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Surprise! Siege auf feindlichem Terrain

Gericht gewährt dem Hambacher Wald Schonfrist - Zeit für Besinnung

| Rüdiger Haude

Für Umweltbelange vor Gericht zu gehen, heißt, auf feindlichem Terrain zu operieren. So formulierte es die australische Rechtswissenschaftlerin Nicole Rogers 2016 in einem Sammelband zur Kulturgeschichte des Klimas. (1)

Es ist eben die ureigenste Aufgabe der Gerichte, das bestehende System aufrechtzuerhalten; und, da dieses System voller Widersprüche steckt, im Zweifelsfall für die mächtigeren Akteure zu entscheiden. Wer zudem einmal einen Blick in die Jurist*innen-Ausbildung in Deutschland geworfen hat, weiß, wie unwahrscheinlich die Figur eines kritischen Juristen sein muss.

Und doch hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm am 30. November 2017 die Klage des peruanischen Bauern Saul Luciano Lliuya angenommen, dessen Dorf Huaraz durch die Gletscherschmelze in den Anden bedroht ist. Lliuya hat den deutschen Energiekonzern RWE als einen globalen Großverursacher des menschengemachten Treibhauseffekts auf Zahlung eines Teils der Kosten für Schutzmaßnahmen seines Dorfs verklagt. Eigentlich ist die systematische Verantwortungslosigkeit von Big Coal und Big Oil, die unsere Erdatmosphäre als kostenlose Müllkippe für ihre Treibhausgase benutzen, vor Gerichten weltweit sakrosankt. Was ist passiert?

Fast gleichzeitig hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster einem Eilantrag des Umweltschutz-Verbandes BUND stattgegeben, die Vernichtung des Hambacher Waldes bei Aachen vorerst einzustellen. Unter den noch vorhandenen Resten dieses einzigartigen Waldes liegt Braunkohle, mit deren Verbrennung RWE noch jahrzehntelang auf Teufel komm raus Profit machen möchte.

Gerade das OVG Münster, das seit Jahrzehnten für besonders reaktionäre Rechtsprechung berüchtigt ist! Es argumentierte nun, der vorläufige Rodungsstopp sei unter anderem „zur Vermeidung des Eintritts irreversibler Zustände erforderlich“. Die Vernichtung von Bäumen ist in der Tat irreversibel. Was veranlasst das OVG, plötzlich vernünftig zu argumentieren und damit zugleich der schwarzgelben Landesregierung von NRW und einem der mächtigsten Konzerne in Deutschland auf den Schlips zu treten?

Nun, Gerichte im Kapitalismus fällen ihre Entscheidungen in Abwägung von zwei Faktoren: a) die geltenden Gesetze, b) die vorhandenen Machtkonstellationen. Der Faktor b) fällt im Normalfall zugunsten von Großkonzernen aus, aber in seltenen Fällen kann die Zivilgesellschaft durch eine starke Mobilisierung jene Konzerninteressen übertrumpfen. Ist vielleicht Ende 2017 eine solche Situation erreicht?

Traditionell darf RWE im Oktober jedes Jahres anfangen, Waldstücke im Vorfeld des näher rückenden Braunkohle-Baggerlochs Hambach zu vernichten. Im Jahr 2017 hat der Konzern die Weltklimakonferenz COP 23 in Bonn abgewartet (die ja auch mit großartigen Besetzungsaktionen von „Ende Gelände“ begleitet wurde (vgl. Artikel in dieser GWR, Seite 4 f.). Kurz nach dem Ende der COP lehnte das Verwaltungsgericht Köln zunächst den BUND-Antrag auf Aussetzung der Rodungen ab. Unmittelbar danach, am 20. November, ließ RWE seine „Harvester“ und die Polizei ihre Hundertschaften anrücken. Massive Pfefferspray-Angriffe auf friedliche Demonstrant*innen lieferten hässliche, eindrucksvolle Bilder. Schlechtes Timing, grottige PR für die Braunkohle-Fanatiker! In der Öffentlichkeit – auch international – ist RWE zunehmend in der Defensive. Am 13. Dezember 2017 hat RWE schriftlich bestätigt, bis zum Jahresende keine Bäume mehr fällen zu wollen.

