Kathrin Hartmanns Buch "Die grüne Lüge" hat nicht nur einen filmischen Begleiter, es liefert auch reichlich Information und Gesprächsstoff.
Im März 2018 lief der Dokumentarfilm „Die grüne Lüge“ in den deutschen Kinos an. Der Regisseur Werner Bote hat sich zur Unterstützung die Journalistin Kathrin Hartmann mit ins Boot geholt. Der Grund? Werner Bote bescheinigt ihr im Vorwort zu dem gleichnamigen Buch, dass sie die „Expertin in Sachen Greenwashing“ ist. Hartmann dazu: „Dieses Buch ist aus den Dreharbeiten zum Film „The Green Lie“ entstanden […] Gemeinsam haben wir die Welt abgesucht nach den Wohltaten von Unternehmen.“ Das mit den „Wohltaten“ ist eine typische Ausdrucksweise von Hartmann, die stellenweise einen etwas schnoddrigen Schreibstil pflegt. Aber das ist ihre Art, und damit bringt sie manche Aussagen auf den Punkt.
Im einleitenden Kapitel geht es um Geschäftsideen wie die Nespresso-Kapseln, die für die Umwelt schädlich sind, aber durch geschickte Werbung ganz anders erscheinen: „Alles, was einmal als schädlich und schändlich galt, dient heute der Weltrettung.“ Dabei macht sie verschiedene Beteiligte an diesem System des Greenwashings aus. Zum einen die Firmen. Gerade „Großkonzerne [haben sich] der Bilder und Begriffe der Umweltbewegung bemächtigt.“ Wobei der globale Kapitalismus sich auf „Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen, Klimaschäden und Naturzerstörung“ gründet. Das ist eine „Imperiale Lebensweise“ (ein Buchtitel von Ulrich Brand und Markus Wissen) und wir leben in einer „Externalisierungsgesellschaft“ (ein Begriff von Stephan Lessenich). Dann die Runden Tische, mit ihren Zertifikaten, bei denen NGOs eingespannt werden, der WWF dabei an vorderster Front. Wobei für Hartmann „Nachhaltigkeit nur ein hübscheres Wort für Systemerhalt“ ist. Ein weiterer Beteiligter ist die Politik, die es sich zu einfach macht, indem sie den Selbstverpflichtungen und Versprechungen der Konzerne glaubt bzw. diese für ausreichend erachtet. Und nicht zu vergessen: der Bürger*innen. Als Verbraucher*innen sollen sie „weiter sorglos konsumieren“ können. Wobei es sie gibt: „eine besser verdienende, urbane Käuferschicht, die technikbegeistert, anspruchsvoll, gesundheitsbewusst und auch ein bisschen öko ist, irgendwie, vor allem aber: ziemlich bequem.“ Und hier sieht Hartmann gesellschaftliche Veränderungen über die Zeit hinweg, aber nicht im Positiven: „Der Bürger […] hat politisches Engagement durch ‚ethischen Konsum‘ ersetzt.“
Die Grüne Lüge – Kinotrailer from Little Dream Entertainment GmbH on Vimeo.
Im zweiten Kapitel klagt Hartmann den Ölkonzern BP an, gerade im Hinblick auf die Katastrophe mit der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko in 2010. Die Strategie „Sich selbst als Klimaretter zu inszenieren“ hat BP als erster Ölkonzern entdeckt, er gehört also zu den Pionieren des Greenwashings. Aber auch bei den Aufräumarbeiten im Golf von Mexiko ging es BP mehr um den Schein. BP hat massiv das giftige Corexit eingesetzt, den Arbeitern aber weder Atemmasken noch andere Schutzmaßnahmen zur Verfügung gestellt, „weil BP hässliche Bilder vermeiden wollte“. Dass dadurch viele dieser Arbeiter krank gemacht worden sind, hat BP billigend in Kauf genommen.
Das dritte Kapitel ist dem Meer gewidmet. Zum einen identifiziert Hartmann die Ozeanrettung der Modeindustrie, nämlich Plastikmüll aus den Weltmeeren zu neuen Klamotten zu verarbeiten, als Greenwashing. Nur die drastische Verringerung von Herstellung, Konsum und Wegschmeißen von Kleidern und Plastik können der Vermüllung der Meere Einhalt gebieten.
Ihre Kritik fußt auf Harald Welzer, den sie zitiert: „dass viele Menschen gar nicht merken, ‚dass sie aktive Teile der Kultur sind, die permanent ihren Ressourcenverbrauch erhöhen, obwohl sie ihrem Selbstbild nach längst ‚grün‘, ‚nachhaltig‘ oder ‚klimabewusst‘ sind‘“. Der Neoliberalismus lässt uns aber nur eine Freiheit, nämlich „die individuelle Wahlfreiheit beim Shopping – auch und gerade zum Zwecke der Weltrettung“. Der Nebensatz klingt zynisch, bringt es aber auf den Punkt. Auch greift sie sehr gut einen Ausspruch von Theodor W. Adorno auf, verfremdet ihn zu: „Aber es gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Weltwirtschaftssystem.“
Nicht okay findet die Autorin ebenfalls, dass aus Gummibooten, die zur Flucht übers Mittelmeer dienten, zusammen mit den Geflüchteten teure und schicke Designertaschen genäht werden. Denn dadurch wird das „Elend […] zur Ware“.
Das vierte Kapitel dreht sich um Palmöl. Die Problematik – insbesondere die Vernichtung der Regenwälder Indonesiens – hat Hartmann bereits in ihrem vorigen Buch „Aus kontrolliertem Raubbau“ behandelt. Hier ist quasi ein Update, was sich in der Zwischenzeit verändert hat. Dass Palmöl Armut bekämpfen kann, hält sie für eine der größten der grünen Lügen überhaupt. Der Runde Tisch, der Palmöl als nachhaltig zertifizieren soll, wird wesentlich vom WWF mitgetragen, eine NGO, die man als Erzfeind von Hartmann ansehen kann. Aber auch die EU glaubt bereitwillig diese Lüge mit dem Palmöl, denn durch dessen Beimischung als Biosprit gelingt es, „den wachsenden Individualverkehr grün [zu waschen]“.
Im fünften Kapitel nimmt sich die Autorin die Labels und Siegel vor. Solche „Nachhaltigkeitsinitiativen […] sind vor allem auf Produktionssteigerungen ausgerichtet“. Zusammengefasst werden diese von der Bundesregierung durch eine Webseite Siegelklarheit. Statt einer Politik, die Unternehmen ordnungspolitisch einhegt und sie zum ökologisch wie sozial gerechten Wirtschaften zwingt, wird die Verantwortung auf die Verbraucher*innen abgeschoben. Oft sind das aber nur Bewertungen von freiwilligen Versprechen der jeweiligen Siegelinitiativen. Deshalb ist für Hartmann Siegelklarheit ein „staatlich finanziertes Greenwashing“. Auch das Textilbündnis nach „dem 9/11 der Textilindustrie in Bangladesch“ – der Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes im Juni 2014 – sieht sie entsprechend kritisch. Sie erzählt davon, dass Überlebende und Angehörige einer anderen Katastrophe – ein Feuer in Karachi in Pakistan in 2012 – eine Klage vor dem Landgericht Dortmund gegen KiK eingereicht haben. Aber generell ist es schwierig, Firmen zu verklagen, da „die Einhaltung von Menschenrechten die Staatspflicht ist“. Umgekehrt sichern sich Konzerne dagegen ihre wirtschaftlichen Interessen und Renditeerwartungen durch völkerrechtlich bindende Freihandels- und Investitionsschutzabkommen ab. Aber: „Wenn Konzerne ganze Staaten daran hindern können, ihre Bevölkerung zu schützen, tötet das die Demokratie.“
Das sechste Kapitel ist der Landwirtschaft gewidmet. Analysiert werden die sogenannten Feedlots, also riesige Mastanlagen unter freiem Himmel. Hartmann hat sie sich in Brasilien angeschaut, und mit beiden Seiten geredet. Den Befürworter*innen attestiert sie die Produktion von grünen Fake News. Diese Art der Viehwirtschaft ist weder nachhaltig (wie behauptet), noch ernährt sie die dort lebenden Menschen. Europa gibt sie eine Mitschuld daran, denn: „Während also die Europäische Union ihre Außengrenzen immer höher zieht und sich gegen jene Menschen abschottet, die vor Armut, Hunger und Krieg hierher fliehen, verleibt sie sich wie selbstverständlich Land und Lebensgrundlagen anderer jenseits dieser Grenzen ein.“ Dabei liegt der Selbstversorgungsgrad mit heimischen Lebensmitteln in Deutschland bei 93%, theoretisch. Hartmann hat auch mit den Indigenen in Brasilien gesprochen. Einige haben es geschafft, sich Farmen zurückzuholen, deren Land vormals ihnen gehörte. Dort hat sie das erlebt, was möglich ist, nämlich „das gute Leben in einer besseren Welt jenseits des Kapitalismus“.
Dieser Hoffnungsschimmer leitet über zum abschließenden siebten Kapitel. Die Autorin berichtet von einer ersten Annahme einer Klage vor einem deutschen Gericht, wo „ein einzelnes deutsches Unternehmen […] für die Folgen des Klimawandels am anderen Ende der Welt haftbar gemacht werden“ soll. Sie geht auf das indigene Volk der Kichwa ein, bei denen die Idee des Buen Vivirs, also des guten Lebens, entstanden ist. Dessen widerständiges und selbstbestimmtes Verhalten sieht sie als Ansatz, der die Welt verändern könnte. Es geht darum, und zwar auch und gerade bei uns, „sich nicht zu Komplizen machen [zu] lassen“. Also sich nicht blenden zu lassen vom grünen Wachstum, von grünen Fake News, vom Freihandel.
Dabei bezieht sich Hartmann wenig auf Marx, geht auch nicht auf originär linke, sozialistische oder anarchistische Gruppierungen ein. Aber sie hat Autoren, wo sie sich argumentative Rückendeckung holt, insbesondere: Ulrich Brand, Stephan Lessenich und Harald Welzer. Durch ihre weltweiten Reisen und Beobachtungen hat sie tiefgehende und wertvolle Erkenntnisse bekommen, die sie zu dem Schluss führen: „Gerechte Veränderungen kommen niemals von den Mächtigen, sondern immer von unten, von den Rändern der Gesellschaft und aus den Peripherien in den Ländern des Südens.“ Dieser Graswurzel-Ansatz hat mich dabei stark an zwei linke Autoren erinnert. Nämlich an John Holloway, der insbesondere in seinem Buch „Kapitalismus aufbrechen“ den Ansatz verfolgt, dass Veränderungen nur durch kleine Bewegungen und Risse im System möglich sind. Zum anderen an John Bellamy Foster, der in seinem Buch „Der ökologische Bruch“ (zusammen mit anderen) geschrieben hat, dass Veränderungen der Verhältnisse vom globalen Süden ausgehen werden. Und so reiht sich Kathrin Hartmann mit ihrem Buch „Die grüne Lüge“ in die lange Reihe antikapitalistischer Autor*innen ein.
Kathrin Hartmann: Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell, Blessing Verlag, München 2018, 240 Seiten, 15 Euro, ISBN 978-3-89667-609-2
Ausführliche Beiträge zu diesem und anderen Themen in der monatlich erscheinenden Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier