Die Kamera begleitet eine Teepackung auf ihrer Fahrt durch riesige Maschinenstraßen. Ein tristes Fabrikgebäude im Schnee, dann das Gesicht von Che Guevara an Containerwänden. Regale voller Teepackungen mit der Aufschrift 1336. Eine ältere Arbeiterin bereitet Tee zu, verschiedene Sorten, und ruft die Kolleg*innen ins Labor zum Probieren.
1336 Tage war die Fabrik in Gémenos, in der Nähe von Marseille in Südfrankreich, besetzt. Bei Fralib wurde der bekannten Lipton-Tee verpackt. Der Mutterkonzern Unilever wollte das florierende Unternehmen 2011 im Moment höchster Profitabilität schließen, um die Produktion nach Polen zu verlegen, dorthin, wo die Arbeitenden so schlecht bezahlt werden, dass noch mehr Profit herausgeschlagen werden kann. Die Arbeiter*innen haben den Betrieb besetzt, haben gekämpft und verhandelt, haben Abfindungsangebote konsequent abgelehnt, denn: „Wir wollen arbeiten“. Nach 1336 Tagen sprach ihnen das Gericht 20 Millionen Euro zu, für ausstehende Löhne und den Verlust des Arbeitsvertrages, darin enthalten der Betrieb mit allen Maschinen. Sie gründen die Genossenschaft Scop Ti und produzieren seither in Selbstverwaltung.
Nur Bruchstücke dieser Erfolgsgeschichte einer erfolgreich erkämpften Betriebsübernahme fließen in den Film ein. Der Kampf um Scop Ti wurde schon mehrfach verfilmt, Laura Coppens hat die Arbeiter*innen nun durch die Mühen der Ebenen begleitet. Sie dokumentiert Stationen des täglichen Kampfes um das Bestehen am Markt, mit seinen Fragen und Widersprüchen.
Wenn die Kamera durch die riesigen Produktionshallen fährt, wird sinnlich erfahrbar, welche Herausforderungen in kollektiver Fabrikarbeit stecken, die eine ganz andere Dimension hat als beispielsweise überschaubare selbstverwaltete Handwerksbetriebe. Wenn eine Maschine kaputt geht, ist das existenzbedrohend, denn es gibt keinen Ersatz, und eine Reparatur ist teuer. Manches lässt sich mit Erfahrung und Geschick selbst reparieren. Wenn es schief läuft, weil zu viel Ausschuss produziert wird, oder wenn sich mal wieder viel zu viele nicht an die notwendigen Auflagen für Ordnung und Sauberkeit halten, dann stellt das auch Fragen an das Miteinander: Wie steht es um den Zusammenhalt und die gemeinsamen Werte?
Die Leute haben sich nicht zum Zweck der Selbstverwaltung zusammengetan, sondern die vorhandene Belegschaft hat um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze gekämpft. Welches gemeinsame Selbstverständnis bildet sich dabei heraus? Welche Rolle soll beispielsweise die Vergangenheit und der erfolgreiche Kampf in der Außendarstellung spielen? Versteht sich die Genossenschaft jetzt als ganz normale Firma? „Bei Unilever musste ich nicht am Wochenende arbeiten“ merkt einer dazu an. Der meiste Umsatz wird im konventionellen Handel gemacht, nicht mit dem aktivistischen sozialen Umfeld. Gleichzeitig gibt es erhebliche Mängel in der Produktivität. Es sind so viele Ebenen gleichzeitig angesprochen, und die Zahlen sind erschreckend. Brauchen Menschen vielleicht doch eine Führungspersönlichkeit, der sie sich komfortabel unterordnen können?
Taste of Hope I Official Trailer from Srikandi Films on Vimeo.
Vielleicht hilft es ja, das Design zu verändern. Manche finden die einst liebevoll gestalteten Verpackungen, auf denen die kämpferische Geschichte erzählt wird, altmodisch und langweilig. Es geht um die Existenz, und so wird ein Fachmann aus der konventionellen Unternehmenswelt eingestellt. Die Teepackungen sollen einfacher und ansprechender gestaltet werden. Ein Crowdfunding bringt Briefumschläge mit ermutigenden Schreiben und Spenden. An den Demonstrationen gegen Macrons Arbeitsgesetze nehmen die Kolleg*innen mit einem eigenen Block teil.
Wenn der Tee verkostet wird, dann geht es nicht nur um sein Aroma, sondern auch um den Geschmack der Hoffnung. Einer Hoffnung, dass die Fabrik und die Arbeitsplätze erhalten bleiben, und vielleicht auch einer Hoffnung auf eine andere Welt, denn ist nicht der wesentliche Unterschied zur kapitalistischen Wirtschaft die Freude bei der Arbeit?
Dass die Filmemacherin dabei sein darf, wenn delikate Themen besprochen werden, zeugt vom Vertrauensverhältnis, das sie während der zweijährigen Dreharbeiten aufgebaut hat. Die Perspektive ist einfühlsam begleitend, ohne etwas zu beschönigen. Am Beispiel von Scop Ti wird deutlich, wie das Bestehen in der Marktwirtschaft Kompromisse verlangt – was zwar nicht neu ist, jedoch immer wieder aufs Neue wichtig ist, gemeinsam zu besprechen. Denn die Wunschvorstellungen, wie selbstverwaltete Betriebe funktionieren sollten, können nicht oft genug an den realen Erfordernissen gespiegelt werden, die ja sehr unterschiedlich sind, je nach Branche, Größe etc. Insofern scheint „Taste of Hope“ auch ziemlich gut geeignet, einen Beitrag zum solidarischen Austausch in Bewegungen und Netzwerken kollektiver Ökonomien zu leisten.
Elisabeth Voß
Taste Of Hope - Schweiz, Deutschland 2019 (Französisch mit deutschen Untertiteln) - Regie: Laura Coppens - 70 Min. - seit Oktober im Kino (Vorführungen und weitere Informationen auf der Seite tasteofhope-film.com)
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.