so viele farben

Rechte reden nicht

Kritik der emblematischen Sprache. Mit Rechten reden?

| Andreas Kemper

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Anti-Sarrazin-Demo in Hiltrup, April 2019 - Foto: Bernd Drücke

Die Frage, ob man mit Rechten reden soll, ist nach wie vor aktuell. Nicht nur AfD-Mitglieder, sondern auch Vertreter*innen der Neuen Rechten werden auf Podien, zu Talkshows oder öffentlichen Gesprächen eingeladen. Inzwischen sind Publikationen zu dieser Thematik erschienen. Es gehöre zum demokratischen Prozess, niemanden auszugrenzen, auch diejenigen nicht, die ausgrenzen wollen. Man müsse die Rechten argumentativ stellen, mit den besseren Argumenten deren Positionen auseinandernehmen.

In diesem Artikel stelle ich in Frage, ob Rechte überhaupt reden, wobei zunächst definiert werden muss, was ich hier unter ‘Rechte’ und was ich unter ‘reden’ verstehe.

Demonstration gegen die extrem rechte Regierung von ÖVP und FPÖ in Österreich. Wien, Mai 2019 – Foto: Jens Kastner

Die Differenzierung ‘Rechte’ und ‘Linke’ geht auf die Sitzordnung von 1814 im nachrevolutionären Frankreich im Abgeordnetenhaus zurück. Zur Rechten des Präsidenten des Abgeordnetenhauses saß der Adel, der die vordemokratisch-monarchistischen Verhältnisse wieder herstellen wollte, während links der bürgerliche ‘Dritte Stand’ mit seinen demokratisch-sozialen Fortschrittsambitionen (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) saß. Unter ‘Rechte’ verstehe ich hier entsprechend Vertreter*innen von Parteien/Organisationen, die autoritäre Gesellschaftsverhältnisse wiederherstellen und den demokratisch-sozialen Fortschritt stoppen wollen.

Zum Begriff ‘reden’: Es gibt verschiedene Formen des Redens. Das persönlich-intime „Lass uns mal reden“-Reden unterscheidet sich vom logisch-argumentativen Reden eines philosophischen Seminars oder vom Halten einer Tischrede. Ich beziehe mich auf das ‘reden’ in der Frage „Sollen wir mit Rechten reden?“. Dieses „reden“ meint die kritische Auseinandersetzung in Form des politisches Argumentierens. Vielleicht deutet sich mit diesen Definitionen bereits an, was ich unter der provokant erscheinenden These verstehe, dass Rechte nicht reden. Gemeint ist, dass die autoritäre Rechte zu einer kritischen Auseinandersetzung gar nicht bereit ist und dass dies von ihren Anhänger*innen und Wähler*innen auch gar nicht erwartet wird. Ich möchte zunächst ein aktuelles Beispiel anführen und werde dann auf Fragen der Kollektivsymbolik eingehen.

Das Phänomen Strache

Während ich diesen Artikel schreibe, ist die Regierung in Österreich aufgelöst worden. Über die ÖVP-FPÖ-Koalition ist auch der Bundeskanzler Kurz gestürzt. Hintergrund war der „Ibiza-Skandal“, das öffentlich gewordene Gespräch der FPÖ-Funktionäre Gudenus und Strache. Strache war die zentrale Figur der FPÖ. Ganz offen wurde über illegale Spenden, Einfluss für russische Oligarchen, Vereinnahmung und Übernahme einer Mainstream-Zeitung und Austausch unliebsamer Journalist*innen, Lancierung von kompromittierendem Material über österreichische Politiker*innen in ausländische Zeitungen usw. gesprochen.

Gudenus trat nach Bekanntwerden des Videos sofort zurück und verließ die FPÖ, Strache wurde als Vizekanzler und Bundesminister entlassen, die ÖVP beendete die Koalition mit der FPÖ. Da die FPÖ mit Strache als die Partei gegen Parteienfilz und Korruption angetreten ist, hätte die FPÖ bei den nur eine Woche später erfolgenden Europawahlen massiv verlieren müssen. Tatsächlich verlor die FPÖ nur zwei Prozentpunkte gegenüber den letzten Wahlen, Strache gewann sein Mandat, gleichzeitig gewann der Koalitionspartner ÖVP über sieben Prozentpunkte hinzu. Bei einigen Bekannten von mir, die in Österreich leben, löste dieses unbeirrte Weiterwählen der FPÖ und der Stimmenanstieg des Koalitionspartners ÖVP Entsetzen aus. Es wurde in den Sozialen Netzwerken von der „grenzenlosen Blödheit“ der FPÖ-Wähler*innen gesprochen. Übersetzen wir „grenzenlose Blödheit“ mit Unempfänglichkeit gegenüber Kritik, nähern wir uns wieder der These des Artikels: Kritisches Argumentieren ist in der autoritären Rechten bedeutungslos. Warum?

