Unerhört! Adbusting gegen die Gesamtscheiße. Veränderte Werbung als Gesellschaftskritik?, Hrsg: Berlin Buster‘s Social Club (bbsc.blogsport.eu), erschienen im Adbustei Lübbe (Selbstverlag), o. O., 2018, 92 Seiten, Spendenempfehlung: 10 bis 20 Euro
Das kleine Querformatbuch „Unerhört! Adbusting gegen die Gesamtscheiße. Veränderte Werbung als Gesellschaftskritik?“ mit zahlreichen Farbfotos vor allem veränderter Werbeplakate liegt vor mir. „Niedersachsen – Klar gibt‘s bei uns Schläge“ – Im offiziellen Schaukasten des Landes Niedersachsen in Berlin ist das Sachsenross, das Logo des Landes, zu sehen. Soweit so erwartbar. Doch es wurde verändert, das Ross tritt nun auf eine stilisierte Person ein. Hintergrund dieses Adbustings waren Geschehnisse im Wendland in Hitzacker rund um den Staatsschützer Herrn Hupp. Eine Kundgebung von Musiker*innen vor seinem Haus wurde von der Polizei zu einer „neuen Qualität der Gewalt“ umfantasiert. Die massive Gewalt durch Polizeikräfte gegen die Demonstrierenden totgeschwiegen.
Adbustings wie dieses werden in dem Buch „Unerhört!“ gezeigt. Statt zu jedem Bild die genaue Hintergrundgeschichte zu erzählen liegt der Fokus der Texte jedoch erfreulicherweise auf einer inhaltlich-politischen Analyse der Aktionsform im Allgemeinen. Auf die jeweiligen Aktionsberichte wird jedoch in Links verwiesen. Die Einstiegsfrage, was Werbung überhaupt sei, führt zu der Überlegung, dass Werbung als ein Abbild aktueller gesellschaftlicher Diskurse begriffen werden sollte, statt darin ein vermeintlich zentral gelenktes Manipulationsinstrument zu sehen. Anschließend widmet sich das Buch der Frage, was Adbusting insgesamt ist. Dass es beim subversiven Verändern von Werbung einen schmalen Grad zwischen Glaubwürdigkeit und Übertreibung zu treffen gilt. Dass eine anspruchsvolle inhaltliche Kritik notwendige Voraussetzung ist, um nicht doch wieder vom eigentlichen politischen Gegner vereinnahmt zu werden. Als Beispiel für eine solche Vereinnahmung werden hier Adbustings und andere Aktionen gegen die Bundeswehr angeführt, die von der PR-Agentur der Bundeswehr selbst genutzt wurden und unter dem Slogan „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“ wiederum als Bundeswehrwerbung benutzt wurden.
Gentrifizierung, der Kampf gegen den google-Campus in Berlin, Soliaktionen gegen das indymedia-linksunten-Verbot und Aktionen gegen den Polizeikongress in Berlin folgen. Anhand der Aktionen gegen den Polizeikongress wird deutlich, dass es sich bei Adbustings immer um eine Art Kampf eines Davids gegen einen vermeintlich übermächtigen Goliath handelt, in welchem letzterer durch die Kommunikationsguerillataktik verwundbar ist. Dies wird anhand diverser Reaktionen auf Adbustings auch belegt. Das letzte Kapitel widmet sich schließlich der Übertragung dieser Logik des geschickten Verfremdens auf weitere Dinge als bloß Werbeplakate. Beispielsweise legten AktivistInnen Statuen von Marx, Engels und Schiller mittels Papp-Sprechblasen Aussagen in den Mund, die sowohl Bezug auf kritische Inhalte der jeweils dargestellten Personen wie auch auf aktuelle Ereignisse nahmen.
Ganz am Ende des Buches findet sich dann eine detaillierte heraustrennbare Anleitung zum Öffnen von Werbevitrinen. Auf ihrem Blog dokumentieren die HerausgeberInnen ein lesenswertes Interview, in dem sie betonen, all dies sei natürlich ausschließlich zum privaten Gebrauch im TaubenzüchterInnen-Vereinsheim oder der WG gedacht. Insgesamt ein Buch, dem ich wünsche, dass es Menschen animiert, selbst aktiv zu werden. Gerade dass nicht alle gezeigten Aktionen perfekt und aalglatt sind, manche Plakate handgemalt, manchmal der noch feuchte Kleister sichtbar ist, gefällt mir. Denn so gelungen die Aktionen von prominenten Gruppen wie des PENG! Kollektivs oder der YesMan auch sind, zum Nachahmen animieren sie selten, weil sie unerreichbar wirken. Das ist bei den hier vorgestellten Aktionen erfreulicherweise ganz anders.
Etwas bedauerlich finde ich lediglich den Fokus auf Berlin in den letzten Jahren, denn gerade eine praxisnahe Betrachtung von Adbustings im Wandel der Zeit und an unterschiedlichen Orten (beispielsweise zwischen Großstädten und Kleinstädten oder ländlichen Gegenden) hätte ich spannend gefunden.
Hanna Poddig
Weitere Infos: www.bbsc.blackblogs.org