Eine Hommage

Zum 80. Geburtstag des Friedens- und Konfliktforschers Wolfgang Sternstein

| Petra Brixel

In der letzten Zeit ist es ruhiger geworden um Wolfgang Sternstein, der am 12. März 2019 seinen 80. Geburtstag begangen hat. Nach persönlichen Schicksalsschlägen und aufgrund des fortschreitenden Alters hat Sternstein sich zurückgezogen. (Die Graswurzelrevolution hat im Mai 2018 in der Nr. 429 zwei berührende Nachrufe auf Sternsteins Sohn Johannes veröffentlicht, der am 11. März 2018 im Alter von nur 51 Jahren gestorben war.) Doch nach wie vor kommt Wolfgang Sternstein in Stuttgart – wo er seit 1946 lebt – zu den Montagsdemos gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, als aufmerksamer Zuhörer.

Die Anti-S21-Bewegung kennt Wolfgang Sternstein, den großen, ernst und doch gütig dreinblickenden, meist in schwarz gekleideten Mann mit weißem Bart nur als Aktivisten gegen S21. Doch Wolfgang Sternstein ist viel mehr! Er war sein ganzes Leben lang Aktivist, durch und durch. Sollte man Wolfgang Sternstein vorstellen, so wäre es eine lange Liste von Schlagworten, die sich rund um das Thema Frieden, Gewaltfreiheit und gewaltfreie Aktionen gruppieren würden. In den Medien wird Sternstein als „Friedensforscher und Friedensaktivist“ gekennzeichnet, als jemand, der seit den 1970er Jahren an zahlreichen gewaltfreien Aktionen teilgenommen hat, der ein Dutzend mal vor Gericht stand und neunmal für sein Engagement im Gefängnis saß.

Wolfgang Sternstein an seinem 80. Geburtstag. Foto: Petra Brixel

Doch das alles kennzeichnet den Menschen Sternstein nur unzulänglich und vor allem viel zu kurz. Zugegeben: Erfolge und Niederlagen, Enttäuschungen, aber auch Freude in der Natur und mit den eigenen Kindern und Enkeln – das trifft auf fast jedes Leben von 80 Jahren zu. Wie diese Schlagworte jedoch mit Inhalt gefüllt sind, kann man am besten in Sternsteins Autobiografie „Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit“ aus dem Jahr 2005 lesen.

Was Sternstein autobiografisch schildert, ist ein erstaunlicher Werdegang, ein Leben mit – sich selbst und auch seiner Familie gegenüber – schonungsloser Gradlinigkeit und Konsequenz, wie es wohl nur wenige in der sich entwickelnden Wohlstandsgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg vorzuweisen haben. Seine Hellsichtigkeit, seine Fähigkeit zu Analysen von komplizierten politischen und gesellschaftlichen sowie religiösen Vorgängen hat er in vielen Aufsätzen, Vorträgen und Büchern gezeigt. Jedes dieser Werke ist ein Zeugnis seines Bemühens um „Rettung der Menschheit“ vor dem Untergang, den er vor allem in der atomaren Bedrohung sah.

Am Ende seiner Autobiografie, als Fazit seines Lebens, kommt seine Skepsis zum Ausdruck, ja, sein Eingeständnis, dass all sein Bemühen und das seiner WegbegleiterInnen gescheitert ist, da sie für das Ziel der atomaren Abrüstung und für das Aus der Kernkraft gekämpft hatten. War also alles vergeblich? Sternstein fragt auf der letzten Seite seiner biografischen Rückschau: „Sind, vom absehbaren Ende her betrachtet, damit nicht alle unsere Bemühungen um Demokratie, Menschenrechte, Frieden und Schöpfungserhalt vergeblich? Man kann es so sehen. Ich aber sehe es nicht so, denn für mich trägt jede Anstrengung auf diesen Gebieten ihren Sinn und ihren Lohn in sich selbst, unabhängig vom Erfolg oder Scheitern. Auch möchte ich zu guter Letzt meinen Glauben bekennen: Nichts, was Gutes in der Welt geschieht, ist verloren, aber alles, was Böses in ihr geschieht, ist verloren.“

Wolfgang Sternstein ist diesen konsequenten Weg des Widerstands in seinem Leben bis an die Schmerzgrenze gegangen; kaum jemand ist bereit und in der Lage, dies genauso umzusetzen. Er stand stets für die Prinzipien des Friedens ein, mit dem Ziel, die Welt ein Stück sicherer und menschlicher zu machen.

