Wie auch viele tausend Andere sind wir dem Aufruf von dem Bündnis #unteilbar nach Berlin gefolgt, um gegen Ausgrenzung und Rassismus zu demonstrieren.
Als wir auf dem Alexanderplatz ankommen, ist der Platz schon gut gefüllt, aber es sieht nicht nach den Menschenmassen aus, die wir erwartet hatten. Auf dem Platz findet schon die Kundgebung statt. Es sind sehr viele Fahnen zu sehen. Allerdings sind diese allesamt von autoritären Organisationen wie der MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands). Auch die Sprecher*innen reden gleich der Parteilinie. Wir sind verwundert, dass die Auftaktkundgebung eines breiten Bündnisses von autoritären Gruppierungen dominiert wird.
Unsere Verwirrung wird aber schnell aufgehoben, als ein Mensch mit Megafon auf den Platz kommt und verkündet, dass die Auftaktkundgebung des #unteilbar Bündnisses an einer Kreuzung mehrere hundert Meter entfernt stattfindet. Also machen wir uns auf den Weg dahin. Bei der Kundgebung redet gerade eine Frau von einem feministischen Bündnis. Leider können wir nicht gut verstehen, was auf der Bühne gesprochen wird, weil es einfach zu viele Menschen sind. Alle Reden werden aber auf Gebärdensprache übersetzt, das finden wir toll.
Während der Kundgebung strömen immer Menschen auf die Straße. Zu diesem Zeitpunkt ist es kaum mehr möglich zu sagen, wie viele Menschen es sind.
Es sind sehr viele. Es kommen auch immer mehr organisierte Gruppen hinzu. Schließlich haben im Internet 9000 Gruppen und Einzelpersonen den Aufruf unterzeichnet. Zum Beispiel auch Ende Gelände, die in weißen Maleranzügen durch die Menschenmasse laufen und Flyer für die Aktionen des zivilen Ungehorsams Ende Oktober im rheinischen Braunkohlerevier verteilen.
Auf zwei bestimmte Gruppen reagiere ich aber verwundert und empört. Zum Einen läuft auf der Demo die GdP (Gewerkschaft der Polizei) mit und es ist schlicht nicht verständlich, was die Polizei mit einer offenen Gesellschaft zu tun hat. Wenn Sahra Wagenknecht mit ihrer aufstehen-“Bewegung“ nicht an der Demonstration teilnehmen möchte, weil diese die Tendenz zu offenen Grenzen für alle hat, warum sind dann jene auf der Demo vertreten, die diese Grenzen absichern und Menschen abschieben? Die neue Polizeigesetze samt Aushebelung von Bürger*innenrechten, vom Versammlungsgrundrecht fordern?
Video der Demo-Veranstalter
Auch die IGBCE (Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) war auf der Demo vertreten. Diese sind genau der Gegenpart zu Ende Gelände. Während Ende Gelände für eine freie und klimagerechte Gesellschaft eintritt, verneint die IGBCE Klimagerechtigkeit. Sie stehen nach wie vor zum Braunkohleabbau in Deutschland und übergehen dabei die katastrophalen Folgen, die dieser auf der ganzen Welt anrichtet. Die Mitglieder der IGBCE sind jene, die den Rodungsstopp im Hambacher Forst nicht einfach so hinnehmen wollen. Seit der Verkündung des Rodungsstopps und der Massendemo am 6. Oktober kam es vermehrt zu Anfeindungen zwischen Kohlegegner*innen und Menschen aus dem Umfeld der IGBCE. Der Höhepunkt der rückwärtsgerichteten Agitation der Mitglieder der Gewerkschaft hat am 17. Oktober vor dem Haus von Kohlegegnerin Antje Grothus im Rheinischen Revier stattgefunden, als Mitglieder der Gewerkschaft, einschließlich des Betriebsratsvorsitzenden von RWE Walter Butterweck, diese versuchten einzuschüchtern.
Eine sachliche Auseinandersetzung scheint nicht im Interesse der IGBCE zu liegen, sondern die Durchsetzung einer zerstörerischen, veralteten Technik der Energiegewinnung. Müssen solche Menschen wirklich auf einer Demo für eine offene Gesellschaft sein?
