Buchbesprechung

Geboren am 17. November

Eine Geschichte der griechischen Stadtguerilla

| Peter Nowak

Dimitris Koufontinas, Geboren am 17. November, Eine Geschichte der griechischen Stadtguerilla, Bahoe Books, Wien 2018, 281 Seiten, 15 Euro, ISBN 978-3903022-89-8

Über viele Jahre sorgten die Attentate der „Bewegung 17. November“ in Griechenland auch in linken Kreisen für Verwirrung und Spekulation. Es gab Vermutungen, dass die Gruppe von Teilen des Staatsapparates protegiert werde. Schließlich zeichnete sie zwischen 1975 und 2002 für eine ganze Reihe von bewaffneten Aktionen verantwortlich, ohne dass über Jahre jemand erwischt wurde. Doch das hat sich am 29. Juni 2002 geändert. An diesem Tag wurde Savvas Xiros lebensgefährlich verletzt, als er aus Solidarität mit streikenden Hafenarbeiter*innen im Hafengelände von Athen eine Bombe platzieren wollte. Er überlebte schwerverletzt und musste sich gegen Isolationshaftbedingungen zur Wehr setzen. 2007 übersetzte die in Athen lebende Journalistin Heike Schrader das von Savvas veröffentlichte Buch „Guantánamo auf Griechisch: Zeitgenössische Folter im Rechtsstaat“ ins Deutsche.

Dimitris Koufontinas war mit Savvas an dem Anschlag beteiligt und sah seine lebensgefährliche Verletzung. Savvas wurde unter schweren Medikamenten verhört, so dass die Ermittlungsbehörden an Namen und Strukturen der Organisation kamen. Koufontinas konnte zunächst untertauchen und beobachtete, wie immer mehr Gruppenmitglieder verhaftet wurden, Aussagen machten und sich von der Gruppe und dem bewaffneten Kampf distanzierten. Das war der Grund für ihn, sich der Justiz zu stellen und die politische Verantwortung zu übernehmen. Mit dem Buch legte er einen politischen Rechenschaftsbericht ab, der auch Leser*innen beeindruckt, die mit den politischen Prämissen des Schreibers nicht übereinstimmen.

Koufontinas gibt einen subjektiven Rückblick auf die Geschichte Griechenlands nach 1945. Als in vielen Ländern die NS-Herrschaft und die ihrer Unterstützer zerbrach, konnten die griechischen Naziverbündeten mit Unterstützung Großbritanniens weiter die Macht ausüben. Nachdem sich die Lage in Griechenland zuspitzte, begann der Bürgerkrieg, der wesentlich von der stalinistischen KP organisiert, aber von der stalinistischen Sowjetunion nicht unterstützt wurde. Letzterer ging es um die Abgrenzung von geopolitischen Interessensphären und nicht um Solidarität. Nach der Zerschlagung des kommunistischen Aufstands in Griechenland setzte eine gnadenlose Repression gegen alle Oppositionellen ein, die sich nach dem Militärputsch von 1967 noch einmal verschärfte. Doch auch der 1968er Aufbruch ging an Griechenland nicht spurlos vorüber. Dieser kulminiert in dem blutig niedergeschlagenen Aufstand an der Athener Universität. Das Datum gab der Guerilla-Gruppe ihren Namen. Koufontinas beschreibt die Enttäuschung über die Kommunistische Partei, was aber nicht den Bruch mit dem Stalinismus bedeutet. So gibt es Stellen im Buch, an denen er vom Revisionismus redet, der angeblich nach 1956 die kommunistische Bewegung zerstörte – was ein klassisch stalinistischer Topoi ist. Allerdings wurden wohl in der Gruppe auch Texte des Trotzkisten Ernest Mandel gelesen, was für Stalinist*innen ungewöhnlich ist.

Begrenzt selbstkritisch

Der Autor versucht eine Selbstkritik, die aber dadurch begrenzt ist, dass er das – von ihm wesentlich geprägte – Projekt verteidigt, weil damit auch sein Leben verbunden ist. Wahrscheinlich wird er das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen. So fragt er nicht, welchen politischen Gehalt ein Projekt hatte, in dem es nur noch um das technische Abwickeln der Attentate ging und das eigene Sicherheitskonzept im Ernstfall versagte.

So beschreibt Koufontinas, wie er nach dem Unfall von Savvas zu dem für solche Fälle festgelegten Treffen ging und niemand außer ihm vor Ort war, wie er als Einziger verzweifelt versuchte, Beweise zu beseitigen, als sich seine Ex-Genoss*innen bereits über ihre Aussagen Gedanken machten. Hier wäre eine fundamentale Kritik am strikten Kaderprinzip angebracht, die er wohl nicht leisten kann, ohne sein ganzes Lebensziel infrage zu stellen. Daher verwendet er auch gelegentlich Allegorien, die fast religiöse Züge haben. So, wenn er beschreibt, wie ihn eine alte Frau in Bauerntracht mit ihren Blicken Mut zugesprochen hat, als er den Entschluss fasste, sich der Polizei zu stellen. Dass Koufontinas Rechenschaftsbericht nun dank des Bahoa Books-Verlag auch auf Deutsch zu lesen ist, sollte als Einladung zur kritischen Debatte verstanden werden. Sie sollte auch von Leser*innen angenommen werden, die den bewaffneten Kampf ablehnen. Der US-Schriftsteller Dan Berger plädiert in seinem im Laika-Verlag veröffentlichten Buch „Weather Underground“ dafür, dass Gewaltfreie und Pazifist*innen sich mit den Motiven der Linken beschäftigen sollen, die Gewalt anwandten und ihre Kritik und ihre Gegenargumente einbringen. Das gilt auch für Koufontinas Rechenschaftsbericht.

Peter Nowak