Dieser Text fragt, wie die Organisation von Sauberkeit von anarchistischen Ansätzen inspiriert werden kann.
Was ist das Problem?
Wenn es in WGs, Hausprojekten und anderen selbstverwalteten Projekten um Putzen oder andere ungeliebte, aber notwendige Tätigkeiten für die Gemeinschaft geht, wird es manchmal schwierig: Einige Leute sind frustriert, weil sie ihrer Wahrnehmung nach deutlich mehr dieser unbeliebten Tätigkeiten übernehmen als andere, manche sind gestresst, weil sie den Eindruck haben, für alles zuständig sein zu müssen, andere haben keinen Überblick und denken, sie machen schon genug, wiederum andere ziehen sich aus Gemeinschaftsbereichen zurück mit dem Ziel, unbeliebte Gemeinschaftstätigkeiten zu vermeiden. Die einen meinen, es läuft doch super, den anderen ist es zu schmutzig.
In der ak stand vor kurzem geschrieben, dass „Unterschiedliche Sauberkeitsstandards“ nur eine Entschuldigung für nicht gleich verteiltes Reinemachen und die Reproduktion der Rollenmuster sei. (1)
Anarchist_innen haben mit einem schlechten Ruf zu kämpfen. Deshalb ist es meiner Meinung nach umso wichtiger, konstruktive anarchistische Organisationskonzepte in der Realität zu erproben und so eine Anregung für andere zu sein. Wenn wir Anarchie als weltweites dezentrales Gesellschaftsmodell anvisieren, kann es doch nicht so schwer sein, das Reinemachen zu organisieren, oder?
Sollte dieses Putzschlammassel sich nicht mit anarchistischen Organisationskonzepten lösen lassen, sodass wir danach wieder zu scheinbar wichtigeren Themen wie der Transformation in anarchistische Gesellschaften übergehen können? Oder ist dieses Thema gar nicht so nebensächlich, sondern ein Modell, an dem das Funktionieren anarchistischer Organisation ausprobiert und gezeigt werden kann? Das „Utopische Klo“ von Annette Schlemm sagt: „Jede Utopie muss sich daran messen lassen, wie in ihr das Problem des Klo-Putzens gelöst wird“. (2) Was also hat die Vielzahl anarchistischer Theorien und Utopien zur Lösung des Problems zu bieten? Da es viele, sich teilweise widersprechende anarchistische Ansätze gibt, ist das Folgende kein Rezept, sondern nur eine Denkanregung.
Anarchistischer Anspruch
Anarchistische Gemeinschaften beruhen auf Ideen der Freiheit und Solidarität. „Freiheit ohne Sozialismus besteht aus Privilegien und Sozialismus ohne Freiheit bedeutet Gewalt und Unterdrückung“ (Bakunin).
Es geht also darum, nicht nur der eigenen Freiheit und den eigenen Bedürfnissen nachzugehen, sondern auch solidarisch die Freiheit der anderen im Blick zu haben. Die Freiheit des einzelnen hört da auf, wo sie beginnt, die Freiheit eines anderen einzuschränken. Gemeinschaften, in denen Leute mit diesem Anspruch zusammen leben wollen, basieren darauf, dass die Leute sich gegenseitig unterstützen, an der Gemeinschaft teilhaben und Tätigkeiten und Verantwortung übernehmen. Dabei kann sich jede Person nach ihren Fähigkeiten und ohne Zwang einbringen. Anderseits wird die Gemeinschaft auch darauf achten, nicht ausgenutzt zu werden, um eine Kultur von Kooperation zu entwickeln.
Diese abstrakten Ideen werden im Folgenden durch das Putzbeispiel mit mehr Realitätsbezug gefüllt.
