David McReynolds, der im Alter von 88 Jahren in New York starb, hatte eine führende Rolle in der US- und der internationalen Friedensbewegung. Er war einer der Hauptorganisatoren der Mobilisierung gegen den Vietnamkrieg in den USA, die nicht nur zur Beendigung dieses Krieges führte, sondern einen tiefgründigen Einfluss auf die US-amerikanische Politik und Gesellschaft ausübte. Herausragend war er auch in der Anti-Atom-Bewegung, in den USA und international. Zwar war er nicht als Organisator für die Rechte Homosexueller bekannt, stand aber öffentlich zu seiner Homosexualität, als dies noch gesellschaftlichen Ausschluss und Gefängnisstrafen bedeutete.
In den frühen 1950ern als ausgesprochen radikaler Student der Politikwissenschaften an der University of California in Los Angeles (UCLA) verweigerte er sich der Einberufung in den Korea-Krieg und lehnte einen Aufschub für Studenten ab, da dies nur ein Privileg für junge Leute aus der Mittelklasse sei. Er machte seinen Abschluss im Jahre 1953 und war aktiv im linken Flügel der Socialist Party USA.
1956 zog er um nach New York, hatte zunächst verschiedene Teilzeitjobs und wurde dann Geschäftsführer der radikal-pazifistischen Monatszeitschrift Liberation. Regelmäßig erschienen seine Artikel in dieser Zeitschrift und in der Village Voice. (Eine Auswahl seiner Aufsätze wurde 1970 beim Praeger-Verlag unter dem Titel „We have been invaded by the 21st Century“ (Wir sind besetzt worden vom 21. Jahrhundert.) veröffentlicht.
1960 stieg David als Reisesekretär bei der War Resisters League (WRL) ein – eine der dynamischsten Mitgliedsorganisationen der War Resister‘s International (WRI). Als Vertreter der War Resisters League war er von 1966 bis 1988 Mitglied im Internationalen Rat der WRI und von 1986 – 1988 deren Vorsitzender. Zweimal hat er Wahlkampf gemacht, für die Socialist Party USA und als US-Präsidentschaftskandidat – in 1980 und 2000. Es ging ihm nicht ums Gewinnen, sondern um die Möglichkeit, für eine gewaltfreie, sozialistische Gesellschaft zu werben.
Während der Dreijahreskonferenz der WRI 1966 in Rom war m.E. Davids Fürsprache entscheidend, die Teilnehmer*innen zu überzeugen, der Opposition gegen den Vietnamkrieg in ihren Kampagnen Priorität einzuräumen. So wurden zwei verschiedene Flugblätter zum Vietnamkrieg veröffentlicht: Das eine für US-Besucher*innen in Europa. Das andere richtete sich direkt an in Europa stationierte US-Soldaten und informierte über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung sowie andere Maßnahmen, die sie ergreifen konnten, sich gegen den Krieg zu stellen, bis hin zur Desertation. Aber das Flugblatt warnte auch vor den möglichen schweren persönlichen Konsequenzen einer Fahnenflucht. – Zehntausende dieser Flugblätter wurden gedruckt und verteilt.
Anlässlich der Internationalen Ratssitzung der WRI 1968 in Wien fand ein Treffen statt zwischen einer Delegation der WRI (u.a. mit David McReynolds und mir) und der Führung des sowjetisch unterstützten Weltfriedensrates in deren Geschäftsstelle in Wien. Sie versicherten uns, dass die Manöver des Sowjet-geführten Warschauer Paktes an der Grenze zur damaligen Tschechoslowakei einfach nur Übungen seien und kein Grund zur Sorge bestehe.
Wenige Tage später hatten wir ein Treffen mit Mitgliedern des Slowakischen Friedenskomitees in Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei, und erfuhren, dass auch sie in großer Sorge seien und keine Ahnung hätten, was passieren würde. Wir hatten noch nie zuvor gehört, dass offizielle Vertreter eines der mit dem Weltfriedensrat affiliierten Friedensrates eine abweichende Meinung von der Sowjetischen Linie vertraten. Kurz danach besetzten russische Panzer das Land und rollten durch Prag. (H.Wr.: David selbst berichtete: „Prag hatte mein Urlaub sein sollen, vier Tage zwischen zwei Konferenzen. An meinem letzten Morgen in Prag, am 21.8.1968, rollten die russischen Panzer in die Stadt und ich konnte sowohl die Panzer wie die in großen Gruppen aufgeregt diskutierenden Menschen fotografieren.“) Kurze Zeit später erhielt die WRI einen Hilferuf von der Führung des Slowakischen Friedenskomitees wegen der Besetzung durch die Warschauer Pakt Staaten. (Dies löste vier Wochen später Flugblattverteilungen in vier Hauptstädten des Warschauer Paktes durch WRI-Mitgliedsorganisationen aus.)
