Es ist äußerst erfreulich, dass Anne Niezgodka vom Archiv für alternatives Schrifttum in der GWR 424 an die Arbeit der SOdZDL aus der Perspektive einer engagierten Archivarin erinnert hat. Umso besser ist es, wenn die aus den Archivmaterialien gewonnenen Erkenntnisse von direkt Beteiligten wie Elmar Klink ergänzt werden. So interessant und teilweise faszinierend und sachkundig seine Ausführungen sind, ist doch manches in seinem Beitrag ärgerlich.
SOdZDL ein Anhängsel?
Elmar Klink diffamiert die SOdZDL der 1990er Jahre als „Anhängsel der DFG-VK Gruppe in Frankfurt“, ohne auch nur mit einem Wort zu belegen, inwiefern sie ein Anhängsel gewesen sein soll.
Diese Aussage ist unwahr und unfair sowohl gegenüber der SO als auch gegenüber der DFG-VK Frankfurt. Damals beherbergten die Räume der DFG-VK Frankfurt neben der Landesgeschäftsstelle der DFG-VK Hessen auch die Bundeszentrale der SO. Außerdem trafen sich in den Räumen auch etliche andere Gruppen mit unterschiedlichsten Tendenzen und Herkunftsländern. Aus einer Bürogemeinschaft und einem Mietverhältnis ergibt sich keineswegs, dass eine Gruppe ein politisches Anhängsel einer anderen ist. Eine politische Einflussnahme der DFG-VK Frankfurt auf die SOdZDL habe ich als ebenfalls dort tätiger Landesgeschäftsführer der DFG-VK Hessen nie beobachten können. Mangels Doppelmitgliedschaften unter den Aktiven konnte auch auf diesem Weg kein Einfluss ausgeübt werden. Die Inhalte der gemeinsam von SOdZDL, Mit uns gegen die Wehrpflicht, der IDK und der DFG-VK Frankfurt herausgegebenen Zeitschrift „-2023662574 Tilt“ kamen hauptsächlich von den Berliner Gruppen, aus der Totalverweigerungsbewegung und von der SOdZDL. Die SOdZDL war politisch eigenständig und kein Anhängsel der DFG-VK Frankfurt. Von der SOdZDL früh aufgegriffene Themen wie Totalverweigerung fanden auch Anklang in der DFG-VK Frankfurt, die in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu einem wichtigen Teil der Bewegung der Totalen Kriegsdienstverweigerung wurde, nicht zuletzt weil ein damals verfolgter Totalverweigerer einige Jahre lang als Bürokoordinator der DFG-VK Frankfurt fungierte. In dieser Zeit waren sich alle genannten Organisationen sowie der Landesverband Hessen und die Gruppe Frankfurt der DFG-VK politisch ziemlich einig, ohne dass irgendjemand politisch Anhängsel von irgendjemandem war.
Elmar Klinks Behauptung, die SOdZDL sei in den 1990ern „wieder“ zum Anhängsel der DFG-VK Frankfurt geworden, impliziert, dass dies früher einmal der Fall gewesen sei. Wann genau und wieso erläutert Elmar Klink leider nicht. Ich konnte in Erfahrung bringen, dass 1978/79 zwei DFG-VK-Mitglieder in der SO-Bundeszentrale gearbeitet haben. Einer von ihnen teilte mir mit: „Wir haben aber keine Weisungen der DFG-VK erhalten.“ Für die Befragung noch älterer Zeitzeugen, die die Zeit vor 1978 beurteilen könnten, fehlte mir die Zeit.
Erläuterungsbedürftig ist auch der merkwürdige Satz „Die Ausrichtung der SOdZDL wurde nun deutlich antimilitaristischer.“ Welche Definition von Antimilitarismus wird hier zugrunde gelegt? In welcher Hinsicht soll die SOdZDL zuvor weniger antimilitaristisch gewesen sein?