Lösungsansätze, die nicht taugen: Reproduktionsarbeit ist Frauensache
Nein, wir machen es nicht wie damals Kropotkin und Co., die die Reproduktionsarbeit den Frauen zugewiesen haben. Wer heute Anarchist ist, muss Frauen und alle anderen benachteiligten Gruppen als gleichwertige Menschen behandeln. Meine Freiheit ist auch die Freiheit der anderen.
Meine Zeit ist wichtiger als deine
Da Anarchist_innen den Kapitalismus, damit verbundene soziale Ungleichheit und die daraus erwachsende Notwendigkeit, gegen den eigenen Willen stupide und schlecht bezahlte Arbeiten anzunehmen, ablehnen, ist die Möglichkeit, einen externen Menschen dafür zu bezahlen, dass er das „selbstorganisierte“ Projekt putzt, meiner Meinung nach ausgeschlossen. Einer Putzkraft einen geringeren Stundenlohn zu bezahlen, als mensch selbst durch Berufstätigkeit verdienen könnte, bedeutet, die Zeit der Putzkraft als weniger wichtig herabzusetzen. Sich helfen lassen ist eine gute Idee, ausbeuten oder sich als wichtiger zu empfinden als andere nicht.
Aufrechnen
Ein Gefühl von ungerechter Verteilung von unangenehmen Arbeiten, Freizeit oder sonstigen knappen Gütern kann dazu führen, dass Leute beginnen, Neid zu entwickeln und sich gegenseitig Dinge aufzurechnen. Eine Person würde mehr von dem teuren Käse essen, eine andere dafür lange warm duschen, wiederum eine andere sich nicht am Putzen beteiligen. Diese aufrechnenden Denkweisen können zu einer Negativ-Spirale in freiwilliger Beteiligung führen: Wenn sonst keine_r Plena vorbereitet, mache ich das auch nicht mehr. Wenn Plena so schlecht laufen, habe ich auch keine Lust mehr, Gemeinschaftsaktivitäten anzustoßen, usw.
Um die Ursache des aufrechnenden Denkens, die gefühlte Ungerechtigkeit, anzugehen, kann überlegt werden, was für die Gruppe „Gerechtigkeit“ bedeutet. Vermutlich wird dann schnell klar, dass Gerechtigkeit komplexer ist als das Aufrechnen von verbrauchten Gütern oder eingebrachten Arbeitsstunden. Scheinbar einfache Lösungen zum Beheben des Ungerechtigkeitsgefühls, wie Arbeitsstundenregelungen (jede Person soll eine bestimmte Anzahl von Stunden im Reproduktionsbereich arbeiten, sodass die Arbeit gleichmäßig verteilt wird) stellen sich dann schnell als weder praxistauglich noch herrschaftsarm heraus: Fixe Regeln für alle gehen nicht auf Bedürfnisse ein, führen zu Frust und Unlust, werfen weitere Fragen wie „Was ist eigentlich Arbeit?“ auf, etablieren möglicherweise Gemeinschaftstätigkeitsstunden als eine neue Währung und stellen Leute an den Pranger, die weniger tun.
Unsichtbare (Reproduktions-)Arbeit
Andererseits kann das Nicht-Sichtbarmachen von geleisteter und gemeinschaftlich zu leistender (Reproduktions-)Arbeit dazu führen, dass Leute nicht mal wissen, wie viel zu tun ist, und daher auch nicht, dass eine ungleiche Verteilung unbeliebter Tätigkeiten vorliegt.
Dadurch können sich bestehende Herrschaftsmechanismen unentdeckt weiter reproduzieren. Transparenz sollte jedoch nicht in Form von Aufrechnen oder öffentlichen Schuldzuweisungen geschehen, sondern dezentral und wertfrei.
