Die Region im Städte-Viereck Aachen-Mönchengladbach-Düsseldorf-Köln ist zu einem "hot spot" sowohl der Anti-Kohle-Bewegung als auch der Anti-Atom-Bewegung geworden.
Die Waldbesetzung „Hambacher Forst“ im rheinischen Braunkohle-Revier feierte am 14. April 2018 ihr sechsjähriges Bestehen als permanente Widerstandsaktion gegen RWE, den Klima-Killer Nr. 1 in Europa. Sowohl an den jährlichen Klimacamps und den direkten Massenaktionen des Zivilen Ungehorsams von „Ende Gelände“, zuletzt am 5.11.2017 im Hambacher Tagebau, als auch an den zahlreichen „Rote-Linien-Aktionen“ beteiligen sich immer mehr Menschen, zum Teil aus ganz Europa.
Gleichzeitig ist vor allem in der Aachener Region der Widerstand gegen die Pannen- und Risse-Atomkraftwerke in Belgien, Tihange und Doel, enorm gewachsen (vgl. GWR 428). Die Brennelemente für diese von einem Super-GAU bedrohten AKWs werden in Lingen mit dem in der Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau von URENCO angereicherten Uran hergestellt. Durch ihre Beteiligung an URENCO ist RWE auch für diese untragbaren Gefährdungen mitverantwortlich. Die grenzüberschreitende Menschenkette in Belgien, Niederlande und Deutschland mit über fünfzigtausend Menschen im Juni letzten Jahres war ein vorläufiger Höhepunkt der Aktionen für die sofortige Schließung dieser Atom-Kraftwerke.
Unter dem Motto „Weder Kohle noch Atom – erneuerbar ist unser Strom“ entwickelt sich aktuell die Zusammenarbeit beider Bewegungen immer dynamischer.
Nach gemeinsamen Presse-Erklärungen Anfang des Jahres zu dem Vorschlag des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet, Braunkohle-Strom nach Belgien als Ersatz für den Atom-Strom zu liefern, mobilisiert ein breites Bündnis zu den vielfältigen Protest-Aktionen anlässlich der Aktionärsversammlung von RWE am 26. April 2018.
Eine bemerkenswerte Vielfalt von systemkritischen und dann auch gemäßigteren Akteur*innen hat sich zusammengeschlossen. Ende Gelände, Dachverband der kritischen Aktionär*innen, Aktionsbündnis gegen Atomenergie Aachen, Aktionsbündnis Stop Westcastor, AntiAtom Bonn, Attac Köln, BBU Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, Buirer für Buir, BUND Jugend NRW, BUND NRW, Hambi bleibt!, Initiative 3 Rosen, IPPNW, Klimavernetzung Ruhr, NABU NRW, SofA Münster, Stop Tihange und Doel rufen gemeinsam am Jahrestag von Tschernobyl unter dem Motto „Zeig RWE die Rote Karte“ auf, nach Essen zur Gruga-Halle zu kommen.
Kreative Aktionen vor der Halle unter anderem mit Großpuppen wie dem „RWE-Drachen“, mit Attrappen für Atomwaffen, sowie einer „Atem-Gift-Ambulanz“ und „Gift-Cocktail-Bar“ und der Aufbau einer Roten-Linie in Form einer Menschenkette mit roten Karten, Bändern und Transparenten machen auf die destruktiven Folgen der Kohle-Verstromung und der zivilen und militärischen Nutzung der Atom-Energie aufmerksam.
In der Hauptversammlung selbst tragen Aktivist*innen die vielfältigen Kritikpunkte den Aktionär*innen vor und löchern den RWE-Vorstand mit entlarvenden Fragen. Die beiden Aktivistinnen aus Kolumbien und Sibirien konfrontieren in ihren Reden RWE mit den katastrophalen Auswirkungen des Steinkohle-Abbaus in ihren Ländern und verdeutlichen damit die „Rote Karte für Blutkohle aus Kolumbien und Russland“.
Blutkohle aus Kolumbien
Für die kolumbianische Mine El Cerrejón, aus der RWE Steinkohle bezieht, wurden seit Beginn der Kohleförderung fünfunddreißig Gemeinden teils gewaltsam geräumt und bis heute nicht angemessen entschädigt. Die Landwirtschaft wurde verdrängt, die Bevölkerung leidet unter Wasserknappheit.
