Atomkraft brandgefährlich

Framatome Lingen: Brand, Vertuschung und Protest

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Blockade der ANF in Lingen. Foto: Hanna Poddig

Die Brennelemente-Fabrik im niedersächsischen Lingen beliefert Atomkraftwerke weltweit mit Brennstoff, darunter das neue AKW vom Typ EPR in Finnland Olkiluoto 3. Sie hat trotz verkündetem Atomausstieg eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Ein Brand im nuklearen Bereich der Anlage am 6. Dezember 2018 und die Vertuschungen vom Betreiber Framatome sorgten für Protestaktionen.

Die Protestierenden forderten Aufklärung und die endgültige Stilllegung der Anlage. Die Landesregierung genehmigte aber nach knapp zwei Monaten die Wiederinbetriebnahme der Anlage. Viele Fragen zum Unfallhergang bleiben offen, wie beispielsweise das Verschwinden von 1000 Liter mit Uran kontaminiertem Wasser. Wie ein Schwerverbrecher wird aber nicht der Betreiber der Anlage behandelt, viel mehr werden die Atomkraftgegner*innen mit absurden Anzeigen der Polizei im Zuge von Demos konfrontiert. Doch der Widerstand lässt sich nicht einschüchtern.

Brand im nuklearen Bereich

Als es am 6. Dezember brannte und die gesamten Feuerwehren aus der Umgebung alarmiert wurden, informierte der Betreiber der Anlage, Advances Nuclear Fuel (ANF) – Framatome (Ex-AREVA), die Bevölkerung erst Stunden später. Die Lokalzeitung verfolgte den Einsatz und rätselte über Gründe und Ausmaß. Der NDR meldete den Vorfall mit rund zwei Stunden Verzögerung.

Am Tag danach hieß es dann seitens des Betreibers und der Behörden, der Katastrophenschutz habe sehr gut funktioniert. Die Feuerwehr sei um 19:40 Uhr alarmiert worden, der Brand sei um 21:12 Uhr gelöscht gewesen. Es habe sich lediglich um einen Kleinbrand gehandelt, es sei keine Radioaktivität aus dem Gebäude ausgetreten. Berichten zufolge ereignete sich der Unfall im nicht-nuklearen Bereich. Doch Meldungen, wonach die Produktion nun nach dem Unfall still stehen müsse, ließen aufhorchen. Das Selbstlob der Behörden über den erfolgreichen Katastrophenschutz hinterließ einen faden Beigeschmack, insbesondere bei Einwohner*innen, die über Stunden keinerlei Informationen erhielten.

Hier ist etwas faul, dachten sich viele.

Dies bestätigte sich wenige Tage später, als am 10.12. bekannt wurde, der Unfall habe sich doch im nuklearen Bereich ereignet. Der Betreiber sprach aber weiterhin von einem Kleinbrand auf 40 mal 40 Zentimetern Fläche. (1) Bilder vom Brandort, die im Umweltausschuss des niedersächsischen Landtages den Abgeordneten zur Verfügung gestellt wurden, lassen daran Zweifel aufkommen (2). Sie zeigen einen vollkommen zerstörten Raum. Dieser wird nach Angaben des Betreibers zur Reduzierung uranhaltiger Abfallstoffe genutzt. Man fragt sich aber, wie es zu der Explosion von 55 Liter Wasserstoff an einem nuklearen Verdampfer kommen konnte. Diese Angabe stammt vom Umweltministerium. Der Betreiber, der nach Bekanntwerden der ersten Falschmeldung seine Pressestelle abschaltete, meldete sich erst am 13. Dezember wieder zu Wort und betonte, es sei „nur“ eine Verpuffung gewesen. (3)

Viele Fragen zum Unfallhergang bleiben offen

Ob Explosion oder Verpuffung: Rätselhaft bleibt, wie es angesichts dessen, dass drei Tage vor dem Unfall am Brandort keine Stoffe verdampft worden sein sollen, zur Explosion kommen konnte. Antiatominitiativen haben Mitte Januar 2019 Umweltminister Lies einen Fragenkatalog zukommen lassen. Das niedersächsische Umweltministerium zeigte jedoch kein Interesse an Transparenz. Am 4. Februar hieß es lapidar, man habe dem Betreiber die Genehmigung erteilt, die Anlage wieder in Betrieb zu nehmen (4).

