarchisten und Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke: http://www.graswurzel.net/253/ossi.shtml

(3) ISBN 9789757005513: https://www.kitapsec.com/Products/Larzac-1971-1981-Kaos-Yayinlari-250148.html

(4) "Lasst uns den Larzac bewahren". nicht zu verwechseln mit der seit 1975 monatlich erscheinenden Zeitschrift Gardarem Lo Larzac (Wir werden den Larzac bewahren) https://www.facebook.com/CollectifGardemLoLarzac/?fref=ts

(5) Am 18. Juni 1940 rief General de Gaulle von London über BBC die Franzosen auf, den Widerstand fortzusetzen