Vielleicht nicht gerade Woodstock, aber immerhin „one day of peace, music, and sustainability“: Am 14. September 2019 fand in Aachen das erste Sounds for Climate-Festival statt.
Im „Tuchwerk“, einer alten Textilfabrikanlage, die heute von kulturellen Initiativen genutzt wird, gab es von 12 bis 22 Uhr abends ein klimabewegtes Programm aus musikalischen Acts, Redebeiträgen, veganem Essen und Infoständen klimapolitischer Initiativen. „Sounds for Climate“ (S4C) wurde vom Hambi Support Aachen organisiert. Der Liedermacher Gerd Schinkel war mit zwei Bandkollegen als Trio angereist und eröffnete das Musikprogramm mit seinen nachdenklichen bis ironischen politischen Texten. Innerhalb des letzten Jahres hat er über hundert Songs geschrieben, die sich in ergreifender Poesie mit dem europäischen Klimakiller Nr. 1 befassen: dem rheinischen Braunkohlerevier. Die Kämpfe um den Hambacher Wald hat er so intensiv musikalisch begleitet wie wohl kein zweiter Musiker.
Als ein weiteres Urgestein der Protestmusik trat Klaus der Geiger auf, dessen furiose Violine kongenial mit der Gitarre von Marius Peters in Dialog trat. Klaus hat schon vor einem gefühlten halben Jahrhundert gegen den „Bagger von Rheinbraun“ angesungen, und tat dies auch diesmal mit der ihm eigenen Gefühlsintensität, deren Authentizität außer Zweifel steht.
Als weiterer Meister des Worts kam der „Klavierkabarettist“ Bodo Wartke auf die Bühne, der u.a. sein Lied „Der Hambacher Wald“ vortrug. Auch dieses hatte 2018, wie das Engagement der beiden vorgenannten Künstler, auf dem kulturellen Sektor zum Sieg der Klimagerechtigkeitsbewegung im Kampf gegen die Rodung des Hambi beigetragen.
Der Hambi war beim Klimafestival in Aachen ein beherrschendes Thema. Eine Fotoausstellung des Künstlers Todde Kemmerich über den Wald zierte die Außenwände der Fabrikgebäude; der Aktivist Clumsy, der in der Hambi-Siedlung Oaktown wohnt, berichtete vom Stand der Bewegung und vom Versuch des Konzerns RWE, den Wald auch ohne Rodung, durch aggressives Heranbaggern, zu zerstören.
Das Festival war bewusst auf den Jahrestag der Räumung durch den größten Polizeieinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens gelegt worden. Diese auf groteske Lügen gegründete Schandtat des Innenministers Herbert Reul (CDU) hatte am 19. September 2018 zum Tod des Aktivisten und Journalisten Steffen Meyn geführt. Das Festival hatte auch den Anspruch, dessen Credo als Blogger, „VergissMeynNicht“, umzusetzen, wie Rüdiger Haude, einer der Organisatoren, zur Eröffnung des Fests betonte.
Weitere Redebeiträge kamen u.a. von Vertreter*innen der Aachener Fridays-for-Future-Bewegung (wobei ein junger Schüler, deutlich vor dem Stimmbruch, betonte, dass der Klimakampf „ein antikapitalistischer und anarchistischer Kampf“ sein müsse), vom Waldpädagogen Michael Zobel, und von einer Vertreterin der Aachener Sektion von „Extinction Rebellion“. Nach den Worten Clumsys heizten The Bloodstrings dem Publikum ein, die ihren Stil als „female-fronted punk-a-billy“ bezeichnen und sonst durchaus auf größeren Festivals, z.B. Wacken, zuhause sind.
Der Schlussact und musikalische Höhepunkt wurde nach der einsetzenden Dunkelheit von den sieben Virtuos*innen von Final Virus geboten, die das musikalische Spektrum der Rockmusik in Dimensionen überschreiten, von denen man zuvor kaum eine Idee hatte. Beim letzten Stück holte Peter Sonntag, Bassist und Kopf der Band, die anwesenden Mitglieder des politischen Chores „Andere Saiten“ auf die Bühne, und zusammen mit der großartigen Stimme der Final-Virus-Sängerin Missy Wainwright trug man eine Adaption des Beatles-Hits „Come together“ vor, mit dem auffordernden Text der Anderen Saiten: „Auf die Straße“!
Sounds for Climate war ein Fest, um die vergangenen Erfolge zu feiern und sich zu informieren und zu vernetzen. So wurde das Gelände von bis zu 600 Leuten belebt, die mühelos Coolness mit Awareness verknüpften. Ein junger Besucher sagte mir, er sei eigentlich nur für Final Virus gekommen, verlasse das Festival aber mit einem klaren Bewusstsein für die Klimaproblematik. Genauso war es gedacht gewesen. Und wenn am 20. September etwa 8000 Aachener*innen bei der örtlichen Demo zum globalen Klimastreik teilnahmen, ist gewiss die eine oder der andere dabeigewesen, die oder der den Entschluss dazu am 14. September im Tuchwerk gefasst hat.
Wer beim Auf- und Abbau und während des Festivals dabei war, zeigte sich vor allem von einem Sachverhalt beeindruckt: Das fünfköpfige Orga-Team hatte zwar ein halbes Jahr mit der Planung und Vorbereitung des Festivals verbracht, verließ sich aber in der heißen Phase auf die Eigeninitiative und Selbstorganisation der vielen Helfer*innen beim Schleppen und Schrauben, beim Getränkeverkauf, an der Spülstation, den Ordnerdiensten, dem Spendensammeln, Aufräumen usw. usf. Und siehe da, alles griff nahtlos ineinander, man hatte den Eindruck einer perfekten Organisation. Ganz ohne Zentrale: Es war ein Festtag der Selbstorganisation.
Für die Organisator*innen war es schon am 15. September keine Frage mehr, dass dieses Fest im kommenden Jahr wiederholt werden muss – vielleicht eine Nummer größer. Die am 20. September dann von der Bundesregierung vorgelegten „Eckpunkte“ zum „Klimaschutz“, die jeden denkenden Menschen vollends fassungslos gemacht haben, liefern ein zusätzliches Motiv dazu, im Klimakampf nicht lockerzulassen – auch und erst recht nicht da, wo die fällige Revolution die Form des Tanzens annimmt.
Leonie Felix