Verursacherprinzip
Das Verursacherprinzip als ein Grundsatz des Zusammenlebens kann für Entspannung sorgen, wenn z.B. alle ihr benutztes Geschirr selbst in die Spülmaschine bringen oder einen Gemeinschaftsraum nach Benutzung wieder aufräumen. Es gibt jedoch immer einen Grunddreck, der auch bei noch so umsichtiger Benutzung von Gemeinschaftsräumen anfällt. Es ist nicht das Ziel, dass Menschen sich aus Gemeinschaftsräumen zurückziehen, um wenig Schmutz zu machen. Die Anwesenheit in und Nutzung von Gemeinschaftsräumen ist ein wichtiger Gemeinschaftsbeitrag.
Wenn das Verursacherprinzip als einzige Handlungsmaxime im Raum steht, ähnelt dies dem Aufrechnen und kann mit Schuldzuweisungen sowie dem kapitalistischen Isolationsprinzip des „Jeder ist für sich selbst verantwortlich“ einhergehen, was ein solidarisches Miteinander untergräbt. Wenn eine Person viel mehr Schmutz oder Unordnung verursacht als sie wegputzt, wird das vielleicht als ungerecht empfunden werden, jedoch kann in einem Gespräch im kleinen Kreis eine bedürfnisorientiertere und als gerechter empfundene Lösung gefunden werden als durch Aufrechnen oder Verursacherprinzip.
Nur worauf du wirklich Lust hast
Eine Idee aus der Bedürfnisorientierung sowie Geschenkökonomie ist es, nur so viel zu tun oder zu geben, wie mensch wirklich will. Das hat den Vorteil, dass Aufrechnen vermieden wird. Nach dieser Logik ist es okay, sich ohne Rücksprache mit der Gemeinschaft von jeglichen Tätigkeiten für die Gemeinschaft zurückzuziehen. Doch was, wenn Knappheit entsteht, wenn es Menschen nicht gut geht, weil die gemeinsamen Räume nicht aufgeräumt oder hygienisch genug sind?
Die Personen, die sich um Kinder oder gesundheitlich angeschlagene Menschen kümmern, und Personen, die sich durch den unaufgeräumten Zustand der Gemeinschaftsräume in ihrer Möglichkeit diese zu nutzen eingeschränkt fühlen, werden dann zuerst und am häufigsten putzen. Einige werden argumentieren, dass das okay sei, da die anderen einen niedrigeren Sauberkeitsstandard hätten, doch ist hier wieder das egoistische und unsolidarische Muster der Eigenverantwortung zu erkennen, was zu Frust und mehr unsolidarischem Verhalten führen kann. In Gemeinschaften mit emanzipatorischem Anspruch sollten solche Muster daher erkannt und angesprochen werden.
Es klappt schon so
Wenn neue Gruppen mit herrschaftsarmem Anspruch zusammen kommen, gibt es häufig die Hoffnung, dass die Regelung von Aufgaben wie Putzen nicht nötig sei, da sich das schon von selbst irgendwie zurechtruckeln würde. Jede_r macht, was er_sie mag und dann klappt das schon. Dinge zu erledigen, die kaum eine_r gerne macht, bringt mehr soziale Anerkennung und damit wieder mehr Anreiz, sodass sich das selbst reguliert. Es mag sein, dass das in gut eingespielten und überschaubaren Gemeinschaften mit Leuten, die solidarisch agieren, funktioniert. Mit beliebigen im Kapitalismus sozialisierten Menschen oder in größeren, heterogeneren Gruppen ist das jedoch meiner Erfahrung nach eher nicht der Fall.
Zentrale Planung
Wenn es nicht einfach so klappt, ist eine weitere Idee zur Lösung des Putzproblems die zentrale Planung. Es wurde erkannt, dass unbeliebte Aufgaben gerecht verteilt werden sollten, da sie sonst an wenigen hängen bleiben. Ein Lösungsansatz dazu ist die feste Zuweisung von Verantwortungsbereichen zu bestimmten Personen oder ein weiterer die Rotation durch diese Verantwortungsbereiche. Durch diese Ansätze wird Reproduktions-Arbeit unabhängig vom Geschlecht verteilt. Rotation hat zusätzlich den Vorteil, dass jede_r mal mit unbeliebten Arbeiten dran ist und Einblick in unterschiedliche Bereiche und Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft bekommt. So entstehen bessere Ideen zur Prozessoptimierung, eine bessere Grundlage für Konsensentscheidungen und Vermeidung von Lagerkämpfen zwischen Arbeitsbereichen um Ressourcen.
