so viele farben

Neue Querfront in Griechenland

"Mazedonien ist unser!" Oder: Wer als Patriot einschläft, wird als Faschist aufwachen

| Ralf Dreis

Nachdem zehntausende Nationalist*innen in Thessaloníki und Athen für das exklusive Recht auf den Namen Mazedonien demonstriert haben, zeichnet sich in Griechenland die Neuauflage einer patriotischen Querfront ab. Im Zuge der Massenkundgebungen griffen Neonazis unter dem Geleitschutz der Polizei besetzte Häuser an. Das anarchistische Zentrum Libertatia in Thessaloníki wurde bis auf die Grundmauern niedergebrannt.

Es lief nicht schlecht für die antifaschistische Bewegung in Griechenland. Unter anderem die ständigen Antifa-Mobilisierungen hatten dazu geführt, dass die Umfragewerte von Chrysí Avgí („Goldene Morgenröte“) stagnierten. Diese neonazistische Partei verlor Mitglieder, musste überall im Land Parteibüros schließen und ihre uniformierten Sturmtruppen waren kaum noch aktiv. Vielen der bei Chrysí Avgí organisierten Nazis droht zudem eine Haftstrafe und es scheint momentan nicht ausgeschlossen, dass die Partei als kriminelle Vereinigung verboten wird. Seit April 2015 läuft in Athen der zentrale Prozess gegen insgesamt 69 Parteimitglieder. Die Angeklagten werden für zahlreiche Überfälle auf anarchistische Zentren und linke Kneipen, auf Migrant*innen, links aussehende Jugendliche, Gewerkschafter*innen, sowie für schwere Körperverletzungen und zwei Morde verantwortlich gemacht. Im Januar 2013 am pakistanischen Arbeiter Sachsat Loukman und im September 2013 am antifaschistischen Rapper Pávlos Fýssas. Ohne die Massenproteste nach der Ermordung von Fýssas hätte die Strafverfolgung bis heute nicht begonnen. „Tatsächlich war es erst die große öffentliche Empörung, die den Staat zwang, die jahrelange Straffreiheit für Chrysí Avgí zu beenden“, betont Thanásis Karagiánnis, einer der Anwälte der Zivilkläger*innen im Prozess. Während sich nun Teile der Justiz bemühen zur Aufklärung der von den Neonazis begangenen Verbrechen beizutragen, bleiben sich die Massenmedien treu. Die großen privaten Radio- und Fernsehsender, die Chrysí Avgí von 2009 bis 2013 massiv gepusht hatten, verfolgen den Prozess kaum. Dass wichtige Informationen dennoch den Weg an eine breitere Öffentlichkeit finden, ist vor allem linken Zeitungen und der Initiative „Golden Dawn Watch“ zu verdanken, deren Aktivist*innen das Verfahren protokolieren und die Mitschriften ins Netz stellen. „Je mehr Öffentlichkeit der Prozess erhält, desto klarer wird die Rolle von Chrysí Avgí“, unterstreicht Elisábeth, die bei der Initiative mitarbeitet.

Die Mazedonienfrage

Seit Ende Dezember 2017 von der griechischen Regierung Verhandlungen mit der mazedonischen Regierung über die Beilegung des Namenskonflikts zwischen beiden Ländern aufgenommen wurden, hat sich das gesellschaftliche Klima geändert. Griechische Nationalist*innen jeder Couleur mobilisieren mit aller Macht gegen Zugeständnisse an das Nachbarland. Im Windschatten der Mobilisierungen kommen die faschistischen und neonazistischen Organisationen erneut aus ihren Löchern. Der Namensstreit schwelt seit 1991, als die ehemalige jugoslawische Teilrepublik ihre Unabhängigkeit erklärte und den Namen Republik Mazedonien wählte.

Dies löste heftigen Widerspruch in Griechenland aus, wo man den Namen Mazedonien als Teil des Nationalerbes versteht und spätere Gebietsansprüche befürchtete. Mazedonische Ultra-Nationalisten befeuerten diese Ängste, indem sie 1992 Landkarten in Umlauf brachten, auf denen sie große Teile Nord- und Zentralgriechenlands einem künftigen „Groß-Mazedonien“ mit Thessaloníki als Hauptstadt einverleibten. Die Regierungen in Athen blockieren seitdem den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen und seit 2008 die Nato-Mitgliedschaft des Landes, das bei den Vereinten Nationen seit 1993 als „Former Yugoslavian Republic of Macedonia (FYROM)“ geführt wird.