Was also hat Wolfgang Sternstein getan, um für Demokratie, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu kämpfen? Wurde ihm diese konsequente Haltung in die Wiege gelegt, kam er – dessen Eltern ja das Dritte Reich und den Krieg bewusst miterlebt hatten und aus dem Osten geflüchtet waren – in einem friedliebenden Elternhaus zur Welt? Es war genau das Gegenteil. Ein sinnloses Unterfangen wäre es, Wolfgang Sternsteins Biografie in Kurzform erzählen zu wollen. Sein Leben, seine geistige Entwicklung in den Studienjahren, seine Kriegsdienstverweigerung, die Erlangung des Doktortitels, die Jahrzehnte in den oben erwähnten Widerstandsgruppen, die Erfahrungen bei neun Gefängnisaufenthalten, aber auch seine glücklichen Jahre, eingeschlossen seine private Entwicklung, die Kristallisierung seiner Weltsicht, seiner Prinzipien und seiner Philosophie – all das ist in seiner knapp 500 Seiten umfassenden Autobiografie nachzulesen.

Sehr anschaulich und für die Leserinnen und Leser – sowie für ihn selbst – bis an die Schmerzgrenze gehend, schildert er darin, mit welcher Brutalität das Regiment seines Vaters auf die Familie mit Frau und vier Kindern gewirkt hat. So erlebte Wolfgang am eigenen Leibe, was Gewalt bewirkte, an der dann die Kleinfamilie zerbrach. Sternstein konnte sich befreien, indem er – vielleicht war das seine größte persönliche Lebensleistung – das Elternhaus verließ, das Abitur machte und ein Studium in Tübingen begann. „Mein Herz verlangte nach Bildung, nicht nach Ausbildung“, schreibt er. Und das spätere Einstehen für einen gewaltfreien Wandel von Gesellschaft und Politik kommentiert er mit den Worten: „Wohl möglich, dass die Gewalterfahrungen jener frühen Jahre der Grund für meine lebenslange Beschäftigung mit Gewalt und ihrer Überwindung waren.“

Als Konfliktforscher war er in den 1970er Jahren Mitarbeiter der Berghof-Stiftung für Konfliktforschung; beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU) arbeitete er in den 1980er Jahren im Vorstand; 1979 gründete er das Umweltwissenschaftliche Institut e.V. (UWI), das sich mit der Kritik an der zivilen und militärischen Nutzung von Atomkraft, der Erforschung und Beratung von Bürgerinitiativen und der Theorie und Praxis von gewaltfreien Aktionen befasste.

Schon allein diese kurzen Informationen zeigen, mit welchen Themen und wie intensiv Sternstein sich um die Zukunft der Menschheit bemühte. Seine Friedensliebe bezog er aus dem Leben und Wirken und den Schriften seines geistigen „Ziehvaters“ Mahatma Gandhi. Die Beschäftigung mit Gandhi geschah schon während der Schulzeit, als nämlich sein Englischlehrer – den er in einem Interview als ein Abziehbild von Gandhi schilderte – am Ende der Englischstunden den Schülerinnen und Schülern von Gandhi und seiner Philosophie mit so einer Inbrunst erzählte, dass der Funke auf Sternstein überging und ein lebenslanges Feuer in ihm entzündete.

Gandhis Lehren verarbeitete Sternstein über die Jahre in seinen Büchern „Mahatma Gandhi. Die Lehre vom Schwert und andere Aufsätze“, „Gandhi. Ausgewählte Werke in fünf Bänden“ und „Mahatma Gandhi – Der Weg der Wahrheit“. Seine Beschäftigung auch mit der christlichen Religion mündete in die Bücher „Gandhi und Jesus – Das Ende des Fundamentalismus“ und „Bibelkritik – Brauchen wir eine zweite Reformation?“.

Passend zu seinem politischen und gesellschaftlichen Engagement schrieb er seine Dissertation, mit der er den Doktortitel erlangte. Der Titel „Marx-Lenin-Mao. Darstellung und Kritik der marxistischen Gesellschaftsanalyse“ hätte thematisch und inhaltlich eigentlich für mehr als drei Dissertationen gereicht, doch Sternstein hat nie dünne Bretter gebohrt, sein Anspruch an sich war immer hoch.