Auf der Bonner Klimakonferenz waren die Zusammenhänge wieder ins Bewusstsein gerückt worden: Indem unser industrielles System fossile Brennstoffe aus dem Boden holt, führt es eine katastrophale Erderwärmung herbei. Hierunter leiden am meisten solche Weltregionen, die am wenigsten dazu beitragen und die auch am wenigsten die Mittel haben, sich vor den Folgen zu schützen. Und: Kein fossiler Brennstoff ist so schädlich wie die Braunkohle, bei deren Verbrennung Deutschland immer noch Weltmeister ist. Alle Welt weiß heute, dass ein rascher Ausstieg aus der Braunkohle in Deutschland aus Klimaschutzgründen unverzichtbar ist – außer RWE, ihren Bütteln von der Gewerkschaft IGBCE, und dem einen oder anderen Lohnschreiber in der Lokalpresse, der „Terroristen im Hambacher Forst“ herbeifantasiert.

Das wichtigste Symbol der Auseinandersetzung zwischen dieser Betonkopf-Fraktion und den Klimaschutzinteressen ist eben jener Hambacher Wald. Und wer heute die Reste des Waldes besucht, denkt unwillkürlich: „Wow!“ Wo vor einem halben Jahr vielleicht fünfzehn Baumhäuser der Waldbesetzer*innen hoch über den Köpfen schwebten, sind es jetzt dreimal so viele, und man sieht dort auch dreigeschossige Bauwerke. Wäre die Rodungssaison, die diesmal auch diese Blockadia-Siedlungen mit Namen wie „Oaktown“ oder „Gallien“ betreffen sollte, nicht nach zwei Tagen unterbrochen worden, es hätte mit Sicherheit krasse Auseinandersetzungen gegeben. Ein doppeltes, drei- und vierfaches Zerstörungswerk: am Wald, am globalen Klima, an echten Meisterwerken der Architektur, an der faszinierenden alternativen Sozialstruktur der bunten, sehr internationalen Wald- und Klimaschützer-Szene, die all das aufgebaut hat.

Und doch ist die Resonanz auf das Gerichtsurteil unter den Aktivist*innen gespalten. Neben der reinen Freude hört man auch Stimmen, die diesen sozusagen reformistischen Fortschritt als Beeinträchtigung des grundsätzlichen Kampfes sehen: gegen die zerstörerische Braunkohle-Wirtschaft von RWE, gegen das kapitalistische System. Es sind durchaus unterschiedliche Ansichten zur Frage der Militanz vertreten bei den Waldschützer*innen. Auch Gewalt gegen Menschen ist nicht bei allen prinzipiell tabu. Sollten – wie schon geschehen – Steine gegen Polizist*innen oder RWE-Sicherheitsbüttel fliegen, so befürchten viele Aktivist*innen und große Teile der Unterstützer*innen-Szene, dann könnte es zu einer Räumung der Waldbesetzung kommen, was – auch ökologisch – kaum weniger verheerend wäre als die eigentlich von RWE geplante Rodung. Es ist eine wichtige Aufgabe der kommenden Wochen, eine Entsolidarisierung der verschiedenen Positionen zu vermeiden; als wichtiger Schritt erscheint mir hier die Erarbeitung eines Aktionskonsenses, der Gewalt gegen Menschen ausschließt.

Dass die Gegenseite (Staat und Kapital) es just auf eine Entsolidarisierung unter den Klimaschützer*innen anlegt, ist ein alter Hut. Die vielfachen Erfahrungen ebenso sinn- wie hemmungsloser Gewaltsamkeit durch Polizist*innen und RWE-Werksschützer*innen sind eine echte Herausforderung für jede Strategie der Gewaltfreiheit. Gerade in der jetzigen Phase der eigenen Überlegenheit in der öffentlichen Wahrnehmung wäre aber zu wünschen, dass eine gewaltfreie Strategie zivilen Ungehorsams sich durchsetzt.