David war oft bereit, seine eigene Freiheit aufs Spiel zu setzen. 1965 wurde er mit vier anderen Männern festgenommen, weil sie öffentlich ihre Militärpapiere verbrannten als eine beabsichtigte Zuwiderhandlung gegen ein US-Bundesgesetz. – Allerdings erhielt er als einziger keine Gefängnisstrafe, vermutlich, weil er mit 36 Jahren nicht mehr wehrpflichtig war. …… (H.Wr.: Wehrpass-Verbrennungen machten daraufhin Schule, in den USA im großen Ausmaß, der Türkei und anderswo, später auch in vielen Orten Deutschlands – durch KDVer, Reservisten und Totalverweigerer.) David und ich waren auch Teilnehmer einer großen internationalen Vietnam- Konferenz, die im Jahr 1967 in Stockholm abgehalten wurde und an der auch zwei Mitglieder der umstrittenen Vietnamesischen Nationalen Befreiungs-Front teilnahmen.
Hier noch ein paar persönliche Erinnerungen und Eindrücke. Als erstes: Davids Begeisterung für Katzen, nicht nur seine eigenen, die gewissermaßen in seiner Wohnung regierten. Auch streunende Katzen, die überall zu sehen waren, z.B. während der Dreijahreskonferenz der WRI 1985 in Indien. Zweitens, Davids Enthusiasmus und Fertigkeiten als Fotograf – welche Freude, nach den WRI-Sitzungen die neueste Auswahl seiner Fotos zu erhalten.
David genoss Kontroversen und scheute sich vor keiner Debatte. Freitagabends daheim – über Jahre hin lud er Freunde ein zum Diskutieren aktueller Probleme. (In den letzten Jahren abgelöst durch gemeinschaftliches Anschauen alter Comedy-Filme.) – Er war auch ein überaus produktiver Blogger, und seine Blogs hielt er aufrecht bis kurz vor seinem Tod. Sie zeigten, dass er immer auf dem neuesten Stand öffentlicher Diskussionen und Geschehnisse war. David hatte eine Liste unterschiedlicher Gruppen, denen er seine Blogs zusandte. Der letzte, am 28. Juli 2018, enthielt einen Artikel aus Foreign Policy on Focus von Conn Hallinan „It’s time for NATO to go the way of the Warsaw Pact“ (Es ist Zeit, dass die NATO den gleichen Weg geht wie der Warschauer Pakt.)
David verfügte über eine eindrucksvolle Kraft, was Konzentration und multi-tasking angeht. Eine meiner Erinnerungen während einer Ratssitzung der WRI ist, wie er einen Agatha Christie Roman liest, halb versteckt unterm Tisch vor ihm – und doch fähig, schnell und konkret auf die Diskussion zu reagieren. Ein andermal schien er völlig vertieft in ein Strategospiel mit Reinoud Doeschot aus den Niederlanden – aber ohne die Debatte aus dem Auge zu verlieren.
David starb im Krankenhaus, nachdem er Tage nach einem Sturz besinnungslos allein in seiner Wohnung gefunden wurde, ohne noch mal aufzuwachen. Traurig, aber sehr passend, lag Shaman, seine Katze, tot neben ihm.
David hatte viel Sinn für Unfug und Spaß. Er war kein mürrisch dreinblickender Moralist. Als ein paar von uns in Namur in Belgien während einer anderen Ratssitzung vor einem Café zusammen saßen, fegte er einen Glasaschenbecher vom Tisch und schoss ihn in hohem Bogen über einen kleinen Hügel, ganz wie eine schlaksige Figur aus einem Comic-Film, was einen jungen Teilnehmer aus den USA ziemlich schockierte.
Aber die beste Geschichte über David erzählte mir ein Teilnehmer einer anderen internationalen Konferenz. Während David seine Ansprache hielt, unterbrachen ihn immer wieder einige Delegierte, deren Muttersprache nicht Englisch war und riefen „Speak slower! Speak slower!“ Nach einer Weile verlor David die Geduld und rief schlagfertig zurück: „Listen faster!“
Er wird sehr vermisst werden, sowohl wegen seiner Energie, seines weitgefächerten Wissens und seiner politischen Erkenntnisse sowie seiner Bereitschaft, wenn ihm jemand nicht zustimmte – was bei mir des Öfteren geschah – sich auf eine energische, aber zivilisierte Debatte einzulassen.
Michael Randle
Michael Randle ist englischer Friedensaktivist und Friedensforscher. In 1968 war er Mit-Koordinator der von der War Resisters‘ International (WRI) organisierten Proteste in Budapest (Teilnehmer aus Deutschland war Wolfgang Zucht), Moskau, Sofia und Warschau gegen die sowjet-geführte Invasion der Tschechoslowakei.
Übersetzung aus dem Englischen: Helga Weber