Der Nachteil von zentralen Planungsideen, vor allem für größere Gruppen, ist jedoch, dass schwerer auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden kann und jede Idee jemand anderem nicht gerecht wird: Wenn jede_r im Plenum eigene Vorlieben äußert wie beispielsweise, dass er_sie lieber einen festen Bereich hätte, auf keinen Fall das Klo von anderen Wohnbereichen putzen würde oder höchstens zweiwöchentlich rotieren könnte, kann die Diskussion in ermüdendem Hin und Her stecken bleiben und eine Entscheidung unmöglich werden. Zentrale Planung hat zudem das Problem, Details zu übersehen und so für die Realität wenig taugliche Konzepte zu entwerfen.
Anarchistische Lösungsansätze
Wie könnten anarchistische Lösungsansätze für das Putzproblem aussehen, die die oben genannten Probleme vermeiden?
Lernprozess, Transparenz und Strukturen
Anarchistische Ansätze gehen davon aus, dass der Mensch grundsätzlich gut und lernfähig ist. Es ist möglich, dass in kleinen Gruppen nach einiger Zeit des Lernprozesses formale Methoden nicht mehr benötigt werden, da die Leute nun wissen, wie viel Arbeit wo anfällt, und sich solidarisch daran beteiligen. Andererseits kann ab einer gewissen Gruppengröße Strukturlosigkeit zu unausgesprochenen hierarchischen Strukturen und Intransparenz führen. Eine zu strikte Organisation kann umgekehrt schwer auf individuelle Bedürfnisse eingehen und dynamische Entwicklung einschränken. (3) Größere Zusammenhänge wie Hausprojekte sind komplex, wenn sie als Ganzes betrachtet werden. Jedoch bestehen sie, wenn sie von unten nach oben und dezentral organisiert sind, aus kleineren Einheiten, die mit weit weniger Struktur auskommen und weniger anfällig für zentrale Fehlplanungen sind.
Das Nebeneinander verschiedener Ansätze
Anarchistische Ansätze ermöglichen explizit das Nebeneinander verschiedener Organisationsweisen, Lebensweisen, Weltanschauungen, Vorlieben. In bolo’bolo (4) wird beschrieben, wie Menschen mit ähnlichen Vorlieben sich in Gemeinschaften zusammenfinden.
Es liegt nahe, mit Personen zusammen zu arbeiten, mit denen mensch gut klarkommt, und mit Menschen zusammen zu leben, die ähnliche Ansichten teilen und mit denen mensch sich gut versteht. So könnte es Hausprojekte geben, in denen die Leute eher schlichte Einrichtung und wenig Staub bevorzugen und andere, in denen eher alle Ecken mit Dingen vollgestellt sind und das Saubermachen weniger gründlich ausfällt.
Doch solange es nicht Hunderte von Hausprojekten in der näheren Umgebung gibt und der Umzug in ein passenderes Hausprojekt schwierig ist, finden wir uns vermutlich eher nach politischen Einstellungen, Sympathie und regionalen Vorlieben als nach Putzvorlieben zusammen und sollten deshalb auf dem Gebiet des Reinemachens bereit sein, aufeinander zuzugehen.
Optimieren, Reduzieren
Gerade bei unbeliebten Tätigkeiten macht es Sinn, mit vielen Leuten zusammen zu überlegen, wie diese reduziert, die Abläufe optimiert und angenehmer gestaltet werden können. Das funktioniert besonders gut, wenn einige Leute mal durch verschiedene Putzaufgaben rotieren, um einen Überblick zu bekommen.