Bei den nun in New York begonnenen Gesprächen hatte der seit 25 Jahren mit dem Thema befasste UN-Sonderbeauftragte Matthew Nimetz laut Medienberichten fünf Namensvorschläge unterbreitet. Sie alle sollen das Wort Mazedonien enthalten, unter anderem „Nord-Mazedonien“ und „Neu-Mazedonien“.

Nimetz gab sich optimistisch, da beide Seiten an einer Lösung interessiert seien. Auch der griechische Regierungschef Aléxis Tsípras erklärte noch am 20. Januar 2018 gegenüber der Athener Tageszeitung Ethnos, es sei „nicht unlogisch“, dass der Begriff „Mazedonien mit einem geografischen oder zeitlichen Zusatz“ im neuen Namen enthalten sein könnte. Schon die Regierungsübernahme seines mazedonischen Amtskollegen Zoran Zaev im Mai 2017, war international allgemein als positiv für eine Lösung gewertet worden. Im Gegensatz zu Vorgänger Nikola Gruevski gab sich Zaev von Beginn an offen für Kompromisse, nicht zuletzt weil viele seiner Wähler*innen hoffen, mit einem NATO-Beitritt die schlechte Wirtschaftslage des Landes zu verbessern.

Beim ersten direkten Gespräch der beiden Regierungschefs auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 23. Januar sagte Zaev als Zeichen des guten Willens die Umbenennung des Flughafens und der wichtigen Autobahn nach Skopie zu. Beide waren als Antwort auf die von Griechenland 2008 verhinderte Aufnahme in die NATO, von Vorgänger Gruevski in „Alexander der Große“ umgetauft worden. Ein Affront, gilt doch der Makedone Alexander der Große als griechischer Nationalheld. Tsípras erklärte im Gegenzug man werde nicht nur den Namensstreit lösen, sondern auch „stabile und freundschaftliche Beziehungen“ aufbauen. Da Mazedonien schon beim NATO-Gipfel am 11. und 12. Juni 2018 in Brüssel „zur Stabilisierung des unruhigen Balkans“ in die NATO aufgenommen werden soll, steht Tsípras unter großem Druck der USA und anderer NATO-Staaten. Dabei dürfte es weniger um die Stabilisierung des Balkans gehen, als mehr um die Westanbindung Mazedoniens und darum, den unter Gruevski stark gewachsenen Einfluss Moskaus zurück zu drängen.

Neonazis greifen besetzte Häuser an

Am 21. Januar versammelten sich in Thessaloníki nach Angaben der Polizei etwa 90.000 Menschen, um gegen den Bestandteil „Mazedonien“ im Namen des Nachbarlandes zu protestieren. Das Bündnis der Organisatoren reichte vom griechisch-orthodoxen Klerus über die im Parlament vertretene Zentrumsunion, den rechten Flügel der größten Oppositionspartei Néa Dimokratía (ND), Generäle der Armee, nationalistische und rechtsextreme Organisationen bis zur neonazistischen Partei Chrysí Avgí. Es war die größte Demonstration in Thessaloníki seit 1992, als zum gleichen Thema fast eine Million Menschen in einem wahrhaft nationalistischen Delirium die Stadt überschwemmt hatten. Thessaloníki steht im Namensstreit an exponierter Stelle, weil es die Hauptstadt der Region Makedonía ist, die große Teile Nordgriechenlands umfasst. Dabei ist die Geburtsstadt Kemal Atatürks erst seit relativ kurzer Zeit griechisch geprägt. Während der Balkankriege 1912-1914 gegen das Osmanische Reich kam es nicht nur in der Region Makedonía zu brutalen ethnischen Säuberungen. Auch Thessaloníki, das damalige „Jerusalem des Balkans“ wurde erst 1912 von den griechischen Truppen befreit, die nur wenige Stunden vor der bulgarischen Armee in die Stadt einmarschierten.

Außer Roma, bulgarischen, slawischen und albanischen Minderheiten, lebten zu dieser Zeit ca. 60.000 Türk*innen, 60.000 sephardische Juden und Jüdinnen und 30.000 Griech*innen in der Stadt. Mit dem Vertrag von Lausanne 1923, der den Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei regelte, mussten alle Türk*innen die Stadt verlassen.

Weit über 100.000 aus der Türkei vertriebene Griech*innen siedelten sich an. Die jüdische Bevölkerung wurde 1942/43 von den deutschen Besatzern nach Ausschwitz deportiert und dort ermordet. Nur 4 % der Juden und Jüdinnen Thessaloníkis überlebte den Holocaust.

