Kommentar

Ein fauler Kompromiss

Jetzt erst recht! Der Kampf für die Abschaffung des § 219a ist noch wichtiger geworden

| Antje Schrupp

Beitragkompromiss1

Der Paragraf 219a Strafgesetzbuch (StGB) wurde 1933 von den Nazis eingeführt. In ihm heißt es unter der Überschrift „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ in Absatz 1: „Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Seit Jahren kämpfen Feminist*innen für die Abschaffung dieses frauenfeindlichen Relikts aus der Nazizeit. Ende Januar 2019 beschloss die Bundesregierung nicht die Abschaffung des Paragrafen, sondern einen „Kompromiss“, den Antje Schrupp hier für die GWR kommentiert. (GWR-Red.)

Ich kann sogar verstehen, dass die SPD für den § 219a nicht die Koalition platzen lassen will. Nicht nur die Aussichten der SPD wären bei Neuwahlen schlecht, uns allen würde das Wahlergebnis vermutlich nicht gefallen. Kein Verständnis habe ich aber dafür, wie manche den Kompromiss der Großen Koalition schön reden. Ja, sie haben Rechtsklarheit geschaffen: Informationen über die Art und Weise eines Schwangerschaftsabbruchs sind nun ausdrücklich illegal. Es ist eine Rechtsklarheit geschaffen worden – im Sinne der Abtreibungsgegner*innen.

Solidarität mit der durch den § 219a kriminalisierten Ärztin Kristina Hänel. Bildquelle: https://solidaritaetfuerkristinahaenel.wordpress.com

Bisher war der §219a nicht ganz eindeutig. Laut Überschrift sollte er „Werbung“ für Abtreibungen verbieten, im Text ging es dann um die öffentliche Verbreitung von Informationen. Internetseiten hat es zum Zeitpunkt, als das Gesetz geschrieben wurde, noch gar nicht gegeben. Ist es denn überhaupt eine „Verbreitung“, was man auf die eigene Homepage schreibt? Schließlich muss die von der Nutzerin aktiv aufgesucht werden.

Über lange Zeit ging das auch recht gut, und kaum jemand wusste, dass es überhaupt so einen Paragrafen gab. Viele Ärzt*innen boten auf ihren Seiten kurze sachliche Informationen über den Abbruch an, warben aber natürlich nicht dafür. Aber dann fingen fanatische Abtreibungsgegner an, gezielt und massenhaft Anzeige nach §219a zu erstatten. Viele Betroffene nahmen die Informationen von ihren Webseiten, um einer Verurteilung zu entgehen. Kristina Hänel und einige andere Kolleginnen aber nicht. Sie gingen vor Gericht. Die große öffentliche Debatte begann dann im Herbst 2017, als Kristina Hänel nach §219a verurteilt wurde. Die Debatte nicht nur um jenen Paragrafen, sondern generell um die Frage, wie es um die Informationsfreiheit von Menschen, die schwanger werden können, bestellt ist.

Schnell stellte sich heraus, dass es im Bundestag eine Mehrheit für die Abschaffung des Paragraphen gibt – aus Grünen, Linke, FDP und SPD. Doch da die SPD in der Großen Koalition ist, wollte sie da nicht mit stimmen. Dahinter steckt auch die Einschätzung, dass das Thema nicht so wichtig ist. Frauenkram halt. Nichts, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt. Stattdessen also nun dieser Kompromiss. Demnach dürfen Ärzt*innen in Zukunft ausdrücklich über die Tatsache informieren, dass sie Abbrüche vornehmen – aber eben auch über nichts sonst. Weder dürfen sie die Methode nennen, nach der sie den Eingriff vornehmen, noch sonst irgendeine inhaltliche Information geben, die man als potenzielle Patientin haben wollte. Das macht den Gesetzestext schlimmer, als er vorher war. Denn was vorher nur restriktive Auslegung war, ist jetzt explizit illegal geworden. Die Homepage von Kristina Hänel sowie anderer angeklagter Ärzt*innen wäre demnach immer noch illegal (anders als es von der SPD in den Tagen nach dem Kompromiss immer wieder behauptet wurde).

Staatliche Stellen sollen in Zukunft Listen führen mit den Informationen, die man nach Ansicht der Koalitionäre Schwangeren gnädiger weise zur Verfügung stellen darf – welche genau das sind und wie man sie einklagen kann, ist noch völlig nebulös. Mag aber durchaus sein, dass einige Frauen dann leichter eine Information bekommen als jetzt. Das rechtfertigt jedoch nicht das gesetzlich festgeschriebene Komplettverbot jeglicher unabhängiger Information über Abtreibung.

Mit anderen Worten: Diese Einigung ist ein politischer Fehler. Zumal der Kompromiss auch weitere fraktionsübergreifende Aktionen erschwert. Die CDU kann sich nun in Punkto Abtreibung als fortschrittliche und moderne Partei darstellen – sie macht das auch schon geschickt, indem sie einen internen Streit zwischen „moderaten“ (pro Kompromiss) und „strikt konservativen“ (gegen den Kompromiss) Kräften inszeniert. Vorher haben sich durchaus auch CDU-Frauen hinter die Forderung nach einer Abschaffung des § 219a gestellt, das dürften jetzt deutlich weniger sein.

Merkwürdig still und desinteressiert an der Debatte sind auch all die Helden der Meinungs- und Informationsfreiheit, die sonst doch so vehement dafür eintreten, dass jeder Lügner und Hetzer und Antifeminist sich nach Herzenswunsch im Internet austoben kann und die schon „Zensur“ schreien, wenn jemand sie bei Twitter blockt.

Verwunderlich?

Keineswegs. Denn es geht bei diesem Konflikt nicht darum, den Umgang mit Abtreibungs-Informationen pragmatisch zu regeln. Sondern es geht um viel grundsätzlichere Dinge. Wir müssen darüber reden, warum diese Gesellschaft es nicht ertragen kann, dass Frauen oder schwangere Personen selbst die ethischen Entscheidungen treffen, die mit einem Schwangerschaftsabbruch einhergehen. Wir müssen überlegen, wie wir die notwendigen Informationen bereitstellen, zur Not auch in Form von zivilem Ungehorsam. Der Konflikt muss offen ausgetragen, nicht kleinteilig beigelegt werden. Der Kampf für die Abschaffung des § 219a ist mit diesem Kompromiss nicht überflüssig geworden, ganz im Gegenteil, er ist jetzt noch wichtiger.

Antje Schrupp

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