Kollektivsymbolik, Metaphern und Sprache

Sprache ist in der Regel keine Verkettung logischer Aussagesätze. Wie George Lakoff in seinen Büchern immer wieder hervorhebt, besteht unsere Sprache vielmehr aus einer Verkettung von Metaphern, die unbewusst benutzt werden und über eine ‚Eigenlogik‘, eine eigene Passförmigkeit verfügen und über den Kontext der Bilder angenehme oder unangenehme Gefühle hervorbringen. Deutlich wird dies an den bekannten Metaphern der Flut, des Krebsgeschwürs, der Ratte, der Kakerlake – Bilder, mit denen Menschen oder Menschengruppen bezeichnet werden. Während solche krassen Metaphern von kritischen Menschen bewusst reflektiert und vermieden werden, benutzen wir in fast jedem Satz Metaphern, die wir nicht reflektieren (z.B. „reflektieren“: Metapher des Spiegels). Eine gute Übung wäre ein Spiel mit dem Ziel, am längsten zu reden, ohne eine Metapher zu verwenden.

Neben den Metaphern prägt die Kollektivsymbolik als „synchronisiertes System“ unsere Sprache. Während wir uns heute die Gesellschaft in der Entwicklung entlang eines Zeitstrahls vorstellen, der von links nach rechts unaufhaltsam voranschreitet, weil die meisten Menschen Rechtshänder*innen sind und daher von links nach rechts geschrieben wird, spielte im Mittelalter das Fortschrittsdenken kaum eine Rolle. Das Mittelalter war kollektivsymbolisch geprägt von der Vertikalen mit Himmel und Hölle als antagonistische Kräfte. Die politische Sprache galt im Mittelalter nicht der Anforderung, mit den besten Argumenten die Gesellschaft voran zu entwickeln, sondern klar zu machen, wer welchen Rang in der gesellschaftlichen Vertikalen einnimmt. Ebenso galt das Strafsystem nicht der Verbesserung bzw. Persönlichkeitsentwicklung der Betroffenen, sondern der Verdeutlichung der Macht der Machthaber.

Da die kapitalistische Ökonomie der bürgerlichen Gesellschaft aus dem Widerspruch der gesellschaftlichen Arbeit und der privaten Aneignung der Arbeitsprodukte besteht, haben wir noch eine Mischform der kollektivsymbolischen Spracharchitektur: Wir sprechen nicht einfach von Oben und Unten und auch nicht einfach von gesellschaftlichem Fortschritt, sondern von der Höherentwicklung. Und in dieser Kollektivsymbolik hat sowohl die Sprache der Macht als auch die Sprache des Fortschritts ihren Platz. Tatsächlich handelt es sich bei den Unterschieden von Machtsymbolik und Fortschrittssymbolik nicht um unterschiedliche Sprachen wie Englisch und Mandarin, sondern um unterschiedliche Funktionen von Sprachen: Dient die Sprache der Identifikation mit der Macht oder dient die Sprache der demokratischen Entwicklung?

Kollektivsymbolik und Gewalt

Die Gewaltförmigkeit der Gesellschaft prägt die Kollektivsymbolik aus der Perspektive der Täter*innen. Traumatisierende Gewalt beeinträchtigt die Symbolisierungsfähigkeit der Opfer. Und die Täter*innen sind oftmals zudem in Machtpositionen. Die verdrängte Gewalt wirkt weiter, generationenübergreifend, vor allem wenn nicht nur Individuen, sondern gesellschaftliche Gruppen unter Gewalt leiden und derart nicht nur von einem individuellen, sondern von einem gesellschaftlichen Trauma gesprochen werden muss.

Selbst im Sozialstaat gilt die Machtsymbolik der Vertikalen: Die Angst vor dem Abstieg – wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen; wer sich nicht anpasst, wird krank vor einem Supermarkt erfrieren. Diese soziale Todesdrohung haben wir bei den Jugendlichen und Rentner*innen vor Augen, die schon lange keine Handschuhe mehr anziehen beim Wühlen in Müllbehältern nach Pfandgut. Wir könnten, wenn wir nicht immer funktionieren, auch in solche Lagen geraten. Unsere Vorfahren erlebten Zeiten, die noch viel gewaltförmiger waren und die verdrängte Gewalt wirkt unbewusst weiter.