Erst so wurde aus einer über viele Jahrhunderte multiethischen Stadt das heute bekannte, griechische Thessaloníki. Was den Nationalist*innen aber egal ist. Der christliche Fundamentalist und als Fan von Chrysí Avgí bekannte Metropolit von Thessaloníki Ánthimos hatte am Morgen des 21. Januar mit einem Gottesdienst zur Kundgebung mobilisiert, und unmissverständlich klargestellt: „Mazedonien ist Griechenland und Griechenland ist Mazedonien.“ Wassílis Levéntis, Vorsitzender der Zentrumsunion, sprach im Vorfeld von „Verrat“, sollte die Regierung der Benutzung des Begriffs Mazedonien zustimmen. Die Nazis von Chrysí Avgí witterten „Volksverrat“ und waren mit uniformierten Sturmtruppen vor Ort. Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Néa Dimokratía, Kyriákos Mitsotákis, hatte schon Tage zuvor betont, er werde „unnachgiebig sein“, wenn es um die Nutzung des Begriffes Mazedonien für die FYROM gehe. Die von der ND-Führung ausgegebene Anordnung, nicht an der Kundgebung teilzunehmen, wurde vom rechten Parteiflügel u.a. dem Präfekten Zentralmazedoniens, Apóstolos Tzitzikóstas, und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Antónis Samarás (2012-15) ignoriert, was nicht einer gewissen Pikanterie entbehrt. Der Rechtsausleger Samarás war unter dem Vater des heutigen Oppositionsführers von 1990 bis 1992 Außenminister und wurde wegen seiner Kompromisslosigkeit in der mazedonischen Frage von Konstantínos Mitsotákis als Minister entlassen.

Daraufhin gründete Samarás seine eigene Partei Politikí Anixi (Politischer Frühling), rechts von der ND, womit er das Ende der Regierung seines früheren Mentors herbeiführte. Im folgenden Wahlkampf wurde der liberal-konservative Mitsotákis vom Nationalisten Samarás und dem Linksnationalisten Andreas Papandréou (Pasok) beim Thema Mazedonien in die Zange genommen. Der Einzug von Politikí Anixi – auf Kosten der ND – ins Parlament, führte bei den Wahlen 1993 zum Verlust der Mehrheit von ND und zur Rückkehr von Pasok an die Macht.

Ein anderer entschiedener Gegner von Zugeständnissen in der Namensfrage ist Verteidigungsminister Pános Kamménos. Der Parteichef der Unabhängigen Griechen (ANEL), des christlich-nationalistischen Juniorpartners der Regierungspartei Syriza, hatte immer wieder betont, eine Lösung, die den Begriff Mazedonien beinhalte, komme für ihn nicht in Frage. Am 21. Januar war ANEL mit viel Fußvolk und der Staatssekretärin im Innenministerium für die Angelegenheiten Mazedoniens-Thrakiens, Maria Kóllias-Tsaroúcha, vertreten.

Während vor Beginn der Kundgebung Angriffe von Nazis auf das seit 2010 besetzte soziale Zentrum Schule zum Erlernen der Freiheit und das seit 2008 besetzte anarchistische Zentrum Libertatia abgewehrt werden konnten, brannten kurz danach Nazis und faschistische Hooligans des Fußballvereins PAOK Thessaloníki mit Unterstützung der MAT-Aufstandsbekämpfungseinheit der Polizei, das Libertatia nieder.

Die Besetzer*innen befanden sich zu dieser Zeit auf der antifaschistischen Kundgebung. „Die Angriffe und die Brandstiftung hätten ohne den Schutz der Mazedonien-Kundgebung nie geschehen können. Dort sind sie hin, von dort kamen sie zurück.

Alle rechtsradikalen und neonazistischen Gruppen haben dazu aufgerufen, doch niemand hat sich daran gestört, womit ihnen gesellschaftliche Legitimität verliehen und öffentlicher Raum für Wort und Tat zur Verfügung gestellt wurde“, heißt es in einer Erklärung von Libertatia.

Die antifaschistische Solidaritätsdemo für das Projekt mit 2.500 Menschen am folgenden Abend, wurde von der Polizei mit Tränengas und Blendschockgranaten angegriffen.

Bei den folgenden Auseinandersetzungen gab es viele Verletzte, fünf Menschen wurden verhaftet und erst nach fünf Tagen aus der Haft entlassen. Keine der im Parlament vertretenen Parteien verurteilte die Brandstiftung und keiner der großen privaten Fernsehsender berichtete darüber. Die Besetzer*innen von Libertatia haben inzwischen angekündigt, das bis auf die Grundmauern abgebrannte Haus wieder aufbauen zu wollen.