Die Demo setzt sich langsam in Bewegung. Erst jetzt wird die Größe der Menschenmenge richtig spürbar. Die ganze Zeit strömen Menschen auf die Strecke, während sich die Lautsprecherwagen nicht bewegen. Eine sechsspurige Straße ist komplett gefüllt mit Menschen.
Die Demo selber verläuft unspektakulär, zumindest an der Stelle, wo wir mitgelaufen sind.
Richtige thematische Blöcke waren wegen der Menschenmenge nicht mehr auszumachen. Hin und wieder wurden vereinzelt Parolen gerufen und einige Menschen hatten Banner und Schilder dabei.
Die Presse bewegt sich auf der Jagd nach Statements durch die Menschenmenge. Doch, wenn diese ihr zu politisch sind und nicht nach einem „alles ist friedlich und wir haben uns lieb“ klingen, wird abgewiegelt. Polizeigesetze? Eine Journalistin der BZ weiß nicht einmal, dass Bayern ein neues autoritäres Polizeigesetz verabschiedet hat, gegen das Zehntausende demonstrierten. Sie weiß nicht, dass andere Bundesländer nachziehen. Dass diese Gesetze beispielsweise unsere Grundrechte, wie das der Versammlungsfreiheit, aushebeln, dass Menschen, von denen die Polizei eigenmächtig erklärt, dass sie „gefährlich“ oder „relevant“ sind, künftig rein präventiv ohne Urteil monatelang im polizeilichen Gewahrsam weggesperrt werden dürfen. Das Thema wurde in der Berichtserstattung weitestgehend verschwiegen. Eine offene Gesellschaft ja, aber bloß nicht zu politisch, schien die Linie zahlreicher Medien zu sein.
Nach einer langen Strecke erreichten wir die Abschlusskundgebung an der Siegessäule im Tiergarten.
Teilnehmer*innenzahl: 242.000 Menschen.
Auf der Bühne an der Siegessäule läuft die Abschlusskundgebung. Zwei Frauen moderieren durch das Programm. Zwischen den Redebeiträgen gibt es auch immer wieder musikalische Beiträge. Seltsam war der Auftritt des Rappers Romano. In einem seiner Lieder sang er darüber, dass alle seine Freunde einen Klaps auf den Po erhalten.
Entweder verstehe ich nicht den Humor bzw. die Ironie in dem Lied oder es ist einfach nur sexistisch und dann hat solche Musik nichts auf einer Demo für eine offene Gesellschaft zu suchen.
Es gab sehr viele Redebeiträge auf der Abschlusskundgebung, so dass es nicht möglich ist, sich an alle zu erinnern. Besonders positiv sind mir zwei Beiträge aufgefallen. Der erste war von Newroz Duman, einer Vertreterin des Bündnisses We‘ll come united, die Ende September eine große Parade von geflüchteten Menschen in Hamburg organisierten. Sie betonte in ihrer Rede nicht nur die Gefahren, welche vom Rechtsruck in der Gesellschaft ausgehen, sondern kritisierte auch den strukturellen Rassismus der europäischen Regierungen, die sich abschotten, Menschen im Mittelmeer sterben lassen und andere abschieben. Außerdem betonte sie, dass es beim Kampf gegen Rassismus wichtig ist, gemeinsam mit den Betroffenen zu kämpfen.
Der andere Beitrag, den ich hervorheben möchte, ist die aktualisierte Version des Liedes „Willy“ von Konstantin Wecker.
Er hat in seinem gesungenen Beitrag auf sehr verständliche Art und Weise die aktuelle politische Situation dargestellt und mit Witz und Humor gezeigt, wie bescheuert die Ideen von AfD, CSU und Co. sind.
Insgesamt war es ein tolles Gefühl mit so vielen Menschen auf der Straße zu sein und für eine offene Gesellschaft zu demonstrieren. Es bleibt jedoch ein seltsamer Nachgeschmack, wenn Gruppen mit in dem Bündnis sind, die mit meiner Idee einer befreiten Gesellschaft nichts gemeinsam haben.
Sollte dann nicht besser auf einige Bündnispartner*innen verzichtet werden? – Es wäre trotzdem eine tolle Demo.
Sven
Weitere Artikel zum Thema in der monatlich erscheinenden Druckausgabe der GWR. Schnupperabos gibt es hier.