wir sind nicht alleine

Terra Libra: Alternativer Handel in der Bretagne

Die zapatistische Bewegung ermutigt uns, dass wir auch hier in Frankreich unsere eigene Autonomie errichten können. Interview

| Dorit Siemers und Luz Kerkeling, Zwischenzeit e.V.

Die Mitarbeiter*innen von Terra Libra, einem kleinen Betrieb bei Rennes in der Bretagne/Frankreich, haben ihre Kritik am herrschenden weltweiten Handelssystem 2006 in eine Alternative umgesetzt und alternative Handelsstrukturen mit verarbeiteten Produkten aus der Region und anderen Teilen der Welt aufgebaut. Eine möglichst faire Bezahlung für die Produzent*innen und eine ökologische Anbauweise sind die grundlegenden Prinzipien des engagierten Betriebs.

Terra Libra beliefert auf wöchentlichen Touren durch die Bretagne ihre Kund*innen und nimmt gleichzeitig Produkte von den Produzent*innen mit ins Warenlager.

Graswurzelrevolution: Was war Eure Motivation zur Gründung von Terra Libra?

Thomas: Terra Libra ist ein Import- und Vertriebs-Unternehmen für Produkte aus dem biologischen und Fairhandels-Bereich aus handwerklicher Produktion, bei dem wir immer von möglichst nahegelegenen und kleinen Produzent*innen einkaufen.

Wir haben dieses Projekt gestartet, um die Bewegung der Zapatistas bekannt zu machen. Vor der Gründung von Terra Libra gab es eine Gruppe, die den Zweck hatte, die zapatistische Bewegung bekannt zu machen und den Kaffee zu vertreiben. Und nach fünf Jahren unbezahlter freiwilliger Arbeit, fehlte es an Kraft, um es gut zu machen und wir haben uns entschieden, ein etwas professionelleres Projekt daraus zu machen. Seit dieser Zeit arbeiten wir im Projekt Terra Libra.

Die ersten sechs Jahre waren schwierig, denn es gab wenig Nachfrage für Produkte aus dem fairen und ökologischen Handel. Es war schwierig, sich selbst, das Warenlager und alle Leistungen zu bezahlen. Schritt für Schritt hat sich das Denken der Leute verändert. Viele Menschen interessieren sich heute für den fairen Handel und mehr noch für die organische Produktion und lokale Erzeugnisse.

Und heute funktioniert es in der Tat sehr gut., wir konnten wachsen, wir konnten 2016 das Warenlager wechseln. Wir konnten auch eine weitere Person einstellen und einen weiteren Transporter kaufen und so machen wir unseren Weg Schritt für Schritt.

GWR: Warum seid Ihr mit dem dominierenden System der Agrarindustrie nicht einverstanden?

Thomas: Das aktuell ökonomische Modell drängt viele Menschen an den Rand. Sowohl Produzent*innen in Ländern des Südens als auch hier in Frankreich. Es ist für sie schwierig, von ihrer Produktion zu leben, obwohl es eine anstrengende Arbeit ist.

Es ist klar, dass dieses Modell nicht funktioniert, es ist in jedem Falle nicht gerecht. Also versuchen wir, es zu verändern.

Die Industrie macht immer weiter mit dem Modell, mehr und mehr zu produzieren – zu möglichst günstigen Kosten und die Löhne der Produzent*innen bleiben niedrig.

GWR: Du hast erwähnt, dass ein Großteil Eurer Arbeit mit regionalen Produzent*innen zu tun hat. Wie funktioniert das hier in der Region, in der Bretagne?

Thomas: Es ging darum, nicht allein in Süd-Nord-Beziehungen zu verbleiben, sondern auch zu gerechten Bedingungen mit lokalen Produzent*innen zu arbeiten, die ähnliche Problematiken erleben. Sie haben Schwierigkeiten, genug Ländereien zu haben, Schwierigkeiten genug Geld für die Arbeit, die sie leisten, zu bekommen. Also haben wir gedacht, wir arbeiten mit beiden Arten von Produkten, also mit importierten Erzeugnissen und regionalen und lokalen Produkten von kleinen Produzent*innen.

Und nun haben wir das Verhältnis Hälfte-Hälfte: Von unseren 35 Zulieferbetrieben sind die Hälfte Importkooperativen. Entweder importieren wir direkt von den Kooperativen oder wir kaufen bei Kolleg*innen von uns aus Frankreich, die z.B. aus Peru, Bolivien oder Argentinien importieren. Die andere Hälfte sind Produzent*innen, Bäuer*innen oder kleine Verarbeitungsbetriebe aus der Bretagne oder von ein wenig weiter weg, wenn es hier in der Nähe kein entsprechendes gutes Produkt gibt.

GWR: An wen verkauft Ihr eure Produkte?

Thomas: Wir haben aktuell mehr als 350 Kund*innen. Viele davon sind kleine unabhängige Bio-Läden. Und es gibt etwa 50 Konsumgruppen, selbstverwaltete und kollektive Läden, ca. 50 Restaurants und Privatpersonen.

GWR: Terra Libra hat über 450 Produkte im Sortiment; 250 davon kommen aus lokaler Produktion. Kannst Du ein paar Beispiele für lokale Produkte nennen?

Thomas: Unter den regionalen Produkten sind zum Beispiel Öle, Mehlsorten, Biere, Apfelsäfte, andere Saftsorten, Suppen, es gibt eine alternative Cola, die hier in der Bretagne produziert wird, Kekse und dann auch Müslis für das Frühstück.