Die Fragen blieben unbeantwortet. Das Ministerium verwies auf die Ergebnisse einer Prüfung durch den TÜV. Dass TÜV-Begutachtungen nicht immer Qualität versprechen, haben wir gerade erst in Brasilien mit dem Bruch des Dammes einer Uranerzmine erlebt, der mehrere Hundert Tode zur Folge hatte. Der TÜV hatte wenige Monate zuvor die Anlage untersucht. Externe Gutachter wurden im Fall Lingen nicht beauftragt. Ungeklärt ist in Lingen nach wie vor der Verbleib von 1000 Liter ausgelaufenem uranhaltigem Wasser. Sie sollen „aufgefangen“ worden sein. Aber was heißt das? (5) In Luft wird sich der radioaktive Schlamm nicht aufgelöst haben. In einem NDR-Bericht hieß es auch, dass „der Arbeitsplatz, an dem das Feuer ausgebrochen ist, nicht mehr genutzt werden“ dürfe (6). Man fragt sich, wieso die Brennelementefertigung wieder aufgenommen werden durfte, wenn das Labor nicht genutzt werden darf. In Labor-Analysen wurde ANF Framatome zufolge eine Qualitätsprüfung der Brennelemente durch geführt.

Zwischenfälle ohne Ende

Der jüngste Brand im nuklearen Bereich der Fabrik in Lingen ist nur die Spitze des Eisbergs. Seit Inbetriebnahme gab es rund 150 meldepflichtige Ereignisse. Allein im November 2018 kam es zu zwei meldepflichtigen Vorkommnissen. Ein schwerer Unfall kann sich jederzeit ereignen. Der Brand vom Dezember zeigt, dass sowohl der Betreiber als auch die Behörden im Krisenfall unzuverlässig sind. Radioaktivität riecht nicht. Radioaktivität ist unsichtbar. Die Kontamination ist schleichend, ihre Auswirkungen auf Menschen und Tiere sind erst mit Verzögerung feststellbar. Die Atomlobby hat es leicht, zu vertuschen, um ihre Geschäfte zu schützen.

Atomausstieg bleibt Handarbeit

In der Lingener Fabrik werden aus angereichertem Uran Brennelemente gefertigt, die in Atomreaktoren in der ganzen Welt eingesetzt werden. 90 Prozent der Produktion geht ins Ausland. Trotz des durch die Bundesregierung beschlossenen Atomausstiegs hat die Lingener Fabrik eine unbefristete Betriebserlaubnis – genauso wie die Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau. Eine rechtssichere Stilllegung beider Anlagen ist laut einem Gutachten möglich. Es fehlt der politische Wille. Atomausstieg bleibt Handarbeit“, ist die logische Schlussfolgerung. Aus diesem Grund gab es im Dezember 2018 und Januar 2019 vor der Wiederinbetriebnahme der Anlage zahlreiche Aktionen. Die Polizei zeigte sich mit strafrechtlichen Vorwürfen kreativ.

Schikane gegen Versammlungsteilnehmer*innen

So wurde sich auf Mahnwachen und Demos mit zwischen 30 und 200 Teilnehmer*innen über die Größe von Fahnenstangen bis vor dem Verwaltungsgericht gestritten, ein Demonstrant wurde angezeigt, weil seine Fahnenstange nicht die durch die Polizei bestimmte Größe hatte. Anlässlich einer Demo gegen das 40-jährige Bestehen der Brennelementefabrik am 19. Januar 2019 stiegen zwei Umweltaktivistinnen den Verantwortlichen der Lokalpolitik aufs Dach, um sie an ihre Verantwortung zu erinnern. Sie und zwei Unterstützer wurden daraufhin wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung angezeigt, obwohl das Vordach vom neuen Rathaus nicht eingefriedet ist und die Aktivist*innen zu keinem Zeitpunkt eingedrungen sind oder es vorhatten. Die Polizei verbreitete Fake News mit der Behauptung, das Glasdach sei beschädigt worden. Dabei ist das Vordach gar kein Glasdach und nach Aussage eines Lokalpolitikers ist dieses Dach seit Monaten Thema im Stadtrat, weil es undicht ist (7). Als die Kletterinnen vom Dach des neuen Rathauses in der Lingener Innenstadt herunterstiegen, wurden sie durch Menschen in Zivil, die sich wie Hooligans verhielten und sich zu keinem Zeitpunkt als Polizist*innen auswiesen, überfallen. Eine Aktivistin wurde in ein Auto gebracht. Demonstrant*innen protestierten dagegen und stellten sich vor das Auto. Sie wurden schließlich durch uniformierte Polizisten weggedrängt bzw. weggetragen. Die Aktivistin wurde zur Polizeiwache gebracht. Im Nachhinein erhielt eine Demonstrantin eine Vorladung der Polizei mit dem Vorwurf „Nötigung“ und „Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr“ – durch Sitzenbleiben auf einem Rollstuhl!?

