geld oder leben

H&M schmiert ab

Hat eine Initiative mit dem Aktionstag "Schwarzer Freitag, der 13." den Aktienkurs der Modekette zum Absturz gebracht?

| Elmar Wigand

Die Aktie des schwedischen Modekonzerns Hennes & Mauritz brach am 15. Dezember 2017 ein, nachdem die Umsätze entgegen der Erwartung sämtlicher Analysten gesunken waren. Für das vierte Quartal 2017 musste H&M völlig überraschend einen Umsatzrückgang von 4 % vermelden. (1)

Die Gründe, die Firmen-PR und Wirtschaftspresse angaben, blieben nebulös. Man raunte etwas von Schwierigkeiten im Online-Handel und dem Warensortiment, das die Kund_innen angeblich nicht mehr anspräche. Als sicher galt nur, das Umsatzminus sei auf ein schwaches Geschäft in den Filialen zurück zuführen, was bei einer Kette, die 4.300 Filialen in 64 Ländern betreibt, eher eine Binsenweisheit ist. Die Frage nach dem Warum blieb unbeantwortet.

Insbesondere im Vergleich zum schärfsten Konkurrenten ZARA, der zum spanischen Modekonzern Inditex SA gehört, drängt sich die Frage auf, warum die Kund_innen in messbarer Anzahl ausgerechnet H&M-Filialen fern blieben.

Denn während die Jahresverläufe der beiden Aktienkurse ähnliche Tendenzen aufwiesen, konnte sich Inditex im wichtigen Weihnachtsquartal wieder berappeln, während H&M am Boden blieb wie ein angeschlagener Boxer.

Ein Blick auf den Jahresverlauf des H&M-Aktienkurses fördert Überraschendens zu Tage: Ihren letzten zeitweiligen Höhepunkt erreichten die Anteilsscheine am Donnerstag, den 12. Oktober 2017, mit 23,09 Euro. Ab Freitag, den 13., ging es bergab. Am 8. Januar 2018 wurde das Papier mit nur noch 16,63 Euro gehandelt.

Es war das erste Mal seit 1998, dass die H&M-Umsatzzahlen im 4. Quartal schrumpften; im Jahresverlauf seien sie noch nie zurückgegangen, seit das erfolgsverwöhnte Textil-Unternehmen 1974 an die Börse ging, gab eine H&M-Sprecherin bekannt. Im Jahresdurchschnitt betrug der Rückgang 2%. Gemessen an den erklärten Zielen von 7-8% Steigerung für 2017 war das ein Desaster.

Der H&M-Aktienkurs rutschte nach Veröffentlichung der Zahlen am 15. Dezember um 15% ab – auf das niedrigste Niveau seit 2009. (2) Tendenz weiter fallend. Doch bereits zwischen dem 12. Oktober und dem 23. November war er um 16,8% eingebrochen. Danach berappelte er sich nur kurzzeitig – vermutlich durch eingeleitete Marketingmaßnahmen und das Weihnachtsgeschäft -, ohne auch nur in die Nähe des letzten Höchststandes zu kommen.

Was war geschehen?

Bundesweiter Aktionstag gegen Arbeitsunrecht

Am Freitag, den 13. Oktober, hatte die Initiative aktion ./. arbeitsunrecht einen bundesweiten Aktionstag vor zwanzig Filialen von H&M organisiert. Hinzu kam eine große Aktion von Beschäftigen eines H&M-Lagers in Großostheim, das von Schließung bedroht ist.

Die Lagerarbeiter_innen zogen in einem Zombie-Marsch der lebenden Arbeitszeit-Leichen in die Innenstadt von Aschaffenburg.

Die Zweifel sind nicht nur auf den ersten Blick berechtigt, ob eine vergleichsweise junge und kleine Initiative wie die aktion ./. arbeitsunrecht mit derzeit 300 Mitgliedern und einem bundesweiten Netzwerk aus Vertrauenspersonen und Aktivist_innen in Zusammenarbeit mit ver.di und Betriebsräten einen weltweit agierenden Konzern mit mehr als 20 Mrd. Euro Jahresumsatz tatsächlich soweit in Bedrängnis bringen kann, dass Umsatz und Aktienkurs weltweit absaufen.

Dagegen spricht, dass die internationale Wirtschaftspresse – Bloomberg, Reuters, Financial Times, NZZ etc. – von dem deutschen Aktionstag offensichtlich keine Kenntnis hatten, was sowohl ein schlechtes Licht auf die Qualität der Berichterstattung der Londoner, New Yorker und Zürcher „Analysten“ wirft, als auch auf die national beschränkte Pressearbeit der aktion ./. arbeitsunrecht.

