Kommentar

Vor einem neuen Wettrüsten

| Felix Werdermann

Mit der Kündigung des INF-Vertrags droht eine unkontrollierte atomare Aufrüstung. Auch Deutschland ist daran beteiligt.

Worin ist Donald Trump schneller? Mitarbeiter feuern oder internationale Verträge zerreißen? Nach dem Iran-Abkommen hat der US-Präsident nun auch den INF-Vertrag zu Mittelstrecken-Atomwaffen gekündigt. Kurz danach hat auch Russlands Präsident Wladimir Putin den Ausstieg aus dem Abkommen erklärt. Damit droht ein unkontrolliertes Wettrüsten, die Leidtragenden wären vor allem die Menschen in Europa. Die deutsche Bundesregierung beteuert zwar, sie wolle alles tun, um den INF-Vertrag zu retten. Gleichzeitig unterstützt sie jedoch die Atomwaffenpolitik Donald Trumps, will mit Millionen von Steuergeldern sogar neue Kampfjets kaufen, damit die Bundeswehr auch in Zukunft die US-Atombomben einsetzen kann.

Worum geht es beim INF-Vertrag?

Ein neues Wettrüsten ist längst im Gange, auch ohne die Kündigung des INF-Abkommens. Die Atommächte, allen voran die USA und Russland, wollen in den kommenden Jahren irrsinnige Summen in die Modernisierung ihrer Atomwaffen-Arsenale stecken. Mit dem Ende des INF-Vertrags wird die Situation aber nochmal gefährlicher. Denn dann fallen wichtige Beschränkungen weg, dem Wettrüsten steht gar nichts mehr im Wege.

Das Abkommen, das im Jahr 1987 zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion geschlossen wurde, ist auch ein Erfolg der Friedensbewegung, die hunderttausende Menschen gegen die atomare Aufrüstung und die wahnwitzige Idee der „nuklearen Abschreckung“ auf die Straße gebracht hatte. Verboten wurden unter anderem die Entwicklung, die Stationierung und die Tests von landgestützten nuklearen Raketen und Marschflugkörpern mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern. Der Vertrag führte zu einer umfänglichen Abrüstung dieser Systeme in Europa. Das ist deswegen so wichtig, weil bei Mittelstreckenraketen die Vorwarnzeit extrem kurz ist und daher das Risiko eines „versehentlichen“ Atomkriegs größer ist. Wenn Militärs Anzeichen für einen möglichen Angriff des Gegners sehen, müssen sie innerhalb weniger Minuten entscheiden, ob sie „zurückschlagen“ sollen.

Schon seit einigen Jahren werfen sich die USA und Russland gegenseitig vor, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Eigentlich hätte man durch Gespräche und Inspektionen vor Ort die Vorwürfe entkräften oder die Staaten zur Einhaltung bewegen können. Dass Donald Trump stattdessen das Abkommen einfach gekündigt hat, legt die Vermutung nahe, dass die angebliche Vertragsverletzung durch Russland nur ein Vorwand war, um den Vertrag loszuwerden. Wenn es um die Verstöße ginge, wird es schließlich auch nicht besser, wenn man den Vertrag zerreißt und gar keine Grundlage mehr hat, um über Verstöße zumindest zu diskutieren. Dass Wladimir Putin nach Trumps Kündigung mit Aufrüstung droht, zeigt, dass es auch ihm keineswegs um eine funktionierende Rüstungskontrolle geht. Beide Staatschefs können nun ungebremst aufrüsten und haben keinen „Nachteil“ gegenüber Staaten wie China, die nicht an den INF-Vertrag gebunden sind.

Mit der Kündigung des Abkommens hat Anfang Februar eine sechsmonatige Kündigungsfrist begonnen. Ohne eine überraschende Wendung endet der Vertrag am 2. August 2019. Bis dahin können Deutschland und andere Staaten noch versuchen, zu vermitteln. Doch wie neutral und vor allem wie glaubwürdig in Sachen Abrüstung ist die Bundesregierung, wenn sie die Atomwaffenpolitik Trumps unterstützt, indem sie die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland zulässt und das UN-Atomwaffenverbot auf Druck der USA boykottiert? Jetzt möchte die Bundesregierung sogar neue Kampfjets anschaffen, die dann die modernisierten US-Atomwaffen transportieren können. Damit würden Milliarden an Steuergeldern ausgegeben, damit deutsche Soldaten im Ernstfall Massenmord an unschuldigen Zivilist*innen begehen können. Die derzeitigen Tornado-Kampfflugzeuge sollen ausgemustert werden, denn sie sind einige Jahrzehnte alt und auch nicht in der Lage, die neuen „smarten“ Atombomben zu steuern, die bald in Deutschland stationiert werden sollen. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) gibt sich gerne als Abrüster. Mitte März hat er zu einer Abrüstungskonferenz nach Berlin eingeladen. Friedensaktivist*innen von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), den Ärzten zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) und der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) haben mit einem nachgebauten Atombomber vor dem Eingang protestiert. Die Botschaft: Über Abrüstung reden und trotzdem neue Atombomber anschaffen wollen – das passt nicht zusammen!

ICAN hat auch eine Aktion gestartet, um den Kauf neuer Atombomber zu verhindern. Unter www.atombomber-nein-danke.de können Protestmails an die Bundestagsabgeordneten geschrieben werden. Für den 1. Juni haben mehrere Friedensorganisationen außerdem einen Aktionstag zur Rettung des INF-Vertrags und für die Abschaffung aller Atomwaffen geplant. Genau 31 Jahre nach der Ratifizierung des Vertrags soll an allen deutschen Orten mit Vertretungen von Russland oder den USA protestiert werden. Botschaften oder Konsulate gibt es in Berlin, Bonn, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Leipzig und München. Die Aktionen können zeigen, worum es beim INF-Vertrag in Wirklichkeit geht: nicht um einen Konflikt zwischen Donald Trump und Wladimir Putin, sondern um einen Konflikt zwischen wenigen Mächtigen, die sich an Atomwaffen klammern, und vielen Menschen überall auf der Welt, die in Sicherheit und ohne die Gefahr eines Atomkriegs leben wollen.

Felix Werdermann

Felix Werdermann ist im Vorstand von ICAN Deutschland. Er war von 2007 bis 2011 Mitherausgeber der graswurzelrevolutionären Jugendzeitung „utopia“.