Laura Mokrohs: Dichtung ist Revolution. Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam, Ernst Toller. Bilder – Dokumente – Kommentare, Verlag Friedrich Pustst, Regensburg 2018, 128 Seiten, 18 Euro, ISBN 9783791729770
Die meisten Schriftsteller*innen in Deutschland bekommen Pickel am Arsch, wenn sie „Engagierte Literatur“ hören, vor allem die Grauhaarigen. In Frankreich dagegen zeigt Edouard Louis, dass er sogar noch mehr will als das Sartre‘sche Konzept der Engagierten Literatur. Sartre ging davon aus, dass die Schriftstellerin die Dinge benennt, sie damit enthüllt und der Lesende in seiner Freiheit der Rezeption und damit in seinem Leben Verantwortung dafür übernimmt. Louis geht das nicht weit genug: Er möchte den Lesenden zwingen, Verantwortung zu übernehmen.
Laura Mokrohs hat mit „Dichtung ist Revolution – Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam, Ernst Toller“ ein Buch vorgelegt, dass so etwas wie eine revolutionäre Poetik der Revolution darstellt. Ein Buch, das nicht nur optisch äußerst ansprechend ist; Flugblätter, Briefe, Tagebucheinträge, Skizzen, Zeichnungen und Fotos. Nein, es entwickelt auf 117 Seiten einen Sog, der vor allem von den Persönlichkeiten und deren politisch-literarischem Ansatz ausgeht. Manchmal hätten diese aus Gründen der Lesbarkeit allerdings etwas größer sein sollen. Trotzdem entwickelt dieses Buch auf 117 Seiten einen Sog, der vor allem von den Persönlichkeiten und deren politisch-literarischen Ansatz ausgeht.
Bereits in der Einleitung stellt die Autorin ihren ungewöhnlichen und darum auch so packenden Ansatz vor. „Besonders im Hinblick auf die Frage nach der Rolle des literarischen und politischen Diskurses im Selbstverständnis der Schriftsteller gilt es, deren weitreichende Bereitschaft für ihre politischen Ideen einzustehen zu beachten.“ So steht u.a. die Bedeutung der weit verbreiteten Flugblätter jener Tage für das Schreiben, wie auch die Haft im Mittelpunkt ihrer Betrachtung.
Das zweite Kapitel führt an die Zeit und die Protagonisten in „München um 1900“, an „die Luft einer Neuen Zeit“ heran, an die „Bohéme und die Arbeiterbewegung“. Kurt Eisners literarischer Anspruch an die SPD-Presse, um die Arbeiter*innen überzeugen zu können, und auch sein Arbeiter-Feuilleton spiegeln seine Haltung wider: Die exorbitante Rolle der Kunst und Kultur für die Demokratie. So schreibt er sogar in der turbulenten Zeit als Minister einen Beitrag für die Revolutionsfeier, an der alle Klassen teilnehmen. Dass es hurtig gehen musste, ist seinem Text leider anzumerken. Wie bereits bei Eisner zeigt sich auch bei Gustav Landauer, dem „Mahner für Gewaltlosigkeit“, dass er gerade in Haft äußerst produktiv war. Man könnte sogar sagen, er griff Sartre vor mit seinem Konzept der „Ergreifenden Literatur“. Gerade der „sehende Moment der Dichter“, wie er es nannte, kann für heutige, politische Autor*innen interessant sein, in seinem Prophetischen und erkennenden Moment. Denn „‚Volk und Dichter´ sollen zusammenkommen, ‚beide zusammen müssen einander helfen`“. Der Anarchist Landauer glaubte an die „politische Fähigkeit der poetischen Sprache“. Alle drei anderen Portraitierten hatten enge Verbindung zu ihm und wurden besonders geprägt von seinem „Aufruf zum Sozialismus“. Auch für Erich Mühsam, dem „Anarchist, der Einigkeit fordert“, war die Nähe zu den Proletarier*innen von großer Bedeutung. Für ihn war sie untrennbar verbunden mit seinem Leben als Bohemien. Das Tagebuch diente ihm als Hilfsmittel, um u.a. Widersprüche in der Presse festzuhalten. Wie Toller und Landauer auch, verwendete er in seinen Texten Bilder des Erweckens und Erwachens. Ernst Toller, der „Armeeführer, der nicht schießen will“, sticht durch seine Biografie hervor. Als junger Mann freiwillig zum Militär verpflichtet, Zusammenbruch 1916, dann radikaler Pazifist. Gerade in seinen frühen Gedichten schreibt er über den Krieg, in welchen er beispielsweise Soldaten als Masse und als nicht eigenständig darstellt.
Laura Mokrohs analysiert die „Revolutionsmethaphorik“ jener Tage gekonnt, anschaulich und eindringlich. Ihr Buch ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Literatur der vier Revolutionäre, die keine „Träumer“ waren, sondern damals schon wussten, dass ein Gespräch über Bäume ein Verbrechen sein kann.
Leonhard F. Seidl