stichworte

Nürnberger Verhältnisse

Polizeigewalt, ein Plastikflaschenwurf und die Neue Rechte

| Leonhard F. Seidl

Dank der öffentlichen Fahndung des Polizeipräsidiums Mittelfranken, nordbayern.de und der Nürnberger Zeitung ist sie nun endlich gefasst. Ist sie eine U-Bahn-Schubserin, hat sie ein Kind in ihrer Gewalt oder gar Alexander Dobrindt eine Konterrevolution angedroht? Aber Zynismus beiseite, die Sache ist durchaus ernst: Sie soll eine Flasche auf einen Polizisten geworfen haben.

Flaschenwurf? Erste Assoziation? Richtig. G20 usw. usf. Eine Assoziation, die Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und seine Amigos durchaus begrüßen dürften. Vielleicht waren sie mit dem zuständigen Staatsanwalt, der wiederum die Polizei zur Fahndung aufgerufen hat, Weißwurst zuzeln und Weißbier bitschen? Was nahe liegt, denn „das Gesetz schreibt für das Veröffentlichen von Bildern Beschuldigter vor, dass das Gewicht der Straftat so groß sein muss, dass der intensive Eingriff in das Persönlichkeitsrecht angemessen ist“, so Yunus Zidal vom Republikanischen Anwaltsverein.

Der Wahlkampf hat begonnen, die CSU lechzt nach der absoluten Mehrheit und bibbert vor der AfD. Und die Kritik war enorm nach diesem 31. Mai, an dem die junge Frau die Flasche geworfen haben soll. Eine Leichtplastikflasche wohlgemerkt, von der ein Polizist leicht verletzt worden sein soll und anschließend auch noch dienstfähig war. Warum also diese diffamierende, mittelalterliche Fahndungsmethode auf dem digitalen Pranger, die nicht nur die Unschuldsvermutung aushebelt, sondern auch im Falle eines Freispruchs UND einer Verurteilung eine Vorverurteilung bedeutet, durch die breite Öffentlichkeit, durch Bekannte, Nachbar*innen, Arbeitskolleginnen und viele mehr? Also absolut unverhältnismäßig ist. Selbst wenn man einen derartigen Akt verurteilt.

Bei dem brutalen Polizeieinsatz am 31. Mai 2017 an der Nürnberger Berufsschule B11 am Berliner Platz versuchten Schülerinnen und Schüler und auch Unterstützerinnen und Unterstützer wie ich, die Abschiebung des 21-jährigen Asef N. aus der Berufsschule zu verhindern [die GWR berichtete]. Die Eskalation ging an diesem Tag von den Polizisten aus, sie schlugen, knüppelten, traten, hetzten einen Hund auf uns und auf dem Boden liegende, zusammengekrümmte junge Menschen, verätzten Augen mit Pfefferspray. Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly kritisierte den Polizeieinsatz.

Der Leiter der NN-Bildredaktion und Augenzeuge Michael Matejka sagte, so etwas habe er in 30 Berufsjahren noch nicht erlebt; es sei eine Schande für den Staat. Auch Geistliche, die am Berliner Platz waren, und viele mehr kritisierten die Polizeibrutalität. Und dann wären da noch die unzähligen Videos und Fotos, die dies belegen. Ermittelt wird nun lediglich noch gegen einen Polizisten, ein Verfahren wurde bereits eingestellt. Für die Schülerinnen und Schüler und Menschen wie mich, die Opfer der Polizeigewalt wurden, obwohl sie lediglich zivilen Ungehorsam in der Tradition von Mahatma Gandhi praktiziert haben, ist das ein weiterer Fausthieb ins Gesicht. Wie auch Herrmanns Aussage, die Polizei habe an diesem Tag alles richtig gemacht.

Der zivile Ungehorsam gibt uns recht, wenn wir zurück blicken in die NS-Diktatur und auf die mörderische Willfährigkeit einer Mehrheit der Deutschen. Womit wir in der Nürnberger Nachbarstadt Fürth angekommen wären. Zwischen zwei Birken, an der Uferpromenade. Eine Gedenktafel erinnert dort an die von Nazis ermordeten Kommunisten jüdischer Herkunft Rudolf Benario und Ernst Goldmann. Zweimal wurde sie mittlerweile geraubt, Hakenkreuze hineingeritzt.

Aber auch immer wieder aufgestellt. Ein Transparent, das die Stadt und das Fürther Bündnis gegen Rechtsextremismus angebracht haben, wurde ebenfalls gestohlen. Und um das Gedenken an die mutigen Antifaschisten weiter zu schänden, haben Neonazis die Birken mehrfach angesägt. Die Polizei ermittelte keine Täter. Auch nicht, als vor Jahren in Fürth das Auto einer gegen Nazis engagierte Familie brannte, auch nicht, als kürzlich wiederholt (Mord-)Drohungen auf das Haus der langjährigen Fürther Sprecherin des Bündnisses geschmiert wurden. Dafür erhielten drei junge Antifaschisten von der Polizei einen Platzverweis. Wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz soll zudem gegen sie ermittelt werden, weil sie ein Banner an den für Benario und Goldmann gepflanzten Birken anbringen wollten, mit der Aufschrift „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. Nun könnte man wohlwollend annehmen, die Polizei sei endlich wachsam. Aber warum diese völlig überzogene Härte gegen engagierte Menschen? Warum fahndet die Polizei nicht öffentlich nach den 97 in Bayern untergetauchten Neonazis, die per Haftbefehl gesucht werden? Im Gegensatz zu dem Vergehen, dessen die junge Frau beschuldigt wird, werden sie u.a. gesucht wegen unerlaubten Waffenbesitzes und Mord. Auch nach den neofaschistischen Mördern des NSU und ihren (fränkischen) UnterstützerInnen wurde nicht öffentlich gefahndet. Immerhin hat die Stadt Fürth mittlerweile ein Banner aufgehängt. Darauf ist zu lesen „Antifaschisten haben diese Birken 1930 gepflanzt, Neonazis haben sie 2017 zerstört.“

Kürzlich habe ich den empfehlenswerten Bildband der Fürther Geschichtswerkstatt über die Jahre 1924 -1927 erworben, da mein neuer Roman mitunter in jener Zeit spielt. Die „Letzte Meldung für 1924“ lautet: „Nach der Verurteilung zu fünf Jahren Festungshaft im April wird Hitler bereits im Dezember frei gelassen. Zum Vergleich: Erich Mühsam, der wegen seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik 1919 zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt worden war, wird im Dezember nach sechs Jahren Haft auf Bewährung freigelassen.“

Wenige Jahre später folgte die sogenannte Konservative Revolution, die den Nazis den Weg bereitete. Auf deren Ideologie greift auch die „Neue Rechte“ zurück, die in Teilen der AfD und der rechtsextremen „Identitären“ wiederzufinden ist.