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Schnöggersburg: Strafprozesse wegen „Hausfriedensbruchs“

| Flora vom Gysenberg

Schnöggersburg heißt die im Bau befindliche Kampfstadt der Bundeswehr, die auf dem Militärgelände „Colbitz-Letzlinger Heide“ liegt und 150 Millionen Euro kosten soll. Eine hartnäckige Bürgerinitiative kämpft unter dem Namen „Offene Heide“ von Anfang an für die zivile Nutzung des Geländes und veranstaltet seit August 1993 monatlich einen antimilitaristischen „Sonntagsspaziergang“. Der 299. Spaziergang dieser Art findet am 6. Mai 2018 statt. Mitglieder der BI sind zusammen mit Auswärtigen immer auch auf das Gelände gegangen, was gelegentlich (keineswegs immer) zu Bußgeldverfahren führte. Die Prozesse dazu, die aufgrund der Einsprüche verhandelt wurden, fanden aber in Bonn statt, wo die Bundeswehr ihren Sitz hat. Im Allgemeinen herrschte der Eindruck vor, dass die Behörden sich bemühten, möglichst wenig zu reagieren, um Aufsehen zu vermeiden. Der Bau der Kampfstadt „Schnöggersburg“ bot nun die Gelegenheit, den Druck zu erhöhen: Denn das umzäunte Baugelände zu betreten, ist eine Straftat, die am „Ort der Tat“, also in der Region abgeurteilt werden muss.

Im Amtsgericht der Kleinstadt Gardelegen in Sachsen-Anhalt gab es im März und April 2018 Strafprozesse gegen vier Personen, die im Sommer 2017 das Baugelände betreten haben. Sie standen vor Gericht, weil sie Widerspruch gegen Strafbefehle eingelegt hatten. Die Ausführlichkeit ihrer Argumentation veranlassten den Richter Axel Bormann zweimal, die Verhandlung zu vertagen, so dass es schließlich drei Termine gab. Spätestens beim zweiten Verfahren merkte man, dass die Argumente gewirkt hatten: Wurde der erste „Delinquent“ noch mit einer ziemlich kurzen Begründung verurteilt, so sahen sich Richter wie Staatsanwältin gezwungen, bei den weiteren Verfahren erheblich weiter auszuholen. Sie fanden dafür ein aufmerksames Publikum, denn der Saal war gut gefüllt mit Unterstützer*innen, die vor den Prozessen jeweils auch eine Mahnwache vor dem Gericht organisiert hatten. Ihr Respekt und ihre Ruhe wurde vom Richter durchaus positiv vermerkt. Kurios war noch, dass sich vor Beginn des ersten Verfahrens gleich zwei Personen meldeten und fragten: „Ich war im vergangenen Jahr mit den anderen zusammen auch in Schnöggersburg. Warum habe ich noch keinen Strafbefehl erhalten?“

Die Angelegenheit schien auch von übergeordnetem Interesse: Bei der ersten Verhandlung war ein Herr im Gerichtssaal, den niemand kannte und der auf Nachfrage äußerte, er sei dienstlich da, aber seinen Arbeitgeber nicht nennen wollte.

Sehr positiv berichtete die örtliche Presse. Am Ende gab es für alle Beteiligten eine Verurteilung zu Geldstrafen, die höher waren als der ursprüngliche Strafbefehl. Der Richter versuchte, den Beschuldigten „goldene Brücken“ zu bauen, um sie zu veranlassen, ihren Widerspruch gegen den Strafbefehl zurückzuziehen, mit dem gut gemeinten Vorschlag, der erste Verurteilte könne doch sein Verfahren als Musterprozess durch die Instanzen führen, stieß aber auf Ablehnung. Man hatte den Eindruck, dass hier zwei Welten aufeinander stießen, die sich nicht verstanden: Die Angeklagten konnten noch so ausführlich die Beweggründe für ihr Handeln darlegen, der Richter nahm das als irrelevant wahr und urteilte nur nach dem nackten Buchstaben eines Paragraphen.

Alle Beteiligten werden Berufung gegen das Urteil einlegen und somit den Kampf vor Gericht fortführen. Es geht ihnen auch darum, anderen die Angst vor Gerichten und den Strafen zu nehmen. Angesichts des Ungeheuren der Bedrohung, vor der wir stehen, sind solche Strafen und die Folgen, die sie für das alltägliche Leben haben, akzeptabel.