Ökonomie

Grundeinkommen kontrovers

Podiumsdiskussion mit Butterwegge, Strengmann-Kuhn und anderen. Ein Bericht.

| Ines Jancar

Bgebb
Foto: BukTom Bloch, 2.0 Generic (CC BY 2.0)

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) findet immer mehr Präsenz im öffentlichen Raum; so nun auch am 06.12.2018 im Haus am Dom in Frankfurt. In diesem Streitgespräch traten vonseiten der Befürworter*innen des BGE der Wirtschaftswissenschaftler und Grünen-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn und die Frankfurter Caritas-Direktorin Gaby Hagmans auf. Von der Kritikerseite saßen der Ungleichheitsforscher Christoph Butterwegge und der Frankfurter DGB-Chef Philipp Jacks auf dem Podium.

Schweizer Grundeinkommensbefürworter verteilen „Fünferli“ auf dem Bundesplatz in Bern – Foto: Generation Grundeinkkommen, NoDerivs 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0)

Das Eingangsplädoyer für das BGE hielt der Wirtschaftswissenschaftler Strengmann-Kuhn, welcher gleich zu Beginn klarstellte, dass ein Umdenken erforderlich sei, sodass nicht mehr die Erwerbsarbeit Bedingung eines Einkommens sei, sondern ein gesichertes Einkommen erst Erwerbs- oder andersartige Arbeit ermögliche. Er betonte dabei die destruktive Kraft der Bedürftigkeitsprüfung im Sinne von Hartz-IV, mit der nur das BGE konsequent brechen will: So liege die Dunkelziffer der verdeckt Armen schon aktuellen Schätzungen zufolge bei 4 bis 5 Mio. Menschen in Deutschland, Tendenz steigend. Dies liege vor allem an der Stigmatisierung, die Bedürftige erfahren. Er sprach sich dafür aus, nicht nur das bestehende Sozialsystem, welches aus dem vorletzten Jahrhundert stamme, zu renovieren, sondern die Gerechtigkeitsfrage von Grund auf neu zu stellen.

Der Ungleichheitsforscher Butterwegge entgegnete ihm in seiner leidenschaftlichen Widerrede, das Sozialsystem werde durch ein BGE zerschlagen, indem beispielsweise Mindestlohnstandards, Gewerkschaften und andere Errungenschaften des Sozialstaats aufgegeben würden. Er begriff das BGE als ein undifferenziertes Gießkannenprinzip, welches alle gleich behandle, so den Millionär und die Multijobberin. Hiermit nahm er auf eine Variante des BGEs Bezug, nämlich die Auszahlung als Sozialdividende an alle Staatsbürger*innen. Hingegen äußerte er sich nicht zur alternativen Variante, der Auszahlung als Negative Einkommenssteuer, also einer Verrechnung mit der Einkommenssteuer, wie sie unter anderem vonseiten der Linken diskutiert wird.

 

Pro & Contra BGE mit Katja Kipping und Ulrike Herrmann, Quelle: Youtube

 

Die Frage der Auszahlung und Finanzierbarkeit beschäftigte auch den DGB-Chef Jacks: Eine Billionen Euro wird für die Finanzierung eines BGE veranschlagt. Diese Summe sei zwar nur unwesentlich höher als die bestehenden Kosten des deutschen Sozialstaats, doch auch die Differenz im zweistelligen Milliardenbereich sei nur durch eine Steuererhöhung zu realisieren. Dass es für solche Umwälzungen in der Bevölkerung eine befürwortende Mehrheit gebe, bezweifelte er.

BGE-Befürworter Wolfgang-Strengmann-Kuhn – Foto: Foto-AG Gymnasium Melle [CC BY-SA 4.0),
Zur Frage der Finanzierbarkeit brachte die Caritas-Direktorin Hagmans ein, dass der derzeitige Sozialstaat schon jetzt nicht ohne die vielfältigen Formen unbezahlter Arbeit zu finanzieren wäre. So entfalle nur ein Drittel der volkswirtschaftlich geleisteten Arbeitsstunden auf Erwerbsarbeit; hingegen würden Erziehungsarbeit, Pflegearbeit, kreative und politische Arbeit sowie Ehrenämter zumeist gar nicht berücksichtigt. Das BGE ermögliche immerhin eine Wertschätzung dieser Arbeitsformen und sichere jeder und jedem die Freiheit zu, nicht allein dem Broterwerb verpflichtet zu sein.