Ein Denkmal demontiert sich selbst

Die Großkundgebung vom 4. Februar auf dem Sýntagma-Platz vor dem Parlament in Athen, unter dem Motto „Makedonien bedeutet Griechenland“, zog ca.150.000 Menschen an. Nach der im Vorfeld durch die Massenmedien angeheizten Mazedonien-Hysterie und in Erwartung von bis zu einer Million Teilnehmer*innen, wurde die weit geringere Teilnahme als Niederlage der Nationalist*innen gewertet.

Aufgerufen hatten hier auch einige Fraktionen der nationalistischen, staatsorientierten Linken. Neben der „patriotischen“ Epam (Vereinigte Volksfront) des ehemaligen Mitglieds der Kommunistischen Partei, Dimítris Kazákis, unterstützte die frühere Syriza-Parlamentspräsidentin und jetzige Vorsitzende der Partei Pléfsi Eleftherías (Kurs der Freiheit), Zoí Konstantopoúlou, die Demonstration. Außerdem die Kommunistische Organisation Griechenlands (KOE), eine postmaoistische Organisation, die bis 2015 Bestandteil von Syriza war. Als Hauptredner trat auf der Kundgebung der berühmte Komponist Míkis Theodorákis auf, was heftige Kritik innerhalb des linken, antiautoritären Milieus auslöste.

Eine anarchistische Gruppe schrieb folgende Parole an sein Haus: „Deine Geschichte beginnt in den Bergen und endet in der nationalistischen Gosse.“

Der während der faschistischen Diktatur inhaftierte, und sich heute selbst als „patriotischen Internationalisten“ bezeichnende 93-jährige, verstieg sich zu der von den versammelten Reaktionär*innen umjubelten Aussage: „Ich bekämpfe den Faschismus (…) insbesondere in seiner gefährlichsten Form, der linksgerichteten, wie der der extremistischen Kleingruppen, die schlicht feige Terroristen sind, und der der Minderheiten, die uns regieren und unser Land zerstören.“

Wie in Thessaloníki, versuchten Neonazis im Umfeld der Kundgebung besetzte Häuser anzugreifen. Auf das seit 2011 besetzte selbstverwaltete Theater Emprós wurde ein Molotowcocktail geworfen, die Angreifer konnten jedoch vertrieben werden. Nach der bitteren Erfahrung von Thessaloníki hatten antifaschistische, anarchistische und linksradikale Gruppen im Vorfeld mit Motorradkonvois, Stadtteilspaziergängen, nächtlichen Patrouillen und Demos zur Wachsamkeit aufgerufen.

Alle linksradikalen Treffpunkte, anarchistischen Zentren, besetzten Häuser, Kollektive und Szenekneipen wurden rund um die Uhr geschützt.

„Ihr werdet sterben, heute verbrennen wir euch“

Wie sehr antifaschistischer Selbstschutz in der momentanen Situation dringend geboten bleibt, beweist ein brutaler Mordanschlag vom 26. Februar im freiheitlichen sozialen Zentrum Fabela, in Piräus. Elefthería Tombatzóglou, eine der Anwältinnen der Eltern von Pávlos Fýssas im Prozess gegen Chrysí Avgí, erlitt dabei eine Platzwunde am Hinterkopf und eine schwere Gehirnerschütterung. Sie berichtet in Efimerída ton Syntaktón vom 27. Februar: „Es war kurz vor Sieben, wir waren nur wenige Leute in der Fabela, da das Plenum erst später beginnen sollte, als mindestens sieben mit Helmen, Knüppeln, Eisenstangen und Pyrotechnik Bewaffnete den Raum stürmten.

‚Ihr Fotzen, ihr werdet sterben, heute verbrennen wir euch Huren‘, schrieen sie und fingen an auf uns einzuschlagen.

Nach kurzer Zeit ertönte das Kommando ‚Zeit ist um‘ und sie zogen unter der Parole ‚aíma, timí, Chrysí Avgí‘ (Blut, Ehre, Goldene Morgenröte) ab.“

Außer Tombatzóglou erlitt eine weitere Frau Kopfverletzungen, zwei Personen trugen Brandverletzungen an den Armen davon als sie versuchten ihre Gesichter gegen die Pyrotechnik zu schützen. Der koordinierte Ablauf des Überfalls stimmt exakt mit dem der Sturmtruppen Chrysí Avgís in der Vergangenheit überein und beweist, dass die Mörder glauben wieder Oberwasser zu bekommen.

Organisiert vom Libertatia-Besetzer*innen Kollektiv und weiteren anarchistischen Gruppen Thessaloníkis fand am 10. März die „Balkanweite internationalistische Demonstration gegen jeden Nationalismus“ in Thessaloníki mit ca. 5.000 Teilnehmer*innen statt.

Nach dem Ende der Demo kam es zu Auseinandersetzungen mit starken Polizeikräften.

Ralf Dreis