In Deutschland jedoch erzeugte der Aktionstag einen Riesenwirbel, der gemessen an Markting-Budgets mehrere Hunderttausend Euro bis einige Millionen Wert gewesen sein dürfte.

Lokale Presse, Radios und TV-Formate berichteten in großer Zahl vor allem rund um spektakuläre Aktionen in Herford, Köln und Aschaffenburg. Bundesweit ging der Aktionstag über den dpa-Ticker, der Agenturbeitrag wurde von zahlreichen überrregionalen Leitmedien übernommen, auch tagesschau.de und Sat.1 berichteten.

Folgendes warf die aktion ./. arbeitsunrecht dem Unternehmen vor:

  • flächendeckendes, systematisches Union Busting
  • willkürliche Kündigungen von Gewerkschafter_innen
  • juristische Nachstellungen und Zermürbungsmethoden gegen Betriebsratsmitglieder
  • Kettenbefristungen, unfreiwillige Teilzeitverträge, Flex-Verträge

Insbesondere der letzte Punkt traf den Nerv. Die Zersplitterung der wöchentlichen Arbeitsrhythmen, der systematische Lohnraub durch Tricksereien wie Arbeitszeitkonten, Flex-Verträge und „kapazitätsorientierte variable Arbeitszeiten“ (Kapovaz) betrifft bereits heute mehr Menschen, als die Erna-Normal-Leserin vielleicht denken mag, und bedroht alle zukünftigen Generationen.

Hier gehört H&M in Deutschland zu den Vorreitern. Oliver Welke thematisierte H&M und seine Flex-Verträge sogar in der ZDF-heuteshow vom 17. November 2017. (3)

Wirtschaftsmodell Deutschland: Billig einkaufen

Deutschland ist mit rund 440 Filialen der wichtigste Markt für H&M. 2016 erzielte die Kette hier mit 3,7 Mrd. Euro einen Anteil von 16,3 % am weltweiten Umsatz, mit einigem Abstand gefolgt von den USA (2,7 Mrd. Euro). (4)

Mit rund 19.000 Verkäufer_innen und Lagerarbeitern beschäftigt H&M in Deutschland jedoch nur 12,5% der weltweit eingesetzten Proleten, was bedeutet, dass die Ausbeutung (Niedriger Lohn bei hoher Arbeitsverdichtung) in Gerhard Schröders „bestem Niedriglohnsektor Europas“ besonders hoch ist – wobei H&M die Näher_innen in Indien und Bangladesch und anderen asiatischen Ländern nicht zur weltweiten Belegschaft zählt. Deren Ausbeutung in ca. 1.900 Fabriken delegiert das Management an Subunternehmer und Zulieferer. Containerschiffe transportieren die Textilien in die Häfen des Nordens. 2008 eröffnete H&M sein weltweit größtes Distributionszentrum mit rund 1.000 Beschäftigten in Hamburg-Allermöhe.

Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass der Schwarze Freitag, der 13. Oktober, den Absturz der H&M-Aktie allein bewerkstelligen konnte. Um einen weltweiten Umsatzrückgang von 4% zu erzeugen, hätte der Umsatz in Deutschland, Österreich und der Schweiz um 18,5 % zurück gehen müssen. Das erscheint nur möglich, wenn die deutsche Belegschaft etwa zu Streiks und Sabotage gegriffen hätte. Die Unzufriedenheit und Verbitterung der Beschäftigten wirkt bei H&M zwar so groß wie in kaum einem Einzelhandelskonzern, die Fähigkeit zu spontaner Selbstorganisation oder gar Militanz ist in Deutschland auf betrieblicher Ebene aber traditionell unterentwickelt. Obwohl es auch hier Anzeichen gibt: Immerhin musste der Flagshipstore in der Kölner Schildergasse am 2. Oktober 2017 aufgrund einer Bombendrohung geräumt werden – zehn Tage vor dem Schwarzen Freitag, als die Mobilisierung im Netz schon auf Hochtouren lief. Eine im Laden abgestellte Tasche erwies sich als Attrappe. Die Kölner Polizei ermittelte zwei Wochen später eine H&M-Verkäuferin aus Wesseling, die laut der Behörde „berufliche Probleme“ als Motive angab. (5)

Möglich erscheint folgendes Szenario: H&M hätte im 4. Quartal gemäß des weltweiten Jahrestrends ohnehin 2% weniger verkauft; mit dem Aktionstag wurden daraus 4%, was durch Umsatzeinbußen im deutschsprachigen Raum von 9,25% ausgelöst wurde.