Vielleicht erhöht sich für einige Leute der Spaß am Putzen, wenn sie es gemeinsam tun, vielleicht wenn sie es mit einer Party verbinden. Ist die Bereitschaft zum Putzen besonders gering, dann kann möglicherweise ein Vorschlag zur Reduktion der Putzaufgaben auf die notwendigsten für Entspannung sorgen.
Eine weitere Idee zur Optimierung ist der Einsatz von Maschinen. Spülmaschinen sind eine große Erleichterung. Putzroboter sind noch nicht ganz ausgereift, teuer und meist unter unfairen Arbeitsbedingungen hergestellt. In einer (nicht-primitivistischen) anarchistischen Zukunft werden sicherlich mehr Geräte zur Arbeitserleichterung unter annehmbaren Bedingungen hergestellt. Also als kleine Aufmunterung beim Wischen für die, die nicht in Natur- oder Subsistenz-bolos leben wollen: Bald hilft der Putzroboter.
„Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“
Was bedeutet dieser Grundsatz in Bezug auf das Putzen? Wenn eine Person ein Bedürfnis nach täglich gewischten Gemeinschaftsbereichen hat, müssen sich dann alle danach richten? Nein, wenn nicht genug (Bereitschaft zum Putzen) da ist, müssen die Leute gemeinsam eine Lösung finden, welche Sauberkeitsbedürfnisse die dringendsten sind, oder ob es vielleicht noch andere Tätigkeitsbereiche wie Dachreparatur oder Essensbeschaffung gibt, die noch dringender sind, und/oder wie mehr Putzbereitschaft entstehen kann.
Bedeutet „jeder nach seinen Fähigkeiten“, dass derjenige mehr spült, der es besser kann und der, der es nie ausprobiert hat, es sein lassen kann?
Nein, auch das nicht. Zum Umgang mit Menschen, die sich nicht an unbeliebten, aber notwendigen Aufgaben beteiligen wollen, gibt es weiter unten noch einen Abschnitt. In vielen Bereichen ist es sinnvoll, nicht immer die fähigsten Personen eine Aufgabe durchführen zu lassen, sondern die Fähigkeiten zu verteilen – insbesondere beim Putzen, da hier keine zeitaufwändigen Spezialausbildungen nötig sind.
Ein konkretes Beispiel möglicher anarchistischer Putzorganisation
Wir könnten den Wunsch nach regelmäßig gereinigten Räumen als ein benötigtes Produkt, die Nutzer_innen der Räume als Konsument_innen und die Tätigkeit des Putzens als Produktion von Sauberkeit verstehen.
Sowohl auf Konsument_innenseite als auch auf Produzent_innenseite gibt es unterschiedliche Vorlieben. Die Benutzer_innen von Räumen können unterschiedliche Reinlichkeitswünsche haben. Die Produzent_innen der Reinlichkeit wiederum können unterschiedliche Vorlieben zur Art und Weise, wie das Reinemachen organisiert und ausgeführt wird, haben. Dadurch, dass sich Konsument_innen und Produzent_innen in kleinen lokalen Gruppen zusammen tun, können sie leichter über ihre spezifischen Bedürfnisse kommunizieren und darauf eingehen, als dies in einem großen Plenum oder bei zentraler Planung möglich wäre.
Das Bedürfnis nach sauberem Raum (nicht Hochglanz, aber so, dass die Ausbreitung von Krankheiten, Pilzen oder Schimmel eingeschränkt ist), wird wie Wasser und Ernährung als grundlegend angesehen. Für die Erfüllung dieser grundlegenden Bedürfnisse übernimmt die Gemeinschaft gemeinsam Verantwortung. Hat jemand einen über seine_ihre von anderen nachvollziehbaren notwendigen Bedürfnisse hinaus gehenden Sauberkeitswunsch, wird er_sie vermutlich selbst die Arbeit dafür übernehmen müssen.
Leute, die an sauberen Räumen interessiert sind, treffen sich in lokalen Sauberkeitskonsument_innenräten und legen fest, was in ihrem Haus wie oft geputzt werden sollte. Sie bestimmen auch eine Priorität der Aufgaben, sodass die wichtigsten erledigt werden, falls die meisten Leute wenig Zeit mit Saubermachen verbringen wollen.
Wenn sich zur Abdeckung dieser notwendigen Putzarbeiten nicht genügend Freiwillige finden, beschließt die Gemeinschaft im Plenum, dass alle die Verantwortung dafür teilen und sich nach ihren Fähigkeiten einbringen sollten. Andernfalls würden einzelne sich trotz Unlust verpflichtet fühlen und so in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Unter „alle“ versteht sich hier „alle“ Erwachsenen, die dazu in der Lage sind.
Jede_r dieser Erwachsenen sollte sich daher in einem kleinen Putzkollektiv mit anderen zusammentun. Das können Freundesgruppen sein oder Leute, die Interesse an der gleichen Putztätigkeit haben. Also beispielsweise das „Party-Putz-Kollektiv“ oder „Die Fröhlichen Fensterputzenden“.
Es gibt ein z.B. zwei Personen starkes Putzorganisationskomitee. Dieses fragt die Wünsche und Prioritäten der Konsument_innen, also der Sauberkeitsräte, und die Bereitschaft zur Übernahme von Putztätigkeiten (Umfang und Art und Weise) der Putzkollektive ab. Daraus erstellt das Putzorganisationskomitee einen transparenten Vorschlag zur Verteilung der Putztätigkeiten. Die Verteilung der Tätigkeiten hängt von der Anzahl der Leute im Kollektiv, von dessen geäußerten Vorlieben, Fähigkeiten und Möglichkeiten und von einem auf dem Selbstverständnis der Gemeinschaft abhängigen Gerechtigkeitsdenken ab. Dieser Plan besagt möglicherweise, dass Putzkollektive mehr Tätigkeiten übernehmen müssen als sie gehofft hatten, da sonst die Abdeckung der dringend notwendigen Putztätigkeiten nicht gewährleistet sein würde, oder dass im nächsten halben Jahr leider keine Fenster geputzt werden können, da wichtigere Aufgaben Vorrang haben. Die Sauberkeitsräte und Putzkollektive können dann nochmal Wünsche zur Planänderung an das Putzorganisationskomitee einreichen, welches den Plan daraufhin modifiziert. Dieser zweite Plan ist dann für alle verbindlich.
Die Verantwortlichen des Putzorganisationskomitees werden im Konsens von der Gemeinschaft benannt und können, wenn große Zweifel an ihrer Arbeit bestehen, jederzeit durch andere, im Konsens gefundene Verantwortliche ausgetauscht werden. Die Auslagerung des Planungsprozesses in das Komitee verhindert, dass sich das Plenum der Gesamtgemeinschaft in Details verfängt und zerstreitet. Jede lokale Einheit bestimmter Größe (z.B. ein Hausprojekt) hat ihr eigenes unabhängiges Putzorganisationskomitee, sodass dessen Planungsaufgabe übersichtlich bleibt.
Durch diese dezentrale Organisation, kann besser auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden, es wird schwerer, sich mit unsolidarischem Verhalten in der anonymen Masse zu verstecken.
Was, wenn jemand nicht putzen will?
Wie bereits oben erläutert, ist das Prinzip, nur das zu tun, worauf mensch Lust hat, nicht mit solidarischem und herrschaftsarmem Zusammenleben vereinbar. Die Freiheit des einzelnen hört da auf, wo sie beginnt, die Freiheit eines anderen einzuschränken. Die Fokussierung auf die eigenen Bedürfnisse wird dann problematisch, wenn sie ohne das Gespräch zu suchen die Bedürfnisse der anderen negativ betrifft. Die Nicht- oder Gering-Beteiligung an Gemeinschaftsaufgaben betrifft die Gemeinschaft, da sie dazu führt, dass andere mehr machen müssen und deshalb weniger Zeit haben. Je nach Größe der Gemeinschaft fällt das mehr oder weniger stark ins Gewicht.
