Die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA), seit Jahren fester Treffpunkt hauptsächlich männlicher Autofanatiker, ist angesichts der sich manifestierenden Klimakrise in den Fokus derjenigen geraten, die sich der kapitalistischen Weltzerstörung entgegenstellen.
Da radelten dann also am 14. September rund 18.000 Demonstrant*innen durch die Frankfurter City über gesperrte Straßen, auf denen man sonst nur mit ordentlich Mut Fahrrad fahren kann. Wo also im Normalfall tausende Blechkisten, in denen jeweils ein einzelner Pendler hockt, Einfallstraßen wie die Friedberger Landstraße verstopfen und dafür sorgen, dass man kein Kind alleine auf den Basketballplatz lassen kann, weil der auf der anderen Seite der vierspurigen Straße liegt, war Ruhe eingekehrt. Und es ist tatsächlich eine erstaunliche Erfahrung, in einer deutschen Großstadt die Vögel zwitschern hören zu können. Statt Lärm, Gestank und dem täglichen Straßenkrieg tausende Fahrradfahrer*innen und Kinder, die sich frei in der Stadt und auf ihren Fahrrädern bewegen können.
Die nicht enden wollende Karawane, die sich, aus allen Himmelsrichtungen kommend, in Frankfurt zu einem beeindruckenden Korso vereinte und die tägliche Blechkatastrophe zumindest für einige Stunden verjagt hatte, ließ erahnen, wie eine vom Individualverkehr befreite Gesellschaft aussehen, riechen und sich anhören würde und trieb manchem und mancher Tränen der Rührung in die Augen – was hier anlässlich der #aussteigen-Demonstration, an der nach Veranstalterangaben bis zu 25.000 Menschen teilnahmen, stattfand, war tatsächlich ein Anti-Auto-Happening, das auch notorische Dauerdemonstrant*innen selten erlebt haben dürften, ein beeindruckendes Statement für die Eindämmung des Individualverkehrs mindestens innerhalb der Städte.
Bereits seit dem frühen Morgen hatten sich aus dem ganzen Rhein-Main-Gebiet Fahrradkorsos auf den Weg Richtung Bankenmetropole gemacht, um ihrem Unmut über die nicht vorankommende Verkehrswende Ausdruck zu verleihen. In Mannheim starteten die Teilnehmer*innen bereits in den frühen Morgenstunden um zwanzig vor sechs, weitere Startpunkte waren Wiesbaden, Mainz, Aschaffenburg oder Gießen.
Besonders erfreulich an diesem überaus erfreulichen Tag: Den meisten Teilnehmer*innen sind angesichts der zu bewältigenden Aufgaben Minimalforderungen wie Umstieg auf E-Autos oder autofreie Innenstädte zu wenig. Sowohl in den Reden bei der Abschlusskundgebung, als auch in Gesprächen unter den Teilnehmenden, war eher Tenor, dass es ganz grundsätzliche Lösungen geben müsse, um die durch die Automassen verursachten Emissionen zu reduzieren und den Autoverkehr möglichst umfassend zu überwinden. Es bleibt zu hoffen, dass sich die formierende Massenbewegung von Ablenkmanövern nicht abhalten lässt und es stattdessen schafft, den politischen Druck zu erhöhen. Dass sie in diesem Fall mit dem Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann, der von den IAA-Veranstaltern ausgeladen worden war, weil er eine Auto-kritische Rede halten wollte, sogar einen Spezialdemokraten an ihrer Seite hatte, ist zwar nur eine Randerscheinung, aber durchaus bemerkenswert. Die Frankfurter CDU quälen derweil ganz andere Sorge, als der Erhalt der Bewohnbarkeit des Planeten, was sie umgehend in einer Pressemitteilung wissen ließ: „Sollte der Messestandort Frankfurt jemals in Frage gestellt werden, ginge dieser schwere Verlust für die Stadt klar auf Peter Feldmanns Konto.“
Für die sich tatsächlich massenhaft und vergleichsweise handlungsfähig formierende Klimabewegung ist in Sachen Verkehr die jahrzehntelange so hemmungs- wie rücksichtslose Automobilmachung in Deutschland das richtige Ziel der Proteste. Von den großen CO2-Emmissionsquellen Energiewirtschaft, Industrieproduktion und Verkehr werden mit der Kohleverstromung und dem Individualverkehr nun mit der Ende Gelände- und der aussteigen-Bewegung exakt die richtigen, weil relevantesten Emmissionsquellen angegriffen. Selbstverständlich wird auch über eine Rückführung etwa des Flugverkehrs zur reden sein, allerdings tun die Aktivist*innen gut daran, sich zunächst besonders auf die Faktoren zu konzentrieren, die den Großteil der Emissionen ausmachen. Die Zahlen sprechen da eine deutliche Sprache. Wie das Umweltbundesamt mitteilt, wird der Emissionstrend „fast ausschließlich durch die Emissionen des Straßenverkehrs dominiert, welche um die 95 Prozent der Verkehrsemissionen ausmacht.“ Die übrigen fünf Prozent verkehrsbedingter Emissionen verteilen sich auf „Schienen-, Schiffs- und Flugverkehr“.
Der ideelle Gesamtkapitalist, also die jeweiligen Regierungen und staatlichen Behörden, unter der Fuchtel deutscher Wirtschaftsinteressen, sind nicht in der Lage, die Emissionen auch nur zu senken, das ist bei vielen Demonstrant*innen längst angekommen. Nur Selbstorganisation, die Erlangung politischer Handlungsfähigkeit und dadurch aufzubauender gesellschaftlicher und politischer Druck können die Verkehrswende herbeiführen, eine These, die an den beiden Wochenendtagen allgegenwärtig ist – man politisiert sich.
Dass es nicht schnell genug gehen kann damit, und dass das Problem bei der Mehrheit des nach wie vor blechverliebten Deutschvolkes nach wie vor nicht angekommen ist, zeigt eine aktuelle „Spiegel“-Recherche: „Anfang 2019 kamen in der Bundesrepublik auf 1000 Einwohner 567 Pkw – ein historischer Höchststand.(…) Im Jahr zuvor hatte der Wert bei 561 Pkw gelegen, im Jahr 2008 waren es erst 501.“ Da kann man angesichts der bevorstehenden Klimakatastrophe nur noch staunen.
Am Sonntag nach der Großdemo gelang dem Bündnis „Sand im Getriebe“ noch ein Erfolg, als hunderte Aktivist*innen mehrere Eingänge der IAA, darunter die beiden Haupteingänge mehrere Stunden lang blockieren konnten. Um die Blechmesse gänzlich dichtzumachen, fehlte es an Masse und Willen zur Konfrontation mit den anwesenden Hundertschaften der Polizei. Noch.
Nicolai Hagedorn
Ein Bericht zu dem Protestwochenende ist in Form eines Films des mit der GWR befreundeten Medienkollektivs Frankfurt auf der GWR-Homepage zu finden: https://www.graswurzel.net/gwr/2019/09/sand-im-getriebe/
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.