Aktion Unterholz (Hg.): „Mama, dieser Stock auch?“ Von Barrikaden, Waldschützer*innen und Antikapitalismus, o.O., Dezember 2018, 50 Seiten. Zu bestellen über: aktion_unterholz@riseup.net
Zu einem Versuch, Widerstandsgeschichte aus der Sicht von Aktivist_innen zu machen, gehören ansprechende Fotos dazu. Und hiervon sind in „‚Mama, dieser Stock auch?‘ Von Barrikaden, Waldschützer*innen und Antikapitalismus“ genügend abgedruckt, für die allein es sich bereits lohnt, diese im Dezember 2018 erschienene Broschüre in die Hand zu nehmen. Die „Aktion Unterholz“, die zivilen Ungehorsam während der Rodungssaison organisiert hat und seit den Tagen im Herbst 2018 auch weiter gegen den Klimawandel kämpft, hat eine wunderbare Broschüre herausgebracht, die gegen Spende bei aktion-unterholz.org bestellt werden kann.
Hierin wird auf eindrucksvolle Weise einer der größten Polizeieinsätze NRWs aus unterschiedlichen Blickwinkeln, als ein weiterer Beweis der autoritären Formierung des Staates analysiert und der Widerstand gegen das Megaprojekt Hambacher Forst liebevoll und sympathisch dokumentiert. In diesem Versuch, die Geschichtsschreibung um einen bewegungsfreundlichen Blickwinkel zu erweitern, wird verdeutlicht, dass aktuelle und zukünftige politische Errungenschaften jenseits von Parlamenten und Parteien erkämpft werden können und müssen. Bei den Kämpfen gegen den Klimawandel geht es nicht nur um die Rettung der bedrohten Bechsteinfledermaus. Der Slogan „System change not climate change“ stellt klar, dass eine Verknüpfung mit anderen politischen Kämpfen wichtig ist. In dieser Situation hat die Klimabewegung eine besondere Rolle, weil sie es geschafft hat, unterschiedliche Akteurinnen und Akteure zusammenzuführen und dadurch eine stärkere gesellschaftliche Legitimation für politische Kämpfe, in denen es „ums Ganze“ geht, zu schaffen. Weil es eben nicht nur um ein paar alte Bäume geht, sondern um die „Überwindung der kapitalistischen Logik der Zerstörung der Natur“. Diese Bewegung hat erreicht, dass sich Tausende der Macht der Herrschenden und der unmenschlichen Logik des Kapitalismus entgegensetzen und durch unterschiedliche Formen des Widerstands die Grenzen des gesetzlich Erlaubten bewusst übertreten.
Viele von uns kennen das aus den verschiedensten Kämpfen der Vergangenheit. Aber es ist erfrischend zu sehen, wie alte Konzepte neu belebt und erfolgreich erweitert werden. Hierbei ist insbesondere das Kapitel über die Perspektive einer „Gruppe Waldbesetzer_innen“ zu nennen. Sie beschreiben eindrucksvoll den langen Kampf der im Wald lebenden Menschen und deren Strukturen. Die dort lebenden Einzelpersonen und Bezugsgruppen lebten eine „Kultur der gegenseitigen Rücksichtnahme, des ständig neu Aushandelns gemeinsamer Regeln und des autonomen Initiativprinzips“. Auch die sogenannte „Diversity of Tactics“ ist hierzu von besonderer Bedeutung. Sie zeichnet sich aus durch eine Abkehr von der strikten Einteilung und der Unvereinbarkeit von gewaltfreiem und militantem Aktivismus, mit dem Ziel „verschiedene Taktiken nebeneinander existieren und sich gegenseitig ergänzen“ zu lassen. Aus gewaltfreier Sicht wären konkrete Erfahrungen hierzu von großer Bedeutung. Wie hat das funktioniert? War die Diversity of Tactics erfolgreich? Das fehlt hier leider.
Der bürgerliche Demokratiebegriff wurde bei den Waldbesetzer_innen immer abgelehnt, zu Gunsten einer anarchistischen Idee. Hierin ist eine Weiterentwicklung von unterschiedlichen Konzepten von Autonomie und Selbstermächtigung aus der Vergangenheit zu erkennen. Dabei haben eben nicht – wie in vielen vergangenen Kämpfen – einige Tausend Aktivist_innen mit Bewegungsgeschichte und ähnlicher biografischer Prägung und politischer Sozialisation für einige Tage ein stimmiges Konzept für sich gefunden. Im Hambacher Forst lebten „letztendlich ein Haufen Menschen, die von der Normalgesellschaft kaputt gemacht wurden“, also Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Milieus, auch Drogenkonsumierende oder Straight-Edge-Punks. Unter diesen erschwerenden Bedingungen ein tragbares Konzept zu schaffen, wo Menschen trotz aller Unterschiede zusammenhalten und solidarisch miteinander umgehen können, ist aus der Distanz betrachtet beeindruckend. Spannend wird es auch, wenn die Kritik der Waldbesetzer_innen an einigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Greenpeace oder Campact („die sich jahrelang nicht für uns interessiert haben“) und einer Massenbewegung, die das Ganze zu einem medienwirksamen Ereignis mit Volksfestcharakter verkehrten, deutlich wird. Die Kritik richtet sich dagegen, dass die NGOs das entstandene große Happening vor allem dafür genutzt hätten, Spenden zu sammeln und Mitglieder zu rekrutieren. Hier wäre in Zukunft eine größere Sensibilität gegenüber wichtigen Trägern des Widerstandes vor Ort nötig. Einschränkend sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass dieses medienwirksame Spektakel letztlich mit zum Erfolg des Widerstands beigetragen hat. Dennoch sollte die formulierte Kritik für die Zukunft ernst genommen werden.
Abschließend muss festgestellt werden, dass solche Broschüren im Nachgang zu bedeutenden Ereignissen sozialer Bewegungen von großer Bedeutung sind. Es geht darum, aus subjektiver Sicht von Aktivist_innen die Geschichte nachzuerzählen und zu reflektieren. Dies ist mit der Flugschrift der Aktion Unterholz gelungen. Für Menschen, die dabei waren, ebenso zu empfehlen wie für andere, die sich ein Bild vom Widerstand im Hambacher Forst machen möchten.
markus beinhauer