Weitere Werke, die im Laufe der Jahre aus seiner Friedens- und Konfliktforschung, aber auch aus seinem ganz praktisch umgesetzten Engagement für eine lebbare Zukunft entstanden, waren „Pershings zu Pflugscharen. Dokumente einer Abrüstungsaktion“ und „Überall ist Whyl. Bürgerinitiativen gegen Atomanlagen“. Daraus ist schon zu erkennen, dass seine größte Sorge dem Umgang mit der Atomenergie galt. Die Bedrohung der Menschheit durch Atomkraft und damit ihre Auslöschung betraf über Jahrzehnte sein innerstes Anliegen, als Aktivist sowie als Publizist. Sein Platz war fest verankert in der Anti-Atomkraftbewegung, die er als eine der erfolgreichsten sozialen Bewegungen der jüngeren Geschichte Deutschlands ansieht. Dieses jahrzehntelange hartnäckige Engagement ist nachzulesen in seinem faszinierenden Buch „Atomkraft – nein danke – der lange Weg zum Ausstieg“, in dem Sternstein eine Analyse der Bürgerbewegungen von Wyhl bis Gorleben vorlegt. Er beschreibt darin auch Methoden und Strategien gewaltfreier Aktionen, was für LeserInnen, die über den reinen „Demo-Tellerrand“ hinausblicken wollen und die sich mit dem Erfolg und Misserfolg von sozialen Bewegungen beschäftigen, eine erhellende Lektüre ist.

Sollte es bislang so scheinen, als sei Sternstein ein literarischer Theoretiker, der sich vor allem in Büchern und schriftlichen Abhandlungen Gedanken um die Zukunft der Menschheit macht, so muss gesagt werden, dass dies nur mit seinem ganz persönlichen Engagement in Form von Aktionen möglich gewesen ist. Seine Maxime war, das in die Praxis umzusetzen, was er in Forschung, Seminaren, Diskussionen und vor allem in der Auseinandersetzung mit anderen Friedensaktivisten erfahren hatte. So wurde er in den 1970er und 1980er Jahren zu einem mutigen Vorkämpfer und Vorbild für ein konsequentes Einstehen für Frieden und Abrüstung. Schlagworte mögen genügen, die da heißen: Soziale Verteidigung, Kampf um Wyhl, Brokdorfblockade, Großengstingen, Mutlangen, Pflugscharbewegung, Abrüstungskampagnen, EUCOM, Büchel, Ungehorsam bis zur Abrüstung, …

Einfache Demos oder argumentative Kampagnen waren Sternstein nicht genug, es mussten sichtbare, wirkungsvolle Aktionen sein, auf jeden Fall gewaltfrei, wenn es um Menschen ging. „Gewalt gegen Sachen“ war für ihn allerdings eine symbolische Form von Widerstand. So beteiligte er sich z.B. im Jahr 1983 an der „Abrüstung“ einer Pershing II-Zugmaschine in Mutlangen mittels Sabotage, d.h. Zerschlagung von Teilen der Maschine. Diese Sachbeschädigung wurde im folgenden Prozess erstaunlich milde bestraft, was Sternstein damit zu erklären versuchte, dass das Wettrüsten in den 1980er Jahren in der Bevölkerung mit Sorgen und Ängsten betrachtet wurde und das öffentliche Bewusstsein für eine Bedrohung der Menschheit geschärft war. Eben auch Dank der Aktionen von mutigen Menschen wie Sternstein, die mit der Sachbeschädigung sowie mit dem folgenden Prozess große öffentliche Aufmerksamkeit erregten. In einer Zeit, wo in Demokratien angemeldete Demos bei Politikern und Entscheidungsträgern nur noch ein müdes Schulterzucken hervorrufen, sind Aktionen – und die darin enthaltenen Botschaften – , an denen Sternstein beteiligt war, ein Mittel, um ein nachhaltiges öffentliches Interesse zu generieren.