In dem oben beschriebenen anarchistischen Organisationsmodell würde eine Nicht- oder Gering-Beteiligung vermutlich seltener vorkommen als bei zentraler Planung, da jede Person sich ein Putzkollektiv auswählt, dessen Putzweise als am wenigsten schlimm empfunden wird. Sollte sich die Person trotzdem nicht oder wenig beteiligen, ist davon das Putzkollektiv betroffen. Wenn es sich dabei um eine freundschaftliche Gruppe handelt, wissen die Leute vermutlich um die Gründe der Nichtbeteiligung und sind möglicherweise bereit, dies eine Weile mitzutragen. Sollte das nicht der Fall sein, wird das Putzkollektiv mit dieser Person nach Lösungen suchen, ohne der Person öffentlich Schuld zuzuschieben. Vielleicht ist die Person bereit, im Gegenzug eine andere Tätigkeit für die Leute im Putzkollektiv zu übernehmen, vielleicht kann das Kollektiv mit einer öffentlichen Erklärung ihrer Situation beim Putzorganisationskomitee eine Reduzierung der ihr zugeteilten Arbeiten bewirken oder vielleicht beschließt die Person in ein anderes Putzkollektiv zu wechseln, dessen Tätigkeiten besser zu den eigenen Vorlieben passen.
Es gibt also keinen Zwang, bestimmte Tätigkeiten zu übernehmen, aber eine Erwartung, sich solidarisch an Gemeinschaftsaufgaben zu beteiligen. Innerhalb dieser Erwartung gibt es viele Möglichkeiten, wie diese Beteiligung aussehen kann. Wichtig ist jedoch, nicht nur die eigenen Bedürfnisse, sondern auch die der Gemeinschaft mitzudenken und im Konfliktfall zu Gesprächen bereit zu sein. Sollte in Gesprächen keine Lösung gefunden werden, so gibt es umgekehrt auch keinen Zwang der Gemeinschaft zur dauerhaften Solidarität mit der sich nicht beteiligenden Person.
Um in einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft eine solidarische und kooperative Kultur zu entwickeln, ist es auch wichtig, dass die Gruppe sich selbst vor Ausbeutung schützt.
So schreibt beispielsweise Darth Korth in „Die Evolution der Kooperation“ in der GWR 265 über die Wichtigkeit von wechselseitiger Kooperation und schlägt vor, dass „Gruppen, die nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, ausgeschlossen werden.“ (5)
Camillo Berneri schreibt: „Anarchism is based upon no compulsion to work, but no duty towards those who do not want to work.“
Zu kompliziert? Nein, sehr flexibel
Was spricht dagegen, in Gruppen mit mehr als sechs Leuten, die sich wegen vielfältiger individueller Vorlieben schwer auf einen gemeinsamen Putzplan einigen können, eine Variante der oben beschriebenen Putzorganisation auszuprobieren?
Es genügt, mit ein paar Freund_innen ein Putzkollektiv zu bilden und Vorlieben an das Orgakomitee weiter zu geben. Für mich klingt das entspannter, als in einem großen Plenum wiederholt stundenlang über individuelle Putzbedürfnisse zu reden, bis ich mir gar nicht mehr merken kann, wer nun eigentlich was will, und Leute beginnen, immer emotionaler und konfliktträchtiger ihre Bedürfnisse zu betonen.
Dezentrale anarchistische Organisation scheint das Putzproblem zu lösen und nicht nur das. Probieren wir es aus?
Katja Einsfeld