High Life, der neue Film von Claire Denis ist zwanghaft diskursiv. An allen Ecken und Enden werden Fragen aufgeworfen, moralische, philosophische, politische. Und in der Selbstbetrachtung des Werkes schließlich die Frage danach, inwiefern solche Diskurse durch die künstlerische Verfremdung indiskutabel werden. Wo und wie kommt menschliche Sozialität an ihre Grenzen? Bzw. wodurch ist sie begrenzt? Welche Rolle spielt dabei Gewalt? Macht? Autorität? Triebhaftigkeit? Einerseits stellt Denis Geschlechterrollen zementiert stereotyp dar, gleichzeitig stellt sie sie auf den Kopf – und die Männer ziehen meist den Kürzeren. Nur totale Askese bildet einen Ausweg aus dem toxischen Mannsein und der daraus resultierenden Unmündigkeit.
Im Mittelpunkt von allem in High Life steht der Körper. Die Figuren in dem Film sind nicht ohne ihre spezifische Körperlichkeit denkbar. Die Körper sind zwar den gesellschaftlichen Schönheitsnormen gemäß, doch in ihrem körperlichen Agieren lässt sich die Deformiertheit der Seelen dahinter erkennen. So kratzen sie selbst am eigenen Ideal und der äußere Schein, die reine Bildhaftigkeit körperlicher Schönheit steht in Frage.
Die Männer- und Frauenkörper in Denis Film bewegen sich in einem abgeschlossenen Raum, einem Raumschiff, mit dem sie zu einem schwarzen Loch unterwegs sind, dessen Energie sie anzapfen sollen. Alle sind verurteilte Schwerverbrecher, die mit der Mission eine Gefängnis- bzw. Todesstrafe umgehen und bald erfährt der Zuschauer exklusiv, dass es sich um ein im wahrsten Sinne Himmelfahrtskommando ohne Wiederkehr handelt.
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Unter diesen Umständen lässt die Regisseurin ihre Figurenkörper aufeinander wirken, bzw. los und man hat den Eindruck, dass der Film sich ganz auf seine Beobachterposition verlässt. Der Zuschauer ist dabei Defragmentierer, er wird bei der Aufgabe, den aufgeworfenen Gedanken und gezeigten Vorgängen eine Struktur zu geben, von Denis vagen Hilfslinien kaum unterstützt. Denis zeigt eine nächtliche Vergewaltigung, die auffliegt und sofort körperlich sanktioniert wird. Sie zeigt die Medizinerin Dibs (Juliette Binoche) in einem so genannten, mit fest installiertem Dildo ausgestatteten „Fuck-Room“ in einer wie eine Hexenbeschwörung inszenierten Masturbationsszene. Und Denis zeigt Monte (Robert Pattinson), der sich den Avancen von Dibs verweigert. Diese will im Weltraum menschliches Leben erzeugen und benötigt dabei das Sperma der anwesenden Männer, um die jungen Frauen an Bord künstlich befruchten zu können. Doch Monte gibt seines nicht freiwillig her, was ihn nur noch reizvoller für Dibs macht. Schließlich überlebt er allein mit seiner kleinen Tochter.
Es bleibt unklar, warum, aber menschliche Nähe, Zuneigung sind verboten und verunmöglicht, High Life gestattet nur der Vater-Tochter-Beziehung Zärtlichkeit, alle anderen Beziehungen sind mehr oder weniger gewalttätig oder instrumentell, was dem Film einen nicht immer plausiblen Sozialexperimentcharakter gibt.
Das ganze Setting ist umramt von einer diffusen motivischen Spannung zwischen Bildern des wachsenden Lebens, wie einem paradiesischen Gemüsegarten oder der kleinen Tochter Montes, die im Teenageralter noch immer an Bord lebt, und dem allgegenwärtigen Tod, der sich nicht nur in den trostlosen grauen Gängen des Raumschiffs spiegelt, sondern auch in einem Leichenberg, der sich schließlich türmt und von Monte abgetragen werden muss.
So schwirrt schließlich ein großes totes Raumschiff-Ding mit einem kleinen Rest Leben darin Richtung schwarzes Loch. Dem Tod?
High Life - Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Polen 2019 - Regie: Claire Deniz - mit Robert Pattinson, Juliette Binoche, André Benjamin - 113 Min. - seit 30.5.2019 im Kino
Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Weitere Besprechungen von Büchern, Filmen und Musik finden sich in der Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier