Torsten Seifert: Wer ist B. Traven? Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2017, 272 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-608-50347-0
Wer sich nicht schon vom schlichten Titel und dem irgendwie billig wirkenden Buchcover aus der Reihe TROPEN bei KLETT-COTTA abschrecken lässt, möchte das Buch am liebsten nach dem ersten Kapitel, in dem der Sensationsreporter Leon B. auf Traven angesetzt wird und das wie ein B-Movie anfängt, in die Ecke kloppen. Für die anspruchsvolle Leserin, den anspruchsvollen Leser beginnt es ärgerlich in fast Groschenheftmanier. Wie es das Buch zum „Blog Buster 2017“ gebracht hat, scheint zunächst rätselhaft. Aber vielleicht ist dies der Trick, buchferne Schichten fürs Lesen und vor allem für ein Thema zu begeistern, das sie sonst nie von sich aus angefasst hätten. Der gebürtige Görlitzer Autor, Torsten Seifert, ist nicht ohne Grund Marketingspezialist.
Ab dem zweiten Kapitel stellt sich immerhin so etwas wie Interessanz ein, auch wenn die Atmosphäre des ersten Kapitels noch hinüber weht. Auch der Stil wirkt etwas weniger reißerisch. Hier werden erst einmal ein paar alte Hollywoodstorys aufgewärmt, die wenigstens amüsant sind und erste Informationen über Humphrey Bogart, den Hauptprotagonisten im Oskar-prämierten B. Traven-Film „Der Schatz der Sierra Madre“ herüberreichen. An diesem Film von 1948 wirkte Traven inkognito als angeblicher Beauftragter „Hal Croves“ mit – was positiv gegenüber den anderen filmischen Machwerken zu vermerken ist. Wer Travens Physiognomie als Mann in der Mitte des Lebens von ein paar wenigen Photos kennt, wird versucht sein, eine gewisse Ähnlichkeit der abenteuerlichen Typen Traven und Bogart herzustellen. Herzensbrecher mit Kippen im verwegenen Mundwinkel waren wohl beide.
In den folgenden Kapiteln beginnt der Roman einen Sog zu entwickeln – Seifert kann nämlich durchaus interessant und literarisch erzählen. An dieser Stelle kommt auch die anscheinend unvermeidliche Love-Story, die zum Strickmuster der meisten Romane gehört. Sex still sells. Aber die hier Angebetete zeichnet sich dadurch aus, dass sie als angebliche Archäologin mit vielen Informationen aufwarten kann und von ihr die Initiative ausgeht. Wunderschön ist die geborene republikanische Spanierin natürlich dazu. Mensch erfährt einiges über die Landschaften Mexicos und über seine Geschichte. Die sozialromantische Schilderung des militaristischen Herrschervolkes der Azteken aus dem hübschen Munde Marias klingt allerdings allzu sehr nach einer verklärten Indio-Vergangenheit und unterschlägt die vielen von ihnen brutal unterworfenen Völker. Von der blutgierigen aztekischen Priesterkaste, hoch auf ihren Pyramiden, wurden viele Menschen der Sklavenvölker in grausamen Massenabschlachtungsorgien, durch das Herausreißen des zuckenden Herzens bei lebendigem Leib als Gefangene dem idealisierten Sonnengott und seinen Adler-Boten, die sich die Herzen krallen sollten, dargebracht.
Auf den ersten 85 Seiten erfährt mensch allerdings wenig über den Titelhelden Traven, dafür umso mehr über Hollywoods Filmindustrie, Bogie und Schach. Und bis zum Ende des Filmdrehs erfahren wir mehr über Marias Rundungen als über Hal Croves, der als schlecht gekleideter, übel gelaunter und zeternder Zwerg beschrieben wird. Der „Zwerg“ war immerhin knapp 170 cm groß (mit unvermeidlichem Hut und Stiefeln wohl gut 180) – nicht schlecht damals in Mexico. Doch dann kommt der Knalleffekt. Mehr wird nicht verraten.
Erst ab der zweiten Hälfte des Buches geht Traven-mäßig so richtig die Post ab: bei den Anarchisten in Wien. Der politisch anscheinend unbedarfte Sensationsreporter Leon bekommt dort sozusagen eine richtige Infusion Traven verpasst – obwohl da Fehlinformationen und Halbinfos drinstecken. So wird vermerkt, dass Erich Mühsam, der Münchener Genosse Ret Maruts, 1934 „umkommt“ – es wäre nicht zu viel erwartet, dass an dieser Stelle „im KZ Oranienburg“ eingefügt worden wäre. Mühsam ist schließlich nicht bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Grob falsch ist, dass Marut die letzten Ausgaben der anarchistischen Untergrundzeitung „Der Ziegelbrenner“ aus dem „Exil“ produzierte – er hielt sich noch bis mindestens 1923 in Deutschland versteckt, zeitweise gar in der Höhle des Löwen, Berlin. Der Rest der Informationen ist jedoch erhellend, auch für Nichtkenner*innen Travens. Nach Lektüre des Mahagoni-Zyklus, des mehrbändigen Traven-Werks, das ihm in die Finger gedrückt wird, packt Leon das Traven-Fieber. Auch die eigenen deutsch-jüdischen Wurzeln, mit denen er bisher wenig anfangen konnte, finden Grund.
Auf eigene Faust fährt Leon wieder nach Mexico, Acapulco, damals schon Touristenstadt. Wir erfahren einiges vom Lokalkolorit. Durch einen merkwürdigen Zufall nimmt er hier die Spur B. Travens wieder auf.
Seifert jagt seinen Journalisten durch alle möglichen Situationen, lässt ihn gefährliche Stunts ausführen, ihn verdreschen, in üblen Pulquerias landen, mit gefälligen, aber am Ende korrupten Gewerkschaftern Freundschaft schließen und in Mexico-City mit windigen Geschäftsleuten auf Stierkämpfe und in noch windigere Etablissements stromern. Schließlich knallt und brennt es noch heftig. B. Traven geistert wie ein Phantom irrlichternd im Hintergrund herum und dem Leser, der Leserin wird ab und zu ein Brocken hingeworfen. Traven scheint nicht die Hauptfigur sondern nur die Tapete einer konfusen Mexico-Story zu sein.
Als mensch schon kaum noch daran glaubt, noch was Substantielles über den geheimnisvollen Schriftsteller zu erfahren, nimmt Leon die Fährte wieder auf und findet „Hal Croves“ wieder. Wie seinerzeit der echte Sensationsreporter Heidemann, 1967 für den STERN, heftet Leon sich an Croves Fersen und landet – im Urwald.
Ohne zu viel über das Ende des filmreifen Plots zu verraten, sei gesagt, dass es ab hier noch mal ziemlich inTRAVENös wird. Wird Leon an diesen Croves herankommen und wie nahe? Was wird er aus ihm „herausholen“? Wird Leon Heidemann-like seine Rechercheergebnisse verbraten und diesen B. Traven in jeder Hinsicht verraten? Oder gibt es doch noch ein Happy End, ein bisschen Hollywood-like wie der Anfang? Jedenfalls wird es noch einmal richtig turbulent und spannend – wenn vielleicht auch etwas zu dick aufgetragen. Aber das kennen wir ja schon aus den Seiten vorher.
Wer nach Lektüre diese streckenweise trashigen, aber flüssig lesbaren Romanes von Torsten Seifert Appetit auf mehr B. Traven bekommen hat, wird eine reiche Auswahl an Büchern finden – im Antiquariat und bei Diogenes (z.Zt. sechs Titel von 16), dem Hauptverlag. Ab 2019, wenn sich B. Travens Todestag am 26. März zum 50. Male jährt, wird es hoffentlich auch wieder ein paar B.T.-Neuerscheinungen und Reprints der Klassiker geben. Das deutsch verfilmte TOTENSCHIFF gab es vor wenigen Jahren als Edelausgabe bei der Büchergilde Gutenberg (leider z.Zt. vergriffen), lange B. Travens erster Verlag. Es ist als preiswertes Taschenbuch noch immer bei Rowohlt und Diogenes zu haben.
Für jetzt ganz Hungrige sei die ausgezeichnete B. Traven-Biografie von Karl. S. Guthke wärmstens empfohlen: „B. Traven – Biographie eines Rätsels“, ein spannender dickleibiger Schmöker von 839 Seiten (leider vergriffen, nur antiquarisch), Taschenbuch bei Diogenes. Hier ist so gut wie alles gesagt, was es über Ret Marut alias B. Traven zu sagen gibt. Darüber führt nicht viel hinaus – Leon würde staunen.
Aber wir wollen auch nicht damit hinter dem lakandonischen Berg halten, dass B. Traven Spekulationen über seine Person gering schätzte und der Meinung war, dass ausschließlich die Werke eines Autors sprechen sollten. Dem schließen wir uns an. Auch wenn wir selbst etwas neugierig sind, welche Lebensgeschichte hinter solch großartigen Sozialgemälden stecken, wie es die Romane und Geschichten von B. Traven sind.