Die breite öffentliche Solidarität mit den Waldschützer*innen und die relativ freundliche Berichterstattung in den Medien kann genau dann aufrechterhalten werden. Denn die Solidaritäts-Szene für die Waldbesetzer*innen wächst im Rheinland. Erst vor einigen Tagen hat sich eine Unterstützer*innengruppe in Aachen (wo diese Zeilen geschrieben werden) zusammengefunden, die in den kommenden Wochen mit einer Reihe kreativer und ungehorsamer Aktionen an die Öffentlichkeit treten wird. Bereits jetzt hat sie begonnen, dem vielbesuchten Aachener Weihnachtsmarkt eine besondere, besinnliche Note zu verpassen (siehe Kasten). Aus Köln hört man Ähnliches. Die Waldfrevler und Klimakiller von RWE sollen sich auch künftig nicht entspannt zurücklehnen können. Die Wahrheit über die Folgen der Braunkohle-Wirtschaft soll noch stärker an die Öffentlichkeit gebracht werden:

Der Tagebau zerstört Biotope, erstklassige landwirtschaftliche Flächen, Dörfer mit ihren gewachsenen Gemeinschaften.

Er setzt – ebenso wie die Verbrennung der Kohle – Giftstoffe frei, welche die Gesundheit der Anwohner*innen schädigen. Quecksilber, Feinstaub, Schwefelverbindungen, Uran, Blei, Stickoxide usw. sorgen nicht zuletzt für volle Wartezimmer in den Praxen der rheinischen Kinderärzte.

Da Braunkohlekraftwerke nur schlecht geregelt werden können, widerspricht ihr Betrieb der Logik der künftigen Energieversorgung aus Sonne und Wind, welche unregelmäßig anfallen. Braunkohle ist schon heute krass dysfunktional im deutschen Energiesystem, wo zuweilen Strom schon zu „negativen Preisen“ über die Grenzen hinweg verkauft wird (d.h., es wird dafür draufgezahlt, dass der Strom abgenommen wird).

Braunkohleverstromung ist, gemessen an den produzierten Kilowattstunden, die klimaschädlichste Weise, Strom zu erzeugen.

Aus all diesen und noch einigen weiteren Gründen ist die Braunkohle überaus gemeinwohlschädigend. Dennoch haben Gerichte immer wieder die Enteignung von Landbesitzer*innen zugunsten von RWE mit einer angeblichen Gemeinwohl-Förderung der Braunkohle begründet.

Doch nun gibt es ein Möglichkeits-Fenster, dass einzelne Richter*innen die gesellschaftlich vorherrschende Einsicht in die Gefahren der Erderwärmung, bzw. sogar diese Gefahren selbst, ins Kalkül ihrer Urteilssprüche mit einbeziehen. Sowohl im Falle des Hambacher Waldes als auch im Falle des Peruaners Lliuya stehen die Gerichtsurteile in der Sache ja noch aus. Es geht darum, den gesellschaftlichen Druck zu erhöhen, um Urteile im Sinne des Klimaschutzes zu – ja: zu ertrotzen.

Damit die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse dies hergeben, ist der zivile Ungehorsam im Hambacher Wald und drumherum unverzichtbar. Den teilweise schon seit Jahren dort ausharrenden Waldschützer*innen kann man auch deswegen nicht genug danken. Selbst – oder gerade – wenn es einigen von ihnen als Zumutung erscheinen mag, dass ihr Protest noch nicht den ersehnten „system change“ bewirkt, sondern graduelle Verbesserungen im bestehenden politischen, juristischen und ökonomischen System. It’s the dialectics, stupid!

Rüdiger Haude

(1) Bristow, Tom; Ford, Thomas H.: A Cultural History of Climate Change. London/New York 2016.