Andere Prozesse sind für Sternstein nicht so milde ausgegangen, so dass er insgesamt 14 Monate in Haftanstalten verbrachte. „Nötigung“ von Fahrzeugfahrern, Hausfriedensbruch, Platzbesetzungen, Entzäunungsaktionen und Sachbeschädigung – all das setzte Sternstein für das Überleben der Menschen (und somit gegen Atomkraft und Aufrüstung) ein, auch wenn er dafür – nach der damals und bis heute gängigen Rechtsprechung – bestraft wurde. Zum ersten Mal ging er im Jahr 1985 wegen der Beteiligung an einer EUCOM-Blockade ins Gefängnis (vier Tage), eine längere Haftstrafe von 82 Tagen verbüßte er im Jahr 1989 für die Beteiligung an insgesamt acht Blockaden in Mutlangen und Hasselbach. Weitere sieben Haftstrafen kamen im Laufe der Jahre dazu. Aber es wäre nicht Sternstein, wenn er nicht sagen würde: „Verglichen mit dem, was amerikanische Pflugschärler auf sich genommen haben, ist dies nicht der Rede wert.“

Wolfgang Sternstein war maßgeblich an der europäischen Pflugscharbewegung beteiligt, deren Vorbild die amerikanische war, mit Phil Berrigan an der Spitze. Wolfgang und Phil wurden enge Freunde mit gegenseitigen Inspirationen. Phil Berrigan verbrachte für seine Abrüstungs- und Widerstandstätigkeiten insgesamt elf Jahre in amerikanischen Gefängnissen, was Sternstein zu obigem Kommentar bewog. Er verglich den europäischen und den amerikanischen Widerstand gegen Krieg, Aufrüstung und Gewalt miteinander und kam zu der Feststellung, dass „… wo immer mir Wahrheit und Gewaltfreiheit in überzeugender Gestalt begegneten, waren sie religiös begründet. Dieses Fundament fehlt uns europäischen Pflugschärlern“. In der Pflugscharbewegung hat Sternstein viele Freunde und Freundinnen gefunden und Anregungen erhalten.

Sternsteins unermüdliches Engagement stand auf drei Säulen, derer er sich – je nach Dringlichkeit und Relevanz – bediente. Die erste Säule war die Theorie, die er beim leidenschaftlichen Lesen, Schreiben und Publizieren brauchte, um seinen Aktionen und ihren Begründungen ein entsprechendes Fundament zu geben. Die zweite Säule waren die Aktionen mit ihren detaillierten Vor- und Nachbereitungen. Spontane Aktionen waren nicht sein Ansinnen, da Handlungen unberechenbar werden und Beteiligte sowie Unbeteiligte geschädigt werden könnten. Das Reflektieren im Anschluss sollte für zukünftige Aktionen eine noch bessere Grundlage bieten. Die dritte Säule war dann der Prozess vor Gerichten und die Hinnahme einer eventuellen Geld- oder Haftstrafe, aber erst nach Ausschöpfung aller möglichen Instanzen.

Sternstein wurde nicht selten missverstanden, was die innere Haltung zu einer Strafe wegen Zivilen Ungehorsams anging. Nach seiner Auffassung gehört zum Zivilen Ungehorsam zwar, dass man die Strafe hinzunehmen bereit ist, aber nicht bedingungslos, sondern nur dann, wenn für die Bestrafung der Tat auch eine ausreichende Rechtsgrundlage vorhanden ist. Wenn das Vergehen einem höheren ethischen Wert (z.B. Schutz des Lebens, Erhaltung der Menschheit) diente, was bei seinen Taten stets die Voraussetzung war, kämpfte er mit seinen Einlassungen, Argumenten und Widersprüchen dafür, dass das Verfahren in die nächsthöhere Instanz ging. Im Idealfall sollte das Bundesverfassungsgericht entscheiden. So war er stets erfreut, wenn er verurteilt wurde, da er dann die Chance hatte, eine weitere Instanz anzurufen, an seiner Seite versierte Anwälte.

Im Jahr 1998, nach einem Urteil des Oberlandesgerichts wegen einer Entzäunungsaktion am EUCOM, beschloss der zuständige Richter, den Fall dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur Entscheidung vorzulegen. Es ging um Fragen des Völkerrechts, die Politik der atomaren Abschreckung, die Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden und die Mitwirkung der Bundesrepublik bei deren Einsatz. Eine heikle juristische, aber vor allem politische Frage, die Sternstein geklärt haben wollte, und für die er nun einen Richter gefunden hatte, der seiner Fragestellung folgte. Im Jahr 1999 entschieden die Richter am BVG, dass die Richtervorlage unzulässig sei. Sternstein nannte die höchstrichterliche Ablehnungsbegründung einen Skandal und saß 66 Tage Haft ab. Er war jedoch befriedigt, dass es ihm gelungen war, durch seine Argumentation einen Stuttgarter Richter dazu bewogen zu haben, eine Richtervorlage beim BVG einzureichen und dass sich Verfassungsrichter mit der Ablehnungsbegründung beschäftigen mussten.

