Mit „Der Dolmetscher“ kommt ein Film in die Kinos, der die Geschichte vom Zusammentreffen zweier Männer erzählt, die Nachkommen von Tätern und Opfern des faschistischen Terrors sind. Dabei macht er vieles richtig, als Komödie funktioniert er jedoch nicht.
Eines Morgens steht ein alter Mann vor Georg Graubners Tür in Wien und möchte seinen Vater treffen. Der Mann behauptet, Graubners Vater habe als SS-Offizier seine Eltern ermordet. Zwar wird der Unbekannte bald abgewimmelt – der Vater sei ohnehin längst tot – er hinterlässt aber durchaus Spuren und so sucht Graubner ihn, den Dolmetscher Ali Ungar, an dessen Wohnort Bratislava auf. Er bittet Ungar, ihn auf einer Reise an die Orte zu begleiten, an denen sein Vater „im Krieg“ gewesen sei. Er benötige seine Hilfe bei Übersetzungen. Ungar willigt ein und so machen sich die beiden älteren Herren auf den Weg durch die Slowakei.
Dabei legt Peter Simonischek („Toni Erdmann“) den Ex-Sprachlehrer Graubner als großkotzigen Vertreter einer untergehenden Welt jovialer Mittelklassemachos an. „Warum benehmen Sie sich wie ein Opfer?“, fragt er den Mann, den sein Vater zum Vollwaisen gemacht hatte einmal allen Ernstes und erklärt ihm: „Ich weigere mich, die Schuld zu übernehmen für etwas, das ich nicht getan hab“, worauf Ungar antwortet: „Ich will nicht, dass Sie Buße tun. Mich stört, dass Sie sich wie ein Grobian benehmen.“ Womit vieles zum Umgang der NS-Nachfolgegesellschaften mit ihren Opfern gesagt ist.
Dolmetscher – Trailer from Filmfonds Wien on Vimeo.
Der Film nimmt sich aber nicht nur die deutschen bzw. österreichischen Massenmörder vor, sondern reflektiert auch die Rolle der slowakischen Hitler-Verbündeten und die Verweigerung großer Teile der heutigen slowakischen Bevölkerung, die eigene faschistische Vergangenheit anzuerkennen.
Angenehm wenig an diesem Film ist auf kommerziellen Erfolg gebürstet, Regisseur Martin Sulik und Drehbuchautor Marek Lescak dürften sich mit „Der Dolmetscher“ wenig Freunde machen. Mit seinem schmucklosen Realismus, der oftmals fast dokumentarisch wirkt, manifestiert sich auch ästhetisch die dem Thema zustehende Nüchternheit. Der Versuch, aus dem Umgang mit dem Grauen eine fröhlich-flockige Angelegenheit unter glücklicherweise nicht direkt Betroffenen zu machen, wird in den erfolglosen Schürzenjagden des Österreichers zur peinlichen Farce und Graubner entwickelt sich erst dadurch zu einer wirklich ernstzunehmenden Figur, dass er anfängt, mit den monströsen Verbrechen des Vorfahren und dessen Opfer sensibel umzugehen. Und obwohl sich die beiden Protagonisten zunehmend zusammenraufen, bleiben sie bis zum Ende des Films beim distanzierten „Sie“, auf Ranschmeißversuche Graubners geht Ungar nicht ein, er kann und will nicht.
Hier geht es nicht um die Frage, ob die heutige Generation an irgendetwas schuld ist, sondern darum, wie das Menschheitsverbrechen die Gesellschaften bis heute beeinflusst und beschäftigt, und wie ein bewusster und angemessener Umgang damit aussehen könnte.
Ganz nebenbei ist „Der Dolmetscher“ echtes Schauspielerkino, gewissermaßen ein Film in Slow Motion, der sich für das, was er erzählen will, immer genug Zeit nimmt. Die Charaktere bedienen allerdings die ihnen zugeschriebenen Klischees etwas zu routiniert und der Versuch, die personifizierte Opfer-Täter-Konfrontation zum Gegenstand von Pointen zu machen, misslingt fast durchgehend und endet schon mal in albernen Witzchen auf Kosten der Potenz uralter Männer.
Als Komödie, als der er rätselhafterweise (u.a. mit einem seltsam unpassenden Plakat, siehe oben) angekündigt wird, funktioniert „Der Dolmetscher“ zwar nicht, aber wo deutsche Regisseure „Unsere Mütter, Unsere Väter“ reinzuwaschen versuchen, hat Sulik einen sehenswerten Film gedreht, der dem Thema gerecht wird.
Der Dolmetscher - Slowakei, Tschechien, Österreich 2018 - Regie: Martin Sulik - Mit Peter Simonischek, Jiri Menzel - 113 Minuten - ab 22.11. 2018 im Kino
Ausführliche Beiträge zu diesem und anderen Themen in der monatlich erscheinenden Druckausgabe der GWR.
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