Kohärenzarbeit vs. Identifikation mit dem Aggressor

Wie gehen wir mit den Existenzbedrohungen und mit den verdrängten Gewalterfahrungen in den Familien um? Wir können unsere Persönlichkeit als nicht-identisch verstehen, als widersprüchlich, als Patchworkpersönlichkeit, die in Anlehnung an ‘schizophren’ als ‘mulitphrene’ Identität bezeichnet wird. ‘Gesund’ wäre es, die Fähigkeit zu entwickeln, die verschiedenen Ich-Zustände anzuerkennen und über innere Diskussionen möglichst kohärent zu gestalten. Hierbei ist zugleich anzuerkennen, dass die inneren Widersprüche oftmals die äußeren, gesellschaftlichen Widersprüche spiegeln. Wenn ich als Arbeiter*innensohn nicht benachteiligt werden möchte, kann ich nicht als Mann auf meine Privilegien gegenüber Nicht-Männern bestehen, das wäre nicht kohärent. Dass ich als Arbeiter*innensohn benachteiligt werde, kann ich aber erst begreifen, wenn ich mich in den Benachteiligungen anderer Arbeiter*innenkinder erkennen kann. Für meine innere Kohärenz ist die Erfahrung wichtig, dass nicht mein Verhalten und mein Empfinden, sondern eine gesellschaftliche Struktur falsch ist.

Verletzungen, über die man nicht reden kann, führen oftmals zu Inkohärenzen. Die erfahrene Gewalt wirkt wie ein Introjekt im Opfer weiter, sie lässt sich nicht auflösen, aber auch nicht mit dem Selbstbild vereinbaren, vor allem nicht, wenn dieses als ‘unverletzlich’ phantasiert wurde. In einem zweiten Schritt kann es bei verdrängter Gewalterfahrung dazu kommen, dass sich das Opfer dieser nicht einzuordnenden Gewalterfahrung unterordnet. Es identifiziert sich mit dem Gewalttäter oder besser mit den Posen des Täters, was in der Traumaforschung als ‘Identifikation mit dem Aggressor’ bekannt wurde und in der Umgangssprache eher als ‘Untertanenmentalität’ kritisiert wird. Sie ist nicht auf eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit ausgerichtet, sondern auf eine vertikale Identifikation mit der Macht.

Verbales Posing

Der inneren Diskussion als Methode zur Herstellung einer Kohärenz der Patchworkpersönlichkeit entspricht die äußere Diskussion als Aushandlung verschiedener Sichtweisen und Interessen in einem demokratischen Multiversum. Dieses ist auf ständigen Fortschritt ausgelegt und dies betrifft auch die Gestaltung der Sprache, die sich ebenfalls ständig kritisch reflektiert entwickelt im Ringen um die treffendsten Begriffe. Die Sprache ist wie die Gesellschaft auf Progression hin zur Gewaltfreiheit ausgelegt. Wird das Ziel und die Möglichkeit einer gewaltfreien Gesellschaft verworfen, hat auch die Sprache eine andere Funktion. Die Sprache ist nicht mehr auf kritische Gesellschaftsveränderung angelegt, sondern auf die Identifikation mit dem Aggressor. Interessant an der Sprache ist der Wiedererkennungswert, das Emblemische. Mit Emblemen wie Uniformen, Fahnen, Gesten und Ansteckern kann man seine Gruppenzugehörigkeit zum Ausdruck bringen – aber auch mit der Sprache.

Die Sprache der Rechten dient nicht zur kritischen Entwicklung einer gewaltfreien Gesellschaft, zum demokratischen Auflösen gesellschaftlicher Widersprüche. Dass eine solche Gesellschaft überhaupt möglich ist, wird geleugnet. Daher hat die politische Sprache der Rechten einen anderen Zweck, sie dient der Freund-Feind-Scheidung, sie dient zur Identifikation. Die Sprache der Rechten ist rein emblemisch, verbales Posen, sie soll nicht nach vorne bringen, sondern nach oben. Wenn der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen vom „rot-grün-versifften 68er Deutschland“ spricht, dann benutzt er keine Sprache der Kritik, sondern stellt eine Diskurskoalition mit den Akteur*innen her, die ebenfalls das Versifftheits-Narrativ benutzen: „Rot-grün versifft“ ist ein Emblem. Im Diskursatlas Antifeminismus (Diskursatlas.de) konnten wir eine Reihe weiterer Embleme identifizieren, die in den Äußerungen bekannter Antifeminist*innen miteinander verkettet ein selbstbezügliches Netz bilden. Auf Podien oder in Talkshows mit Rechten zu reden, um sie inhaltlich zu stellen, sie argumentativ in die Ecke zu drängen, ist ein wenig aussichtsreiches Unterfangen, wenn deren Wähler*innen und Anhänger*innen an Emblemen und Posen und nicht an Argumenten interessiert sind. Es schadet vielmehr, da diesen rechten Emblemen und Posen eine Bühne zur Identifikation geboten wird.

Andreas Kemper

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.