Der Schwarze Freitag hat den Absturz der H&M-Aktie sicherlich nicht allein zu verantworten. Er hat ihn mit Blick auf den Börsenverlauf aber angestoßen. Allein durch Aktionen vor Filialen und Pressearbeit im wichtigsten H&M-Absatzmarkt ist der H&M-Kursabsturz nicht zu erklären. Ohne diesen Faktor aber auch nicht. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Aktionstag und Kursbewegung ist nicht von der Hand zu weisen.

Ich tendiere zu folgender Interpretation: Der Aktionstag Freitag, der 13., hat einem angeschlagenen Patienten, der sich mühsam auf zwei Krücken hielt, eine Gehhilfe weggeschlagen, so dass er ins Straucheln kam.

H&M wird seit langem gebeutelt: einerseits von einer unerbittlichen Konkurrenz, zu der sich neuerdings auch die britisch-irische Marke Primark gesellt, einem Überangebot an Filialen selbst in absterbenden Käffern wie Ahlen in Westfalen, neuen Herausforderungen durch den Online-Handel (Zalando). Hinzu kommen Imageprobleme durch internationale Kampagnen der gewerkschaftsnahen Clean Clothes Campaign für faire Löhne in Asien und der Tierrechtsorganisation Peta für Verzicht auf Leder. (6)

PR-Desaster: Kleiderverbrennung als nachhaltige Energieerzeugung

Die zweite Krücke haute H&M vermutlich der dänische Fernsehsender TV2 weg. Am 15. Oktober 2017 sendete er eine Enthüllungsgeschichte, die weltweit für Aufsehen, ungläubiges Staunen und Empörung sorgte. Offenbar verbrennt H&M in Roskilde schon seit 2013 rund 12 Tonnen Kleidung pro Jahr – darunter auch fabrikneue Ware. (7)

Am 24.11.2017 berichtete bloomberg.com zudem, dass H&M in der Stadt Västerås nordwestlich von Stockholm ein weiteres Kraftwerk betreibt, in dem 15 Tonnen Kleidung im Jahr 2017 verbrannt worden seien. Die Firmen-PR preist das in bizarrer Weise als Beitrag zur Nachhaltigkeit, da die Verbrennung von Kohle nun durch „nachwachsende Rohstoffe“ ersetzt würde. (8)

Zu dieser spätkapitalistischen Dekadenz im Wendekreis des ausgehenden Neoliberalismus passt auch ein Gepräch, das meine Kollegin Jessica Reisner unlängst in Köln belauschte.

Zwei junge Frauen hatten bei Primark T-Shirts für eine Party am Abend gekauft. Fragt die eine: „Ey, warum hast Du das T-Shirt doppelt gekauft? Bist Du dement?“ Antwort: „Ey, meinst Du, ich wasche das? Dann sehen die sofort labberig aus. Ich schmeiß das nach der Party weg. Lohnt sich eh nicht. Kostet ja nur 5,- Euro.“

Ist H&M noch zu retten?

Die oben beschriebenen Ladies, die, vermutlich ohne mit der Wimper zu zucken, Waren tragen, an denen Blut, Schweiß und Tränen kleben und solche Vorhaltungen vermutlich „voll öde“ fänden, wollen aber dennoch und vor allen Dingen eines sein: cool und hip wirken.

Der Schwarze Freitag und andere Image-Kampagnen sorgten für das Gegenteil. H&M verhält sich inzwischen wie ein klassisches Mobbing-Opfer. Was Du auch machst, sie lachen Dich aus. Sie warten nur auf Deinen nächsten Fehler. Sie sehen bald jede Bewegung von Dir als Fehler.

Im Januar 2018 blamierte sich H&M mit rassistischer Werbung. Sie zeigte einen dunkelhäutigen Jungen in einem grünen Hoodie mit dem Aufdruck „Coolest Monkey in the Jungle“ (Coolster Affe im Dschungel).

Die Folge war ein Shitstorm im Netz. Der kanadische R&B-Sänger The Weekend beendete umgehend seine „Zusammenarbeit“ mit H&M. (9)

H&M scheint als Marke verbrannt zu sein. Das Management reagiert mit Filialschließungen in Deutschland sowie Gründung und Aufkauf neuer Marken wie „&Other Stories“, COS oder Arket. Versuchslabor ist München. Außerdem will man jetzt China erobern.