Wie eingangs erwähnt, hat Wolfgang Sternstein von Anfang an, also seit 2010, bei der Gegen-Stuttgart21-Bewegung seine langjährigen Erfahrungen im Widerstand eingebracht. Da sein Wohnsitz stets Stuttgart gewesen war, war es für ihn selbstverständlich, dass er sich als Protagonist des Zivilen Ungehorsams nun aktiv einbrachte. Viele Abende der Theorie und Diskussion gab es ab 2010; er war Mitglied der „Blockadegruppe“, der er mit seinen Statements und Schriften viel Futter zur Diskussion lieferte. Schwerpunkt war dabei der Zivile Ungehorsam durch massenhafte Regelverletzung mit allen existenziellen Konsequenzen. So wie er es Zeit seines Lebens praktiziert hatte.

Er nahm in den Jahren 2010 und 2011 an Sitzblockaden vor Baustellentoren teil und es war für ihn selbstverständlich, dass er das Urteil des Amtsgerichts für sieben Blockaden (Nötigungen) und die Rechtsgrundlage (eine BGH-Rechtsprechung zum Zweite-Reihe-Urteil) zur Verurteilung nicht anerkannte. Dass er vom Amtsgericht verurteilt wurde, freute ihn, denn nun konnte er bei der nächsten Instanz argumentieren. Der Richter am Landgericht jedoch setzte sich ausgiebig mit Sternsteins Motivationen auseinander und kam zu der Überzeugung, dass diese sieben Blockaden als nicht verwerflich anzusehen seien. Was einen Freispruch zur Folge hatte. Leider – aus Sternsteins Sicht, denn er hatte sogar den Richter gebeten: „Verurteilen Sie mich!“, mit dem Ziel, in die Obergerichte gehen zu können. Er wollte die Sache vor das Bundesverfassungsgericht bringen.

Das war im Jahr 2015. Womit deutlich wird, dass Wolfgang Sternstein weiterhin ein streitbarer Zeitzeuge ist. Er verfasst weiterhin Bücher. Sein Vermächtnis, sein Appell an alle, die sich um die Menschheit sorgen, ist sein 2017 erschienenes Buch „Endzeit – Hoffnung und Widerstand im Atomzeitalter“. Darin schreibt er: „Es gibt viele wichtige Fragen, aber nur eine, deren Bedeutung alle anderen weit überragt: Es ist die Frage, ob die Menschheit im Atomzeitalter überleben wird.“ Seine in dem Buch dargestellten Analysen gehen weit über den Konflikt Atomkraft hinaus, denn er zitiert all das, was ihm Zeit seines Lebens die dringendsten Themen waren: Krisenherde, Friedensbewegung mit ihren Aktionsformen, Völkerrecht, kapitalistische und kommunistische Ideologie, Christentum, Gandhi, Alternativen zur militärischen Verteidigung, … um nur einige Aspekte zu nennen. Sein Fazit ist vernichtend: „Die Menschheit, das ist meine Diagnose, ist todkrank. Es geht mit Riesenschritten dem Untergang entgegen. … Im Unterschied zu früheren Generationen haben wir die Welt erforscht … und wir erweisen uns doch als unfähig, Konflikte auf allen Ebenen unseres Zusammenlebens anders als durch Gewalt zu lösen, das heißt, sie nicht zu lösen, sondern zu verschärfen und zu vermehren. Wer vermag dieses Rätsel zu lösen?“

Am Ende des Buches schreibt Sternstein: „Wir hatten die Wahl, und wir haben den falschen Weg gewählt. Aber das heißt nicht, dass nicht jede und jeder von uns die Freiheit hat, von nun an den richtigen Weg zu wählen.“ Also doch noch Hoffnung am Rande des Abgrunds?

Für seine Bemühungen um Frieden und sein Engagement für eine Welt ohne Atomkraft, die sein ganzes Leben bestimmt haben, dafür, dass er bis zum heutigen Tag so viele Menschen inspiriert, gestärkt und mitgerissen hat, darf er bewundert und geehrt werden.

Vielen Menschen war er ein Vorbild, mit vielen hat er im Widerstand gegen Unrecht gekämpft. Wolfgang Sternstein sei gedankt, verbunden mit einem herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag!

Petra Brixel