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Rebellion gegen die drohende Auslöschung

Extinction Rebellion ruft zu transnationaler Aktionswelle ab dem 7. Oktober auf

| Lou Marin

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Henning Schlottmann (User:H-stt) [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]

Am 11. Juni 2019 haben sich junge Aktivist*innen der seit einigen Monaten auch in der BRD aktiven Organisation „Extinction Rebellion“ (XR, Rebellion gegen Auslöschung) am Berliner Bundeskanzleramt angekettet. Die Schlüssel der Kettenschlösser wurden an alle 13 Bundesministerien und ans Kanzleramt verschickt. Eine 17-jährige Aktivistin erklärte zur Aktion: „Wir müssen den Kopf hinhalten für die Zerstörung des Planeten durch eine untätige und unverantwortliche Politik. Die gegenwärtige Klimapolitik setzt unsere Zukunft aufs Spiel.“ (1)

Jüngst wurde neben der bundesweiten Organisation von XR Deutschland zusätzlich die deutsche Jugendorganisation „Extinction Rebellion Youth” gegründet. Der Zulauf ist enorm: Allein der deutsche Zweig hatte Mitte Juni bereits 52 Ortsgruppen, Tendenz steigend. Für den 7. Oktober 2019 wird eine neue Rebellion-Blockadewelle in Berlin angekündigt, die mit ähnlichen direkten gewaltfreien Aktionen in Paris, London und New York koordiniert wird. Die starke transnationale Vernetzung ist ein weiteres Kennzeichen der Bewegung. Ein internationales Treffen und ein Treffen von XR Deutschland haben Ende Mai und im Juni in Mittelhessen und in Berlin stattgefunden.

Logo von Extinction Rebellion (XR)

Bei ihren Forderungen übernimmt XR Deutschland die drei Ziele, die bereits von der englischen XR formuliert wurden, von der die Bewegung im Mai 2018 ausging – inzwischen gibt es XR-Netzwerke in über 40 Ländern.

1. Zielforderung: Die Regierung muss die Wahrheit über den Klimanotstand und die Dringlichkeit eines unmittelbaren Wandels anerkennen; darum fand die Aktion am 11. Juni in Berlin vor dem Kanzleramt statt;

2. Zielforderung: Die Regierung muss die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die CO2-Emissionen bis 2025 auf Null-netto zu senken;

3. Zielforderung: Eine Bürger*innen-Versammlung wird einberufen, die die notwendigen Maßnahmen begleitet und gewährleistet, damit der Wandel gerecht und demokratisch abläuft.

In den weiter gehenden zehn Prinzipien, die ebenfalls schon XR England beschlossen hatte, wird unter den Prinzipien Nr. 7 und 9 explizit aufgeführt:

Nr. 7 „Wir wollen Machtstrukturen aktiv schwächen – und Machthierarchien niederreißen, um eine gerechtere Partizipation zu ermöglichen.“

Nr. 9: „Wir sind ein gewaltfreies Netzwerk und wenden gewaltfreie Strategien und Taktiken als wirksamsten Weg an, um Veränderungen zu erreichen.“

Das Bekenntnis zur gewaltfreien Aktion und zum zivilen Ungehorsam wird stark betont, als Referenzen dienen u.a. die Occupy-Bewegung, die frühe, gewaltfreie Phase der englischen Suffragetten-Bewegung, Gandhis Satyagraha und Martin Luther King. Obwohl negative Gesellschaftsziele zur Klimakrise formuliert werden, etwa das Verhindern der Klimakatastrophe, das Überleben der noch nicht ausgelöschten Arten sowie die Erhaltung des Planeten und keine positiven Utopien wie etwa einen libertären Ökosozialismus, bewegt sich die Bewegung mit ihrer expliziten Machtkritik und ihren Aktionen gegen kapitalistische Konzerne doch nahe am gewaltfreien Anarchismus, obwohl sie noch Forderungen an die Regierung stellt, die diese als Interessenvertretung des kapitalistischen Industrialismus gar nicht erfüllen kann.

Es machen daher auch viele gewaltfreie Anarchist*innen bei XR mit. Im Gegensatz zu problematischen Strömungen wie etwa der „Deep Ecology“ garantiert die explizite Gewaltfreiheit von XR auch keinerlei Abwege in Formen der Ökodiktatur oder gar der gewaltsamen Durchsetzung der notwendigen Maßnahmen mit dem bewussten Risiko eines Bürgerkriegs. Wenn die ins Auge gefasste „Bürger*innenversammlung“ dann – nach der kommenden Desillusionierung durch die bleibende Passivität der Regierung oder auch der Grünen an der Macht – noch offensiver nicht mehr nur als „Begleitung“ der Regierungsmaßnahmen dargestellt wird, sondern als die direktdemokratischere Alternative zum Parlamentarismus und zu Parteien wie den Grünen, dann könnte diese Bürger*innenversammlung diese Maßnahmen auch selbst beschließen und durchsetzen. Dadurch würde die Bewegung mit dem gewaltfreien Anarchismus deckungsgleich werden.

Welche gesellschaftliche Macht von unten XR erreichen kann, zeigten die direkten gewaltfreien Massenaktionen in England 2018 und 2019, vor allem in London. Am 17. November 2018 waren die fünf wichtigsten Themse-Brücken gleichzeitig blockiert worden, was zu einem totalen Verkehrschaos führte. Im April 2019 wurden etwa die fünf wichtigsten Verkehrsknotenpunkte in Zentral-London besetzt. Immer wieder wurden bewegliche Straßensperren errichtet, aber auch Sachbeschädigungen beim Shell-Hauptverwaltungsgebäude mitten in der Innenstadt durchgeführt. Bei einer zehntägigen Massenaktionswoche zivilen Ungehorsams vom 15. bis 25. April 2019 mit vielerlei Besetzungen in ganz London wurden insgesamt 1130 XR-Aktivist*innen von der Polizei verhaftet. Diese spektakulären Aktionen von XR England haben für die rasend schnelle internationale Verbreitung der Bewegung gesorgt – eine Transnationalität, die übrigens vollständig der britisch-nationalistischen „Brexit“-Propaganda widerspricht.

Am 25. April 2019 steuerte der anarchistische Künstler Banksy eine Wandmalerei zur Aktionswoche bei; die bekannte Schauspielerin Emma Thompson las bei einer gewaltfreien Aktion Gedichte vor. Schließlich griff das XR-Fieber sogar auf die Proteste anderer gesellschaftlicher Berufsgruppen über: Im Juni 2019 riefen 1000 Angestellte, Krankenschwestern, Ausbilder*innen und Ärzt*innen aus dem britischen Gesundheitswesen zu einer breiten Kampagne zivilen Ungehorsams auf, um die „beklagenswert unzureichende“ Regierungspolitik zur ökologischen Krise zu kritisieren. Sie forderten auch die Medien auf, den ökologischen Fakten der Wissenschaftler*innen ungeschont ins Auge zu blicken und Maßnahmen zu fordern. Und sie untersützten explizit die Schulstreik-Bewegung Fridays for Future sowie Extinction Rebellion.

Lou Marin

Anmerkungen:

1): Presseerklärung XR-D, 11. Juni 2019, siehe: presse@extinctionrebellion.de . Auch die weiteren Infos zu XR-D stammen aus dieser Presseerklärung.

2): Siehe: https://en.wikipedia.org/wiki/Extinction_Rebellion
www.extinctionrebellion.de
Facebook: @ExtinctionRebellionDeutschland
Twitter: ExtinctionR_DE

Termin: 26.9.2019, 11-13 Uhr, auf dem Klimacamp Chiemsee, Workshop Anarchismus und Gewaltfreiheit mit Graswurzelrevolution-Mitherausgeber Lou Marin.

Infos: http://klimacamp-chiemsee.de/

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.