Die osthessische Stadt Fulda ist vielen als Umsteigebahnhof bekannt. Manche haben auch schon mal das Fuldaer Barockviertel besucht. Dort bekommt man mit, dass Fulda eine Bischofsstadt ist und lange Zeit auch als Hort eines besonders reaktionären Katholizismus galt. Das waren die Zeiten, als der rechtskonservative Bischof Dyba und der extrem rechte CDU-Stahlhelmer Alfred Dregger als Oberbürgermeister die Hegemonie über die Stadt hatten.
Dreggers Ziehsohn Martin Hohmann musste 2003 die Partei nach einer als antisemitisch bewerteten Rede die CDU verlassen und sitzt heute für die AfD im Bundestag. Wolfgang Hamberger, Dreggers Nachfolger als Oberbürgermeister Fuldas, der mittlerweile auch schon in Rente ist, klingt manchmal, als hätte er ein Antifaflugblatt gelesen. So erteilte er am 16. Februar 2019 dem Dresden-Mythos eine Absage, in dem er erklärte, die Stadt an der Elbe sei nicht ohne Grund bombardiert worden. Sie sei für das NS-System als Festungsstadt wichtig gewesen. Solche Wahrheiten hörte man im letzten Jahrzehnt von Antifabündnissen, die gegen den Dresdner Opferkult von Nazis und gesellschaftlicher Mitte auf die Straße gegangen sind. Hamberger tat seine antifaschistischen Anwandlungen am 16. Februar 2019 kund, als in der Fuldaer Innenstadt Tausende gegen einen Aufmarsch der neonazistischen Partei „Der III. Weg“ protestierten.
Der antifaschistische Protest machte deutlich, dass die rechte Hegemonie auch in Fulda nicht mehr so bruchlos ist wie zu den Zeiten von Dregger und Dyba. Doch Hambergers Rede und die rege Beteiligung an den Protesten gegen die Neonazis vom III. Weg sollte nicht zu falschen Schlüssen verleiten. So wird von der offiziellen Fuldaer Politik noch immer so getan, als hätten die Rechten mit der Fuldaer Region nichts zu tun. Dabei gibt es dort mindestens seit den 1980er Jahren Neonazistrukturen. Damals existierte sogar eine Wehrsportgruppe Fulda. Erst nach seinem Tod wurde bekannt, dass mit Rainer Mellin ein vermögender NPD-Spender in Fulda lebte, mit besten Kontakten in die Geschäftswelt und der Fuldaer Bourgeoisie. Dort war auch der Drogerist Heidel ein angesehenes Mitglied, der in den 1980ern eifriger Leser der Deutschen Nationalzeitung (DNZ) war und deren neofaschistische Thesen verbreitete.
So war es auch nicht verwunderlich, dass es am 17. August 1993 einen internationalen Neonaziaufmarsch zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess auf dem Fuldaer Domplatz gab, nachdem alle Aufmärsche in Wunsiedel, wo sich das mittlerweile eingeebnete Grab von Hess befand, verboten worden waren. Die Umleitung des Naziaufmarsches wäre nicht möglich gewesen, ohne die logistische Unterstützung der osthessischen Neonaziszene, die sich auch aus dem Umfeld der ehemaligen Fuldaer Wehrsportgruppe rekrutierte. Ein Mitglied der Stadtratsfraktion „Die Linken. Offene Liste/Menschen für Fulda“ hat Mellin, der später die NPD so großzügig bedacht hat, am Rande einer Protestaktion von Schwulen und Lesben im September 1991 gegen die homophoben Sprüche von Bischof Dyba beobachtet. Das war nicht ganz zwei Jahre vor den Naziaufmarsch am Domplatz.
Entstand damals die Idee genau auf den Platz einen nationalen Aufmarsch zu organisieren? Über die Kontinuität der rechten Szene Osthessens gäbe es noch viel zu recherchieren. So sind die Hintergründe des Mords an der Inhaberin eines Military Shops in der Fuldaer Innenstadt im August 2001 noch immer ungeklärt. Sie wurde von einem Neonazi aus Thüringen erstochen. Das Verfahren gegen den zur Tatzeit noch minderjährigen Angehörigen fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. So blieb die politische Dimension des offiziell als Raubmord deklarierten Verbrechens ungeklärt. Offen blieb auch, ob der Täter auf dem Weg nach Wunsiedel war, wo einen Tag später der Hess-Gedenkmarsch der Neonazis stattfand.
Ein toter Flüchtling – und wer wird angeklagt?
Doch auch die berühmt-berüchtigte Mitte Fuldas bleibt, wenn nicht gerade Antifa-Proteste angesagt sind, auf dem rechten Weg. Das wurde deutlich, nachdem in den frühen Morgenstunden des 13. April 2018 der 19 Jahre alte afghanische Flüchtling Matiullah J. von Schüssen eines Polizisten tödlich getroffen wurde. Sofort war nicht nur für Martin Hohmann, sondern auch für einen Großteil der Fuldaer Bevölkerung klar, dass das Opfer der eigentliche Täter ist. Wer da noch forderte, dass ein Polizist, der einen Unbewaffneten mit zwölf Schüssen niederstreckt, nicht im Dienst bleiben soll, war dann der Feind. Zu den wenigen, die solche zivilgesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten forderten, gehörte der Vorsitzende des Fuldaer Ausländerbeirats Abdulkerim Demir. Ihm und nicht den Schützen schlug die Empörung der bürgerlichen Gesellschaft entgegen. Wegen seiner Kritik wird Demir noch heute angegriffen. Im Hauptberuf gibt er Integrationskurse für Migrant*innen. Dafür braucht er die Zulassung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Der Landrat von Fulda Bernd Wolde (CDU) und sein Parteifreund, der heutige Fuldaer Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld haben an die Nürnberger Behörde geschrieben mit dem Ziel, Demirs Zulassung für die Integrationskurse zu überprüfen. In dem Brief äußern die beiden Fuldaer CDU-Politiker „Zweifel daran, dass Herr Demir im Hinblick auf die Vermittlung von Werten des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit die erforderliche Eignung besitzt“.
Da war der Polizist, der Matiullah J. erschossen hat, schon von der Justiz freigesprochen worden. Er sei in Panik geraten und hatte irrtümlich angenommen, der Geflüchtete sei bewaffnet, so die Begründung. Ein antirassistisches Bündnis, das vor allem vom Migrant*innen getragen wurde, forderte zum Jahrestag seiner Tötung am 13. April 2019 „Gerechtigkeit für Matiullah J“. Gegen die Anmelderin der kleinen Demonstration wird jetzt ermittelt, weil dort vom Mord an den Geflüchteten gesprochen wurde. Die Fuldaer Medien stehen hinter diesen Law-and-Order-Kurs. Die Fuldaer Zeitung (FZ) ist schon immer rechtskonservativ gewesen. Die Osthessen News waren anfangs liberaler, nach dem Tod des Journalisten Martin Angelstein positionieren sie sich teilweise rechts von der FZ. Auch vom Alt-Oberbürgermeister Hamberger, der noch gegen den Neonaziaufmarsch fast antifaschistisch klang, hört man kein kritisches Wort in Sachen Matiullah J. „Deutschlands Mitte – rechts daneben“, lautete der Titel eines 1997 erschienenen Buches, in dem Kathy Seewald und Timo Schadt 20 Jahre Neonazismus, Konservatismus und Rassismus analysiert haben. Eine Neuauflage, die die Analyse bis heute fortsetzt, wäre wünschenswert.
Peter Nowak