Atomkraft? Brandgefährlich!

Zwei Tage später, gegen 5:30 Uhr morgens, versammelten sich 15 Aktivist*innen vor der Uranfabrik von ANF – Framatome und versperrten die Hauptzufahrt mit zwei sechs Meter hohen Tripods. „Atomkraft ist Brandgefährlich“ stand auf dem zwischen den zwei Gestellen gespanntem Banner. Die Polizei zeigte sich auch hier aggressiv. Ein Polizist entwendete als Erstes die mit einem Atomzeichen zur symbolischen Darstellung des Brandes in der Brennelementefabrik versehene Feuertonne der Demonstrant*innen, die zuvor etwas Wärme in der eisigen Nacht (-6 Grad) spendete. Er stürmte ohne Vorwarnung auf die Gruppe zu und fasste die glühende Feuertonne mit beiden Händen an, um diese zur Seite zu werfen. Die Tonne wurde anschließend mit einem Feuerlöscher gelöscht. Es entstanden Bilder mit gespenstischer Stimmung, als wäre es der Rauch und Schaum vom Unfall in der Anlage. Die Aktivist*innen bedankten sich bei der Polizei für ihre Mitwirkung an der Gesamtchoreographie. Die Polizei legte es offensichtlich darauf an, den Demonstrierenden ihre Kundgebungsmittel und ihren Schutz vor Kälte wegzunehmen, damit sie ihre Demo von selbst beenden, weil die Aktion keine Bilder mehr für die Öffentlichkeitsarbeit liefert und die Beteiligten frieren. Die Polizei beschlagnahmte Transparente, dutzende Wasserbälle mit Atom-Symbol, Stühle, Isomatten und sogar containertes Sushi. Ein Polizist versuchte einem Aktivisten beim Vorbeilaufen die Mütze vom Kopf zu reißen.

Aushilfe durch Maschinenführer im Nazi-Outfit für das SEK

Gegen 9:30 Uhr erschien eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei aus Osnabrück und ein Sondereinsatzkommando aus Hannover für die Räumung. Die Bereitschaftspolizei räumte zuerst in unprofessioneller Art und Weise die Aktivist*innen am Boden. Auch jene, die zur Verhinderung eines möglichen Kippens des Dreibeins an den Füßen standen, wurden geräumt.

Für Aufregung sorgte die Räumung der beiden Kletter*innen durch ein SEK. Die Firma Rosen Technology stellte dafür – und dies nicht zum ersten Mal – einen Teleskopstapler mit Korb für die Räumung der Kletter*innen zur Verfügung. Der Fahrer wurde befragt, ob er einen Schein zur Bedienung der Maschine mit Menschen im Korb besitze. Die Frage wurde verneint. Die erforderliche Zusatzqualifikation besaß er nicht. Der Einsatz wurde trotzdem fortgesetzt. Mit einem Polizisten im Korb und einem weiteren außerhalb, was nach Unfallverhütungsvorschriften unzulässig ist. Unheimlich wirkte es auf die Beteiligten, als diese feststellten, dass der Maschinenführer unter seiner Arbeitsjacke der Firma Rosen, ein Oberteil mit dem Thor Steinar Logo, einer Nazi-Marke, trug. Gegen 10:30 Uhr hatte das SEK schließlich mit Unterstützung des Maschinenführers die beiden Aktivist*innen zu Boden gebracht.

Die Beschlagnahme der Tripods, Banner, Strohsäcke, Stühle, Bälle, etc. wurde durch das Amtsgericht Osnabrück unter Missachtung des Rechtes der Beteiligten auf rechtliches Gehör bestätigt. Den Aktivist*innen wird Nötigung vorgeworfen. Obwohl die Mitarbeiter*innen die Stelle zu Fuß passieren konnten und lediglich die Hauptzufahrt, nicht aber die sekundäre Zufahrt blockiert wurden. Das Ganze wird ein juristisches Nachspiel haben. Die Beteiligten sehen dies als eine Gelegenheit, die Anlage, ihre Störfälle und ihren unbefristeten Betrieb trotz Atomausstiegs öffentlich zu thematisieren.