Auf eine naheliegende Idee kommt die schwedische Oligarchenfamilie Persson, der H&M gehört und die den Konzern lenkt, offenbar nicht: Die Beschäftigten sind Multiplikator_innen und Aushängeschilder.

Wenn Leute gern in einem Laden arbeiten, wenn sie gut behandelt und fair bezahlt werden, ist das auch gut für das Image.

Allerdings lässt sich so kein perverser Reichtum von 20 Mrd. US-Dollar anhäufen, der den H&M-Hauptaktionär Stefan Persson im internationalen Superreichen-Ranking 2017 auf Platz 50 beförderte. Sein Filius Karl-Johann, der als H&M CEO fungiert, besitzt bereits eine Milliarde.

Fazit: Imagekorrekturen und Konsumentenboykott als Waffen

Um die Umverteilung dieses geraubten Lohnes sowie sozialverträgliche Arbeitsbedingungen und Produktionsweisen entlang der gesamten Wertschöpfungskette muss es gehen – von der Baumwollproduktion bis zur Entsorgung der nicht verkauften T-Shirts.

Nicht mehr und nicht weniger. Denn genau in dem Ineinandergreifen verschiedener Themenfelder und Interessen besteht die explosive Mischung. Bei H&M waren das Arbeits- und Gewerkschaftsrechte, Solidarität mit dem globalen Süden, Tierrechte, Armutsbekämpfung durch Umverteilung, ökologische Produktionsweisen.

Bürgerrechtler_innen und Gewerkschafter_innen in Deutschland sollten die reichhaltigen Erfahrungen mit Konsumentenboykotten insbesondere in den USA genauer studieren. Hier liegt ein Trumpf in den Händen der arbeitenden Bevölkerung, um der geballten Macht internationaler Konzerne effektiv zu begegnen, der in Deutschland bislang kaum oder nicht konsequent ausgespielt wird.

Ich denke hier insbesondere an eine weltweite Daten- und Logistik-Krake die jetzt endlich mal reif wäre: Amazon.

Elmar Wigand

(1) The H&M group's sales development for the full - year 2017 including the fourth quarter 2017, H&M Pressemitteilung, 15.12.2017 https://about.hm.com/content/dam/hmgroup/groupsite/documents/en/cision/2017/12/2086687_en.pdf

(2) Anna Ringstrom: H&M shares tumble on surprise quarterly sales drop, reuters.com, 15.12.2017 https://www.reuters.com/article/us-h-m-sales/hm-shares-tumble-on-surprise-quarterly-sales-drop-idUSKBN1E90OI

(3) Hintergründe zur heute-show vom 17.11.2017: Flexiblisierung der Arbeitszeit, https://www.zdf.de/comedy/heute-show/what-the-fakt-arbeitszeit-flexibilisierung-102.html

(4) Umsatz von Hennes & Mauritz (H&M) weltweit nach Ländern, statista.de, abgerufen am 10.1.2018 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/159062/umfrage/bruttoumsaetze-des-h-m-konzerns-nach-laendern-seit-2008/

(5) Bombendrohung bei H&M: Anruferin war Angestellte, General-Anzeiger, 19.10.2017 www.general-anzeiger-bonn.de/region/koeln-und-rheinland/Bombendrohung-bei-HM-Anruferin-war-Angestellte-article3680652.html

(6) Fordern Sie H&M auf, kein Leder mehr zu verkaufen! Für Schuhe, Gürtel und Taschen aus Tierhäuten leiden Kühe, Umwelt und Arbeiter, Peta.de, April 2017 https://www.peta.de/HM-Leder

(7) Eksperter undrer sig over H&M's afbrænding af nyt tøj, TV2, 15. 10. 2017, http://nyheder.tv2.dk/samfund/2017-10-15-eksperter-undrer-sig-over-hms-afbraending-af-nyt-toej

(8) Jesper Starn : A Power Plant Is Burning H&M Clothes Instead of Coal, bloomberg.com, 24.11.2017 https://www.bloomberg.com/news/articles/2017-11-24/burning-h-m-rags-is-new-black-as-swedish-plant-ditches-coal

(9) Schweden immer tiefer in der Krise H&M blamiert sich mit rassistischer Werbung, Manager-Magazin, 10.1.2018, www.manager-magazin.de/unternehmen/handel/h-m-the-weeknd-geschockt-von-rassistische-werbung-a-1186899.html

Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion./.arbeitsunrecht und Redakteur des Blogs http://arbeitsunrecht.de