editorial

Die schwarz-rote Senfproduktion

| Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)

Titelseite Gwr 431

Liebe Leserinnen und Leser,

die alljährliche GWR-Sommerpause ist vorbei. Höchste Zeit also, dass wir wieder Monat für Monat unseren schwarz-roten Senf zu den gesellschaftlichen Entwicklungen beisteuern.

Diese libertär-sozialistische Senfproduktion betreiben wir übrigens nicht nur in dieser Zeitschrift.

Viele der Interviews, die in der GWR erscheinen, wurden vorab als Radio-Graswurzelrevolution-Sendung produziert und im Bürgerfunk auf Antenne Münster (95,4 Mhz.) ausgestrahlt. Nur wenige dieser Sendungen sind bisher als Tondokumente auf www.freie-radios.net zu hören. Und wenn doch, dann wegen GEMA leider nur ohne Musik oder im internen Bereich für freie Radiomacher*innen. Seit wenigen Wochen sind die Radio-Graswurzelrevolution-Sendungen der letzten Monate nun erfreulicher weise ungekürzt und inklusive Musik in der Mediathek von NRWision zu hören. (1) So auch das im August im Bürgerfunk ausgestrahlte Interview mit Holger Isabelle Jänicke, das wir in gedruckter Form aufgrund von Platzmangel erst in der GWR 432 veröffentlichen werden. Holger Isabelle ist im Vorstand des „Archiv Aktiv e.V.“ in Hamburg. Dort werden Dokumente zum gewaltfreien Widerstand gesammelt. In „Radio Graswurzelrevolution“ erzählt Jänicke von seiner Arbeit als Bewegungsarbeiter und libertärer Aktivist. Hört doch mal rein. (2)

Und hier gibt es leckeren Lesestoff:

GWR-Mitherausgeber Lou Marin hat in der linken Zeitschrift iz3w Nr. 367 vom Juli/August einen Gastbeitrag über „Anarchismus im anti- und postkolonialen Indien“ veröffentlicht. Sehr lesenswert, wie auch die anderen Artikel des iz3w-367-Schwerpunkts zum Thema „Tschüss, die Herrschaften – Anarchismus weltweit“. (3)

Im UNDERDOG Fanzine Nr. 57 vom August 2018 ist im Rahmen des Schwerpunkts „Alternative Medien und Gegenöffentlichkeit“ (4) unter dem Titel „Eine anarchistische Alternative zu den Massenmedien“ ein Interview mit mir zum Selbstverständnis der Graswurzelrevolution erschienen, das auch online gelesen werden kann. (5)

Im Editorial der ZivilCourage – Magazin der DFG-VK – Nr. 3/2018 erinnert ZC-Redakteur Stefan Philipp in bewegender Weise an den Graswurzelrevolutionär Johannes Sternstein: „Abschließend will ich dieses Mal gewissermaßen ‚Werbung für die Konkurrenz‘ machen, und zwar für die Mai-Ausgabe der Zeitschrift graswurzelrevolution (…). Der Anlass ist allerdings ein trauriger: Am 11. März starb im Alter von nur 51 Jahren der Grafiker Johannes Sternstein an einem Gehirntumor. Auf einer Doppelseite erinnert die gwr ausführlich an ihn – auch deshalb, weil er seit Ende der 1980er Jahre lange Zeit die Zeitschrift gestaltete. Und er war eben nicht nur Layouter, sondern ein politischer Freund. Auch für mich. Ich hatte ihn in der ersten Hälfte der achtziger Jahre als Stuttgarter und Totalen Kriegsdienstverweigerer kennengelernt.

Und beides war ich ja selbst auch. Deswegen ergab es sich, dass wir für einige Zeit bei der Erstellung der Totalverweigerungszeitschrift ‚Ohne uns‘ eng zusammenarbeiteten. Er erstellte das Layout und kümmerte sich um den Druck, ich arbeitete mit einigen anderen Totalen Kriegsdienstverweigerern redaktionell und sammelte so meine ersten friedenspolitisch-journalistischen Erfahrungen.

Mein Interesse an Typografie und Layout wurde durch Johannes Sternstein mit geweckt und befruchtet. Dass ich seit mittlerweile 19 Jahren redaktionell und gestalterisch für die ZivilCourage verantwortlich bin, hat auch mit Johannes Sternstein zu tun, weshalb mir diese Erinnerung an den Freund und Kollegen und der Hinweis auf seine Würdigung in der gwr erlaubt sei.“ (6)

Sehr gefreut habe ich mich auch darüber, dass die ZivilCourage-Redaktion im August in der Nr. 4/2018 die antimilitaristischen Reaktionen von Dr. Gernot Lennert und mir auf den Jungle-World-Artikel „Zu den Waffen, Genossen!“ dokumentiert hat. (7)

Die Autorin Lena Rackwitz hatte zuvor in ihrem Artikel in der Jungle Worldvom 14. Juni die Wiedereinführung der „Wehrpflicht“ und eine Volksbewaffnung gefordert. Meine Antwort erschien am 21. Juni in der Jungle World unter dem Titel „Die Waffen nieder! Antimilitarismus statt Kriegsdienst“. (8)

Die Debatte in der linken Wochenzeitung ging in den folgenden Wochen weiter, aber nicht gerade ausgewogen. Antimilitaristische Leser*innenbriefe, wie der in der ZC dokumentierte von Gernot Lennert, wurden nicht abgedruckt und meine antimilitaristische Entgegnung auf Rackwitz‘ Aufruf zur Wiedereinführung der „Wehrpflicht“ wurde stark gekürzt. So ist u.a. die in meinem Artikel enthaltene Kritik an der Jungle World nur in der ungekürzten Fassung in der ZC zu lesen. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, die Originalfassung in der ZC mit der zusammengekürzten Version in der Jungle World zu vergleichen. Kritik zum Beispiel an den bundeswehrfreundlichen Linien von taz und Jungle World ist bei Antideutschen offensichtlich nicht erwünscht, konnte aber dank ZC nicht unterdrückt werden.

Trotzdem freut es mich, dass die Jungle World mich um einen Gastbeitrag gebeten und immerhin einen Teil meines Textes abgedruckt hat. Vielleicht ist das tatsächlich „der erste antimilitaristische Artikel in der Jungle World seit Nine-Eleven“, wie mir ein Freund schrieb? Mittlerweile sind fünf Debattenbeiträge zum Thema in der Jungle World erschienen, davon drei ziemlich verschroben, ignorant oder eher pro-militaristisch. So schreiben Ivanka Miller und Chucky Goldstein in der Jungle World 26/2018: „Ein Antimilitarismus wie der von Bernd Drücke (Jungle World 25/2018), der die Waffen niederlegen will, ohne über Staaten und Gewalt zu reden, ist nur die Kehrseite des Staatsfetischismus. (…) Der Knechtgeist der Deutschen ist, anders als Drücke und Tucholsky es proklamieren, gerade kein allein auf den Militarismus zurückzuführendes Phänomen.“ (9)

Seltsam, soweit ich weiß, haben weder Tucholsky noch meine Wenigkeit den Knechtsgeist der Deutschen ALLEIN auf den Militarismus zurückgeführt. Und dass ich als Koordinationsredakteur der Monatszeitschrift für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft „nicht über Staaten und Gewalt“ rede, ist, öhöm, ziemlich lächerlich. Die spinnen, die antideutschen Marxist*innen.

Clemens Hohlmann macht seinem Nachnamen alle Ehre und schreibt in seinem Jungle World-Text gar „Gegen allen pazifistischen Betrug“. (10)

Uuupppsss. Wir leben in finsteren Zeiten, in denen offenbar auch viele „Linke“ nach ganz rechts wandern.

Umso wichtiger sind antimilitaristische, emanzipatorische Stimmen, wie sie nicht zuletzt auch in ZivilCourage und Graswurzelrevolution zu Wort kommen.

Anarchie und Glück,
Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)

Terminhinweis:

4.9., 19 Uhr, Linkes Zentrum, Achtermannstraße 19, 48143 Münster:Anarchismus vs. Marxismus-Podiumsdiskussion mit Karsten Schmitz (Kreisverbandssprecher Die Linke) und Bernd Drücke (GWR). Gastgeber: Die Linke