Fabian Georgi: Managing Migration? Eine kritische Geschichte der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2019, 448 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-86505-803-4
Die Politik der 1951 als Nachfolgeorganisation des „International Refugee Committees“ (IRC) gegründeten, zwischenstaatlichen „International Organisation for Migration“ (IOM) ist höchst kontrovers – u.a. wegen der fehlenden bzw. sehr späten (ab 2016) Anbindung an die Vereinten Nationen. Die IOM hat mittlerweile 172 Mitgliedsstaaten und beschäftigt rund 11.000 Mitarbeiter*innen. Dies vermittelt einen Eindruck der Bedeutung der IOM. Der Politikwissenschaftler Fabian Georgi widmet sich der Geschichte und Politik der Organisation unter kritischer Perspektive und bemerkt: „Trotz ihrer vielfältigen Aktivitäten und Erfolge nimmt die IOM in der internationalen Migrationspolitik bis heute eine ambivalente Stellung ein.“ (S. 21) Die Leitfrage seiner, nun veröffentlichten Dissertation lautet: „Wie hat sich die IOM von ihrer Gründung 1951 bis zur Gegenwart entwickelt und verändert, insbesondere in Hinblick auf ihre institutionellen und finanziellen Strukturen, ihre Praxis und ihre Diskurse und durch welche Konflikte waren diese Entwicklungen geprägt?“ (S. 28)
Er ergänzt diese durch eine zweite: „Wie lässt sich die wechselhafte Entwicklung der IOM aus dem historischen Kontext heraus erklären, insbesondere in Hinblick auf die Konflikte und Krisen, zu deren Regulation die IOM beizutragen versuchte, und in Hinblick auf jene Widersprüche, Kämpfe und Kräfteverhältnisse, die ihre Entwicklung vorantrieben und sich in ihr materiell verdichteten?“ (S. 29)
Jenen Leitfragen nähert er sich in sieben Kapiteln, die sich jeweils mit einer spezifischen Epoche in der Organisationsgeschichte zwischen 1945 und 2018 beschäftigen, – aus einer materialistischen und politökonomischen Perspektive. Im Anschluss daran fasst er die Ergebnisse in Bezug auf die einzelnen Zeitabschnitte zusammen – leider ohne ein Gesamtfazit zu ziehen. Dabei verweist er immer wieder auf die an dieser Institution geäußerten Kritik seitens der Zivilgesellschaft (z.B. in Form von Amnesty International, Human Right Watch) oder der linken, linksradikalen Bewegung an deren Politik. Diese Verweise werden meist nicht näher ausgeführt – und sind in Bezug auf die Leitfragen zweitrangig. Als Materialbasis greift er u.a. auf offizielle US-Depeschen zurück und führte eine Reihe von (anonymisierten) Interviews mit Mitarbeiter*innen und Ex-Praktikant*innen des IOM.
Er zeigt dabei u.a. die ideologischen Grundlagen der Organisation auf, die während des Kalten Krieges aus einem Antikommunismus gespeist wurde, thematisiert die Vormachtstellung der USA und hinterfragt kritisch die Widersprüchlichkeiten in jener Organisation, die im Management ein adäquates Instrument sieht, um Widersprüche der Migration aufzuheben.
Der in Marburg lehrende Politikwissenschaftler Fabian Georgi erhielt für diese 2016, an der FU Berlin eingereichte Dissertation 2018 zu Recht den Antonio Gramsci-Preis für kritische Forschung in der Migrationsgesellschaft. Die Darstellung – dem Genre einer historischen Doktorarbeit geschuldet, z.T. sehr zähe Lektüre – lohnt sich, um einen Einblick in die Geschichte und Politik der bislang im deutschsprachigen Raum nur selten umfassend untersuchten Organisation. Er füllt mit seiner Arbeit eine eklatante Forschungslücke.
Maurice Schuhmann