Kommentar

Die SZ und der Aufreißer

Veronika Kracher über Pick-Up Artists, angehende Sexgötter und die Kritiklosigkeit der Süddeutschen Zeitung

| Veronika Kracher

Verführungsratgeber
Sprechende Titel: Aus der Bibliothek eines Aufreißer-Coaches - Foto: Wikipedia (Harbelser)

Unter dem Titel „Wenn du weißt, welche Knöpfe du drücken musst, ist fast niemand vor dir sicher“ räumt die Süddeutsche Zeitung einem Anmach-Trainer in einem unsäglich harmlos geführten Interview viel Raum für seine misogynen Prahlereien und für Werbung für sein Buch ein. Veronika Kracher knöpft sich für die GWR Bürgerpresse und Flirt-Coach vor.

Michel Vincent ist ein erfolgreicher Mann, behauptet er. Er ist mit einem Model liiert und fährt ein teures Auto. Er hat ein Buch geschrieben: „Der Verführungscode. So kannst Du jede kriegen“, und falls die bloße Lektüre des Werkes nicht ausreicht um den Leser zu einem Ladies‘ Man mit der sexuellen Anziehungskraft von James Bond zu machen, dann kann er immer noch Vincents Seminare besuchen. Die kosten zwar 1500 Euro, aber immerhin, so das Versprechen, geht man als der König der Verführungskünste wieder heraus. Keine Frau wird mehr „Nein“ sagen, wenn man sich ihr nähert! Und falls sie das doch wagt, wider besseres Wissens natürlich, lehrt einen Vincent zahlreiche Manipulationstechniken, um die Frau dann doch ins Bett zu bewegen, denn als Mann hat man schließlich das Recht auf den weiblichen Körper. Da kann man so ein „Nein“ auch mal gepflegt ignorieren.

Hinter dem schöngeistigen Begriff des „Verführungskünstlers“ oder, im englischen „Pick-Up Artist“ (PUA), steckt nichts anderes als die widerwärtige und frauenfeindliche Ideologie, dass Frauen nichts anderes seien als Sexobjekte, die einem Untertan gemacht werden müssen. Dazu greift man auf ein vielfältiges Repertoire von emotionaler Manipulation, Erniedrigung und sexueller Übergriffigkeit zurück. Es geht schlicht und ergreifend darum, Frauen zu brechen und daraus Befriedigung zu ziehen. Wie eine Sekte haben auch die sogenannten „Verführungskünstler“ ihren eigenen Jargon: der Umgang mit Frauen ist demnach ein „Game“, dass es zu gewinnen gilt; Frauen werden auf einer Nummernskala von eins bis zehn angeordnet, attraktive Frauen bezeichnet man als „Hot Babes“. Man manipuliert Frauen mit Techniken wie dem „Push and Pull“ und „Negging“, also eine Frau durch Abwertung zu verunsichern und anschließend durch ein Kompliment wieder an sich zu ziehen. Ein Beispiel hierfür wäre: „Du wirkst so kühl und selbstsicher. Andere Männer kannst Du sicher damit täuschen, aber ich sehe sofort, dass Du dich eigentlich nach Sicherheit und einer Schulter zum Anlehnen suchst“ oder „Ich mag deine blonden Haare – zu schade, dass sie offensichtlich gefärbt sind“.

Mann soll sich unnahbar und unbeeindruckt geben, „die richtigen Knöpfe drücken“, und schon hätte man eine Frau in der Tasche. Das Ganze basiert, auch laut Vincent, auf der reaktionären Geschlechtervorstellung, dass Frauen eigentlich gar nichts anderes wollen als von dominanten Männern gebrochen zu werden, lediglich der lästige Feminismus hätte ihnen den Floh ins Ohr gesetzt dass man als Subjekt respektiert werden möchte. Doch zum Glück wissen es die Pick Up Artists besser! Anschließend zieht man im Rudel los, um die erlernten Fähigkeiten in der Öffentlichkeit zu erproben, „Kalt-Akquise in der Fußgängerzone“ nennt Vincent das dann. Für jene Frauen, die das Pech haben, sich zum gleichen Zeitpunkt wie eine Brigade angehender Sexgötter in der Innenstadt aufzuhalten, bedeutet dies: sexuelle Belästigung, dumme Sprüche, bedrängt werden.

Nun hat die „Süddeutsche Zeitung“ Michel Vincent ein Interview eingeräumt. Das wäre auch alles schön und gut, hätte man Vincent mit seinem im Umgang mit Frauen inhärenten Sexismus und der Übergriffigkeit seiner „Verführungstechniken“ konfrontiert, aber das war dem Journalisten Philipp Crone wohl zu viel Aufwand. Und man will es sich doch auch nicht mit einem anderen Mann verscherzen und so gar in den Ruch kommen, nicht Teil des Männerbundes zu sein.

Wenn du weißt, welche Knöpfe du drücken musst, ist fast niemand vor dir sicher“, so die Überschrift des Interviews. Was sowohl von Frauen, als auch von dem übergriffigen Verhalten der PUAs gegenüber nur ansatzweise kritisch eingestellten Männern nur als bedrohlich aufgefasst werden kann, wird bei der Süddeutschen Zeitung als erstrebenswert dargestellt. Gerade dieser Satz vermittelt, dass der Grenzübertritt Kern der Ideologie von Pick-Up Artists ist, es handelt sich um eine maskulinistische Omnipotenzfantasie, in der die Frau nur bloßes Objekt ist, dass man sich zu eigen machen muss. Die Kritik an dem unschuldig als „Kennenlern-Coach“ betitelten Vincent fällt ausgesprochen zahm aus. Zögernd fallen einige Fragen wie „Und das soll kein Manipulieren sein?“, als Vincent davon prahlt, er wisse, wie man die richtigen Knöpfe drücke, aber jegliche Kritik wird rasch ausgetauscht gegen das Hinhalten eines Silbertabletts, auf dem der Berufssexist die zahlreichen Vorzüge seiner Maschen servieren kann.

Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass Frauen die guten Wesen sind“, erklärt er da. In der Ideologie der Pick Up-Artists, die eng mit der verschwörungstheoretischen „Red Pill“-Szene verbandelt sind, leben wir nicht in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft, sondern da haben Frauen durch ihr Wissen um ihre sexuelle Anziehungskraft, mit der sie sich schwache Männer unterwerfen können, diese fest in der Hand. Männer hingegen sind schwach und verweichlicht, dank des (einem in der Szene beliebten antisemitischen Verschwörungsnarrativ nach natürlich von den Juden gesteuerten) Gender Mainstreaming, dem Feminismus, und einer kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit. Eigentlich, so die Ideologie von PUAs und Red Piller, sind Männer die wahren Opfer unserer Zeit. Diese vermeintliche weibliche Übermacht gilt es demnach zu überwinden, indem man in den Seminaren von Männern wie Vincent sich seine ursprüngliche Männlichkeit zurückerobert. „Viele Frauen sind berechenbar und fallen auf solche Dinge wie Status rein“, weiß Vincent, denn eigentlich sind Frauen nur geldgierige dumme Gören. Das muss ausgenutzt werden! Frauen heutzutage seien, so Vincent, viel zu überzeugt von sich. Sie müssten von ihrem hohen Ross heruntergeholt werden, und er weiß auch ganz genau wie.

Pick Up-Artists sind die lebende Verkörperung von Rape Culture. Zahlreiche Opfer dieser „Verführungskünstler“ leiden nach den Begegnungen, die auch ganz gerne mal in Date Rape enden, unter immensen psychischen Belastungen, aber das anzumerken war der „Süddeutschen Zeitung“ wohl zu viel der Kritik. Indem jemanden wie Michel Vincent in der „Süddeutschen“ Raum gegeben wird, diese anzupreisen, reproduziert diese Zeitung misogyne Weltbilder und propagiert einen objektivierenden Umgang mit Frauen. Aber wozu braucht es schon kritischen Journalismus, wenn man Werbung für Rape Culture machen kann?

"Wenn du weißt, welche Knöpfe du drücken musst, ist fast niemand vor dir sicher" (https://www.sueddeutsche.de/muenchen/michel-vincent-kennenlern-coach-verfuehrungscode-1.4192948-2)

Weitere Artikel zum Thema in der monatlich erscheinenden Druckausgabe der GWR. Schnupperabos gibt es hier.