Dass die Zahl der SOdZDL-Basisgruppen nach 1989 so drastisch zurückging, hätte auch die allerbeste politische Arbeit nicht verhindern können. SO-Basisgruppen waren schon immer tendenziell kurzlebig, weil Zivildienstleistende (ZDL) nach Beginn des Zivildienstes sich erst organisieren mussten und nach Ende der Dienstzeit sofort verschwanden. Als der Zivildienst schrittweise immer kürzer wurde, verringerten sich auch die Chancen für die Entstehung und Konsolidierung von SO-Gruppen. Verschärfung und Verlängerung des Zivildienstes drohten nicht mehr. Hinzu kamen die generelle Entpolitisierung der 1990er Jahre und der Einbruch der Friedensbewegung, weil vielen damals Friedensarbeit nicht mehr dringlich erschien. Umso höher muss das Engagement der drei Haupt-Aktiven in der Bundeszentrale gewürdigt werden, die noch viele Jahre über ihre Dienstzeit hinaus mit viel Engagement Fachwissen und politisches Bewusstsein bewahrten und Dienstag für Dienstag ihre Beratung anboten.
1974 fusionierte der VK nicht mit der DFG, sondern mit der 1968 entstandenen DFG-IdK. Die Nicht-Erwähnung der IdK könnte man als nebensächlich ansehen, ist aber wichtig, wenn man bedenkt, dass die DFG die klassische Organisation des bürgerlichen Pazifismus war und dass die IdK als Organisation des radikalen Pazifismus und als deutsche Sektion der WRI entstanden war.
Messen mit zweierlei Maß
Es ist, wie Elmar Klink schreibt, richtig, dass die DFG-VK sich lange damit schwer tat, die Totale Kriegsdienstverweigerung zu unterstützen. Das galt zumindest für die Bundesebene. Unangemessen ist es jedoch, wenn Elmar Klink diverse andere Organisationen so überschwänglich dafür lobt, dass sie „fast alle“ frühen radikalen Forderungen der SOdZDL übernommen hatten, während er für die DFG-VK fast nur abfällige Worte findet.
An Stelle dieser ungerechtfertigten Gegenüberstellung wäre es angemessener darzustellen, dass es gelang, in allen genannten Organisationen nach und nach Mehrheiten für die Ablehnung des Kriegsdienstzwangs zu finden. Elmar Klink hätte erwähnen können, dass seit den 1970er Jahren eine wachsende Zahl von Mitgliedern, darunter auch Totalverweigerer, Gruppen und Landesverbänden der DFG-VK sich deutlich gegen den Kriegsdienstzwang wandten und die totale Kriegsdienstverweigerung unterstützten. Doch selbst wenn die DFG-VK wie in den 1990er Jahren mit der SOdZDL politisch übereinstimmt und ihre Bundeszentrale mit günstiger Miete und Büroinfrastruktur unterstützt, bringt es Elmar Klink fertig, diese doch eigentlich positive Entwicklung ins Negative zu drehen, indem er die SOdZDL als Anhängsel beschimpft und es nicht lassen kann, selbst im Kontext der 1990er der DFG-VK Frankfurt ihre frühere DKP-Orientierung vorzuhalten.
Es ist plausibel, dass Elmar Klink um 1976 herum negative Erfahrungen mit der DFG-VK gemacht hat, die damals sehr stark von der DKP beeinflusst wurde. Die DFG-VK hat sich seitdem weiterentwickelt. Das Bild Elmar Klinks von der DFG-VK offenbar nicht.
Besonders befremdend ist die Kritik an der DFG-VK, wenn sie von einem langjährigen Funktionär einer kirchlichen Einrichtung kommt. Die DFG-VK wird an den Bundesvorständen zurückliegender Jahrzehnte, nicht an ihren auch damals vorhandenen Totalverweigerern und Zwangsdienstgegner*innen gemessen. Bei der Kirche werden die EAK und die beeindruckende Ausnahmeerscheinung Heinrich Grißhammer hervorgehoben, nicht jedoch die vielen friedensbewegten Pfarrer, die bis heute noch den Zivildienst vollkommen unkritisch verklären (zuletzt habe ich das Anfang Januar 2018 erlebt). Und ich beziehe mich hier nur auf Kirchenleute in der Friedensbewegung, noch nicht einmal auf die sogenannte Amtskirche. Elmar Klink misst mit zweierlei Maß.
Radikale Forderungen?
Zurück zu den erwähnten „radikalen“ Forderungen, die laut Elmar Klink diverse Organisationen übernommen hatten, während er die DFG-VK als einzige Organisation nennt, die sich damit schwer tat. So radikal kommen mir die Forderungen aber gar nicht vor. Elmar Klink nennt die „Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivildienstes in seiner surrogatären, einem Friedensdienst entgegen gesetzten Form.“ Elmar Klink zitiert zustimmend: „Das Gegenteil von Krieg ist nicht Frieden, sondern Friedensdienst.”
Was soll daran radikal sein? Der Zivildienst in seiner bestehenden Form wird abgelehnt, aber die militaristische und totalitäre Vorstellung, dass Kriegsdienstverweigerer – und sei es auch nur moralisch – verpflichtet seien, irgendeinen Dienst zu leisten, wird weiterhin propagiert. Das preußisch-militaristische „Hamse jedient?“ lebt hier weiter. Das Gegenteil von Krieg ist Frieden. Zum Frieden gehört auch persönliche Freiheit ohne Unterwerfungsverhältnisse namens Dienst, auch die Freiheit, sich nicht für Friedensarbeit zu interessieren.
Radikalitätstest
Wie sieht es mit der von Elmar Klink behaupteten Radikalität der Zentralstelle KDV im Vergleich zur sich angeblich so schwer tuenden DFG-VK aus?
In der „ZivilCourage“ Nr. 2/2007 wurde Ulrich Finckh, langjähriger Vorsitzender der Zentralstelle, zitiert: „Solange Anträge gestellt werden müssen und nicht der Grundrechtsträger, sondern staatliche Stellen über die Zuteilung des Grundrechtes urteilen, können die Prüfungen jederzeit wieder in Willkür ausarten.“ Dem wurde von einem Landesgeschäftsführer der DFG-VK in der darauffolgenden Ausgabe entgegnet: „Die Gewissensprüfungen können nicht ‚in Willkür ausarten‘. Sie sind willkürlich und können nur willkürlich sein. … Wenn man Kriegsdienstverweigerung nicht nur als Ausnahme vom ansonsten akzeptierten Kriegsdienstzwang sieht, sondern vom Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung für alle Menschen ausgeht, muss jede Gewissensprüfung zwangsläufig willkürlich sein. Darüberhinaus ist die Prüfung nur ein Teil eines größeren Willkürsystems. Willkür ist es, wenn Menschen zu Kriegs- und Zwangsdiensten gezwungen werden. Willkür ist es, Kriegsdienstverweigerern zuzumuten, Gründe für ihre Entscheidung zu nennen. …“
Ulrich Finckh fuhr fort: „Ein Grundrecht hat man aber, wenn es wirklich ein Grundrecht ist, ohne staatliche Überprüfung, und es darf nur eingeschränkt oder gar entzogen werden, wenn Missbrauch zweifelsfrei bewiesen wird.“ Auch dem wurde aus der DFG-VK widersprochen: „Worin soll ein solcher Missbrauch des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung bestehen und dann auch noch bewiesen werden können? In diesem Zusammenhang von Missbrauch zu sprechen, impliziert, dass es Menschen gibt, denen ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung zusteht, und solche, die es sich nur missbräuchlich erschleichen und denen es entzogen werden darf. Entweder ist Kriegsdienstverweigerung ein Menschenrecht, das jedem Menschen ungeachtet seiner oder ihrer Motivation zusteht, oder es ist ein Ausnahmerecht für Menschen mit ganz bestimmten Gründen oder Persönlichkeitsmerkmalen, denen erlaubt wird, den Militärdienst zu verweigern, während die anderen in Kasernen und auf Schlachtfelder geschickt werden. Wenn man Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht akzeptiert, ist kein so genannter Missbrauch denkbar, der es rechtfertigen könnte, irgendjemanden in Kriegsdienst und Krieg zu zwingen.“
Als ich 2007 in einem Artikel auf den gravierenden Widerspruch zwischen dem Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung einerseits im Unterschied zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen hinwies und das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung forderte, widersprach mir der damalige Vorsitzende der Zentralstelle, Werner Glenewinkel, der diesen Widerspruch nicht anerkennen wollte. (siehe z.B. ZivilCourage Nr. 1/2008) In dieser Debatte waren der ehemalige und damalige Vorsitzende der Zentralstelle dem staatlich-kirchlichen Konzept der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen deutlich mehr verhaftet als die DFG-VK.
Die Geschichte der SOdZDL verdient es, erforscht und bewahrt zu werden, am besten in konstruktiver Zusammenarbeit zwischen Archivar*innen und Zeitzeug*innen und ohne unfaire und undifferenzierte Diffamierungen und schon seit Jahrzehnten überholte politische Aversionen.
Gernot Lennert,
Landesgeschäftsführer der DFG-VK Hessen