Die indigenen Wayuú haben ihre Wasserquellen verloren. Für die betroffenen Menschen bedeutet der Raub ihres Landes und der Ressourcen den Verlust ihres Einkommens, ihrer Ernährungsgrundlage, Identität und Kultur.
Während die Mine El Cerrejón 2015 durchschnittlich 50 Millionen Liter Wasser am Tag benötigte, müssen die Anwohner*innen ihre Grundbedürfnisse mit nur sieben Litern pro Tag decken.
Die zusätzliche Luftverschmutzung führt zu schweren Gesundheitsproblemen mit fatalen Folgen. In den letzten sieben Jahren starben in der Region 5.000 Kinder.
RWE bezieht auch Steinkohle aus der Region Cesar. Hier wurden mehrere Gewerkschafter und Aktivist*innen von Paramilitärs umgebracht. Zahlreiche Zeug*innenaussagen lassen vermuten, dass Kohlelieferant Drummond in Auftragsmorde verwickelt sein könnte.
Gegner der Anti-Kohle- und Anti-Atom-Bewegung: RWE
RWE operiert kapitalistischer System-Logik folgend extrem destruktiv. Mit dem langen Arm, sowohl in die Lokalpolitik als auch in die Landes- und Bundespolitik, mit ihrer auf viele gesellschaftliche Institutionen ausgedehnten Lobby-Arbeit gelingt es RWE Erfolge in ihrem Sinne zu erzielen. So hat die NRW-Bergbaubehörde im März die Fortsetzung der Rodung des Hambacher Waldes ab dem 1. Oktober 2018 genehmigt.
Durch den geplanten Deal zwischen RWE und E.on würde RWE die Sparten erneuerbare Energien von E.on und innogy erwerben.
Zunächst würde dies zu einem erhöhten Anteil von erneuerbaren Energien an der Energieerzeugungskapazität von RWE führen. Für den Energieriesen eher eine Image-Angelegenheit. Denn anstatt nun Kohlekraftwerke stillzulegen, will der Konzern viele Kohlekraftwerke u.a. von den Wettbewerbern EnBW und Engie zukaufen. Zudem plant RWE ein neues Braunkohlekraftwerk in Bergheim-Niederaußem, anstatt mehr in erneuerbare Energien zu investieren. Mit BOAplus sollen 1.100 MW neue klimaschädliche und gesundheitsgefährdende Kapazität gebaut werden.
Der RWE-E.on-Deal bedeutet auch, dass RWE seine Aktivitäten im Bereich Atomenergie verstärken wird, u.a. durch die Übernahme der Minderheitsbeteiligungen, die E.ons Tochtergesellschaft PreussenElektra an den von RWE betriebenen Kernkraftwerken Emsland und Gundremmingen hält.
Der Deal wäre eine Rationalisierungsmaßnahme, denn ca. 5000 Arbeitsplätze der bisherigen RWE-Tochter innogy würden kostensparend wegfallen.
Heißer Herbst 2018
Ende Gelände kündigt für den 26. bis 28. Oktober eine große direkte Massenaktion Zivilen Ungehorsams im Bereich Hambacher Tagebau und Wald an. Die vom Arbeitsplatzverlust bedrohten Mitarbeiter*innen von innogy könnten den punktuellen Zusammenschluss mit der Anti-Kohle-Bewegung wagen und damit RWE einen heißen Herbst bereiten. Um dies in die Wege zu leiten, ist ein Runder Tisch mit den Gewerkschafter*innen für den Klimaschutz, Betriebsräten, Vertrauensleuten von RWE bzw. innogy, Vertreter*innen von VERDI, IGBCE und IG Metall in Planung.
Da Widerstand konstruktive Alternativen braucht, wird im Herbst ebenfalls die Gründung einer modellhaften „Erneuerbare Energie- und Energie-Speicher-Genossenschaft“ in Kooperation mit einer Kommune im Rheinischen Revier angestrebt.
Emilio Weinberg
Weitere Infos
https://www.ende-gelaende.org