Julia Kockel, Oliver Hahn: Tierethik. Der Comic zur Debatte, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2017, 155 S., 19,90 Euro, ISBN 978-3-7705-6289-3
Die Diskussionen über ethische Grundlagen der Tierethik nehmen in den letzten Jahren immer größeren Umfang an. Da ist es günstig, dass mit dem Sachcomic des AutorInnengespanns Julia Kockel und Oliver Hahn nun eine kurzweilige Einführung vorliegt, die in der Darstellung die Komplexität des Themas nie verliert.
Das Verhältnis von Text zu Bild ist ausgewogen. Durch die Schwarz-Weiß-Zeichnungen werden sowohl die besprochenen TheoretikerInnen portraitiert als auch in oft witziger Weise Diskussionsstränge dargestellt, z.B. auf S. 35 in einer Illustration zum „Verrohungsargument“ (das Quälen von Tieren färbt auf den Charakter des Menschen ab), wo ein Esel seinem mit der Peitsche drohenden Eigentümer sagt: „Das darfst du aber nicht, oder willst du abstumpfen?“ Die Zeichnungen vermeiden es dabei angenehm, die Abbildung des Massenmords an Tieren exzessiv in den Vordergrund zu stellen.
Die inhaltliche Konzeption besteht einerseits aus einer sehr kompetenten historischen Darstellung von der Antike bis heute, wobei die Befürworter des Anthropozentrismus (Descartes, Kant usw.) und die tierethischen ProtagonistInnen vom reformistischen Tierschutz über moralische Pflichten, Tierrechte bis zum politischen Veganismus und zur Tierbefreiung dargestellt werden. Dabei wirkt die Heranziehung des im Verlag Graswurzelrevolution erschienen Buches „Das Schlachten beenden“ als Quelle produktiv, weil so die linkssozialistischen und anarchistischen Traditionen mitberücksichtigt werden. Die AutorInnen scheuen sich nicht vor der Diskussion vieler problematischer Aspekte. So werden die Behindertenfeindlichkeit des „Präferenzutilitarismus“ Singers oder Irrwege in den Biozentrismus und falsches Ausspielen von Herrschaftsformen (Sexismus und Holocaust-Vergleich in den Peta-Kampagnen) problematisiert. Gleichzeitig wird, ausgehend von den britischen Feministinnen des 19. Jahrhunderts um Francis Power Cobbe über Anarchistinnen wie Clara Wichmann bis hin zu jüngsten Vertreterinnen wie Carol Gilligan oder Birgit Mütherich der Beitrag des Feminismus zur tierethischen Debatte gewürdigt. Die Komplexität der aktuellen Diskussion wird im hinteren Teil des Comics zusammengefasst. Hier finden auch TierrechtsaktivistInnen und VeganerInnen Diskussionen, die sie vielleicht noch nicht reflektiert haben.
Eine Kritik an der inhaltlichen Konzeption habe ich aber: die Nicht-Berücksichtigung Gandhis im historischen Teil mit entsprechenden Folgen auf den Abschnitt „Ziviler Ungehorsam oder Tierterrorismus?“ Gandhi ist in seinen Londoner Studienjahren dem hier gewürdigten Henry Stephens Salt (S. 43ff.) persönlich begegnet und war sein Schüler. Gandhi konnte so das traditionell-relgiöse Ahmisa-Gebot des Jainismus in Indien mit modernen Tierrechtsideen verbinden und schrieb auch selbst Texte und Reden zur „ethischen Grundlage des Vegetarismus“. Die weltweite Verbreitung des Gandhischen Vegetarismus war bedeutender als die des in der „Dritten Welt“ unbekannt gebliebenen Salt.
Der Comic behandelt bei der gewaltfreien Grundlegung der Tierethik hier leider ausschließlich die Tradition Tolstois und verengt somit das dargestellte Verständnis gewaltfreien Widerstands auf „individuelle Selbstveränderung“ (S. 46 ff., S. 116). Bei Gandhi wird aber das Eintreten für Tierrechte mit kollektivem gewaltfreiem Widerstand verknüpft. Aufgrund dieser Nicht-Berücksichtigung Gandhis können die AutorInnen Sachbeschädigungen von TierbefreierInnen beim Einbruch in Tierfabriken begrifflich nicht anders denn als „Gewalt gegen Sachen“ fassen, anstatt sich bei Sachen, wie bei Tieren, die entscheidende Frage zu stellen: Können Sachen Gewalt empfinden? Das können sie im Unterschied zu Tieren nicht. Sachbeschädigung ist also gewaltfrei, Gewalt gegen Tiere nicht. Im Comic wird hier nur von einer vergleichsweise geringeren Gewalt gesprochen – und so legitimatorisch das Tor für die rechtsstaatliche Verfolgung von TierbefreierInnen als TerroristInnen geöffnet. Gandhi hätte im Gegensatz zu Tolstoi nicht „Gewalt gegen Sachen“ abgelehnt (S. 116), sondern „gewaltfreie Sachbeschädigung“ unter bestimmten Umständen befürwortet. Daher kommt seine Kampagne des massenhaften Verbrennens aus England importierter Kleidung im antikolonialen Befreiungskampf.
Verdrängt wird durch diese begrifflich ungenügende Diskussion um „Gewalt gegen Sachen“ auch eine weitere Erscheinung im Tierrechtsaktvismus, die im Comic nicht vorkommt, die Tatsache, dass es immer wieder militante TierbefreierInnen gibt, die zwar Gewalt gegen Tiere ablehnen, aber keineswegs Gewalt gegen Menschen (seien es der Metzger vor Ort oder die Chefs der Pelzindustrie). Hier wird der Grundsatz der moralischen Gleichbehandlung von Lebewesen in bestimmten Bereichen ins Gegenteil verkehrt: Das menschliche Leben wird hier als weniger wert erklärt als tierisches Leben.
Dieser Einwand im Detail dokumentiert aber eher die Lust zur Diskussion, die der Comic weckt, als grundlegende Kritik.