Die Schließung der Brennelementefabrik ist möglich

Es ist rechtlich möglich, die Brennelementefabrik Lingen zu schließen – ohne Verpflichtung, Schadenersatz an Framatome zu leisten. Dazu gibt es sogar ein im Auftrag des Bundesministeriums erstelltes rechtliches Gutachten. (8) Die französischen Behörden gehen davon aus, dass ein Teil der Lingener Anlage 2021 geschlossen wird. Auf dem Gelände der Orano (Ex-AREVA) Uranfabrik in Narbonne Malvési soll künftig abgereichertes Uran in Uranoxid (UO2) verwandelt werden. Der Stoff wird für die Produktion von plutoniumhaltigen – gefährlichen – Brennelementen (MOX) verwendet. Die Inbetriebnahme einer solchen Anlage in Narbonne hätte viele Atomtransporte zur Folge, da MOX nicht vor Ort produziert wird, sondern im Melox-Werk in Marcoule im Département Gard. Aus den Genehmigungsunterlagen ist zu entnehmen, dass die französische Anlage genehmigt wird, weil die Anlage in Deutschland bei Framatome Lingen 2021 geschlossen wird. (9)

Die Produktion von UO2 betrifft einen Teil der Lingener Produktion, von einer Einstellung dieser Produktion, die Auswirkung auf die Gesamtproduktion hätte, sickerte jedoch nichts in die deutsche Öffentlichkeit. Darum die berechtigte Frage, ob der französische Genehmigungsbescheid fehlerhaft ist? Orano will die Produktion so bald es geht starten. Unter anderem weil das aktuelle Geschäft mit dem Uranerzkonzentrat nicht so wie vorgesehen läuft (7.000 statt 10.000 Tonnen UF4 im Jahr 2017). Die Produktion von 300 Tonnen UO2 soll das Geschäft wieder beleben.

Die UO2 Anlage ist besonders umstritten, weil sich im September 2018 ein Unfall mit alten UO2 Fässern ereignete, die auf dem Gelände von Orano in Narbonne seit Anfang des Jahrhunderts herum lagen. Ein Fass explodierte als es geöffnet wurde. Orano zufolge gab es am Unfalltag keine radioaktive Freisetzung. Am 22. November 2018 wurde jedoch bekannt, dass ein weiterer Zwischenfall aus dem Sommer 2018 durch Orano falsch eingeschätzt wurde. Zwei Container schlugen am 23. Juli und 6. August in der Uranhexafluorid-Anlage in Tricastin Leck. Orano teilte ebenfalls mit, es habe keine Gefährdung gegeben. Radioaktivität wurde im Gebäude festgestellt, jedoch nicht außerhalb. Dies verleitete Orano dazu, den Zwischenfall auf Niveau 0 der Skala atomarer Zwischenfälle einzustufen. Die Atomaufsichtsbehörde hat den Fall untersucht und es wurde festgestellt, dass die Messgeräte im Außenbereich gar keinen Alarm schlagen konnten, denn sie waren falsch kalibriert. Der Zwischenfall wurde auf Stufe 1 hoch gestuft (10). Wenn ein Betreiber schreibt, dass keine Radioaktivität ausgetreten ist, muss es also nicht stimmen.

In Narbonne soll die Anlage außerdem um eine Atommüllverbrennungsanlage Namens THOR erweitert werden. Die Anlage wird giftige Stoffe wie NOX, COV, ausstoßen und 80.000 Kubikmeter Wasser pro Jahr verschwenden. Hinzu kommt, dass für die Verbrennung 5.700 Tonnen Steinkohle pro Jahr verfeuert werden müssen. Gegen die Neubaupläne regt sich in Narbonne Widerstand. 800 Menschen demonstrierten am 24. November 2018. Atomkraftgegner*innen aus Deutschland und Frankreich bleiben außerdem vernetzt, um gemeinsam dagegen anzugehen. Atomtransporte stoppen ist weiter angesagt. Den Atomkraftwerken muss weltweit der Rohstoff entzogen werden. Ob die Brennelementefabrik Lingen stillgelegt wird, ist eine politische Frage. Darum machen die Atomkraftgegner*innen Druck. Atomausstieg ist Demo-, Blockade-, Kletter-, Seil- und Handarbeit!

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