Der größte Dissens zeigte sich in der Frage, ob das BGE mehr leiste, als eine Umverteilung von Einkommens- und Vermögensverhältnissen, wie sie auch durch andere, leider nicht näher beleuchtete Alternativen zu erreichen sei. Während Butterwegge zwar eine Beendigung absoluter Armut durch das BGE zugestand, zeigte er sich skeptisch, ob ein BGE auch die relative Armut, insbesondere durch prekäre Arbeitsverhältnisse, bekämpfe. Er befürchtete sinkende Löhne, und dass sich das Einkommensniveau somit für viele durch ein BGE nicht wesentlich ändere. Strengmann-Kuhn und Hagmans äußerten vielmehr die gegenteilige Erwartungshaltung: Dadurch, dass Arbeitnehmer*innen nicht mehr gezwungen seien, Arbeit um jeden Preis anzunehmen, werde die Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt gestärkt, was insbesondere für prekäre Arbeit und sogenannte Bullshit-Jobs veränderte Löhne und zudem bessere Arbeitsbedingungen bewirke.

Als das Wort ins Publikum übergeben wurde, kam man endlich auch auf die mentalen Effekte des BGE zu sprechen: Beim BGE ginge es nicht nur um Geld, sondern vor allem um ein gesellschaftliches Umdenken, frei von Zwängen und Sanktionen. Es wurde dabei auf die Resultate von Modellversuchen verwiesen sowie auf die bekannte Initiative mein-grundeinkommen.de, welche regelmäßig durch Crowdfunding einzelnen Personen ein Grundeinkommen ermöglicht und die positiven Erfahrungen der Gewinner*innen dokumentiert.

Außerdem wurden einige kritische Stimmen bezüglich der Gesprächsführung laut; manche dem BGE gegenüber aufgeschlossene Bürger*innen bemängelten Unkonkretheit und Fehlinformation. Dies betraf einerseits die Frage der Finanzierbarkeit, welche stets als ungelöst ausgegeben wird, anstatt sich auf eines der 24 Modelle mit verschiedenen Finanzierungen (MwSt., FinanztransaktionsSt., MikroSt., …) konkret zu beziehen. Auch die Auflösung des Sozialstaats durch Aufhebung des Mindestlohns oder ähnliche

BGE-Kritiker Christoph Butterwegge – Foto: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

arbeitspolitische Maßnahmen werde heute kaum mehr von jemandem gewünscht. Insbesondere Butterwegges Rhetorik fand nicht nur Zustimmung; es war von ‚Schattenkämpfen‘ die Rede und davon, dass er diffuse Ängste schüre anstelle sich einer sachlichen Argumentation zu öffnen. Butterwegge entgegnete, dass umgekehrt BGE-Befürworter*innen taub für seine Argumente seien; er unterstellte ihnen ‚Mobbing‘ und verglich die ‚BGE-Community‘ mit Rechtsextremisten – auf ein empörtes Raunen im Saal hin konkretisierte er, es ginge um die ideologische Verblendung beider Gruppen.

Angesichts der hitzigen Wortmeldungen suchte Jacks einen versöhnlichen Schluss, indem er daran erinnerte, wir könnten insbesondere im internationalen Vergleich zufrieden mit unserem althergebrachten Sozialsystem sein und sollten etwas mehr Dankbarkeit dafür aufbringen. Doch dieses Statement befriedete wenig, sondern zeigte einmal mehr, aus welch rückwärtig gewandter Perspektive das BGE abgelehnt wurde. Wenngleich das BGE natürlich nicht alle sozialen Probleme löst, wurde zumindest in diesem Streitgespräch kein grundsätzlicher Gegenvorschlag vorgebracht, der es mit den Anforderungen der Gegenwart und der Zukunft aufnimmt.

In Anbetracht der deutschlandweit wachsenden Zustimmung zum BGE bleibt abzuwarten, ob die nächste Diskussion noch immer unter der gleichen Frage geführt wird, ob wir ein BGE brauchen, oder nicht vielmehr unter der Frage, welches BGE-Modell wir brauchen. Im Fokus stünde dann die Frage, welchen Gerechtigkeitsansprüchen ein BGE genügen müsse, um emanzipatorische Konzepte gegenüber neoliberal motivierten Ansätzen zu stärken.

Weitere Artikel zum Thema in der monatlich erscheinenden Druckausgabe der GWR. Schnupperabos gibt es hier.