GWR: Wie hat sich die ökologische Produktion in der Bretagne entwickelt?

Thomas: Die Bretagne ist eine Region, in der sich die Bio-Produktion gut entwickelt hat. Schritt für Schritt werden die Böden organisch umgestellt. Aber es gibt in Frankreich auch eine Schwierigkeit für junge Menschen, die etwas aufbauen wollen, Ländereien zu finden. Es ist immer wieder dasselbe, wenn Ländereien von einer Privatperson frei werden, sind es die Nachbarn, die bereits große Flächen haben, die dann weiter wachsen wollen, anstatt es den jungen Menschen zu ermöglichen, sich dort niederzulassen. Es ist also nicht so einfach, es fehlen Ländereien, um die Produktion zu erhöhen, aber Schritt für Schritt wächst die Bio-Produktion.

GWR: Wie findet Ihr Eure Produzent*innen, hier in der Region?

Thomas: Wir finden Schritt für Schritt neue Produzent*innen. Wir wachsen tatsächlich, aber relativ langsam. Wenn wir mit einem neuen Produzenten arbeiten, versuchen wir verschiedene Kriterien zu betrachten: Das eine ist die räumliche Nähe, daneben die Art von Landwirtschaft, die betrieben wird, ob sie eher kleinbäuerlich oder eher industriell ist – wir bevorzugen klar die kleinbäuerliche Weise. Und ob es eine Beziehung des fairen Handels gibt oder auch ob sie bei einem Kampf für soziale Veränderung aktiv sind, ob sie eine Gewerkschaft auf lokaler oder internationaler Ebene unterstützen.

GWR: Seid Ihr als Terra Libra in Netzwerken engagiert?

Thomas: Ja. Aber es ist schwierig, überall zu sein, wo wir uns gerne beteiligen würden, denn uns fehlt die Zeit. Wo wir am meisten involviert sind, ist ein Netzwerk, das sich „Minga“ nennt, ein Netzwerk von mehreren Importeur*innen, Produzent*innen und diversen Arbeiter*innen. Die Idee ist, eine eher handwerkliche Form des Arbeitens zu unterstützen, diese Arbeitsweisen kennenzulernen und gerechte Vertriebswegen zu finden. Dabei geht es nicht nur um Akteur*innen des fairen Handels, sondern auch um kleine Betriebe aus dem handwerklichen und bäuerlichen Bereich, die die Wirtschaft verändern wollen.

GWR: Warum verkauft Ihr zapatistischen Kaffee?

Thomas: Das ist das Herz des Projektes von Terra Libra. Unsere Idee ist, die Genoss*innen und ihren Kampf dort zu unterstützen. Die Idee, dass eine andere Welt möglich ist, und eine andere Form, sich zu organisieren, in der Autonomie zu arbeiten, ist für uns ebenfalls eine Leitlinie. Die zapatistische Bewegung ermutigt uns zu denken, dass wir auch hier in Frankreich unsere eigene Autonomie errichten können. Und das ist auch die Idee von Terra Libra, mit lokalen Produkten an der Autonomie der Landwirt*innen und der Bevölkerung hier zu arbeiten.

GWR: Ihr verkauft auch Produkte von der Landlosenbewegung MST in Brasilien.

Thomas: Eine der Säulen des Projektes ist, kleinbäuerliche Kämpfe zu unterstützen. Es geht nicht nur um fairen Handel. Wenn wir Gruppen und Genossenschaften unterstützen können, die als politisches Ziel haben, die Funktionsweise der internationalen Ökonomie zu verändern, dann wollen wir sie dabei unterstützen. Wir kennen die MST schon seit Jahren, wir waren dort zu Besuch, wir verstehen ihren Kampf um das Land. Dies ermöglicht den Menschen, Ländereien zurückzugewinnen und auf dem Land zu leben anstatt in den Randregionen der großen Städte aufzuwachsen, wo es schlechte oder gar keine Arbeit gibt.

Für uns ist diese Unterstützung wichtig und wir versuchen auch, diese Idee, für das Land zu kämpfen, auch auf Frankreich zu übertragen. Es gibt bäuerliche und gewerkschaftliche Gruppen, die da dran sind. Wir sind dabei, diesen Kampf für die Ländereien bekannt zu machen. Die Bewegung der Landlosen in Brasilien ist eine wichtige Gruppe, sie sind seit über 30 Jahren im Kampf und es gibt schon viele Familien, die Böden erhalten haben, um auf dem Land zu leben.

GWR: Möchtest du noch etwas hinzufügen?

Thomas: Für mich ist die Idee wichtig, uns zu fragen, ob wir mit der Welt, in der wir leben, einverstanden sind oder nicht. Und welcher Art von Leben wir zukünftig folgen wollen. Ob wir versuchen wollen, auf eine gewisse Weise etwas zu verändern. Ich glaube, dass wir durch die Art, in der wir konsumieren, eine bedeutende Macht haben. Ich glaube, dass man sich entscheiden kann, welches Produkt man kaufen möchte – ob Du einem großen Konzern hilfst, der die Leute sehr schlecht bezahlt oder der Umwelt Schaden zufügt.

Oder Du kaufst von einem kleinen Bauern oder Produzenten, was es erlauben wird, die lokale Ökonomie zu stärken. Ich denke, das macht es möglich, die Welt zu verändern.

Interview: Dorit Siemers und Luz Kerkeling, Zwischenzeit e.V.

Ein aktuelles Video (30 Min.) zu Terra Libra steht auf der Projekthomepage "Andere Welten vor der Haustür" unter: www.zwischenzeit-muenster.de